Baden-Württemberg

Die Untersuchungsämter für Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit

Hepatitis E beim Wildschwein

Sandra Wiedmann, Dr. Reinhard Sting, Dr. Matthias Contzen, Dr. Lisa Schneider-Bühl, Dr. Birgitta Polley

 

Hepatitis E-Viren sind mittlerweile die häufigste Ursache virusbedingter Leberentzündungen (Hepatitis) beim Menschen. Übertragen werden die Viren hierzulande hauptsächlich durch nicht ausreichend erhitzte Wurst- und Fleischwaren, die von (Wild-)Schweinen gewonnen werden. Seit 2015 geht das CVUA Stuttgart in Baden-Württemberg der Frage nach, ob Wildschweine ein Reservoir für dieses auf den Menschen übertragbare Virus darstellen. Neue Daten aus den Jahren 2016–2020 und neue Analyseansätze zeichnen ein detaillierteres Bild.

 

Hepatitis E-Viren

Bild 1: Darstellung von Hepatitis E Virus-like Partikel, im Transmissionselektronenmikroskop, 200.000-fach vergrößert, PTA-Negativ-Kontrastierung. Bildquelle: Dr. Valerij Akimkin (CVUA Stuttgart).

Bild 1: Darstellung von Hepatitis E Virus-like Partikel, im Transmissionselektronenmikroskop, 200.000-fach vergrößert, PTA-Negativ-Kontrastierung. Bildquelle: Dr. Valerij Akimkin (CVUA Stuttgart)

 

Das Hepatitis E-Virus (HEV) ist die weltweit häufigste Ursache akuter Hepatitis-Fälle, die durch Viren verursacht werden. Der Erreger verursacht beim Menschen Leberentzündungen mit Fieber, Ikterus (Gelbsucht) und Oberbauchschmerzen. Die Zahl der gemeldeten Fälle in Deutschland lag im Jahr 2009 noch bei 108 und ist seitdem jährlich gestiegen. Im Jahr 2016 wurden bereits 1.991 Fälle registriert und 2020 waren es 3.246 [1]. Weltweit führt HEV jährlich zu ca. 70.000 Todesfällen und 3.000 Totgeburten.

 

Die Ursachen für die steigenden Fallzahlen sind vermutlich eine erhöhte Aufmerksamkeit der Ärzte für die Erkrankung, verbesserte Testmethoden, die 2015 geänderten Falldefinitionen und das 2017 geänderte Infektionsschutzgesetz, das die akute Virushepatitis zu den meldepflichtigen Krankheiten zählt [2]. Wurde früher noch davon ausgegangen, dass die Erkrankungen bei Reisen in Gebiete mit hoher Virusverbreitung (z. B. Südasien, Westafrika und Mittelamerika) durch verunreinigtes Trinkwasser ausgelöst wurden, konnten Studien zeigen, dass Erkrankungsfälle auch bei Personen auftreten, die Deutschland nie verlassen haben und dass Infektionen mit HEV überwiegend im Inland erworben werden (sog. autochthone Infektionen). Ursache hierfür ist der Genuss von unzureichend erhitztem Wild- und Hausschweinefleisch [3,4].

 

Infokasten

Das Hepatitis E-Virus

Bei dem Hepatitis E-Virus, das 1980 entdeckt worden ist, handelt es sich um ein 32–34 nm großes, ikosaedrisches, unbehülltes Einzelstrang RNA-Virus aus der Familie der Hepeviridae.
Es gibt 8 Genotypen, wobei nur die Genotypen 1–4 humanpathogen sind [1,3].
Die Genotypen 1 und 2 infizieren nur Menschen. Diese Genotypen kommen endemisch in tropischen und subtropischen Gegenden mit schlechter Wasser- und Lebensmittelhygiene vor und verursachen regelmäßig Infektionen und Ausbrüche. In diesen Regionen liegt die Seroprävalenz bei 30–80 %. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist auch über Schmierinfektionen (Fäkalien) möglich [1,2,3].
Die Genotypen 3 und 4 infizieren vor allem Schweine (Haus- und Wildschweine), die auch das Erregerreservoir für diese Genotypen darstellen. Schweine zeigen allerdings im Gegensatz zum Menschen keine klinischen Symptome, erkranken also nicht an einer Hepatitis. Die Übertragung auf den Menschen (Zoonose) erfolgt meist über den Verzehr von nicht durchgegartem Schweine- oder Wildschweinefleisch [1,3].
Die Genotypen 5 und 6 wurden auch bei Wildschweinen, die Genotypen 7 und 8 bei Kameliden nachgewiesen und sind von untergeordneter Bedeutung.
In Deutschland werden die meisten Infektionen durch den Genotyp 3 (HEV-3) verursacht [1,2,3].

 

Klinik

Die HEV-Infektion ist eine akute, selbstlimitierende Erkrankung, die 4–6 Wochen andauert. Die Inkubationszeit beträgt 2 bis 6 Wochen. Das Krankheitsbild der Hepatitis E ist abhängig vom Genotyp des Virus.

 

Infektionen mit HEV-3 und HEV-4 verlaufen meist mit nur milden oder keinen Krankheitssymptomen (asymptomatisch). Schätzungsweise 90 % der Infektionen verlaufen ohne Symptome. Es kann aber auch zu einer Leberentzündung mit Fieber, gastrointestinalen und allgemeinen Symptomen und in seltenen Fällen zu einer Gelbsucht (Ikterus) kommen. Bei Personen mit bestehenden Lebererkrankungen, Immunsupprimierten oder Transplantationspatienten kann es zu chronischen Hepatitis-E-Infektionen kommen. Auch diese verlaufen oft asymptomatisch, können aber unbehandelt zur Leberzirrhose führen [1,3].

 

Infektionen mit HEV-1 und HEV-2 zeigen selten eine Entzündung der Leber, aber eine erhöhte Mortalität bei Schwangeren. Im letzten Schwangerschaftsdrittel liegt diese bei 25–30 %. HEV-1 und HEV-2 kommen in Deutschland allerdings nur als importierte Reiseinfektion vor [1].

 

Therapie

Bei immunkompetenten Patienten ist die HEV-Infektion meist selbstlimitierend und nicht therapiebedürftig. Wenn es zu schweren Verläufen kommt, z. B. bei Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung und Immunsupprimierten, kann eine antivirale Therapie mit einem Virostatikum durchgeführt werden [1].

 

Prävention

In Gebieten, in denen HEV-1 und HEV-2 endemisch vorkommen, sollten die allgemeinen Regeln zur Vermeidung von lebensmittelbedingten Infektionen eingehalten werden. So sollte nur abgekochtes Leitungswasser verwendet werden und kein rohes oder unzureichend erhitztes Obst und Gemüse gegessen werden. Um sich vor Infektionen mit HEV-3 und HEV-4 zu schützen, sollte nur vollständig durchgegartes Schweine- und Wildfleisch [3] und keine rohen Schalentiere verzehrt werden. Beim Erhitzen mit Temperaturen über 70 °C über mindestens 20 Minuten wird das Virus inaktiviert. Außerdem ist auf eine gute Küchenhygiene zu achten [1,5]. Ein Impfstoff gegen Hepatitis E ist in Deutschland und Europa noch nicht verfügbar.

 

Labor

Um die Ursache einer durch Viren hervorgerufenen Hepatitis zu klären, ist der Nachweis von Antikörpern im Blut oder der Nachweis von HEV-RNA mittels PCR in einer Stuhlprobe notwendig [5].

 

Situation von Hepatitis E-Infektionen beim Wildschwein in Baden-Württemberg

Das CVUA Stuttgart führte bereits in einem Pilotprojekt 2015 Untersuchungen zum Nachweis von Antikörpern gegen das Hepatitis E-Virus bei Wildschweinen durch, um die Frage zu beantworten, ob auch in Baden-Württemberg Wildschweine mit HEV infiziert sind. Es wurden damals insgesamt 374 Blutproben von Wildschweinen aus dem Regierungsbezirk Stuttgart aus den Jahren 2010 bis 2015 untersucht, von denen bei 31 Proben spezifische Antikörper nachgewiesen werden konnten. Dies entspricht einer Seroprävalenz von 8,1 %.

 

Tabelle 1: Nachweis von Antikörpern gegen das Hepatitis E-Virus (HEV) bei Wildschweinen mittels ELISA von 2010–2015
Jahr
 
Probenzahl
HEV-ELISA
Positiv
Fraglich
Negativ
2010
137
13 (9,5 %)
0
124 (90,5 %)
2011
61
10 ( 16,4 %)
0
51 (83,6 %)
2012
96
5 ( 5,2 %)
0
91 (94,8 %)
2013
66
2 ( 3,0 %)
1 (1,5 %)
63 (95,5 %)
2014
111
5 ( 4,5 %)
2 (1,8 %)
104 (93,7 %)
2015
147
15 ( 10,2 %)
1 (0,7 %)
131 (89,1 %)
Summe
618 (100 %)
50 (8,1 %)
4 (0,6 %)
564 (91,3 %)

 

Aufgrund dieser Ergebnisse wurden in den darauffolgenden fünf Jahren (2016–2020) weiterhin die in unserem Hause im Rahmen des sogenannten Wildschweinepest-Monitorings untersuchten Blutproben, die aus dem Regierungsbezirk Stuttgart stammten, gesammelt. Durch das Vorkommen der Afrikanischen Schweinepest bei Wildschweinen im Nachbarland Polen und neuerdings auch in Deutschland sind die Probenzahlen für das Wildschweinepest-Monitoring deutlich gestiegen.

 

In dieser Folgestudie sollten Blutproben von Wildschweinen nicht nur auf Antikörper untersucht werden (indirekter Virusnachweis), sondern auch auf das Vorkommen von HEV selbst (direkter Virusnachweis). In dieser Studie wurden 2.295 Proben aus 234 Gemeindegebieten in 12 Landkreisen des Regierungsbezirks Stuttgart zunächst serologisch getestet. Hierbei wiesen 249 (10,8 %) der Proben positive, 9 (0,4 %) fragliche und 2.037 (88,88 %) negative Ergebnisse auf. Die jährliche Seroprävalenz lag dabei bei 7,5–14 %.

 

Die 249 serologisch positiven Proben wurden molekularbiologisch auf das Erbgut von HEV untersucht (Nachweis HEV-spezifischer RNA mittels Reverse-Transkriptase-PCR). Bei diesen Untersuchungen konnte in 39 Serumproben (15,7 %) HEV-RNA nachgewiesen werden. Fünf der positiven Proben wurden weitergehend molekularbiologisch charakterisiert, das heißt der Genotyp mit Hilfe der Nukleinsäure-Sequenzierung bestimmt. Bei allen fünf Proben wurde der für Wildschweine typische Genotyp 3 (HEV-3) nachgewiesen.

 

Zusätzlich wurden 368 seronegative Proben als Vergleichs- und Kontrollgruppe mittels PCR getestet. Diese Proben stammten aus Gemeinden, in denen seropositive Proben vorkamen. In diesen Serumproben wurde im Gegensatz zu den seropositiven Proben nur in 1,3 % (5 Proben) HEV-RNA gefunden. Dies zeigt, dass die kostengünstige und schnell durchzuführende serologische Voruntersuchung die Quote für den aufwendigeren molekularbiologischen Nachweis von HEV signifikant erhöht [6].

 

Tabelle 2: Nachweis von Antikörpern gegen Hepatitis E-Virus (HEV) mittels ELISA und Nachweis von HEV-RNA mittels Reverse-Transkriptase-PCR in seropositiven Serumproben von Wildschweinen im Regierungsbezirk Stuttgart in den Jahren 2016 bis 2020
Jahr
Probenzahl
HEV-ELISA
HEV-PCR
Positiv
Fraglich
Negativ
Probenzahl
Positiv
Negativ
2016
157
22 (14 %)
0 (0 %)
135 (86 %)
22
2 (9,1 %)
20 (90,9 %)
2017
534
57 (10,7 %)
1 (0,2 %)
476 (89,1 %)
57
7 (12,3 %)
50 (87,7 %)
2018
735
100 (13,6 %)
5 (0,7 %)
630 (85,7 %)
100
19 (19 %)
81 (81 %)
2019
629
52 (8,3 %)
0 (0 %)
577 (91,7 %)
52
7 (13,5 %)
45 (86,5 %)
2020
240
18 (7,5 %)
3 (1,2 %)
219 (91,3 %)
18
4 (22,2 %)
14 (77,8 %)
Summe
2.295
249 (10,8 %)
9 (0,4 %)
2.037 (88,8 %)
249
39 (15,7 %)
210 (84,3 %)

 

Eine zusätzliche Auswertung der Daten unter Berücksichtigung des Alters der Tiere ergab signifikante Unterschiede. So war bei Tieren, die jünger als ein Jahr waren, mit 25 % der Anteil HEV-positiver Wildschweine signifikant größer als der Anteil von 8,5 % bei Wildschweinen, die älter als ein Jahr waren.

 

Von besonderem Interesse ist es, der Frage nachzugehen, ob es regionale Unterschiede beim Vorkommen von HEV-infizierten Wildschweinen gibt. Datenauswertungen aller Tiere, bei denen HEV mittels PCR nachgewiesen werden konnte (44 Tiere), auf Basis der Gemeindegebiete ergab 7 regionale Häufungen mit 3–8 positiven Tieren, die insgesamt 84 % der positiven Proben beinhalteten (Bild 2). Bei den regionalen Häufungen handelt es sich um Gebiete, die ca. 10 km voneinander entfernt liegen und somit ungefähr dem Revier einer Wildschweinrotte entsprechen [6].

 

Bild 2: Geographische Zuordnung HEV-positiver Wildschweine.

Bild 2: Geographische Zuordnung HEV-positiver Wildschweine. Häufung (Cluster) von 3–8 (roter Punkt) oder 2 (gelbes Dreieck) positiven Wildschweinen oder nur ein (blaues Quadrat) positives Wildschwein mit Abstand der Erlegeorte von 10 km. Bildnachweis: Polley et al. [6].

 

Quellen

[1] RKI (Robert-Koch-Institut) (2015): Hepatitis E, RKI-Ratgeber.

[2] Pischke S, Behrendt P, Bock CT, Jilg W, Manns MP, Wedemeyer H (2014): Hepatitis E in Deutschland – eine unterschätzte Infektionskrankheit. Deutsches Ärzteblatt 111: 577–583. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0577

[3] Johne R, Althof N, Nöckler K, Falkenhagen A (2022): Das Hepatitis-E-Virus – ein zoonotisches Virus: Verbreitung, Übertragungswege und Bedeutung für die Lebensmittelsicherheit. Bundesgesundheitsblatt 65, 202–208. DOI: 10.1007/s00103-021-03476-w.

[4] BFR (Bundesinstitut für Risikobewertung): Hepatitis E.

[5] RKI (Robert-Koch-Institut) (2015): Hepatitis-E-Virus-Infektion aus virologischer Sicht. Epidemiologisches Bulletin 13. April 2015 / Nr. 15.

[6] Polley B, Contzen M, Wiedmann S, Schneider-Bühl L, Sting R (2022): Detection of hepatitis E virus Infections in wild boars in Southwest Germany using a stepwise laboratory diagnostic approach. Zoonotic Diseases, 2, 9–18. DOI: 10.3390/zoonoticdis2010002.

 

Artikel erstmals erschienen am 16.05.2022 09:01:00

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