Ursachen zentralnervöser Störungen bei Tieren – Beispiele aus der Pathologie (4)

Dr. Ulrike Fischer, Dr. Michael Sunz (CVUA Freiburg)

 

In das Labor für Veterinär-Pathologie des CVUA Freiburg werden täglich Tiere zur Obduktion eingesandt. Bei vielen dieser Tiere lautet der Vorbericht „neurologische Ausfallserscheinungen“. Diesen relativ unspezifischen klinisch feststellbaren Symptomen können zahlreiche unterschiedliche, infektiöse, aber auch nichtinfektiöse Ursachen zugrunde liegen. Das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) muss dabei nicht immer der eigentliche Sitz der Erkrankung sein. Auch Erkrankungen von Leber, Nieren, Magen-Darmtrakt, Atmungs- und Kreislauforganen können zu zentralnervösen Symptomen führen.

Wellensittiche

 

Aufgrund dieser Vielfalt möchten wir Ihnen mit unserer Newsletter-Serie „Ursachen zentralnervöser Störungen – Beispiele aus der Pathologie“ einige solcher Krankheiten anhand von Fallberichten vorstellen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden Sie hier.

 

Dieser Fall handelt von einem Wellensittich, der klinisch Anzeichen von Orientierungslosigkeit zeigte und nach dem Tod zur Abklärung der Erkrankung in das Labor für Pathologie des CVUA Freiburg gesandt wurde.

Hypophysentumor mit Kompression des Gehirns

In der pathologisch-anatomischen Untersuchung wurde in der Schädelhöhle unter dem Gehirn eine ca. linsengroße, dunkelrote bis graue, grobhöckrige, das reguläre Hirngewebe nach dorsal verdrängende Zubildung im Bereich der Hypophyse festgestellt (Abb. 1 und 2). Die übrigen Organe wiesen eine akute Stauung auf, die auf das akute Herzkreislaufversagen infolge der Euthanasie zurückgeführt wird.

 

Gehirn (Wellensittich)

Weitere Untersuchungen:

Das Gehirn und die Zubildung wurden feingeweblich (pathologisch-histologisch) untersucht. Die Zubildung wurde aufgrund der Lage und der Zellmorphologie als Tumor der Adenohypophyse identifiziert, in dem große Areale Blutungen und Nekrosen aufwiesen. Das darüber liegende Hirngewebe war durch den expansiv wachsenden Tumor deutlich komprimiert (Abb. 3).
Die Tumorzellen haben dabei eine kubische bis polyedrische Form und sind in diffusen Bahnen bzw. durch Bindegewebe unterteilt in kleinen Paketen angeordnet. Sie zeichnen sich durch einen großen runden Zellkern mit nur wenig eosinophilem Zytoplasma aus (Abb. 4).
Aufgrund dieser Zellmorphologie wurde der Tumor als chromophobes Adenom, ein hormonell inaktiver Hypophysentumor, klassifiziert. Hierfür spricht auch, dass am Tierkörper keine Hinweise auf einen hormonell aktiven Tumor der Hypophyse (siehe Infokasten) vorlagen. Diese Art von Tumor kommt außer bei Wellensittichen auch bei Hunden und Katzen relativ häufig vor, bei anderen Tierarten ist sie jedoch selten.

 

Abb. 3: Tumor im gefärbten Objektträgerpräparat

Abb. 3: Tumor im gefärbten Objektträgerpräparat (HE, 25fache Vergrößerung);
ausgeprägte Blutungen (Stern) und Nekrosen (Dreieck), Kompression des darüber liegenden Hirngewebes.

 

Abb. 4: Tumorzellen im gefärbten Objektträgerpräparat

Abb. 4: Tumorzellen im gefärbten Objektträgerpräparat (HE, 400fache Vergrößerung);
zahlreiche Tumorzellen mit Mitosen (Pfeil), dazwischen Riesenzellen (Blockpfeil).

 

Zusammenfassung:

Es ist davon auszugehen, dass die klinische Symptomatik des Wellensittichs durch Kompression des dem Tumor benachbarten Hirngewebes hervorgerufen wurde. Bei akuten Blutungen im Tumor, wie sie auch in diesem Fall vorlagen, kommt es zu einer relativ plötzlichen Vergrößerung des Tumors und dadurch zu einer erhöhten Raumforderung durch den Tumor innerhalb der Schädelhöhle, was zu einer akut einsetzenden zentralnervösen Symptomatik führen kann.

Hypophyse

Anatomie und Physiologie:
Die Hypophyse ist anatomisch unterteilt in die Adenohypophyse und die Neurohypophyse. In der Adenohypophyse befinden sich endokrine Zellen, die je nach Differenzierung Wachstumshormon (GH), Prolactin (PRL), Thyreotropin (TSH), Adrenocorticotropes Hormon (ACTH), Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH), Luteinisierendes Hormon (LH) oder Follikel-stimulierendes Hormon (FSH) produzieren. Die Neurohypophyse besteht aus zahlreichen Blutgefäßen und modifizierten Nervenzellen, in denen die vom Hypothalamus produzierten Hormone Oxytocin und Antidiuretisches Hormon (ADH) gespeichert werden.

 

Tumore:
Die klinischen Symptome eines Hypophysentumors hängen davon ab, ob dieser endokrin aktiv ist – also Hormone produziert – oder nicht. Bei hormonproduzierenden Tumoren werden die Auswirkungen über die entsprechenden Zielorgane des jeweiligen Hormons vermittelt ausgelöst (z.B. ein Cushing-Syndrom infolge eines ACTH-sezernierenden Adenoms bei Hunden); bei hormonell inaktiven Tumoren entstehen Symptome aufgrund lokaler Läsionen, wie Kompression oder Zerstörung des benachbarten Gewebes (Gehirn/Neurohypophyse). Bei Wellensittichen sind in letzterem Fall Symptome wie Erblinden, Gleichgewichtsstörungen und Diarrhoe beschrieben.

Fazit:

Bei Wellensittichen ist bei zentralnervösen Störungen differentialdiagnostisch an hormonell inaktive Tumore der Hypophyse zu denken. Bei anderen Vogelarten kommen sie jedoch selten vor.

 

Weitere Informationen:

Zur Themenseite "Ursachen zentralnervöser Störungen bei Tieren – Beispiele aus der Pathologie"

 

Literatur

  • Pathology of Domestic Animals, Jubb/Kennedy/Palmer (Hrsg.), 6th Edition, Elsevier Verlag, 2016
  • Tumors in Domestic Animals, Meuten (Hrsg.), 4th Edition, Blackwell Publishing, 2002
  • Diseases of Poultry, Saif (Hrsg.), 12th Edition, Blackwell Publishing, 2008
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    Bildnachweis

    Pixabay (Wellensittiche), CVUA Freiburg

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 21.09.2017