Radioaktivität in Lebensmitteln, Trinkwasser und Futtermitteln 2017
Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)
Durch den Kernreaktorunfall von Tschernobyl im Frühjahr 1986 gelangten große Mengen an künstlicher Radioaktivität in die Atmosphäre und verteilten sich weiträumig über Europa.
Der Unfall liegt inzwischen 32 Jahre zurück – länger als eine Halbwertzeit des Cäsium-137 (T1/2 = 28 Jahre). Trotzdem sind in manchen Regionen Süddeutschlands noch immer deutliche Gehalte dieses Radionuklids in Wildschweinfleisch messbar. Verursacht werden die erhöhten Werte durch den Hirschtrüffel, dessen ca. nussgroße, unterirdisch wachsende Fruchtkörper mit Vorliebe von Wildschweinen gefressen werden. In Hirschtrüffeln ist das radioaktive Cäsium aus dem Waldboden teilweise stark angereichert.
Aufgrund der Erfahrungen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde in Deutschland 1990 „IMIS“, ein bundesweites Messnetz für die Umweltradioaktivität installiert und ständig weiter entwickelt (s. Infokasten IMIS).
Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUAs) Stuttgart und Freiburg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden. Sie müssen in einem Ereignisfall hohe Probenzahlen auch über längere Zeit bewältigen können. Das nicht zu vernachlässigende Risiko von Kernkraftwerksunfällen wurde durch das Reaktorunglück von Fukushima (Japan) am 11. März 2011 in Erinnerung gebracht. Derzeit werden weltweit ca. 450 Kernkraftwerke betriebenen (EU: ca.120) [5].
IMIS – Radioaktivitätsmessungen bundesweit vernetzt
Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile der Bundesrepublik großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG). Ein wesentlicher Kernpunkt dieses Gesetzes war die Einrichtung des IMIS (= Integriertes Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität). Damit wurden wichtige technische und organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen für ein besseres Krisenmanagement bei möglichen ähnlichen Ereignissen.
Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert. In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) muss dann der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.
Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Die Länder ermitteln im Auftrag des Bundes die Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm. Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig, z.B. in der Luft. Weiterhin betreibt der Bund (Bundesamt für Strahlenschutz, BfS) das IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) veröffentlicht. [1]
An IMIS sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz die CVUAs Stuttgart und Freiburg als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [2]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.
Ca. 2000 über Deutschland verteilte Radioaktivitätssonden überwachen rund um die Uhr die Gamma-Strahlungsintensität (Gamma-Ortsdosisleistung, ODL). Die Ergebnisse werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [3]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Überwachung des Atomwaffensperrvertrags. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima (Japan) im Jahr 2011 konnten dadurch frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Bequerel (Bq)/m3 nachgewiesen werden, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch derartige Messergebnisse können über das Internet abgerufen werden [4].
[2] Umweltradioaktivität und Strahlebelastung
Radioaktivität in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2017
Im Jahr 2017 haben die CVUAs Stuttgart und Freiburg insgesamt ca. 1500 Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben auf Radioaktivität untersucht. Die Analysen erfolgten hauptsächlich im Rahmen des Bundesmessprogrammes "IMIS" sowie für das Landesmessprogramm "Wild". Bei einigen Lebensmitteln, Futtermitteln und Böden erfolgten Mehrfach-Probenahmen vom selben Standort, um Aussagen zur Schwankungsbreite der Messwerte zu bekommen. Mit Ausnahme von Wildschweinfleisch (s.u.) lagen die Werte für Cs-137 bei den meisten Proben im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq/kg) und damit unter dem EU-Grenzwert von 600 Bq/kg. Dieser Grenzwert war kurz nach Tschernobyl für Importe aus den besonders betroffenen Gebieten Ost- und Südosteuropas festgelegt worden. Seither zieht die Lebensmittelüberwachung in Deutschland diesen Wert für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert heran (z.B. bei heimischem Wild).
Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Strontium-90 findet sich heute zwar nur noch in Spuren in Lebensmitteln, gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.
Die untersuchten 73 Futtermittelproben zeigten nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen 10 bzw. 5 Bq/kg Trockenmasse. Bei den 23 untersuchten Bodenproben lagen die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 bei 66 bzw. 6 Bq/kg.
Bei Trinkwasser waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.
Jedoch zeigten Trinkwasserproben einiger risikoorientiert ausgewählter Entnahmestellen über mehrere Quartale hinweg erhöhte, geologisch bedingte Radioaktivität aus natürlichen Zerfallsreihen (Alphastrahler sowie Radon-222). Zur Ermittlung der gesamten natürlichen Strahlenbelastung durch den Wasserverzehr aus diesen Quellen laufen weitergehende Untersuchungen.
In Deutschland trägt das Trinkwasser durchschnittlich mit 0,01 Millisievert /Jahr (mSv/a) nur in sehr geringem Maß zur gesamten mittleren natürlichen Strahlenbelastung von 2,4 mSv/a bei. In einzelnen Regionen (z.B. im Schwarzwald) kann sich jedoch auch ein höherer Dosiswert ergeben. Dieser soll nach der Trinkwasserverordnung auf 0,1 mSv/a begrenzt werden. Deshalb werden inzwischen umfangreiche Untersuchungen im Rahmen der Trinkwasserüberwachung durchgeführt.
Wildfleisch
Eine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch auch 32 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 kontaminiert ist. Der Grund: Hirschtrüffel, eine beliebte Nahrungsquelle für Wildschweine, reichern Cäsium aus dem Waldboden an.
Die CVUAs Stuttgart und Freiburg sowie die ca. 20 Eigenkontrollmessstellen haben im Jagdjahr 2017/2018 (1.4.2017 bis 31.3.2018) insgesamt 4685 Wildschweinproben aus Baden-Württemberg auf Cs-137 untersucht.
Bei 1073 Proben (23 %) wurde eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg festgestellt. Derartiges Fleisch darf nicht in den Verkehr gebracht werden sondern ist zu entsorgen. Der höchste Werte wurde im Landkreis Ravensburg festgestellt (Gemeinde Leutkirch: 9163 Bq/kg). Aber auch in einigen Gemeinden anderer Landkreise ergaben sich teilweise hohe Werte im Bereich von 2000 bis etwa 5000 Bq/kg (z.B. Landkreise Biberach, Freudenstadt, Calw, Rastatt, Waldshut, Bodenseekreis).
Die Untersuchungsergebnisse aus allen Messstellen des Landes wurden vom CVUA Freiburg für das zurückliegende Jagdjahr (01.04.2017-31.03.2018) ausgewertet und im Internet veröffentlicht . Dort sind auch die Auswertungen der Vorjahre abrufbar.
Die vorliegenden Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Proben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung kommen (siehe Kasten).
Stichprobenkontrollen von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien ergaben in keinem Fall eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg. Der höchste gemessene Wert betrug 354 Bq/kg.
Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) ist in Baden-Württemberg durchgängig nicht mit Cs-137 belastet.
Überwachungsprogramm Radioaktivität in Schwarzwild
Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildschweinfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:
- In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.
- In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring durch die CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.
- Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.
Wildpilze
Im Jahr 2017 wurden 21 Proben Wildpilze (Sammelgebiete Baden-Württembergs sowie Importe aus Osteuropa) zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Bei eingeführten Pfifferlingen lag der festgestellte Höchstgehalt für Cs-137 mit 45 Bq/kg deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg. Heimische Wildpilze von Privatsammlern aus dem Landkreis Biberach zeigten dagegen mit 513 Bq/kg erhöhte Cs-137-Gehalte.
Weitere Informationen
Chemische und Veterinäruntersuchungsämter Baden-Württemberg