Lisa Geißendörfer, Sophia Westhäuser, Tábata Rajcic de Rezende, Manuela Mahler (CVUA Karlsruhe)
Abbildung 1: Links die Blüte der Clitoria ternatea, rechts eine blau gefärbte Spirituose
Die Pflanze Clitoria ternatea wird der Familie der Hülsenfrüchtler bzw. der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler zugeordnet. Geläufig sind unter anderem auch die Namen Anchan, blaue Schmetterlingsblüte oder blaue Klitorie. Clitoria ternatea enthält wasserlösliche Pflanzenfarbstoffe, sogenannte Anthocyane, die für die charakteristische blaue Färbung der Blüten verantwortlich sind. Anthocyane sind für ihren pH-abhängigen Farbwechsel bekannt. Werden die Anthocyane, welche in den getrockneten Pflanzenbestandteilen vorhanden sind, in Wasser gelöst, so haben diese bei einem neutralen pH-Wert eine türkisblaue Farbe. Beim Verringern des pH-Werts dieser Lösung ins Saure ändert sich die Farbe der anthocyanhaltigen Blütenfarben zu Violett, während ein Farbumschlag zu Gelb-Grün bei Erhöhung des pH-Werts sichtbar wird. Diese Farbänderungen beruhen sowohl auf den chemischen Reaktionen, die die Anthocyane in der Pflanze durchlaufen, als auch auf den Veränderungen im Molekülaufbau.
Aufgrund des beschriebenen Farbenspiels gibt es derzeit den Trend diese Pflanze bzw. einen (hochkonzentrierten) anthocyanhaltigen Extrakt hiervon in Spirituosen wie Gin oder Wodka zu verarbeiten und den eintretenden Farbwechsel bei Zugabe von Tonic Water oder einem anderen sauren Erfrischungsgetränk (siehe Abbildung 2) werblich hervorzuheben.
Abbildung 2: Farbspiel der Anthocyane der Clitoria ternatea in Gin und Wodka. Dargestellt werden im oberen Bildabschnitt unterschiedliche Gins (v.l.n.r. Gläser Nr. 1-3, 5 und 6) und ein Wodka (Glas Nr. 4), welche mit Clitoria ternatea hergestellt wurden. Im unteren Bildabschnitt sind die gleichen Gin- und Wodka-Proben mit Säure versetzt. Das Glas ganz rechts enthält zum Vergleich einen farblosen Gin, welcher keine Farbänderung zeigt.
Die Verwendung dieser Pflanze als Lebensmittelzutat in der Europäischen Union war bisher nicht bekannt. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe hat sich mit der Frage beschäftigt, ob diese Nutzung aus rechtlicher Sicht erlaubt ist.
Spirituosen werden allgemein im Anhang I der Verordnung (EU) 2019/787 (Spirituosenverordnung) definiert. Gin wird darin als eine Spirituose mit Wacholder mit einem Mindestalkoholgehalt von 37,5% vol beschrieben. Unter der Bezeichnung Wodka werden Spirituosen verstanden, die durch Gärung mit Hefe aus Kartoffeln und/oder Getreide oder sonstigen landwirtschaftlichen Rohstoffen entstehen. Der Mindestalkoholgehalt von Wodka beträgt 37,5% vol. Eine weitere Anforderung an Wodka ist, dass Produkte mit der Bezeichnung „Wodka“ nicht gefärbt werden dürfen.
Die rechtliche Einstufung von Clitoria ternatea ist je nach Zweckbestimmung unterschiedlich. Aufgrund der färbenden Eigenschaft dieser Schmetterlingsblütlerpflanze ist sie entweder als zulassungspflichtiges neuartiges Lebensmittel oder als zulassungspflichtiger Zusatzstoff einzustufen. Ohne entsprechende Zulassung ist ihr Einsatz in Spirituosen demnach verboten.
Unter dem Begriff „neuartiges Lebensmittel“ (Novel Food) versteht man alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und die in mindestens eine der in Artikel 3 der Novel Food-Verordnung (EU) 2015/2283 genannten Kategorien fallen. Da derartige Produkte keine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel für den menschlichen Verzehr haben, müssen sie vor der Vermarktung einer Sicherheitsprüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) unterzogen und von der EU-Kommission zugelassen werden (https://food.ec.europa.eu/safety/novel-food_en). Alle bisher zugelassenen neuartigen Lebensmittel sind in einer Positiv-Liste aufgeführt, die sog. Unionsliste (Verordnung (EU) 2017/2470). Die Unionsliste enthält die Bedingungen für die Verwendung der zugelassenen Erzeugnisse und wird von der EU-Kommission bei neuen Zulassungen aktualisiert.
Als Unterstützung bei der Beantwortung der Frage, ob ein Lebensmittel unter die Novel Food-Verordnung (EU) 2015/2283 fällt und daher einer Zulassung bedarf, kann der Novel Food-Katalog helfen. In diesem befinden sich Informationen zum Status vieler Erzeugnisse hinsichtlich ihrer Einstufung (https://webgate.ec.europa.eu/fip/novel_food_catalogue). Die Einträge sind zwischen der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten abgestimmt und werden im Lauf der Zeit aufgrund von neuen Erkenntnissen immer wieder aktualisiert.
Die Verwendung von Clitoria ternatea als Lebensmittelzutat ist in der Europäischen Union bisher ausschließlich in Nahrungsergänzungsmitteln zulässig, da weder eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel noch als Lebensmittelzusatzstoff vorliegt.
Die Pflanze Clitoria ternatea ist bereits im Novel Food-Katalog gelistet. Ihr Einsatz in Nahrungsergänzungsmitteln ist dabei zulässig und nicht als neuartig eingestuft, was aber für andere Lebensmittelgruppen wie Spirituosen nicht zutrifft. Grund dafür ist, dass im Novel Food Recht zwischen einem Verzehr in nennenswertem Umfang in Lebensmitteln oder ausschließlich in Nahrungsergänzungsmitteln unterschieden wird (vgl. Art. 3 Abs. 2 a) Fall X der Verordnung (EU) 2015/2283).
Das heißt, Clitoria ternatea muss vor Ihrer Verwendung in anderen Lebensmittelkategorien nach einer positiven Sicherheitsprüfung zugelassen werden. Ein Zulassungsantrag im Rahmen des Novel Food Rechts für die Verwendung der Schmetterlingsblütler als/in Kräutertee wurde erst kürzlich aufgrund von Sicherheitsbedenken beendet. Die während der Sicherheitsprüfung vorgelegte Studien enthalten nur begrenzte Daten zur Toxizität dieser Pflanze gegenüber der menschlichen Gesundheit und konnten daher die Sicherheit nicht belegen [1].
Folglich erfolgte keine Zulassung von Clitoria ternatea als neuartiges Lebensmittel und ihr Einsatz als Zutat zu anderen Lebensmitteln wie Spirituosen ist weiterhin verboten.
Bei der beantragten Verwendung von Clitoria ternatea im Rahmen des Novel Food Rechts stand ihre färbende Eigenschaft nicht im Vordergrund (trotz der vorliegenden Eigenschaft). Wenn Erzeugnisse jedoch gezielt zur Färbung von Lebensmitteln eingesetzt werden und dieser Zweck somit im Vordergrund steht, fallen sie in der Regel unter das Zusatzstoff-Recht (Verordnung (EG) Nr. 1333/2008). Zusatzstoffe wie Farbstoffe müssen in der EU ebenfalls ein Zulassungsverfahren durchlaufen und entsprechende Sicherheitsbedingungen einhalten, bevor sie in Lebensmitteln eingesetzt werden können. Eine entsprechende Zulassung im Zusatzstoff-Recht liegt ebenfalls derzeit nicht vor.
Am CVUA Karlsruhe wurden bislang vier Gins und ein Wodka untersucht, die im Verdacht standen mit Clitoria ternatea gefärbt worden zu sein. Der analytische Nachweis von Clitoria ternatea in Spirituosen gestaltet sich aufgrund der Instabilität der farbigen Anthocyane problematisch. Jedoch gelang mittels magnetischer Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) die Identifikation der Clitoria ternatea über das NMR-Profil je einer in Verdacht stehenden Gin- und Wodkaprobe durch Vergleich mit dem ebenfalls eingesendeten Farbstoffkonzentrat. Das CVUA Karlsruhe wird diesen Trend weiterhin im Blick behalten.
Das Farbspiel der mit Clitoria ternatea hergestellten Spirituosen scheint aus Marketinggründen wirkungsvoll und findet Anklang beim Verbraucher. Jedoch dürfen entsprechende Spirituosen aus rechtlicher Sicht und zum Schutz des Verbrauchers aus Vorsorgegründen in der EU nicht verkauft werden. Unternehmen, die eine nicht zugelassene Zutat in Spirituosen einsetzen und derartige Produkte auf den Markt bringen, müssen mit rechtlichen Konsequenzen und einem Verkaufsverbot durch die zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde rechnen.
[1] EFSA (European Food Safety Authority), 2022. Notification of dried flowers of Clitoria ternatea L. as a traditional food from a third country pursuant to Article 14 of Regulation (EU) 2015/2283. EFSA Supporting Publications 2022: 19(2): EN-7084.