Radioaktivität in Lebensmitteln, Trinkwasser und Futtermitteln 2022

Christin Fuchs, Matthias Brüderle (CVUA Freiburg)

 

Symbol: radioaktive StrahlungDurch den Kernreaktorunfall von Tschernobyl (Ukraine) im April 1986 gelangten große Mengen an künstlicher Radioaktivität in die Atmosphäre und verteilten sich weiträumig über Europa. Auch heute sind deshalb noch in einigen Regionen Süddeutschlands erhöhte Cäsium (Cs)-137-Konzentrationen in Wildschweinfleisch messbar.

 

Bei der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 wurden ebenfalls große Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt. Davon gelangten jedoch nur sehr geringe Anteile nach Europa, weshalb sie hier lediglich als Spuren nachweisbar waren. Auch konnten bei Lebensmittelimporten aus Japan bzw. Ostasien nur sehr geringe Radioaktivitätsgehalte weit unter den EU-Einfuhrgrenzwerten festgestellt werden.

 

Fast schon in Vergessenheit geraten sind die massiven Freisetzungen von Radionukliden, vor allem von radioaktivem Strontium (Sr) 90, durch die zahlreichen oberirdischen Kernwaffentests der 1950er und 1960er Jahre. Aufgrund der Sr-90 Belastung von Milchprodukten erfolgte damals die Calcium-Versorgung von Kindern häufig über Kalktabletten. [1]

 

Seit dem Beginn der militärischen Auseinandersetzungen in der Nähe des Kernkraftwerks Saporischschja (Ukraine) im Frühjahr 2022 erhält der nukleare Notfallschutz wieder aktuelle Brisanz. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) informiert regelmäßig über die aktuelle Situation. [2]

 

Aufgrund der Erfahrungen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde in Deutschland 1990 IMIS, ein bundesweites Messnetz für die Umweltradioaktivität, installiert und ständig weiterentwickelt (s. Infokasten IMIS).

 

Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUAs) Stuttgart und Freiburg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden. Sie müssen in einer nuklearen Notfallsituation hohe Probenzahlen auch über längere Zeit bewältigen können.

 

Das nicht zu vernachlässigende Risiko von Kernkraftwerksunfällen wurden durch das Reaktorunglück von Fukushima (Japan) am 11. März 2011 und die militärischen Auseinandersetzungen um das Kernkraftwerk Saporischschja (Ukraine) wieder in Erinnerung gebracht. Derzeit werden weltweit über 400 Kernreaktoren betrieben, davon alleine in der EU ca. 170 [3].

 

Um in einem Notfall die Einsatzfähigkeit der Landesmessstellen Baden-Württembergs zu gewährleisten, wurde in den vergangenen Jahren in die Strukturen und deren Ausstattung investiert. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Maßnahmen wurde in einer landesweiten Übung zum nuklearen Notfallschutz 2022 unter Beweis gestellt. Lesen Sie hierfür unseren Bericht:

 

Landesmessstellen in Baden-Württemberg üben für den nuklearen Notfallschutz

Probenvorbereitung für die Messung von radioaktiven Nukliden bei der IMIS-Übung 2022

Probenvorbereitung für die Messung von radioaktiven Nukliden bei der IMIS-Übung 2022

IMIS – Radioaktivitätsmessungen bundesweit vernetzt

Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile Deutschlands großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG), das am 31.Dezember 2018 vom neuen Strahlenschutzgesetz abgelöst wurde. Es enthält insbesondere für einen nuklearen Notfall wichtige Maßnahmenfestlegungen. Hierzu gehört auch das „Integrierte Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität“ (IMIS).

 

Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert.

 

In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) muss hingegen der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.

 

Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Die Länder ermitteln im Auftrag des Bundes die Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmitteln, Futtermitteln, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sedimenten, Abwasser und Klärschlamm. Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig, z.B. in der Luft. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betreibt das IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) veröffentlicht. [1]

 

Mehr als 60 Bundes- und Landeslabore sind an IMIS sind beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Karlsruhe die CVUAs Stuttgart und Freiburg als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim BfS abrufbar [4]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle zwei Stunden aus.

 

Ca. 2000 über Deutschland verteilte Radioaktivitätssonden überwachen rund um die Uhr die Gamma-Strahlungsintensität (Gamma-Ortsdosisleistung, ODL). Die Ergebnisse werden täglich vom BfS veröffentlicht [5]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland (1284 m) bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Überwachung des Atomwaffensperrvertrags. Etwa 10 Tage nach dem Reaktorunglück im ca. 6000 km entfernten Fukushima (Japan) stellte die Messstation auf dem Schauinsland die ersten Spuren von Cs-137 und Jod-131 aus Japan in der Luft fest. Auch derartige Messergebnisse können über das Internet abgerufen werden [6].

 

[4] Wie funktioniert IMIS?

[5] Ortsdosisleistung: ODL-Info

[6] Spurenmessungen in der Luft

 

 

[1] Jahresbericht Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung (BMUV, BfS)

[2] BfS verfolgt Lage in der Ukraine (Stand 30.03.2023)

[3] Kernkraftwerke in Europa und weltweit 2022

 

Untersuchungen in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2022

Im Jahr 2022 haben die CVUAs Stuttgart und Freiburg 1373 Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben auf Radioaktivität untersucht. Die Analysen erfolgten hauptsächlich im Rahmen des Bundesmessprogrammes IMIS sowie für das Landesmessprogramm Wild. Um Aussagen zur Schwankungsbreite der Messwerte zu bekommen, wurden über das Jahr verteilt auch mehrfach Proben vom selben Standort untersucht.

 

Die Konzentration an Radionukliden in der Untersuchungsprobe wird in Becquerel (Bq) pro Gewichts- oder Volumeneinheit angegeben. So bedeutet z.B. 1 Bq Cs-137/kg, dass sich durchschnittlich einmal pro Sekunde ein Cs-137-Atomkern je kg Probe umwandelt und dabei Strahlung aussendet.

 

Abgesehen von Wildschweinfleisch und einigen Wildpilzarten (s.u.) wurden bei den meisten der 1135 Lebensmittelproben nur noch Cs-137-Gehalte im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 3 Bq/kg) und damit deutlich unter dem Grenzwert von 600 Bq/kg festgestellt. Dieser Grenzwert gilt für Lebensmittel, welche in die EU importiert werden. Er wird aber auch allgemein als Höchstwert zur Beurteilung von Lebensmitteln herangezogen, die im Handel sind.

 

Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Sr-90 untersucht, welches durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Heute finden sich in Lebensmitteln nur noch geringe Sr-90-Gehalte. Das Radionuklid gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.

 

Die untersuchten 155 Futtermittelproben zeigten nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen 0,6 bzw. 0,4 Bq/kg Trockenmasse.

 

Bei den untersuchten 23 Bodenproben lagen die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 bei 64 bzw. 5,5 Bq/kg.

 

Probenvorbereitung für die Bestimmung der Gesamt-Alpha-Aktivität in TrinkwasserprobenDie Untersuchung von 60 Trinkwasserproben ergab keine nachweisbaren Gehalte an künstlichen Radionukliden (Nachweisgrenze: 0,05 Bq/l).

 

In bestimmten Regionen können geologisch bedingt auch natürliche Radionuklide der Uran- und Thorium-Zerfallsreihe im Trinkwasser vorkommen.

 

Im Rahmen von Nacherhebungen und Verfolgsbeprobungen, wurden 27 Proben (z.T. Einzelquellen) auf ihre Gehalte an Alphastrahlern sowie an Radon-222 untersucht. Dabei ergaben sich in einigen Fällen erhöhte Gehalte an Radon-222 bis zu 648 Bq/l und an Gesamt-Alpha bis zu 0,25 Bq/l. Die Prüf- bzw. Anforderungswerte der Trinkwasserverordnung betragen 100 Bq/l für Radon-222 und 0,05 Bq/l für Gesamt-Alpha.

 

Wildfleisch

Eine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch 36 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich, aber regional sehr unterschiedlich, mit radioaktivem Cäsium (Cs)-137 kontaminiert ist. Der Grund: Hirschtrüffel, eine beliebte Nahrungsquelle für Wildschweine, reichern Cs aus dem Waldboden an. Insbesondere im Schwarzwald und in Oberschwaben werden in Wildschweinfleisch teilweise noch deutlich erhöhte Cs-137-Gehalte gefunden.

 

Mit dem Gammaspektrometer wird der Cäsium-137-Gehalt im Wildschweinfleisch bestimmt.

Mit dem Gammaspektrometer wird der Cäsium-137-Gehalt im Wildschweinfleisch bestimmt.

 

Wildüberwachungsprogramm

Die Landesregierung hat im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildschweinfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137-Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:

 

  • In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.
  • In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring durch die CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.
  • Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.

     

 

Bei den CVUAs Stuttgart und Freiburg gingen 2022 insgesamt 305 Wildschweinproben aus Baden-Württemberg zur Untersuchung ein. Die gemessenen Gehalte sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da hier verstärkt Proben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung kommen (siehe Kasten).

 

Bei 54 Proben (ca. 18 %) wurde eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg festgestellt. Derartiges Fleisch darf nicht in den Verkehr gebracht werden. Die höchsten Werte ergaben sich bei einzelnen Wildschweinen aus dem Landkreis Ravensburg und dem Landkreis Rastatt mit 12700 bzw. 2150 Bq/kg.

 

Die kompletten Untersuchungsergebnisse aus allen Messstellen des Landes (einschließlich Eigenkontrollmessstellen) werden vom CVUA Freiburg für jedes Jagdjahr (01.04. – 31.03.) ausgewertet und jeweils ab Oktober im Internet veröffentlicht.

 

Radioaktivität in Wildschweinfleisch

 

Bei der Untersuchung von 87 Wildschweinfleisch-Proben aus Gaststätten und Metzgereien wurden bei 3 Proben eine Überschreitung des Höchstwertes von 600 Bq/kg festgestellt (Maximalwert 1140 Bq/kg). Die betroffenen Lebensmittel wurden als nicht verkehrsfähig beurteilt.

 

Auch bei Überschreitung des Höchstwertes spielen Lebensmittel als Quelle nur eine untergeordnete Rolle bei der Strahlenbelastung des Menschen. Hauptsächlich tragen die natürliche Strahlung und die künstliche Strahlung zur jährlichen Strahlendosis bei.

 

Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. von Rehwild) aus Baden-Württemberg zeigte in den vergangenen Jahren keine Cs-137-Gehalte über dem Richtwert von 600 Bq/kg.

 

Wildpilze

Aus Gründen des Naturschutzes dürfen Wildpilze in Baden-Württemberg nicht kommerziell vermarktet, sondern nur für den privaten Bedarf gesammelt werden (max. 1 kg pro Tag und Person). Entsprechendes Untersuchungsmaterial steht den CVUAs daher nur durch die gelegentlichen Einsendungen privater Pilzsammler zur Verfügung.

 

Von privaten Pilzsammlern 2022 eingesandte Wildpilzproben

Von privaten Pilzsammlern 2022 eingesandte Wildpilzproben

 

Im Jahr 2022 wurden 32 Proben Wildpilze (Sammelgebiete Baden-Württembergs sowie Importe aus Osteuropa) zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Bei eingeführten Wildpilzen lag der Cs-137-Gehalt – wie in den zurückliegenden Jahren – deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg (Maximalwert: 12 Bq/kg). Auch bei heimischen Wildpilzen konnten 2022 keine Cs-137-Gehalte über 600 Bq/kg festgestellt werden (Maximalwert: 72 Bq/kg).

 

 

Weitere Informationen

Landesmessstellen in Baden-Württemberg üben für den nuklearen Notfallschutz

Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung

Kerntechnik in Deutschland

Strahlenbelastung des Menschen durch natürliche und künstliche radioaktive Quellen

 

 

Bildnachweis

Symbol "Radioaktive Strahlung", pixabay
alle anderen CVUA Freiburg

 

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 03.05.2023