Radioaktivität in Lebensmitteln, Trinkwasser und Futtermitteln 2018

Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)

 

Strontium-90-Analyse (Herstellung der Messpräparate)

Strontium-90-Analyse
(Herstellung der Messpräparate)

Durch den Kernreaktorunfall von Tschernobyl im Frühjahr 1986 gelangten große Mengen an künstlicher Radioaktivität in die Atmosphäre und verteilten sich weiträumig über Europa.

 

Der Unfall liegt inzwischen 33 Jahre zurück – länger als eine Halbwertzeit des Cäsium-137 (T1/2 = 28 Jahre). Trotzdem sind in manchen Regionen Süddeutschlands noch immer deutliche Gehalte dieses Radionuklids in Wildschweinfleisch messbar. Verursacht werden die erhöhten Werte durch den Hirschtrüffel, dessen ca. nussgroße, unterirdisch wachsende Fruchtkörper mit Vorliebe von Wildschweinen gefressen werden. In Hirschtrüffeln ist das radioaktive Cäsium aus dem Waldboden teilweise stark angereichert.

 

Aufgrund der Erfahrungen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde in Deutschland 1990 „IMIS“, ein bundesweites Messnetz für die Umweltradioaktivität installiert und ständig weiter entwickelt (s. Infokasten IMIS).

 

Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUAs) Stuttgart und Freiburg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden. Sie müssen in einem Ereignisfall hohe Probenzahlen auch über längere Zeit bewältigen können. Das nicht zu vernachlässigende Risiko von Kernkraftwerksunfällen wurde durch das Reaktorunglück von Fukushima (Japan) am 11. März 2011 in Erinnerung gebracht. Derzeit werden weltweit ca. 450 Kernkraftwerke betrieben (EU: ca.120) [5].

IMIS – Radioaktivitätsmessungen bundesweit vernetzt

Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile Deutschlands großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG), das am 31.12.2018 vom neuen Strahlenschutzgesetz abgelöst wurde. Es enthält wichtige Festlegungen insbesondere für radiologische Notfallsituationen. Hierzu gehört auch das „Integrierte Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität“ (IMIS).

 

Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert.
In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) muss hingegen der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.

 

Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Die Länder ermitteln im Auftrag des Bundes die Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm. Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig, z.B. in der Luft. Weiterhin betreibt der Bund (Bundesamt für Strahlenschutz, BfS) das IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) veröffentlicht. [1]

 

An IMIS sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Karlsruhe die CVUAs Stuttgart und Freiburg als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [1]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.

 

Ca. 2000 über Deutschland verteilte Radioaktivitätssonden überwachen rund um die Uhr die Gamma-Strahlungsintensität (Gamma-Ortsdosisleistung, ODL). Die Ergebnisse werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [2]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Überwachung des Atomwaffensperrvertrags. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima (Japan) im Jahr 2011 konnten dadurch frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Becquerel (Bq)/m3 nachgewiesen werden, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch derartige Messergebnisse können über das Internet abgerufen werden [3].

 

[1] Wie funktioniert IMIS?

[2] Ortsdosisleistung: ODL-Info

[3] Spurenmessungen in der Luft

Radioaktivität in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2018

Im Jahr 2018 haben die CVUAs Stuttgart und Freiburg ca. 1100 Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben auf Radioaktivität untersucht. Die Analysen erfolgten hauptsächlich im Rahmen des Bundesmessprogrammes „IMIS“ sowie für das Landesmessprogramm „Wild“. Um Aussagen zur Schwankungsbreite der Messwerte zu bekommen, wurden über das Jahr verteilt auch mehrfach Proben vom selben Standort untersucht.

 

Mit Ausnahme von Wildschweinfleisch und einigen Wildpilzarten (s.u.) lagen die Werte für Cs-137 bei den meisten Proben im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq/kg) und damit deutlich unter dem EU-Grenzwert von 600 Bq/kg. Dieser Grenzwert war kurz nach Tschernobyl für Importe aus den besonders betroffenen Gebieten Ost- und Südosteuropas festgelegt worden. Seither zieht die Lebensmittelüberwachung in Deutschland diesen Wert für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert heran (z.B. bei heimischem Wild).

 

Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Strontium-90 findet sich heute nur noch in Spuren in Lebensmitteln, gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.

 

Die untersuchten 68 Futtermittelproben zeigten nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 und Sr-90 betrugen jeweils ca. 5 Bq/kg Trockenmasse.

 

 

Bei den 24 untersuchten Bodenproben lagen die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 bei 72 bzw. 11 Bq/kg.

 

TrinkwasserBei Trinkwasser waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.
Trinkwasser wird darüber hinaus auch im Hinblick auf die Bestimmungen der Trinkwasserverordnung zur natürlichen Radioaktivität überwacht. Hierbei zeigten 9 von insgesamt 51 untersuchten Trinkwasserproben einiger risikoorientiert ausgewählter Entnahmestellen über mehrere Quartale hinweg erhöhte, geologisch bedingte Radioaktivität aus natürlichen Zerfallsreihen (Radon-222 und andere Alphastrahler).

 

In Deutschland trägt das Trinkwasser durchschnittlich mit 0,01 Millisievert /Jahr (mSv/a) nur in sehr geringem Maß zur gesamten mittleren natürlichen Strahlenbelastung von 2,4 mSv/a bei. In einzelnen Regionen (z.B. im Schwarzwald) kann sich jedoch auch ein höherer Dosiswert ergeben. Dieser soll nach der Trinkwasserverordnung auf 0,1 mSv/a begrenzt werden. Deshalb werden inzwischen umfangreiche Untersuchungen im Rahmen der Trinkwasserüberwachung durchgeführt.

Wildfleisch

WildschweineEine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch 33 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 kontaminiert ist. Der Grund: Hirschtrüffel, eine beliebte Nahrungsquelle für Wildschweine, reichern Cäsium aus dem Waldboden an.

 

Bei den CVUAs Stuttgart und Freiburg sowie den ca. 20 Eigenkontrollmessstellen gingen im Jagdjahr 2018/2019 (01.04.2018 bis 31.03.2019) insgesamt ca. 2800 Wildschweinproben aus Baden-Württemberg zur Untersuchung ein.

 

Bei 444 Proben (ca. 16 %) wurde eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg festgestellt. Derartiges Fleisch darf nicht in den Verkehr gebracht werden, sondern ist zu entsorgen. Der höchste Werte wurde im Landkreis Ravensburg festgestellt (Gemeinde Bad Wurzach: 5130 Bq/kg). Aber auch in einigen Gemeinden anderer Landkreise ergaben sich teilweise erhöhte Werte im Bereich von 2000 bis etwa 5000 Bq/kg (z.B. Landkreise Biberach, Freudenstadt, Calw, Rastatt, Waldshut).

 

Die Untersuchungsergebnisse aus allen Messstellen des Landes werden vom CVUA Freiburg für das zurückliegende Jagdjahr (01.04.2018-31.03.2019) ausgewertet und stehen in Form von Karten und Tabellen im Internet zur Verfügung unter: Radioaktivität in Wildschweinfleisch - aktuell nach Jagdjahr . Dort sind auch die Auswertungen der Vorjahre abrufbar.

 

Die vorliegenden Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Proben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung kommen (siehe Kasten).

 

Bei der Untersuchung von 36 Wildschweinfleisch-Proben aus Gaststätten und Metzgereien ergab sich in keinem Fall eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg. Der höchste gemessene Wert betrug 253 Bq/kg.

 

Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) ist in Baden-Württemberg durchgängig nicht mit Cs-137 belastet.

Infokasten Überwachungsprogramm Radioaktivität in Schwarzwild

Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildschweinfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:

 

  1. In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.
  2. In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring durch die CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.
  3. Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.

 

Wildpilze

Steinpilze aus dem SchwarzwaldIm Jahr 2018 wurden 11 Proben Wildpilze (Sammelgebiete Baden-Württembergs sowie Importe aus Osteuropa) zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Bei eingeführten Pfifferlingen lag der Cs-137-Gehalt - wie in den zurückliegenden Jahren auch - deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg (Maximalwert: 54 Bq/kg). Heimische Wildpilze zeigen dagegen teilweise noch erhöhte Cs-137-Gehalte, wie z.B. eine Probe Maronenröhrlinge mit 874 Bq/kg aus dem Landkreis Biberach.
Aus Naturschutzgründen dürfen Wildpilze in Baden-Württemberg nicht kommerziell vermarktet, sondern nur für den privaten Bedarf gesammelt werden (max. 1 kg /Tag und Person). Entsprechendes Untersuchungsmaterial steht den CVUAs daher nur durch die gelegentlichen Einsendungen privater Pilzsammler zur Verfügung.

 

Weitere Informationen

[4] Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung

[5] www.kernD.de

[6] Chemische und Veterinäruntersuchungsämter Baden-Württemberg

 

 

Artikel erstmals erschienen am 03.12.2019