Absinth aus dem Onlinehandel - Mythos und Wahrheit der grünen Fee im Internet

Dr. Anja Heinlein (CVUA Freiburg), Tábata Rajcic de Rezende (CVUA Karlsruhe)

 

Zahlreiche Onlineshops haben Whisky, Rum, Absinth & Co in ihrem Angebot und bieten damit Spirituosenliebhabern die Möglichkeit, Raritäten aus der ganzen Welt zu erstehen. Während im Einzelhandel der verfügbare Platz für Produktbeschreibung und -bewerbung begrenzt ist, finden sich in Onlineshops oftmals ausführliche Beschreibungen zu den Eigenschaften und der Zusammensetzung der angebotenen Produkte. Am Beispiel von Absinth hat das CVUA Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Internetüberwachungsteam des CVUA Karlsruhe und des Regierungspräsidiums Tübingen 12 Spirituosen aus dem Onlinehandel als Testkäufe beschafft und auf Zusammensetzung, Kennzeichnung und den Wahrheitsgehalt der Werbeaussagen untersucht.

 

Abbildung 1: Die untersuchten Proben im Glas

Abbildung 1: Die untersuchten Proben im Glas

 

Die gute Nachricht zuerst: Keine der 12 untersuchten Proben war in ihrer stofflichen Zusammensetzung hinsichtlich gesundheitlicher Aspekte zu beanstanden. Allerdings blieb keine der Proben ohne Mängel. Insgesamt wurden bei den 12 Proben 33 Abweichungen von rechtlichen Normen festgestellt, das heißt, dass mehrere Proben in mehreren Punkten nicht den Vorgaben entsprachen. 60 % der Beanstandungen betrafen dabei allgemeine Kennzeichnungsmängel der Pflichtangaben, die weiteren 40 % betrafen irreführende Angaben sowie unzulässige gesundheits- und nährwertbezogene Angaben.

 

Absinth – hier steckt Wermut im Namen

Anders als für andere Spirituosen wie Whisky, Gin oder Obstbrand gibt es keine EU-weit gesetzlich festgelegten Vorgaben zur Herstellung und Beschaffenheit von Absinth. Die einzige Ausnahme ist der Absinthe de Pontarlier, ein Absinth aus Frankreich, der aus der französisch-schweizer Grenzregion stammt und als geografische Angabe geschützt ist. Für andere Absinthe gelten im Allgemeinen die für Spirituosen nach der EU-Spirituosenverordnung [1] festgelegten Anforderungen sowie die mit dem Begriff „Absinth“ verknüpfte Verkehrsauffassung. Danach ist der wichtigste und namensgebende Bestandteil von Absinth Wermutkraut (Artemisia absinthium L.). Als weitere aromagebende Zutaten werden häufig Anis, Beifuß, Fenchel, Ysop, Minze und weitere pflanzliche Stoffe verwendet. Die meisten Absinthe werden mit sehr hohen Alkoholgehalten vermarktet (ca. 45 - 90 % vol). Daher wird die grüne Fee – wie Absinth im Volksmund gerne bezeichnet wird - in der Regel auch nicht pur verzehrt, sondern nach Verdünnung mit Wasser und je nach Geschmack bzw. Trinkritual mit Zucker bzw. karamellisiertem Zucker.

THUJON – die Dosis macht das Gift

Abbildung 2: Vincent van Gogh - Stillleben mit Absinth (1887)Zu den wohl berühmtesten Mythen rund um Absinth zählt die Geschichte, Vincent van Gogh – unbestritten ein Freund des grünen Getränks (s. links, Abbildung 2) – habe sich im Absinthrausch ein Stück seines Ohres abgeschnitten. Obwohl man heutzutage eher davon ausgeht, dass diese und andere im 19. Jahrhundert entstandenen Sagen und Mythen über halluzinogene und euphorisierende Wirkungen von Absinth auf den Alkoholgehalt zurückzuführen sind [2], wurden sie lange Zeit dem Stoff Thujon zugeschrieben.

Thujon ist einer der Hauptbestandteile des ätherischen Öls von Wermutkraut. Chemisch betrachtet handelt es sich dabei um stereoisomere Monoterpene, die sich in α- und β-Thujone einteilen lassen.

Thujon gilt als Nervengift [3] und darf Lebensmitteln als solches nicht zugesetzt werden. Dies gilt jedoch nur für Thujon als Reinsubstanz. Wie zahlreiche andere Pflanzeninhaltsstoffe auch, die in konzentrierter oder Reinform gesundheitlich nicht unbedenklich sind, gilt auch für Thujon der Grundsatz: Die Dosis macht das Gift. Dass Thujon über die Verwendung von Zutaten, die dieses von Natur aus enthalten (wie Wermut oder Salbei), in geringen Konzentrationen in Lebensmitteln enthalten sein kann, ist daher völlig normal. In der EU-Aromenverordnung [4] sind Höchstwerte für Aromen festgelegt, die sowohl der Notwendigkeit des Schutzes der menschlichen Gesundheit als auch der Tatsache Rechnung tragen, dass ihr Vorhandensein in herkömmlichen Lebensmitteln unvermeidbar ist. Für alkoholische Getränke, die – wie Absinth – aus Artemisia-Arten hergestellt werden, gilt demnach ein Höchstgehalt von 35 mg/kg Thujon (alpha- und beta-).

Thujongehalte auf dem Prüfstand

Obwohl im Onlinehandel auch einige Händler darauf hinweisen, dass man als Absinth-Konsument keine „rosa Elefanten“ erwarten darf, so scheinen die Mythen um Thujon noch immer nicht ganz verstummt zu sein. Zumindest ist der Thujongehalt offenbar weiterhin ein sehr wichtiges Verkaufsargument bei Absinth. Im Internet finden sich zahlreiche Produkte, bei denen ein bestimmter Thujongehalt beworben wird; in den meisten Fällen ein Gehalt um die zulässige Höchstmenge von 35 mg/kg. Da Thujon selbst den Spirituosen nicht zugesetzt werden darf und der tatsächliche Thujongehalt pflanzlicher Zutaten natürlichen Schwankungen unterliegt, sind hier verstärkt Eigenkontrollmaßnahmen der verantwortlichen Lebensmittelunternehmer gefragt.

Denn wenn derartige Werbeaussagen gemacht werden, muss nicht nur sichergestellt sein, dass der tatsächliche Gehalt an Thujon den zulässigen Höchstgehalt nicht überschreitet, sondern auch, dass der tatsächliche Gehalt vom ausgelobten Gehalt nicht zu stark abweicht – sonst besteht die Gefahr einer Verbrauchertäuschung.

 

Bei 11 der 12 untersuchten Proben wurde ein Thujongehalt im Onlinehandel angegeben, bei 5 davon befand sich diese Angabe auch auf dem Etikett. 10 Proben lobten einen Gehalt um den maximal zulässigen Gehalt von 35 mg/kg aus, eine Probe lobte einen Gehalt von 10 mg/kg aus.

Mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie wurde der Gehalt an α- und β-Thujon in den Proben ermittelt. Die Ergebnisse sind in Abbildung 3 dargestellt.

 

Abbildung 3 Gesamt-Thujongehalt (Summe aus α- und β-Thujon) in mg/kg der 12 untersuchten Proben und ausgelobter Thujongehalt; die Fehlerbalken stellen die erweiterte Messunsicherheit dar

Abbildung 3: Gesamt-Thujongehalt (Summe aus α- und β-Thujon) in mg/kg
der 12 untersuchten Proben und ausgelobter Thujongehalt; die Fehlerbalken
stellen die erweiterte Messunsicherheit dar

 

Die Probe ohne Auslobung eines Thujongehaltes wies nur sehr geringe Mengen von Thujon auf (0,1 mg/kg).

Bei 4 der 11 Proben (36%) mit ausgelobtem Thujongehalt lag der tatsächliche Gehalt sehr deutlich unterhalb des ausgelobten Gehaltes. Die Auslobungen wurden deshalb als irreführend in Bezug auf die Zusammensetzung des Lebensmittels bewertet.

Bei den weiteren 7 von 11 Proben mit ausgelobtem Thujongehalt stimmte der ermittelte Gehalt hinreichend genau mit dem ausgelobten Gehalt überein. Dabei wurde die erweiterte Messunsicherheit berücksichtigt sowie die Tatsache, dass geringe Schwankungen bei der Herstellung aus pflanzlichen Rohstoffen nicht gänzlich vermieden werden können.

Unter Berücksichtigung der erweiterten Messunsicherheit lag bei keiner der Proben eine gesicherte Höchstmengenüberschreitung vor (diese liegt erst dann vor, wenn der Mittelwert abzüglich der erweiterten Messunsicherheit über dem Wert von 35 mg/kg liegt; dies war bei keiner Probe der Fall). Selbst bei Betrachtung des hier maximal ermittelten Gehaltes von 46 ± 12 mg/kg Thujon ist noch nicht von einer Gefahr für die menschliche Gesundheit auszugehen [3, 5].

 

Die Farbpalette der grünen Fee

 

Artemisia Absinthium - Franz Eugen Köhler, Köhler's Medizinal-PflanzenNeben Auslobungen zum Thujongehalt werben auch einige Onlinehändler damit, die Farbe des Absinths werde nur mit sogenannten Färbekräutern oder natürlichen Zusätzen erzielt.

Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt lag deshalb auf der Untersuchung der vorhandenen Farbstoffe. Die Farbpalette der untersuchten Proben reichte von nahezu farblos – über verschiedene Braun- und Ockertöne – bis hin zu leuchtendendem Grün (siehe Abbildung 1).

 

In 10 der 12 Proben konnten keine synthetischen Farbstoffe nachgewiesen werden. Stattdessen war die Färbung auf Pflanzenstoffe wie Chlorophyll und Kurkurmin zurückzuführen.

 

2 Proben enthielten die – für Absinth zulässigen – chemisch-synthetisch gewonnenen Farbstoffe E 133 (Brilliantblau) und E 102 (Tartrazin). Bei einer dieser Proben war dies durch die Angabe „mit Farbstoff“ kenntlich gemacht. Bei der anderen Probe wurden jedoch sowohl im Onlinehandel als auch auf dem Etikett der Probe Auslobungen gemacht, wonach das Produkt eine natürliche Farbe habe und zu 100% natürlich sei.

Diese Auslobungen sind aufgrund des Farbstoffnachweises natürlich nicht zulässig, da sie den Verbraucher täuschen.

Weitere Auffälligkeiten: Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben

Im Onlinehandel wiesen 4 der untersuchten Proben den Hinweis auf, der Absinth sei ohne Zusatz von Zucker hergestellt. Obwohl dies bei den Proben analytisch auch bestätigt werden konnte, ist eine derartige Aussage dennoch nach aktueller Rechtslage nicht zulässig. Es handelt sich dabei um eine nährwertbezogene Angabe im Sinne der Health-Claims-Verordnung [6], die bei alkoholischen Getränken unzulässig ist. Da die Information, dass eine Spirituose nicht gesüßt wurde, jedoch für den Verbraucher von Relevanz sein kann und um hochwertige Herstellungsverfahren zu fördern, wird den Lebensmittelunternehmern mit Gültigkeitsbeginn der neuen EU-Spirituosenverordnung [1] (ab 25.05.2021) die Möglichkeit eröffnet, durch die Verwendung der Begriffe „trocken“ oder „dry“ bei Absinth und anderen Spirituosen auf den Verzicht eines Zuckerzusatzes hinzuweisen.

Neben nährwertbezogenen Angaben regelt die Health-Claims-Verordnung auch jegliche Angaben, die einen Bezug zwischen einem Lebensmittel einerseits und der Gesundheit andererseits herstellen. Derartige Angaben sind bei alkoholischen Getränken grundsätzlich verboten. Eine der untersuchten Proben wies im Onlinehandel die Angabe auf, Absinth habe positive Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit. Diese Angabe ist als unzulässige gesundheitsbezogene Angabe einzustufen [7, 8].

 

Überprüfung der Pflichtkennzeichnungselemente

Die Pflichtkennzeichnungselemente nach der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) müssen auch im Onlinehandel vor Kaufabschluss verfügbar sein. Eine Ausnahme davon gibt es nur für das Mindesthaltbarkeitsdatum, welches bei Spirituosen wie Absinth jedoch nicht angegeben werden muss. Bei den untersuchten Proben fiel auf, dass insbesondere bei der Bezeichnung des Lebensmittels Fehler auftraten. Spirituosen gehören zu den wenigen Lebensmitteln, bei denen die Bezeichnung und die damit verbundene Zusammensetzung und Herstellung strengen, EU-weit einheitlichen Vorgaben genügen muss. Diese sind in der EU-Spirituosenverordnung [1] festgelegt. Nach dieser Verordnung ist die Angabe „Absinth“ – auch wenn der Verbraucher mit dieser Angabe gewisse Erwartungen verknüpft – keine ausreichende Bezeichnung. Diese lautet, je nach konkreter Zusammensetzung des Absinths, in der Regel entweder „Bitter“ bzw. „Spirituose mit bitterem Geschmack“ oder aber einfach nur „Spirituose“. Die Angabe „Absinth“ kann zusätzlich verwendet werden, ersetzt jedoch nicht die rechtliche Bezeichnung nach der Spirituosenverordnung. Sowohl auf den Etiketten der untersuchten Proben als auch im Onlinehandel war die Bezeichnung in vielen Fällen nicht korrekt, in 2 Fällen waren die Bezeichnungen auf dem Etikett auch widersprüchlich zu denen im Onlinehandel. Herstellern sowie Onlinehändlern wird daher empfohlen, sich über die rechtlich festgelegte Bezeichnung der angebotenen Spirituosen zu informieren.

Weitere Kennzeichnungsmängel betrafen unter anderem die Angabe des vorhandenen Alkoholgehalts, des verantwortlichen Lebensmittelunternehmers oder der Loskennzeichnung.

Fazit

Hinsichtlich gesundheitlich problematischer Inhaltsstoffe, wie dem Gehalt an Methanol, wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Alle untersuchten Proben waren demnach zum Verzehr geeignet. Insgesamt wurden bei den 12 Proben jedoch 33 Abweichungen von rechtlichen Normen festgestellt, das heißt, dass mehrere Proben in mehreren Punkten nicht den Vorgaben entsprachen (Abbildung 4). 60 % der Beanstandungen betrafen dabei allgemeine Kennzeichnungsmängel der Pflichtangaben, die weiteren 40 % betrafen irreführende Angaben sowie für Spirituosen unzulässige gesundheits- und nährwertbezogene Angaben.

  

Abbildung 4: Gesamt-Bilanz der festgestellten Mängel. Viele Proben wiesen mehrere Mängel auf

Abbildung 4: Gesamt-Bilanz der festgestellten Mängel. Viele Proben wiesen mehrere Mängel auf

 

Bei den letztgenannten 40 % der beanstandeten Angaben handelt es sich um freiwillige Angaben, die als weitere Produktinformationen bzw. Werbeaussagen verstärkt im Onlinehandel, aber auch auf den Etiketten der Proben, zu finden waren. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dem Verbraucher im Onlinehandel zusätzliche Informationen über die Zusammensetzung und Eigenschaften eines Lebensmittels bereit zu stellen. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass auch diese Aussagen zutreffend, nicht irreführend und in Einklang mit den rechtlichen Vorgaben sind.

Insbesondere war auffällig, dass jeder Dritte der untersuchten Absinthe hinsichtlich des Thujongehalts die Versprechungen nicht einhalten konnte: Die tatsächlichen Gehalte dieser Proben lagen sehr deutlich unter den ausgelobten Gehalten von jeweils 35 mg/kg. Werden derartige Auslobungen gemacht, wird zu verstärkten Eigenkontrollen geraten, um einerseits sicherzustellen, dass der Höchstgehalt nicht überschritten wird und um andererseits Falschaussagen und Verbrauchertäuschungen zu verhindern.

 

Literatur

  1. VO (EG) Nr. 110/2008 bzw. VO (EU) 2019/787 (Gültig ab 25.05.2021)
  2. Lachenmeier, Dirk (2008). Thujon-Wirkungen von Absinth sind nur eine Legende. Toxikologie entlarvt Alkohol als eigentliche Absinthismus-Ursache. Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten. 31. 101-6.
  3. Bundesinstitut für Risikobewertung [2003]: Modegetränk Absinth: BfR rät beim Konsum zur Vorsicht!
  4. VO (EG) Nr. 1334/2008
  5. Padosch SA et al. (2006), Absinthism: a fictitious 19th century syndrome with present impact. Subst Abuse Tret Prev Policy. 10;1:14
  6. VO (EG) Nr. 1924/2006
  7. EFSA Journal 2011;9(6):2270
  8. EFSA Journal (2008) 906,1-10

 

Bildnachweis

Vincent van Gogh, Stillleben mit Absinth (1887), gemeinfrei

Artemisia absinthium L., Botanische Illustration, Franz Eugen Köhler, Köhler's Medizinal-Pflanzen, gemeinfrei

alle anderen Grafiken und Abbildungen CVUA Freiburg

 

 

Artikel erstmals erschienen am 28.07.2020