Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)
Durch den Kernreaktorunfall von Tschernobyl im Frühjahr 1986 gelangten große Mengen an künstlicher Radioaktivität in die Atmosphäre und verteilten sich weiträumig über Europa.
Der Unfall liegt inzwischen 34 Jahre zurück – länger als eine Halbwertzeit des Cäsium-137 (T1/2 = 28 Jahre). Trotzdem sind in manchen Regionen Süddeutschlands noch immer deutliche Gehalte dieses Radionuklids in Wildschweinfleisch messbar. Verursacht werden die erhöhten Werte durch den Hirschtrüffel, dessen ca. nussgroße, unterirdisch wachsende Fruchtkörper mit Vorliebe von Wildschweinen gefressen werden. In Hirschtrüffeln ist das radioaktive Cäsium aus dem Waldboden teilweise stark angereichert.
Aufgrund der Erfahrungen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde in Deutschland 1990 „IMIS“, ein bundesweites Messnetz für die Umweltradioaktivität installiert und ständig weiter entwickelt (s. Infokasten IMIS).
Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUAs) Stuttgart und Freiburg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden. Sie müssen in einem Ereignisfall hohe Probenzahlen auch über längere Zeit bewältigen können. Das nicht zu vernachlässigende Risiko von Kernkraftwerksunfällen wurde durch das Reaktorunglück von Fukushima (Japan) am 11. März 2011 in Erinnerung gebracht. Derzeit werden weltweit ca. 450 Kernkraftwerke betrieben (EU: ca.120) [5].
Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile Deutschlands großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG), das am 31.12.2018 vom neuen Strahlenschutzgesetz abgelöst wurde. Es enthält wichtige Festlegungen insbesondere für radiologische Notfallsituationen. Hierzu gehört auch das „Integrierte Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität“ (IMIS).
Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert.
In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) muss hingegen der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.
Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Die Länder ermitteln im Auftrag des Bundes die Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm. Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig, z.B. in der Luft. Weiterhin betreibt der Bund (Bundesamt für Strahlenschutz, BfS) das IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) veröffentlicht. [1]
An IMIS sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Karlsruhe die CVUAs Stuttgart und Freiburg als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [1]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.
Ca. 2000 über Deutschland verteilte Radioaktivitätssonden überwachen rund um die Uhr die Gamma-Strahlungsintensität (Gamma-Ortsdosisleistung, ODL). Die Ergebnisse werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [2]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Überwachung des Atomwaffensperrvertrags. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima (Japan) im Jahr 2011 konnten dadurch frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Becquerel (Bq)/m3 nachgewiesen werden, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch derartige Messergebnisse können über das Internet abgerufen werden [3].
Im Jahr 2019 haben die CVUAs Stuttgart und Freiburg zusammen ca. 1200 Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben auf Radioaktivität untersucht. Die Analysen erfolgten hauptsächlich im Rahmen des Bundesmessprogrammes „IMIS“ sowie für das Landesmessprogramm „Wild“. Um Aussagen zur Schwankungsbreite der Messwerte zu bekommen, wurden über das Jahr verteilt auch mehrfach Proben vom selben Standort untersucht.
Abgesehen von Wildschweinfleisch und einigen Wildpilzarten (s.u.) wurden bei den ca. 1100 Lebensmittelproben nur noch Cs-137-Gehalte im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq/kg) und damit deutlich unter dem EU-Grenzwert für Einfuhren aus Drittländern von 600 Bq/kg festgestellt. Dieser Wert wird in Deutschland für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert angewandt.
Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Heute finden sich in Lebensmitteln nur noch geringe Strontium-90-Gehalte. Das Radionuklid gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.
Die untersuchten 73 Futtermittelproben zeigten nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen 1,9 bzw. 2,5 Bq/kg Trockenmasse.
Bei den untersuchten 25 Bodenproben lagen die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 bei 85 bzw. 4,5 Bq/kg.
In allen 38 untersuchten Trinkwasserproben waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.
Unabhängig davon können auch natürliche Radionuklide aus dem Gestein in das Trinkwasser gelangen und so beim Verbraucher eine gewisse Strahlendosis verursachen.
In Deutschland trägt das Trinkwasser durchschnittlich mit 0,01 Millisievert /Jahr (mSv/a) nur in sehr geringem Maß zur gesamten mittleren natürlichen Strahlenbelastung von 2,4 mSv/a bei. In einzelnen Regionen (z.B. im Schwarzwald) kann sich jedoch auch ein höherer Dosiswert ergeben. Dieser wird seit dem Jahr 2015 nach der Trinkwasserverordnung auf 0,1 mSv/a begrenzt. Weiterhin soll der Radon-222-Gehalt 100 Bq/l nicht überschreiten. Deshalb werden die natürlichen Radionuklide inzwischen im Rahmen der Trinkwasserüberwachung berücksichtigt.
Das CVUA Freiburg hat im Jahr 2019 ergänzend zu den Eigenuntersuchungen der Wasserversorgungsunternehmen 57 Trinkwasser- und Rohwasserproben auf Radon-222 sowie auf den Übersichtsparameter Gesamt-Alpha untersucht. Dadurch konnte für alle 11 erstmalig und über ein Jahr mehrfach beprobten Wasserversorgungsgebiete sichergestellt werden, dass die o.g. Vorgaben der Trinkwasserverordnung eingehalten werden.
Eine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch 34 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 kontaminiert ist. Der Grund: Hirschtrüffel, eine beliebte Nahrungsquelle für Wildschweine, reichern Cäsium aus dem Waldboden an.
Bei den CVUAs Stuttgart und Freiburg gingen 2019 insgesamt ca. 400 Wildschweinproben aus Baden-Württemberg zur Untersuchung ein.
Bei 25 Proben (ca.6 %) wurde eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg festgestellt. Derartiges Fleisch darf nicht in den Verkehr gebracht werden, sondern ist zu entsorgen. Deutlich erhöhte Werte ergaben sich in den Gemeinden Bad Herrenalb (Landkreis Calw) und Gernsbach (Landkreis Rastatt) mit 2740 bzw. 2540 Bq/kg.
Die kompletten Untersuchungsergebnisse aus allen Messstellen des Landes (einschließlich Eigenkontrollmessstellen) werden vom CVUA Freiburg für das vergangene Jagdjahr (01.04.2019-31.03.2020) ausgewertet und ab Oktober 2020 im Internet veröffentlicht.
Die gemessenen Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Proben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung kommen (siehe Kasten).
Bei der Untersuchung von 32 Wildschweinfleisch-Proben aus Gaststätten und Metzgereien ergab sich in keinem Fall eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg. Der höchste gemessene Wert betrug 527 Bq/kg.
Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) ist in Baden-Württemberg durchgängig nicht mit Cs-137 belastet.
Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildschweinfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:
Im Jahr 2019 wurden 12 Proben Wildpilze (Sammelgebiete Baden-Württembergs sowie Importe aus Osteuropa) zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Bei eingeführten Wildpilzen lag der Cs-137-Gehalt - wie in den zurückliegenden Jahren - deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg (Maximalwert: 43 Bq/kg). Auch bei heimischen Wildpilzen wurden 2019 nur geringe Cs-137-Gehalte festgestellt (Maximalwert 33 Bq/kg).
Aus Naturschutzgründen dürfen Wildpilze in Baden-Württemberg nicht kommerziell vermarktet, sondern nur für den privaten Bedarf gesammelt werden (max. 1 kg /Tag und Person). Entsprechendes Untersuchungsmaterial steht den CVUAs daher nur durch die gelegentlichen Einsendungen privater Pilzsammler zur Verfügung.
Alle Hände voll zu tun - Probenvorbereitung bei der IMIS-Übung 2019
Messung mittels Gammaspektrometrie
Am 09.10.2019 startete eine 3-tägige bundesweite IMIS-Strahlenschutzübung, an der auch die CVUAs Stuttgart und Freiburg mit eigenen Probenmessungen beteiligt waren.
Hauptziel dieser Übung war, das vom Bund neu entwickelte IT-System „LADA“ einem Stresstest zu unterziehen. Dafür musste eine große Zahl von Radioaktivitätsmessdaten in dem System erfasst, elektronisch übermittelt und ausgewertet werden.
Die CVUAs Stuttgart und Freiburg mit ihren jeweils 15 köpfigen Teams „Nuklearer Notfallschutz“ lieferten insgesamt 215 Messdatensätze an den Bund, der für die Auswertungen aller Daten verantwortlich ist.
Die Übung zeigte die hohe Einsatzfähigkeit beider Messlabore und lieferte wichtige Erkenntnisse für Weiterentwicklungen im Bereich nuklearer Notfallschutz.
[4] Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung
[6] Chemische und Veterinäruntersuchungsämter Baden-Württemberg
alle CVUA Freiburg