28 Jahre nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl - Radioaktivitätsüberwachung in Baden-Württemberg
Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)
Ein folgenschwerer Kernkraftwerksunfall ereignete sich am 26. April 1986 in Tschernobyl (Ukraine). Vom radioaktiven Fallout war in Deutschland insbesondere der Süden betroffen. Als Konsequenz aus diesem Ereignis verfügt Deutschland seit 1990 mit dem „IMIS" über eine modernes Messnetz für die Umweltradioaktivität, das seitdem immer weiter entwickelt wurde (s. Infokasten IMIS). Die CVUAs Stuttgart und Freiburg sind als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden.
Noch heute, 28 Jahre nach dem Reaktorunfall, findet man in einigen Teilen Baden-Württembergs in Wildschweinfleisch deutlich erhöhte Gehalte an Cäsium-137 (Cs-137).
Als am 11. März 2011 das Kernkraftwerk von Fukushima (Japan) durch einen Tsunami zerstört wurde, gelangten erneut große Mengen Radioaktivität in die Umwelt, mit ernsten Folgen für die dort lebende Bevölkerung. In Deutschland war aufgrund der großen Entfernung zu Japan nur mit sehr geringen Luftkonzentrationen an Radioaktivität aus Japan zu rechnen. Bereits am 25. März 2011 registrierten die empfindlichen Luftmesssonden des IMIS auf dem 1284 m hohen Schauinsland das Eintreffen winzigster Spuren an radioaktivem Iod-131 und Cäsium-137.
In Deutschland werden seitdem Routinekontrollen auf Radioaktivität bei Lebensmitteln aus Japan durchgeführt (z.B. Hafen Hamburg, Flughafen Frankfurt).
Informationen zum Thema „Radioaktivitätsüberwachung bei Lebensmitteln" stellt auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) über das Internet zur Verfügung unter
IMIS – Radioaktivitätsmessung bundesweit vernetzt
In der Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile der Bundesrepublik großräumig radioaktiv kontaminiert. Die im Verlauf dieser Krise gesammelten Erfahrungen haben noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung", auch Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) geführt. Damit soll gewährleistet werden, dass bei möglichen Ereignissen wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in der Zukunft besser reagiert werden kann.
Die Überwachung dient der Bestimmung des allgemeinen Pegels der natürlichen Radioaktivität und der Ermittlung künstlicher Einflüsse aufgrund der Tätigkeit des Menschen. Weiterhin dient sie als Vorsorge- und Übungsmessprogramm für Ereignisse mit nicht unerheblichen radiologischen Folgen wie dem Reaktorunglück in Tschernobyl 1986.
Die Messaufgaben werden zwischen dem Bund und den einzelnen Bundesländern aufgeteilt. Die Länder sind im Auftrag des Bundes für die Ermittlung der Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm zuständig. Diese sehr umfangreichen Messergebnisse werden zentral in einer vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betriebenen, EDV-gestützten Datenbank gespeichert. Dieses sogenannte IMIS (= Integriertes Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität) wird vom BfS ausgewertet und in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) veröffentlicht. [1][2]
An dem Routinemessprogramm sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz die CVUAs Freiburg und Stuttgart als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [2]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und gegebenenfalls entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.
Fukushima ist weit weg, Tschernobyl ist lange her - aber: was wäre wenn? Wenn solch ein „Ereignisfall" mit erheblicher Freisetzung von Radioaktivität in Deutschland passierte oder gar in unserer Nähe? Um für den Ernstfall gewappnet zu sein, werden regelmäßig Alarmierungsübungen zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft durchgeführt.
Aktuelle Luftmessungen auf Radioaktivität werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [3]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags und konnte sehr frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Bq/m3 nachweisen, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch diese Messungen können über das Internet aufgerufen werden [4].
[1] http://www.bfs.de/de/ion/imis
[2] http://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt/kernenergie-und-radioaktivitaet/umweltradioaktivitaet-und-strahlenschutz/radioaktivitaet-in-der-umwelt
[3] http://odlinfo.bfs.de/
Radioaktivität in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2013
Bei den insgesamt 1580 von den CVUAs Stuttgart und Freiburg untersuchten Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben zeigten sich überwiegend geringe Cs-137-Gehalte im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq /kg). Mit Ausnahme von Wildschweinfleisch und Wildpilzen (s.u.) lagen die Werte damit bei allen Proben deutlich unter dem EU-Grenzwert von 600 Bq/kg, der kurz nach Tschernobyl für Importe aus den besonders betroffenen Gebieten Ost- und Südosteuropas festgelegt worden war. Seither wird dieser Wert in Deutschland für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert herangezogen (z.B. bei heimischem Wild).
Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Strontium-90 findet sich heute zwar nur noch in Spuren in Lebensmitteln, gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.
Die Untersuchung von 66 Futtermittelproben ergab nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen 2,2 bzw. 3,0 Bq/kg Trockenmasse. Bei den 23 untersuchten Bodenproben ergaben sich Maximalgehalte für Cs-137 von 70 Bq/kg, für Sr-90 von 2,0 Bq/kg.
Bei Trinkwasser waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.
Wildfleisch
Eine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch auch 28 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 belastet ist. Bei 250 der rund 800 untersuchten Wildschweinproben, die sich noch nicht im Handel befanden, lagen die Cs-137-Gehalte im Jahr 2013 über dem Richtwert von 600 Bq/kg. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ergaben sich Maximalwerte zwischen 5000 bis 6000 Bq Cs-137/kg in einigen Gebieten Ostwürttembergs (Gutenzell-Hürbel) und des Hochschwarzwaldes (Seewald, St. Blasien).
Die vorliegenden Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Wildproben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung eingesandt wurden.
Aus den Messergebnissen in einzelnen Gemeinden kann nicht auf die Cs-137-Belastung in den Nachbargemeinden oder gar im ganzen Landkreis geschlossen werden.
Bei Stichprobenkontrollen von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien wurden auch 2013 keine überhöhten Gehalte an Cs-137 festgestellt.
Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) ist in Baden-Württemberg nicht belastet.
Sobald die Messergebnisse für das zurückliegende Jagdjahr (01.04.2013-31.03.2014) aus allen Messstellen des Landes vorliegen, werden diese vom CVUA Freiburg ausgewertet und im Internet veröffentlicht. Dort sind auch die Auswertungen der Vorjahre abrufbar.
Überwachungsprogramm Radioaktivität in Schwarzwild
Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:
- In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.
- In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring bei den CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.
- Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.
Wildpilze
Von 27 im Jahr 2013 untersuchten Pilzproben stammten 25 aus Sammelgebieten in Baden-Württemberg. Den höchsten Cs-137-Gehalt unter diesen heimischen Pilzen zeigten Maronenröhrlinge aus dem Raum Ingoldingen (Landkreis Biberach) mit 719 Bq/kg. Bei den übrigen Wildpilzen lagen die Cs-137-Gehalte sämtlich unter dem Richtwert von 600 Bq/kg. Eine besondere Rolle bei den Wildpilzen spielt der Hirschtrüffel, der das Radiocäsium aus dem Waldboden stark anreichert. Er ist zwar für den menschlichen Genuss ungeeignet, für Wildschweine aber eine Delikatesse und führt zu den bekannten Belastungen des Wildschweinfleisches mit radioaktivem Cs-137.
Importierte Pfifferlinge aus Weißrussland wiesen mit ca. 60 Bq/kg Gehalte deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg auf.
Weitere Informationen:
Was versteht man unter Radioaktivität?
MLR-Homepage: Lebensmittel aus Japan
Bildnachweis
CVUA Freiburg (Radioaktivitätsmessung)
Dieter, www.pixelio.de, Image-ID: 323148 (Wildschwein)
Gabi Schoenemann, www.Pixelio.de, Image-ID=317697 (Pfifferlinge)