Ursachen zentralnervöser Störungen bei Tieren – Beispiele aus der Pathologie (2)

Dres. Bornstein, Fischer, Murmann, Suntz

 

KatzeIn das Labor für Veterinär-Pathologie des CVUA Freiburg werden täglich Tiere zur Obduktion eingesandt. Bei vielen dieser Tiere lautet der Vorbericht „neurologische Ausfallserscheinungen". Diesen relativ unspezifischen klinisch feststellbaren Symptomen können zahlreiche unterschiedliche, infektiöse, aber auch nichtinfektiöse Ursachen zugrunde liegen. Das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) muss dabei nicht immer der eigentliche Sitz der Erkrankung sein. Auch Erkrankungen von Leber, Nieren, Magen-Darmtrakt, Atmungs- und Kreislauforganen können zu zentralnervösen Symptomen führen.
Aufgrund dieser Vielfalt möchten wir Ihnen mit unserer Newsletter-Serie „Ursachen zentralnervöser Störungen - Beispiele aus der Pathologie" einige solcher Krankheiten anhand von Fallberichten vorstellen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden Sie hier.

 

 

In diesem Beitrag schildern wir die Untersuchungsergebnisse einer Katze, die klinisch hochgradige Krampfanfälle zeigte

 

Extraduraler Abszess in Folge einer Ohrräude

GehörgangEine tote Hauskatze wurde dem CVUA Freiburg zur differentialdiagnostischen Abklärung hochgradiger epilepsieartiger Anfälle zur Untersuchung übergeben.
Bei der pathologischen Untersuchung des Tieres wurde eine hochgradige Entzündung des äußeren Gehörganges (Otitis externa) mit Bildung dunkelbrauner, schmieriger Krusten in beiden Ohren festgestellt (Abbildung 1). Im rechten Mittelohr fiel in geringer Menge eine gelblich-graue, trübe Flüssigkeit auf.

Aus dem Hinterhauptsloch am Schädel trat Eiter bereits bei leichter Druckausübung auf die Schädelkalotte aus (Abbildung 2). Nach der Entnahme des Gehirns war eine ausgedehnte Eiteransammlung zwischen der knöchernen Schädelbasis und der Hirnhaut (extraduraler Abszeß) zu erkennen (Abbildung 3).

 

Weitere Untersuchungen:

Ein Direktpräparat aus dem äußeren Gehörgang wurde mikroskopisch untersucht. Dabei ließen sich in erheblicher Menge Ohrmilben (Otodectes cynotis) nachweisen (Abbildung 4).

Austritt von Eiter aus dem HinterhauptslochZur bakteriologischen Untersuchung gelangten steril entnommene Tupferproben aus dem Mittelohr und aus dem subdural gelegenen Abszess, welche auf Standardnährböden (Blut-, McConkey-Agar) ausgestrichen und kultiviert wurden. Aus beiden Lokalisationen ließen sich Proteus-Keime in Reinkultur isolieren. Dabei handelt es sich in der Regel um Schmutz- und Fäkalkeime, allerdings auch um Keime die beim Menschen Wund- bzw. Krankenhausinfektionen (nosokomiale Infektionen) auslösen können. Proteus-Bakterien sind oft an Entzündungen des Ohres (Otitis) bei Hund und Katze beteiligt. Von derartigen Entzündungsherden können die Keime in den Schädel einwandern und dort Entzündungen auslösen.

 

AbszessIn einer feingeweblichen (pathohistologischen) Untersuchung wurden neben dem Gehirn auch Mittelohrschleimhaut und der aus dem Felsenbein austretende VIII. Gehirnnerv (Nervus vestibulocochlearis) untersucht. Dabei konnte der extradural liegende Abszeß und die Mittelohrentzündung bestätigt werden. Zusätzlich wurde auch in der Nervenscheide des Gehirnnervs eine eitrige Entzündung diagnostiziert.

 

Zusammenfassung:

Die zentralnervösen Störungen, die bei der untersuchten Katze aufgetreten sind, waren die Folge eines Abszesses, der sich zwischen der knöchernen Schädelbasis und dem Stammhirn befand und dadurch von unten Druck auf das Gehirn ausübte. Dieser Abszess war die Folge einer über den äußeren Gehörgang, das Mittel- und Innenohr aufsteigenden bakteriellen Infektion mit einem Schmutzkeim.


Ausgangspunkt der tödlich verlaufenden Erkrankung war eine Ohrräude (Befall des äußeren Gehörganges mit Ohrmilben).

OhrmilbeOtodectes cynotis: Ohrmilbe

Erreger der Ohrräude bei Katzen, Hunden, Füchsen und anderen Carnivoren.


Vorkommen:
weltweit


Entwicklung:
Vom Ei über 1 Larvenstadium (6-beinig) und 2 Nymphenstadien (8-beinig) zur adulten Milbe innerhalb 18-21 Tagen. Lebensdauer der Milbe ca. 2 Monate.


Lebensraum und Ernährung:
Milben leben im äußeren Gehörgang und in der Ohrmuschel. Dort ernähren sie sich von oberflächlichen Hautzellen und Absonderungen.


Schadwirkung/Klinisches Bild:
Durch den Milbenbefall entsteht eine allergische Reaktion, der Gehörgang füllt sich mit Ohrschmalz, Entzündungsprodukten und Milbendetritus. Der entstehende Juckreiz führt zu vermehrtem Kratzen der Tiere und damit eventuell zum Eintrag von sekundären Krankheitserregern (Bakterien, Hefen).


Ansteckung:
Die Milben sind nicht wirtsspezifisch und werden durch direkten Kontakt auf andere Tiere übertragen; hier sind insbesondere Jungtiere empfänglich. In Einzelfällen siedelt sich Otocectes cynotis auch auf Menschen an und kann eine Hautreaktion hervorrufen.


Therapie und Prophylaxe:
Frühzeitig Milbenbefall erkennen (gute Beobachtung der Tiere) und tierärztliche Behandlung; Kontakttiere miteinbeziehen.
 

 

Fazit:

Die Ohrräude wird selten als ernstzunehmende als Erkrankung betrachtet, sondern leider häufig als harmlose Bagatellinfektion angesehen. Dabei wird verkannt, dass die durch die Milbeninfektion hervorgerufene Entzündung des äußeren Gehörganges Ausgangspunkt für schwerwiegende bakterielle Sekundärinfektionen sein kann. Die Bakterien können dabei über das Mittel- und Innenohr bis in das Gehirn aufsteigen und dort lebensbedrohliche Erkrankungen hervorrufen.


Im vorliegenden Fall hätte durch eine frühzeitige Behandlung der Ohrräude die fatale bakterielle Sekundärinfektion verhindert werden können.
Wir empfehlen daher allen Tierhaltern, auf Anzeichen einer Ohrräude zu achten und Tiere mit diesen Symptomen bereits frühzeitig tierärztlich untersuchen und behandeln zu lassen.

 

Weitere Informationen:

Zur Themenseite "Ursachen zentralnervöser Störungen bei Tieren – Beispiele aus der Pathologie"

 

Bildnachweis

alle CVUA Freiburg

 

Literatur

  • Spezielle Pathologie für die Tiermedizin, Baumgärtner/Gruber (Hrsg.), 1. Auflage, 2015
  • Medizinische Mikrobiologie und Seuchenlehre, Rolle Mayr, 7. Aufl., 2002
  • Lehrbuch der Parasitologie für die Tiermedizin, Eckert/Friedhoff/Zahner/Deplazes, Enke Verlag 2005

 

 

Artikel erstmals erschienen am 29.12.2015