Marine und Süßwasser Biotoxine (Algentoxine)

Dr. Gerhard Thielert, CVUA Sigmaringen

 

Marine und Süßwasser Biotoxine (Algentoxine)

NahrungsketteMarine Biotoxine werden von mikroskopisch kleinen, einzelligen Algen (Dinoflagellaten, Diatomeen) gebildet, die zu den Vertretern des Phytoplanktons gehören und somit am Beginn der Nahrungskette stehen. Die von bestimmten Arten produzierten Toxine können sich in Muscheln anreichern und nach Verzehr der kontaminierten Muscheln beim Menschen zu schweren Erkrankungen führen. Deshalb wurden von der Europäischen Kommission in der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 Grenzwerte und Analysenmethoden für Algentoxine in lebenden Muscheln, Stachelhäutern, Manteltieren und Meeresschnecken festgeschrieben.


Zu Beginn des Jahres 2011 wurde in der EU-Verordnung Nr. 15/2011 eine chemisch-analytische Methode (HPLC/MS/MS) als Referenzmethode zur Bestimmung von DSP-Toxinen (= fettlösliche Muscheltoxine) verankert und damit der Tierversuch mit Mäusen abgelöst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgende Grenzwerte wurden festgelegt (jeweils pro Kilogramm Muschelfleisch):

- Lähmungen hervorrufende Algentoxine (Paralytic Shellfish Poison - PSP):
800 µg Saxitoxinequivalente (STXeq),
- Amnesie hervorrufende Algentoxine (Amnesic Shellfish Poison - ASP):
20 mg Domoinsäuren,
- Okadasäure, Dinophysistoxine und Pectenotoxine insgesamt:
160 µg Okadasäure-Äquivalent (OAeq),
- Yessotoxine:
1 mg Yessotoxin-Äquivalent
- Azaspiracide:
160 µg Azaspiracid-Äquivalent (AZAeq).

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte ein internationales Expertengremium beauftragt, alle Muscheltoxine einer Überprüfung ihrer Toxizität zu unterziehen und unter Berücksichtigung der Verzehrsmengen deren tägliche maximale Aufnahmemengen festzulegen. Nach den Äußerungen dieses Gremiums müssten die bestehenden Höchstmengen für die meisten Toxine gesenkt werden.

Miesmuscheln in Tomatenxauce als KonserveZur Untersuchung auf marine Biotoxine wurden im Berichtsjahr u.a. 100 Proben Miesmuscheln eingesendet, die zu den am häufigsten verzehrten Muscheln in Deutschland gehören (sowohl frische, lebende Muscheln in der Schale als auch gekochte, tiefgekühlte Ware, Sauerkonserven mit Gemüseeinlage in Gläsern oder Dosenkonserven mit unterschiedlichen Tunken).


 

 

 

Venusmuschel in halber SchaleDarüber hinaus wurden Jakobsmuscheln (23 Proben), Venusmuscheln (21 Proben) und Grünschalenmuscheln (11 Proben) untersucht, vereinzelt auch Hummer, Austern, Herzmuscheln, rote Archemuscheln, Garnelen, Shrimps und Meeresalgenprodukte.


Garnelen, Algen und die selteneren Muschelarten waren - mit Ausnahme einer Probe Herzmuscheln - frei von marinen Biotoxinen, ebenso die Muscheln chilenischer Herkunft.

174 Muschelproben wurden auf ASP-Toxine untersucht. In vier Proben Miesmuscheln - drei aus Spanien, eine aus Irland - wurde zwar Domoinsäure nachgewiesen, die Gehalte lagen jedoch unter 2 mg/kg und damit weit unterhalb des Grenzwertes.

Jakobsmuschel vollständigAuf PSP-Toxine, die die dramatischsten Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher haben können, wurden insgesamt 184 Proben Muscheln untersucht. Davon waren 9 Produkte (= ca. 5 %) mit PSP-Toxinen belastet. Frische Jakobsmuscheln in der Schale aus Frankreich wiesen mit 77 µg STXeq/kg die höchsten Gehalte auf. Die restlichen 8 positiven Proben betrafen Miesmuscheln mit Herkunft Spanien, Dänemark und Niederlande, die Gehalte lagen im Bereich 30 - 70 µg STXeq/kg. Damit war die Höhe der Belastung ähnlich wie im Vorjahr.

 

 

 

 

 

Jakobsmuschelfleisch

Jakobsmuschelfleisch


GrünschalmuschelDie Bilanz für die fettlöslichen Muscheltoxine fiel nicht ganz so günstig aus. In 20 von 203 Muschelproben (= 10 %), die alle mit der HPLC/MS/MS-Multimethode untersucht wurden, wurden Gehalte an DSP-Toxinen (Diarrhetic Shellfish Poisoning; Leitsubstanz Okadasäure) gemessen, die starke Durchfälle hervorrufen. Betroffen waren fast ausschließlich Miesmuscheln. Eine Probe Grünschalenmuscheln war mit Gehalten um die Bestimmungsgrenze belastet, eine Probe Herzmuscheln enthielt geringe Gehalte um 30 OAeq/kg. In Jakobsmuscheln und Venusmuscheln wurden keine DSP-Toxine nachgewiesen.

 


Miesmuschel geöffnetMit Ausnahme zweier Proben lag die Belastung mit DSP-Toxinen im Bereich bis ungefähr 50 OAeq/kg. Betroffen waren in erster Linie Muschelprodukte (6 Proben Miesmuscheln in Marinade oder Tunken, vorrangig aus Dänemark und Spanien, sowie 12 Proben Miesmuschelfleisch, frisch, gekühlt oder tiefgekühlt, aus Spanien oder den Niederlanden). Die beiden höchsten Werte mit 113 µg OAeq/kg und 97 OAeq/kg lieferten Miesmuscheln aus den Niederlanden.


Auch die einzigen vier Proben „Bio"-Miesmuscheln waren unter den geringfügig belasteten Proben zu finden. Sie unterscheiden sich in der Belastung aber nicht von den „konventionellen" Produkten.


Zwei von 203 auf AZP-Toxine (Azaspiracid Shellfish Poisoning, Azaspirsäuren) untersuchten Proben waren mit Gehalten knapp über der Bestimmungsgrenze auffällig; zwei weitere Proben Miesmuscheln aus Irland enthielten 50 µg AZAeq/kg bzw. 129 µg AZAeq/kg.

Pectenotoxine scheinen im Berichtsjahr bei Muscheln und Muschelprodukten keine Rolle zu spielen.

Dagegen hat die Belastungshäufigkeit bei Yessotoxinen gegenüber dem Vorjahr relativ stark zugenommen: 14 von 203 Proben enthielten geringe Mengen über der Bestimmungsgrenze. Mit Gehalten im Bereich bis 150 µg/kg lagen die Proben noch weit unterhalb der Höchstgehalte.

SÜSSWASSER BIOTOXINE (MICROCYSTINE)

Diese cyclischen Heptapeptid-Toxine sind selektive Lebergifte, die auch als potente Tumorpromotoren gelten.


Idyllischer Badesee mit AlgenblüteZur Beurteilung von Microcystinen in Trinkwasser und Badegewässern wurden bisher keine Grenzwerte erlassen. Zur Beurteilung werden deshalb die von der WHO vorgesehenen Richtwerte von 1 µg Microcystin LR je Liter für Trinkwasser und 1.000 µg je Liter in Badegewässern zugrunde gelegt.

 

 

 

 

 


Algenblüte im BadeseeIn einem Badesee im Kreis Konstanz hatte es eine massenhafte Vermehrung von Blaualgen gegeben, die zu einem Badeverbot führte. In mehreren zu verschiedenen Zeiten der Blüte entnommenen Wasserproben war jedoch keine Toxinproduktion aufgetreten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wasserprobe mit Blaualgen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wasserprobe mit Blaualgen


Spirulina - MikroalgenpulverSeit Jahren werden auch Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von Blaualgen in Tablettenform oder als Pulver in die Untersuchungen aufgenommen. 14 Proben aus Spirulina- und 3 Proben aus Chlorella-Algen waren toxinfrei. Dagegen war die einzige eingesandte Probe AFA-Algen, die aus dem Internethandel stammte, mit einem Gehalt an Microcystinen von 286 µg/kg belastet. Bei einer empfohlenen Tagesdosis von sechs Tabletten wäre die von der WHO festgelegte provisorische tolerierbare tägliche Aufnahme bei Erwachsenen zu ca. 18 % und bei Kindern schon zu knapp 35 % ausgeschöpft. Deshalb sind solche Produkte, insbesondere wenn sie für Kinder angepriesen werden, kritisch zu beurteilen.

 

Weitere Informationen:


BfR: http://www.bfr.bund.de/de/bewertung_von_marinen_biotoxinen_in_lebensmitteln-62066.html

 

 

Artikel erstmals erschienen am 29.07.2013