Superfood Mikroalgen – grünes oder blaues Wunder?
Dr. Daniela Noack, Verena Bock (CVUA Karlsruhe), Dr. Thiemo Albert (Institut für Lebensmittelhygiene, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig), Tomke Prüser (Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt)

Abb. 1: Verschiedene Darreichungsformen von Mikroalgen (Bildquelle: CVUA Karlsruhe)
Der Fokus der Untersuchungen lag auf Produkten aus der Grünalge Chlorella sowie der Blaualge Spirulina, die wissenschaftlich korrekt zu den Cyanobakterien gehört.
Technologie der Herstellung
Die gewerbliche Kultivierung von Spirulina und Chlorella findet in Aquakulturen – üblicherweise geschützt in Gewächshäusern – statt. Entscheidend für das Wachstum sind warme Temperaturen, Sonnenlicht, sowie CO2 und einige Nährstoffe, die zur Photosynthese benötigt werden. Durch ihr schnelles Wachstum können die Mikroalgen bereits nach wenigen Tagen z. B. durch Filtration oder Zentrifugation geerntet werden. Im weiteren Verarbeitungsprozess wird den Mikroalgen sukzessive das Wasser entzogen, z. B. durch Erhitzen. Das getrocknete Produkt wird dann bspw. als Pulver oder gepresst in Tablettenform als Lebensmittel in den Verkehr gebracht. [1],[2] Das Haltbarkeitsdatum ist lang bemessen, es liegt meist deutlich über einem Jahr.
Projektansatz
Bei Mikroalgenpulver handelt es sich um ein Naturprodukt, daher ist grundsätzlich mit einer gewissen – harmlosen - Keimflora zu rechnen. Die mikrobiologischen Untersuchungen sollten klären, ob darüber hinaus auch andere Keime bzw. Keimgruppen auftreten können. Bei den einzelnen Verarbeitungsschritten sind Kontaminationen nicht auszuschließen.
Von September 2023 bis November 2024 wurden insgesamt 45 Proben, 17 am CVUA Karlsruhe und 28 an der Universität Leipzig mikrobiologisch untersucht. Es handelte sich um sortenreine Produkte aus Spirulina oder Chlorella, um mögliche Einflüsse, z. B. durch pflanzliche Komponenten auszuschließen. 31 Proben lagen als Tabletten, 13 als Pulver und eine Probe in Kapselform vor. Größtenteils wurden sie als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht.
Neben den mikrobiologischen Untersuchungen lag der Fokus auf der Überprüfung der Kennzeichnung, ob die ausgelobten Nährstoffe und gesundheitlich beworbenen Vorteile zutreffend sind. Hier wurde bei 3 Proben zusätzlich der ausgelobte Vitamin B12 Gehalt untersucht.

Abb. 2: Mikroskopische Aufnahme von Chlorella Algen (Bildquelle: Canva Pro 2025)
Mikrobiologische Untersuchung
Naturprodukt mit unvermeidbarer Keimflora?
Das Spektrum der Untersuchungen umfasste:
- Krankheitserreger (Salmonellen und Listeria monocytogenes)
- Hygienekeime wie z. B. Escherichia coli
- die Gesamtkeimzahl (alle Mikroorganismen, die in Anwesenheit von Sauerstoff optimal bei mittleren Temperaturen wachsen)
- „Spezialisten“ - Mikroorganismen, die trotz der sehr trockenen Matrix anwachsen und sich vermehren können (u. a. Bakterien der Bacillus cereus-Gruppe sowie Schimmelpilze)
Die Nachweisgrenzen wurden niedrig gewählt, um einen aussagekräftigen Überblick zu erhalten.
Der Schwerpunkt lag auf der mikrobiologischen Beschaffenheit im Hinblick auf das Vorkommen von unerwünschten Keimen.
Ergebnisse
Alle untersuchten Proben erwiesen sich als gesundheitlich und hygienisch unbedenklich: In keiner Probe wurden Hygiene- oder Krankheitskeime nachgewiesen. Bei 26 Proben (58 %) lagen alle ermittelten Keimzahlen unter der Nachweisgrenze oder nur wenig darüber. Also fassten wir die „Spezialisten“, die sich an ein trockenes Milieu anpassen können, näher ins Auge.
Gesamtkeimzahl/Keimzahl der „Spezialisten“
In 19 Proben (42 %) wurde eine Gesamtkeimzahl von über 10000 KBE/g festgestellt. Eine dieser Proben wies sogar über 1 Mio. Keime/g auf. In 17 Proben (38 %) waren Keime der Bacillus cereus-Gruppe in einer Menge von über 100 KBE/g nachweisbar; bei 3 dieser Proben lag die Zahl über 1000 KBE/g.
Präsumtive Bacillus cereus: Keimgruppe verschiedener Arten, darunter solche mit der Fähigkeit zur Toxinbildung, die bei Vorliegen in großer Zahl (meist über 100.000 KBE/g) zu einer Lebensmittelvergiftung führen können.
Schimmelpilze
Überraschenderweise enthielten nur 5 Proben Schimmelpilze in einer Zahl von über 10 KBE/g; keine davon erreichte einen Gehalt von 100 KBE/g. In der Literatur wird für vergleichbare Produkte von höheren Gehalten berichtet.[4], [5]
Unsere mikrobiologischen Ergebnisse deckten sich bzgl. relevanter Keimarten und –mengen mit den in wissenschaftlichen Veröffentlichungen geschilderten Werten.[3]
Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass bzgl. Krankheitserregern und Escherichia coli eine Nulltoleranz zu gelten hat. [4], [5]
Auf der Grundlage unserer quantitativen Ergebnisse legten wir Obergrenzen fest, die bei einer Guten Herstellungspraxis nicht überschritten werden sollen.
Dies betraf diejenigen Keimarten/-gruppen, bei denen es fachlich nicht vertretbar wäre, eine Nulltoleranz zu fordern.
Drei Kategorien wurden gebildet:
- Obergrenze überschritten: auffällig, nicht akzeptabel (Maßnahmen im Herstellerbetrieb dringend notwendig)
- Obergrenze nicht überschritten, aber quantitativ nachweisbar: auffällig, noch akzeptabel (ggf. Vorgehen im Herstellerbetrieb zu prüfen)
- Keimzahlen unter der Nachweisgrenze oder knapp darüber: unauffällig, akzeptabel (aktuell keine Maßnahmen erforderlich)
|
Keimart/-gruppe |
Obergrenze in KBE/g |
Ergebnisse entsprechen Aussagen in internationalen Dokumenten? [4], [5] |
|---|---|---|
| Gesamtkeimzahl | <10000 (log4) |
bedingt 10.000.000 KBE/g als obere Grenze [4] |
| präsumtive B. cereus | <100 (log2) |
nicht erwähnt, jedoch relevant |
|
Schimmelpilze |
<10 (log1) (incl Hefen) |
nein 100 bzw. 300 KBE/g als obere Grenze zu hoch [4], [5] |
| Hygienekeime (außer E. coli) | Nachweisgrenze | nicht erwähnt, zahlenmäßig nicht relevant |
| Listeria monocytogenes | negativ | Krankheitserreger, Nulltoleranz |
| Salmonella spp. | negativ | Krankheitserreger, Nulltoleranz |
| E. coli | negativ | Fäkalkeime, Nulltoleranz |

Abb. 3: Prozentuale Anteile auffälliger und nicht akzeptabler, noch akzeptabler und unauffälliger, akzeptabler Proben nach Keimgruppen
Unterschiede zwischen Spirulina- und Chlorella-Algen
In Spirulina konnten doppelt so häufig aerobe Keimzahlen von über 10000 KBE/g nachgewiesen werden wie in Chlorella. Eine Probe aus Chlorella-Algen, die über eine Million Keime enthielt, wurde als Ausreißer eingestuft.
Zwar war die Probenzahl, in der Gehalte von über 100 KBE/g präsumtiven Bacillus cereus gefunden wurden, nahezu identisch, jedoch lagen bei Spirulina-Algen durchweg höhere Gehalte vor, bei zwei Proben über 1000 KBE/g. Auch Schimmelpilze traten in Spirulina-Produkten häufiger auf.
Ursächlich kommt der Einsatz unterschiedlicher Trocknungsverfahren in Frage. Bei der Sprühtrocknung, die bei Chlorella-Algen überwiegend angewandt wird, ist die Keimreduktion stärker als bei herkömmlichen Trocknungsverfahren.
Kennzeichnung
Ausreichender Nährstoffgehalt?
Von den 17 amtlich erhobenen Proben wurden 14 als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet. Damit ein Produkt diese Bezeichnung tragen darf, muss es nennenswerte Mengen an Stoffen enthalten, die die normale Ernährung sinnvoll ergänzen. Doch genau diese Voraussetzung erfüllte mehr als die Hälfte der Proben (57 %) nicht. Entweder wurden solche Inhaltsstoffe gar nicht erst in der Kennzeichnung genannt, oder die angegebenen Mengen waren bereits auf Basis der Deklaration zu gering bemessen. Für Verbraucher sind diese Produkte damit irreführend als Nahrungsergänzungsmittel deklariert.
Bei 3 Proben war der Gehalt an Vitamin B12 ausgelobt, welcher analytisch überprüft wurde. Bei einem Chlorella-Produkt stellte sich heraus, dass der tatsächliche Gehalt deutlich unter dem lag, was auf der Verpackung versprochen wurde – auch hier liegt eine irreführende Angabe vor.
Wundermittel Mikroalge?

Abb. 4: Werbeaussagen zu Chlorella und Spirulina (Bildquelle CVUA Karlsruhe)
Bei nahezu allen der 17 Proben wurde die Kennzeichnung näher geprüft. Bei 9 der geprüften Proben (64 %) wurden nicht zulässige nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben festgestellt.
Nährwertbezogene Werbeaussagen
Obwohl in der Werbung bei 9 Proben (64 %) der außerordentliche Nährstoffreichtum der Mikroalgen hervorgehoben wird, fehlten die verpflichtenden Angaben zu den Nährstoffmengen komplett. Zudem wurde bei etwa jedem zweiten Produkt der hohe Eiweißgehalt beworben. Dies mag für die Mikroalgen selbst mit einem Eiweißgehalt von rund 60 g/100 g auch zutreffend sein. Allerdings beträgt die empfohlene Verzehrmenge von Tabletten oder Pulver nur wenige Gramm täglich. Daraus resultiert eine Eiweißaufnahme von bestenfalls 2 Gramm pro Tag – vergleichbar mit einer halben Scheibe Käse oder drei Esslöffeln Joghurt. Im Vergleich zur normalen Ernährung liefern die Mikroalgenprodukte damit keine nennenswerten Proteinmengen. Solche Werbeaussagen sind aus rechtlicher Sicht daher unzulässig.
Gesundheitsbezogene Werbeaussagen
Auch die beworbenen gesundheitlichen Vorteile sollten mit Skepsis betrachtet werden. Die Werbeversprechen reichen von allgemeinen Aussagen wie „vielseitige gesundheitliche Stärken“ oder „Regeneration, Entsäuerung, Entgiftung“ bis hin zu konkreten Heilversprechen wie „Rehabilitation nach Unfällen“. Diese Angaben betrafen 9 der geprüften Proben. Wissenschaftlich belegt sind solche Wirkungen jedoch nicht und gesundheitsbezogene Angaben für Chlorella oder Spirulina sind gesetzlich nicht zugelassen (siehe Infokasten). Entsprechend werden diese Angaben nicht rechtmäßig verwendet.
Gesundheitsbezogene Werbung
Wird bei der Bewerbung eines Lebensmittels ein gesundheitlicher Vorteil zum Ausdruck gebracht (z. B. „Stärkung des Immunsystems“), fällt das unter die Vorgaben der europäischen Health Claim Verordnung (VO (EG) Nr. 1924/2006). Die Angaben unterliegen einem Zulassungsverfahren: Es muss nachgewiesen werden, dass die angepriesenen gesundheitlichen Vorteile für das Lebensmittel wissenschaftlich belegt sind. Geprüft wird dies von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Der Verbraucher soll so vor irreführenden Angaben geschützt werden.
Fazit
Die Untersuchung von 45 Mikroalgenprodukten aus Chlorella und Spirulina hat gezeigt, dass diese Produkte hinsichtlich ihrer mikrobiologischen Qualität überwiegend unbedenklich sind. Aus den vorliegenden Daten wird deutlich, welche Keimgehalte bei Einhaltung guter Herstellungspraxis realistisch erreicht werden können. Die Datengrundlage ist ausreichend zur Erarbeitung von mikrobiologischen Empfehlungen bzgl. Richtwerten für Mikroalgenprodukte, die Herstellern und Kontrollbehörden als Orientierung dienen und so zur weiteren Produktsicherheit beitragen könnten.
Rechtlich gesehen enttäuschen die Mikroalgenprodukte vor allem bei der Kennzeichnung. Von den darauf geprüften Produkten, erfüllen mehr als die Hälfte nicht die Anforderungen an Nahrungsergänzungsmittel, da deklarierte Nährstoffe fehlen oder in zu geringen Mengen enthalten sind. Zudem sind viele der gesundheitsbezogenen Werbeversprechen wissenschaftlich nicht belegt und daher unzulässig. Verbraucher sollten solche Produkte mit Vorsicht betrachten und sich nicht von überzogenen Versprechen täuschen lassen. Das Vorliegen eines Wundermittels mit gesundheitsfördernden Eigenschaften darf stark bezweifelt werden.
Quellen:
[1] Lebensmittelverband Deutschland e. V., Lebensmittelmagazin, 21.08.2019, Hier wachsen Algen zum Essen: Besuch einer Algenfarm in Sachsen-Anhalt [Video], YouTube https://youtu.be/XpRJOufIv5M?si=Gnk0dkl7TjykZSSz abgerufen am 15.04.2025
[2] The Smart Farm, 19.04.2024, Superfood MEGA Factory: How Spirulina is Made [Video], YouTube https://youtu.be/NKu3c9P_cLc?si=qV-cSUIXj7s5b1n0 abgerufen am 15.04.2025
[3] PRÜSER et. al., Journal of Food Safety and Food Quality, Archiv für Lebensmittelhygiene No. 3, Vol. 74, May/June 2023, p. 70-79
[4] PD CEN/TR 17559:2022, Algen und Algenprodukte. Nahrungs- und Futtermittelanwendungen: Überblick über Grenzwerte, Verfahren und Analysemethoden, 03.08.2022
[5] GB 19643-2016 National Food Safety Standard – Algae and Algae Products National Standard of the People’s Republic of China), 23.12.2016