Sauerkirschnektar auf dem Prüfstand

Birgitt Salzmann

 

Inhaltsstoffe pflanzlicher Lebensmittel und ihre Metaboliten werden häufig vom Verbraucher mit positiven Wirkungen auf die Gesundheit assoziiert. Nicht immer zu Recht. In manchen Fällen, wie bei Amygdalin in Kirschen, kann das Abbauprodukt Blausäure sogar toxisch wirken. Keltereien, die Kirschsäfte herstellen, können durch Einhaltung der guten Herstellungspraxis einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unerwünschte Stoffe auf ein gesundheitlich unbedenkliches Mindestmaß zu reduzieren.

 

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Sauerkirschen (lat. Prunus cerasus) gehören botanisch innerhalb der Familie der Rosaceae (Rosengewächse) zu den Prunoidae (Steinobstgewächse). Diese Pflanzengruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie Amygdalin, ein blausäurehaltiges Glykosid, bilden kann. Diese Problematik ist auch bekannt bei Aprikosenkernen und Verarbeitungsprodukten wie zum Beispiel Bittermandeln. Amygdalin findet sich vor allem in den Kernen der Früchte, es lässt sich in geringen Mengen jedoch auch im Fruchtfleisch nachweisen. Amygdalin an sich ist nicht toxisch, solange das Pflanzenmaterial intakt ist und nicht durch Säure- oder Enzymeinwirkung in Benzaldehyd und Glucose unter Freisetzung von Cyanwasserstoff (Blausäure) aufgespalten wird.
   
Dieser Vorgang wird jedoch in Gang gesetzt, wenn die Kirschen für die Saftbereitung mechanisch zerkleinert (gemaischt) werden. Das Zellmaterial des Fruchtfleisches wird zerstört. Zelleigene Enzyme bewirken, dass Blausäure aus dem cyanogenen Glycosid Amygdalin freigesetzt wird. Dies umso mehr, je mehr Kirschkerne durch die Verarbeitungsschritte beschädigt werden und je länger das Amygdalin aus den beschädigten Kernen vor dem Pressen in der Maische mit den freigesetzten Enzymen reagieren kann.

Der AIJN Code of Practice for evaluation of Fruit and Vegetable Juices stellt die wichtigsten Anforderungen für Unternehmen dar. “AIJN Code of Practice for evaluation of Fruit and Vegetable Juices“ des Europäischen Fruchtsaftindustrieverbandes (European Fruit Juice Association, AIJN) legt für Sauerkirschsaft einen Richtwert von maximal 10 mg Blausäure pro Liter fest (AIJN-Richtwert). Einen gesetzlich festgelegten Grenzwert für Blausäure in Kirschsaft oder Kirschnektar gibt es nicht.

Das CVUA Sigmaringen hat im Jahr 2018 insgesamt 18 Sauerkirschnektare und einen Sauerkirschsaft auf Blausäuregehalte untersucht. Aufgrund des hohen Fruchtsäuregehaltes werden Sauerkirschsäfte (Muttersaft) in der Regel nicht direkt verzehrt, sondern kommen als Sauerkirschnektar, also mit Wasser und Zucker versetzt, in den Handel.

Bei der Bewertung der Untersuchungsergebnisse für Blausäure musste daher beim Abgleich mit dem AIJN-Richtwert der zugrundeliegende Fruchtanteil mit berücksichtigt werden, da nur die Zutat Sauerkirschsaft als Eintragsquelle für Blausäure in Frage kommt.

 

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Die Auswertung der Ergebnisse ergab in drei Proben einen Gehalt an Cyanid oberhalb des AIJN-Richtwertes. Die für die betroffenen Unternehmen zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden wurden über die Befunde in Kenntnis gesetzt.

Für Steinfruchtobstkonserven (z. B. Sauerkirschen aus dem Glas) ist in der VO (EG) Nr. 1334/2008 über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften eine Höchstmenge für Blausäure von 5 mg/kg etabliert, für alkoholische Getränke (z. B. Kirschwasser) eine Höchstmenge von 35 mg/kg und für Nougat, Marzipan sowie ähnliche Erzeugnisse (z. B. Persipan) eine Höchstmenge von 50 mg/kg. Für Aprikosenkerne beträgt der zulässige Höchstgehalt nach der VO (EG) Nr. 1881/2006 aktuell 20 mg/kg.

Die akute Referenzdosis (ARfD), also die Substanzmenge pro kg Körpergewicht, die über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko für den Verbraucher aufgenommen werden kann, wurde im April 2016 im Zusammenhang mit der Betrachtung der Toxizität von cyanogenen Glykosiden in Aprikosenkernen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit 20 µg Cyanid pro kg Körpergewicht (entspricht 20,8 µg Blausäure pro kg Körpergewicht) angegeben.

Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht erforderlich, auch in Steinfruchtsäften/-nektaren Höchstwerte für maximale Blausäuregehalte festzulegen. Die Untersuchungen dieser Produktgruppe werden deshalb fortgesetzt, um eine größere Datenbasis zu erhalten.

Weitere Informationen zum Thema
Aprikosenkerne – Gesundheitsrisiken durch Blausäure

Literatur:
[1]    AIJN - European Fruit Juice Association, Brüssel: Code of Practice zur Beurteilung von Frucht- und Gemüsesäften, Reference Guideline for Sour Cherry Juice/Purée, Revision April 2015

[2]    Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zur Verwendung in und auf Lebensmitteln sowie zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 des Rates, der Verordnungen (EG) Nr. 2232/96 und (EG) Nr. 110/2008 und der Richtlinie 2000/13/EG (ABl. L 354/34), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 2019/799 vom 17. Mai 2019 (ABl. L 132/12)

[3]    Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln (ABl. L 364/5), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 2018/290 vom 26. Februar 2018 (ABl. L 55/27)

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 06.08.2019