Reinheitsgebot weit verfehlt - Betriebshygiene beim Bierbrauen
Saskia Fleischer, Dr. Daniela Noack (CVUA Karlsruhe)
Herstellung, Eigenschaften und mikrobiologische Flora
„Bier ist ein ganz besonderer Saft“ - um Goethe falsch zu zitieren. Nicht nur die aufwendige Herstellung und das gewisse Know-How, sondern auch Kontaminationsrisiken durch speziell an dieses Lebensmittel angepasste Bierverderber-Bakterien stellen Braumeister vor große Herausforderungen. Auch die Lagerbedingungen der Rohstoffe spielen eine wichtige Rolle bei der Aufgabe, hygienisch einwandfreies Bier zu brauen.
Abb.1: Gefüllte Biergläser mit umgebenden Braumalzkörnern
Herstellung
Abb.2: Prozessschritte der Bierherstellung
Eigenschaften
Bier ist vor allem durch einen niedrigen pH-Wert (< 5), eine nahezu sauerstofffreie Atmosphäre, Hopfenbitterstoffe und den Alkoholgehalt geprägt. Bier ist dabei jedoch nicht gleich Bier. Auf dem Markt sind zahlreiche Biersorten, die sich durch verschiedene Rohstoffe und unterschiedlich hohe Alkohol- und Stammwürzegehalte auszeichnen. Den größten Einfluss auf die Sensorik, also den Geschmack und Geruch, hat hierbei die Verwendung von obergäriger oder untergäriger Hefe, aber auch bei gleichartiger Hefe können sich die Biersorten stark unterscheiden. Nicht immer hat eine auffällige Mikrobiologie des Bieres auch einen Einfluss auf den Geruch oder den Geschmack. Eine zusätzliche mikrobiologische Analyse und auch Kontrollen vor Ort sind deshalb äußerst wichtig.
Mikrobiologische Flora
Im frisch gebrauten, ungefilterten und nicht erhitzten Bier sind in der Regel nur Bierhefen (Saccharomyces cerevisiae) nachweisbar. Diese werden als Lebendkulturen in hoher Zahl dem Gärtank zugegeben und verdrängen im Laufe der Fermentation nahezu alle anderen ggf. vorhandenen Mikroorganismen.
Wird Bier im Anschluss daran filtriert und erhitzt, ist es keimfrei; bei naturtrüben oder unbehandelten Produkten sind dagegen nur Hefen nachweisbar.
Abb.3: Saccharomyces cerevisiae (Bierhefe)
Mikrobiologische Risiken
Ist die Herstellung abgeschlossen, strömt das Bier ins sogenannte flüssigkeitsleitende System.
Flüssigkeitsleitendes System: alle Einrichtungen/Geräte, die in direkten Kontakt mit der Flüssigkeit kommen (z.B. Rohrleitungen, Schläuche, Flanschen, Abfüllanlagen, Schankanlagen)
Das gesamte System ist hinsichtlich möglicher Bakterienbesiedlung sehr anfällig: auf Oberflächen, die nicht mehr völlig glatt sind, sowie an spröden Dichtungen, an Anschlüssen und vielem mehr können sich Biofilme bilden, in denen die Keime überdauern.
Biofilm: Schleimschichten, die von Mikroorganismen gebildet werden, die selbst in diese Schleimschicht eingebettet sind (Gehalte von ca. 1012 Zellen pro ml)
Das Leben der Biofilme gliedert sich in 3 Phasen: Bindung an Oberfläche, Wachstum, Ablösung [1]
Insbesondere dann, wenn durch plötzliches Reißen des Biofilms ein großer Tropfen der Schleimschicht in die Flüssigkeit gerät, können hohe Keimgehalte in den ersten danach entnommenen Proben nachgewiesen werden. Anschließend gehen die Keimzahlen wegen des Verdünnungseffekts wieder nach unten.
Reinigung und Desinfektion des flüssigkeitsleitenden Systems müssen daher so häufig erfolgen, dass kein Kontaminationsrisiko besteht.
Zu große Reinigungsintervalle, nicht sachgerechtes Vorgehen und/oder nicht ausreichend wirksame Desinfektionsmittel können zur Ansiedlung von Keimen beitragen.
Einige der Bakterienarten, die hier eine Rolle spielen, sind in der Lage, die Gegebenheiten in Bier (siehe Abschnitt Eigenschaften) zu tolerieren, d. h. sie können im Bier überleben und sich sogar vermehren. Beispiele sind in den Abbildungen 4 und 5 dargestellt.
Abb.4: Bierverderber Lactobacillus brevis
Abb.5: Bierverderber Megasphaera cerevisiae und Hefezellen
Bei Vorliegen solcher Bakterienarten in hoher Zahl kann es zu erheblichen sensorischen Veränderungen kommen, wie beispielsweise eine saure oder an Schwefelwasserstoff erinnernde Geschmacksnote.
Ein weiteres Risiko stellen Hygieneindikatoren dar. Dabei handelt es sich um Bakterien, die bei mangelnder Hygiene auftreten können. Sie tolerieren das im Bier herrschende Milieu in der Regel nur kurze Zeit. Daher werden sie nahezu ausschließlich in Bier aus Schankanlagen nachgewiesen. Der unsachgemäße Umgang mit Zapfhähnen, vor allem Mängel bei der Reinigung und Desinfektion, ist meist die Ursache.
Ergebnisse der Untersuchungen
Unsachgemäße Lagerung des Gerstenmalzes
Bereits im Silo der Brauerei, in dem das Malz gelagert wird, können erhebliche Mängel auftreten. Mehrere Schädlingsarten, darunter verschiedene Käfer und Motten, hatten im vorliegenden Fall ihren Weg in das Gerstenmalz gefunden und sich unkontrolliert vermehrt.
Abb.6: mehrere Kornkäfer im Gerstenmalz
Hierbei reichte eine rein optische Überprüfung des Malzes aus. Mottengespinste waren auf Anhieb sichtbar, Käfer ließen nach genauerer Beobachtung auch nicht lange auf sich warten. Das Gerstenmalz wurde kurzerhand eingefroren, um die Insekten abzutöten und die Beutel, in denen sich das Malz befand, geöffnet und die Entdeckungen auf Fotos festgehalten (siehe Abb. 6 und 7).
Abb.7: Teile der in der Probe Gerstenmalz enthaltenen Mottengespinste und Käfer
Bei der Öffnung der Beutel und der genaueren Betrachtung des Malzes wurden neben den bereits beobachteten Käfern (vermutlich Kornkäfer) weitere Käferarten und verpuppte Motten festgestellt. Nach den Anforderungen des europäischen Hygienerechts sind Rohstoffe und alle Zutaten, die in einem Lebensmittelunternehmen vorrätig gehalten werden, so zu lagern, dass Schutz vor Kontamination gewährleistet ist. Darüber hinaus gilt ein solchermaßen kontaminiertes Lebensmittel bzw. dessen Zutaten nach der Lebensmittel-Basis-Verordnung (VO (EG) 178/2002) als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet und damit als nicht sicheres Lebensmittel.
Ein Lebensmittel, das mit durch Schädlinge befallenen Rohstoffen hergestellt wurde, gilt somit auch dann als unsicheres Lebensmittel, wenn durch die Schädlinge keine direkte Gesundheitsgefahr besteht oder die Käfer und Motten im Bier nicht mehr nachweisbar sein sollten.
Bakteriennachweise im Bier
Zur Untersuchung lagen uns mehrere Proben zweier Biersorten vor: jeweils das zugehörige Bier aus dem Tank und das daraus abgefüllte Flaschenbier. Dabei handelte es sich um die Sorten Pils und dunkles Bier.
Im Pils aus dem Tank waren Verderbniskeime (Pseudomonaden) nachweisbar, die in Bier weder gut anwachsen noch sich vermehren können. Pseudomonaden benötigen als Nährstoffe vor allem Proteine, die dort verhältnismäßig rar sind. Es handelt sich vielmehr um typische Verderbniskeime, die z. B. in rohem Fleisch oder Molkereiprodukten vorkommen. Möglich ist, dass sich irgendwann einzelne dieser Bakterien in Proteinresten, wie sie beispielsweise in Verschmutzungen vorhanden sein können, angesiedelt und vermehrt hatten. Bei anschließender Pasteurisierung des Produkts wären die Keime abgetötet worden. So aber fanden sie sich sogar im Flaschenbier, ein Ergebnis, das in der langen Untersuchungspraxis des mikrobiologischen Labors am CVUA Karlsruhe noch nie aufgetreten war. Dieser Fund war hygienisch vollkommen inakzeptabel.
Abb.8: Eiweißverderber Pseudomonas spp.
Die Untersuchung des dunklen Biers aus einem anderen Tank ergab ebenfalls inakzeptable Werte. Darin waren Bierverderber in so großer Menge vorhanden, dass wir das Zählergebnis nur mit „über 300.000 Koloniebildende Einheiten pro Milliliter“ angeben konnten. Die nachgewiesenen Keime kommen vor allem bei hygienischen Mängeln in Rohren und Schläuchen des flüssigkeitsleitenden Systems vor. Sie gehören im Gegensatz zu Pseudomonaden zu den Bakterienarten, die perfekt an das Milieu im Bier angepasst sind und dort auch wachsen können.
Da die hygienischen Mängel bereits im Vorfeld bekannt waren, wurde in diesem Fall auf die Beschreibung des Geschmacks verzichtet. Aussehen und Geruch der Biere waren noch unauffällig.
Aufgrund unterschiedlich intensiver Stoffwechselaktivität der verschiedenen Arten von Bierverderbern besteht nicht immer eine Korrelation zwischen der Keimzahl und dem Auftreten sensorischer Veränderungen. Dies zeigt, dass eine mikrobiologische Belastung nicht unbedingt zu riechen oder zu schmecken ist.
Fazit
Das Lebensmittelrecht fordert, dass bei der Handhabung von Lebensmitteln diese durch Beachtung der üblichen Hygieneregeln soweit möglich vor Kontamination (schädlichen Einflüssen) wie z. B. Schmutz, Schädlingen, Mikroorganismen zu schützen sind. Auch Anforderungen an die räumlichen Gegebenheiten, Einrichtungen, Gegenstände usw. sind gesetzlich geregelt, ebenso die Bedingungen für eine erfolgreiche Reinigung und Desinfektion.
Nicht nur das Endprodukt Bier muss sicher und vor Kontamination geschützt sein. Die für das Bier verwendeten Rohstoffe müssen ebenfalls den Vorgaben des Lebensmittelrechts entsprechen. Auch wenn hochgradig kontaminierte Rohstoffe durch die Herstellung und das Milieu des Biers nicht zwingend zu einer mikrobiologischen oder sensorischen Auffälligkeit führen, so ist das entstandene Produkt dennoch nicht verkehrsfähig, d. h. es darf nicht verkauft oder an Verbraucherinnen und Verbraucher abgegeben werden.
In unserem Fall ist zudem davon auszugehen, dass die erheblichen mikrobiologischen Auffälligkeiten bei diesen Bieren auf Hygienemängel im Herstellungsprozess zurückzuführen sind.
Bei dem beschriebenen Beispiel sahen wir eine inakzeptable Kontamination der beiden Biersorten als erwiesen an. Dasselbe gilt für das Gerstenmalz, welches offensichtlich nicht sachgemäß gelagert worden war.
Es zeigte sich wieder einmal, dass nur konsequente Hygiene zur Herstellung einwandfreier Lebensmittel führt.
Wohl bekomm’s!
Literatur
[1] Wie entstehen Biofilme? - Fraunhofer IGB Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik, Homepage, 2024
Dieser Artikel und weitere Informationen zum gennanten Fall sind auch im Jahresbericht 2023 enthalten