Nur das Beste fürs Kind? - Nahrungsergänzungsmittel für die Kleinsten geben Anlass zu großen Bedenken
Verena Bock, Tábata Rajcic de Rezende
Abb.1: Verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die mit bunten Aufmachungen und niedlichen Grafiken speziell Kinder und Eltern ansprechen sollen
Regelungslücke bei Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder
Nahrungsergänzungsmittel dienen v. a. mit Vitaminen und Mineralstoffen, aber auch mit sonstigen Stoffen wie z. B. Milchsäurebakterien der Ergänzung der herkömmlichen Ernährung. Sie werden beispielsweise in Form von Tropfen, Tabletten, Kapseln oder Pulvern abgegeben. Derartige Produkte gibt es auch mit bunten Aufmachungen, die speziell auf die Zielgruppe Kinder – explizit auch für Säuglinge und Kleinkinder – ausgerichtet sind (siehe Abb. 1).
Auf solchen Produkten lag der Fokus bei Untersuchungen, die zwischen 2021 und 2023 am CVUA Karlsruhe durchgeführt wurden: 31 Nahrungsergänzungsmittel für Kinder wurden untersucht, die zuvor größtenteils mittels Internetrecherchen ermittelt und teilweise im Internet bestellt wurden. 19 der Proben (61 %) waren dabei ausdrücklich für einen Verzehr durch Säuglinge (< 12 Monate) und/oder Kleinkinder (1 - 3 Jahre) bestimmt und waren allesamt nicht verkehrsfähig, u. a. aufgrund darin verwendeter, nicht zugelassener Zusatzstoffe.
Nahrungsergänzungsmittel für Kinder wurden vom Gesetzgeber vermutlich deshalb nicht explizit geregelt, weil sie früher kaum eine Marktbedeutung hatten. Aufgrund dessen wurden in die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) keine Altersbeschränkung aufgenommen und/oder bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen. Durch andere Verordnungen ist jedoch ersichtlich, dass zumindest Nahrungsergänzungsmittel für Kinder unter 3 Jahren nicht vorgesehen waren. Die bestehende Rechtslücke wird durch neue Lifestyles und das enorme Marktwachstum im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel immer stärker genutzt.
Rechtlicher Hintergrund
Den rechtlichen Rahmen für Nahrungsergänzungsmittel gibt die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) vor, die die entsprechende Richtlinie 2002/46/EG in nationales Recht umsetzt. In der NemV finden sich keine Einschränkungen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 gesonderte Regelungen für Lebensmittel geschaffen, die für besonders empfindliche Verbrauchergruppen bestimmt sind. Damit soll sichergestellt werden, dass diese Lebensmittel den spezifischen Ernährungsbedürfnissen gerecht werden. Darunter fallen z. B. Säuglingsanfangsnahrung, Folgenahrung und Beikost. Reglementiert sind u. a. die darin zulässigen Vitamin- und Mineralstoffverbindungen, die nicht deckungsgleich mit denen sind, die in angereicherten Lebensmitteln oder in Nahrungsergänzungsmitteln erlaubt sind.
In der Verordnung (EG) 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe werden die in Nahrungsergänzungsmitteln zugelassenen Zusatzstoffe unter der Produktkategorie „Nahrungsergänzungsmittel ausgenommen Nahrungsergänzungsmittel für Säuglinge und Kleinkinder“ aufgeführt. Bisher gibt es in dieser Vorschrift auch keine andere Kategorie, in die Nahrungsergänzungsmittel für Säuglinge und Kleinkinder eingeordnet werden könnten.
Diese Regelungen zeigen, dass der Gesetzgeber keine inhaltlichen Regelungen zu Nahrungsergänzungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder trifft und Nahrungsergänzungsmittel offensichtlich für diese Bevölkerungsgruppe ausschließen will. Weil derartige Produkte allerdings nicht ausdrücklich verboten werden, besteht hier ein rechtlicher Graubereich, der beseitigt werden muss.
Nicht zugelassene Stoffe
Derzeit gibt es in Nahrungsergänzungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder keine zugelassenen Zusatzstoffe (siehe Infokasten). In 14 der 19 Proben (74 %), die explizit auf diese Zielgruppe ausgerichtet waren, wurden jedoch unzulässiger Weise Zusatzstoffe verwendet, weshalb die Produkte nicht verkehrsfähig waren.
Die Darreichungsformen erfordern fast immer den Einsatz von Zusatzstoffen. Die Nahrungsergänzungsmittel wurden z. B. in fester Form als Lutschtabletten oder als Pulver angeboten, in denen Überzugsmittel oder Trennmittel eingesetzt wurden (siehe Abb. 2). In flüssigen Produkten, die mittels Dosierbechern oder Pipetten portioniert werden, wurden u. a. Konservierungsmittel eingesetzt sowie Süßungsmittel, um den Geschmack ansprechend zu gestalten. Weiterhin lagen Nahrungsergänzungsmittel in Fruchtgummi ähnlicher Aufmachung vor, die die Akzeptanz bei Kindern erhöhen sollen. Hier ist z. B. der Einsatz von Geliermittel nötig.
Für die Aufnahme durch Säuglinge oder Kleinkinder wurde häufig auch empfohlen, die Tabletten zu zerdrücken bzw. Pulver/Flüssigkeiten der Flaschennahrung oder Beikost beizumengen. In einem Fall lag eine Dosierspritze bei, mit der die Flüssigkeit vor dem Stillen auf die Brustwarze geträufelt werden sollte.
Abb.2: Verschiedene Darreichungsformen der untersuchten Nahrungsergänzungsmittel für Kinder
In einem Nahrungsergänzungsmittel für Kinder ab 2 Jahren wurde außerdem eine für diese Altersgruppe nicht zugelassene neuartige Lebensmittelzutat verwendet. Das bedeutet, dass diese Zutat keine Verzehrgeschichte als sicheres Lebensmittel in der EU hat und vor dem Inverkehrbringen einer Zulassung bedarf, die es bislang für Säuglinge und Kleinkinder nicht gibt.
Somit waren im überwiegenden Teil der untersuchten Nahrungsergänzungsmittel (79 %), die für Kinder unter 3 Jahren bestimmt waren, nicht zugelassene Stoffe enthalten. Die fehlenden Zulassungen bedeuten, dass entweder keine Sicherheitsbewertung vorliegt oder dass bei der Sicherheitsbewertung die Bevölkerungsgruppe nicht berücksichtigt wurde und die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Stoffe gegebenenfalls noch nicht geklärt ist.
Überschreitung sicherer Tageshöchstmengen
3 Produkte, die u. a. auch für Kleinkinder bestimmt waren, fielen durch die besonders hohen Mengen an zugesetzter synthetischer Folsäure auf. Die als sicher bewerteten Tageshöchstmengen („Tolerable Upper Intake Level“ – „UL“ [1]) wurden in den entsprechenden Zielgruppen allein durch diese Produkte vollständig ausgeschöpft oder sogar überschritten (siehe Abb. 3).
Der UL-Wert ist keine empfohlene Aufnahmemenge, sondern eine Einschätzung der höchsten täglichen Aufnahmemenge aus allen Quellen (z. B. angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel etc.), bei der kein nennenswertes Risiko für negative Auswirkungen auf die Gesundheit besteht. Der UL-Wert ist in der Regel vom Körpergewicht abhängig und steigt damit mit zunehmendem Alter an.
Es gibt keine Daten über die Langzeitwirkungen hochdosierter Folsäuregaben bei Säuglingen, weshalb das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt, den Folatbedarf ausschließlich über die normale Ernährung zu decken. Ohnehin ist bislang kein Risiko einer Folatzufuhr aus natürlichen Quellen bekannt geworden. [2]. Einen UL-Wert gibt es für Säuglinge nicht. Jedoch enthielt eine Probe, die für Säuglinge bestimmt war, dennoch synthetische Folsäure.
Abb.3: Prozentuale Ausschöpfung der sicheren Tageshöchstmengen („Tolerable Upper Intake Level“ – „UL“) für synthetische Folsäure durch verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die für diese Altersgruppen bestimmt waren. Der UL-Wert steigt altersabhängig. Jedes Balkenmuster repräsentiert jeweils eine Einzelprobe.
* Ein UL-Wert wurde für Säuglinge nicht abgeleitet. Dennoch war in einer Probe, die für Säuglinge bestimmt war, Folsäure enthalten.
Eine zu hohe Folsäureaufnahme kann dazu führen, dass die Symptome eines Vitamin B12-Mangels maskiert werden und dieser in der Folge unentdeckt bleibt. Dieses Risiko ordnet das BfR jedoch bei Kindern als weniger maßgebend als bei Erwachsenen ein. [2] Von einer akuten Gesundheitsgefahr durch die kurzfristige Aufnahme der Produkte ist demnach zumindest nicht auszugehen. Das BfR weist jedoch auch auf die lückenhafte Datenlage hin, die eine Abschätzung der Langzeitwirkungen durch die Zufuhr synthetischer Folsäure bei Kindern erschwert. [2]
Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr
Die D-A-CH Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr sind Empfehlungen/Schätzwerte und Richtwerte für die tägliche Zufuhr von Nährstoffen, die von den Fachgesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (D-A-CH) herausgegeben werden. [3] Diese sollen nahezu alle gesunden Personen einer Bevölkerungsgruppe – beginnend bei Säuglingen bis hin zu Senioren – vor mangelbedingten Gesundheitsschäden schützen und eine gewisse Körperreserve schaffen. Ein Unterschreiten der Referenzwerte bedeutet nicht zwangsläufig eine Unterversorgung oder gar einen Nährstoffmangel. Es sinkt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass der individuelle Nährstoffbedarf gedeckt wird, je weiter die Zufuhr vom Referenzwert nach unten hin abweicht. [4] Bis auf wenige Ausnahmen werden diese Referenzwerte in der Regel durch eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung erreicht (vgl. hierzu auch Abschnitt „Versorgungslage“).
Hohe Nährstoffmengen
Vergleicht man die in den Proben enthaltenen Nährstoffmengen mit den Empfehlungen einschlägiger Fachgesellschaften für Säuglinge, Kleinkinder und ältere Kinder, lag die Zufuhr bei nahezu jedem Nährstoff bei 50 % und darüber. Außerdem war in fast jedem Produkt (92 %) mindestens ein Nährstoff enthalten, bei dem die Referenzwerte vollständig oder sogar um ein Vielfaches ausgeschöpft wurden. Am häufigsten betraf dies die Vitamine C und K und die B-Vitamine (siehe Abb. 4 – 6).
Abb.4: Prozentuale Ausschöpfung der D-A-CH-Referenzwerte in verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln, die für Säuglinge (Alter unter 1 Jahr) bestimmt waren. Es sind jeweils die Minimal- und Maximalwerte und Mittelwerte aller Produkte dargestellt. Sofern ein Nährstoff nur in einem Produkt enthalten war, wird dies nur durch einen einzelnen Punkt dargestellt.
Abb.5: Prozentuale Ausschöpfung der D-A-CH-Referenzwerte für 1- bis unter 4-Jährige in verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln, die für diese Altersgruppe bestimmt waren. Es sind jeweils die Minimal- und Maximalwerte und Mittelwerte der am häufigsten in den Proben vorkommenden Vitamine und Mineralstoffe aufgeführt.
Abb.6: Prozentuale Ausschöpfung der D-A-CH-Referenzwerte für 4- bis unter 7-Jährige in verschiedenen Nahrungsergänzungsmittel, die für diese Altersgruppe bestimmt waren. Es sind jeweils die Minimal- und Maximalwerte und Mittelwerte der am häufigsten in den Proben vorkommenden Vitamine und Mineralstoffe aufgeführt.
Gegenwärtig gibt es auf EU-Ebene keine rechtlich verbindlichen Höchstmengenregelungen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Das BfR hat Höchstmengenvorschläge für Vitamine und Mineralstoffe formuliert, die jedoch nur Jugendliche ab 15 Jahren einbeziehen. Das lag daran, dass für noch jüngere Verbrauchergruppen z. B. aufgrund deren geringeren Körpergewichts keine Ableitung von Höchstmengen möglich war. [5]
Beim Vergleich der angegebenen Dosierungen mit den Höchstmengenempfehlungen für Jugendliche/Erwachsene lag bei 50 % der untersuchten Nahrungsergänzungsmittel für Kinder mindestens ein Nährstoff an der Grenze dieser Empfehlung oder sogar deutlich darüber (überwiegend bei den Vitaminen A, K und D). In einer Probe waren außerdem die Spurenelemente Bor und Kupfer enthalten. Für diese beiden Stoffe empfiehlt das BfR zusätzlich Warnhinweise auf Nahrungsergänzungsmitteln, da es diese Stoffe für Kinder und Jugendliche gänzlich ungeeignet hält. [5]
In den 31 untersuchten Proben wurden am häufigsten die Vitamine D und C sowie B-Vitamine zugesetzt. Bei 4 Proben lagen die analytisch bestimmten Vitamingehalte (Vitamine D, C und E, Pantothensäure) zudem deutlich höher, als das Etikett vermuten ließ. Im Gegensatz dazu wurden in 2 weiteren Proben geringere Vitamin D- und C-Gehalte gemessen, als ausgelobt.
In Abb. 7 ist eine Übersicht der wichtigsten Beanstandungsgründe dargestellt.
Abb.7: Übersicht über die Anzahl der untersuchten Proben und deren Hauptbeanstandungsgründe
Versorgungslage
Bei der Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln muss auch die Nährstoffaufnahme über die herkömmliche Ernährung berücksichtigt werden, die in der Regel bereits eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Zudem gibt es einige Lebensmittel, die ebenfalls mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicht sind (wie z. B. Multivitaminsäfte). Daher kann es bei zusätzlicher Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln schnell zu einer Überversorgung kommen, insbesondere, wenn diese hochdosiert sind.
Nährstoffe, die im Überschuss vorhanden sind, werden zwar ggf. ausgeschieden (z. B. über den Urin, bei entsprechender Wasserlöslichkeit des Stoffes). In einer Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu Säuglingsanfangs- und Folgenahrung wurde jedoch geschlussfolgert, dass die Ausscheidung nicht benötigter Nährstoffe mit einer Belastung des Stoffwechsels von Säuglingen einhergehen kann und empfohlene Nährstoffmengen daher möglichst nicht überschritten werden sollten. [6] Auch für ältere Kinder kann aufgrund der Empfindlichkeit durch das starke Wachstum eine Belastung aus Sicht des CVUA Karlsruhe nicht ausgeschlossen werden. Eine häufige und vollständige Ausschöpfung der Referenzmengen, die sich bereits allein aus der Aufnahme eines Nahrungsergänzungsmittels ergibt, wird daher aus hiesiger Sicht kritisch gesehen, insbesondere bei kleinen Kindern. Bei Stoffen, die weniger gut ausgeschieden werden können, kann es im schlimmsten Falle zu einer Intoxikation (Vergiftung) kommen.
Studien, die das Ernährungsverhalten von Kindern untersuchten, belegen, dass deren Nährstoffstatus im Allgemeinen keinen Anlass zur Sorge gibt. In der EsKiMo-Studie (Ernährungsstudie als Kinder- und Jugendgesundheitssurvey-Modul) blieb in der Gruppe der 6- bis 11-Jährigen ausschließlich die Zufuhr der Vitamine D, A und E, Folat, Calcium sowie bei Mädchen Eisen unter den empfohlenen Referenzmengen. [7] In der DONALD-Studie (Dortmund Nutritional and Anthropometric Longitudinally Designed Study) wurde Jod neben Vitamin D und Folat als möglicher kritischer Nährstoff identifiziert. [8].
Allgemein ist bei der Nährstoffversorgung zu beachten, dass die Unterschreitung von Referenzmengen nicht direkt mit einer Unterversorgung oder einem Mangel gleichzusetzen ist, da der individuelle Nährstoffbedarf anders sein kann. Hier könnte ggf. eine entsprechende Anpassung der Ernährung die erste Lösung sein.
Interessanterweise spielten in den untersuchten Nahrungsergänzungsmitteln Jod, Eisen sowie Calcium als Inhaltsstoffe nahezu keine Rolle. Diese waren nur in sogenannten Multi-Präparaten enthalten, mit denen eine Vielzahl an unterschiedlichen Vitaminen und Mineralstoffen gleichzeitig zugeführt werden, die üblicherweise aber bereits in ausreichender Menge über die herkömmliche Ernährung aufgenommen werden.
Aufmachung und Kennzeichnung
Fast alle Proben (90 %) wurden wegen irreführender Angaben oder Aufmachungen beanstandet. Alle 31 untersuchten Proben (100 %) wiesen Kennzeichnungsmängel auf. Dies betraf sowohl die Verpackung als auch die Angaben im Internet.
Aufgrund der Aufmachungen und Verzehrempfehlungen der Produkte wird bei Eltern der falsche Eindruck erweckt, dass Säuglinge und Kleinkinder einen spezifischen Bedarf an den ausgelobten Inhaltsstoffen haben, welcher mit dem Nahrungsergänzungsmittel gedeckt werden könnte. Tatsächlich gibt es bei gesunden Kindern einen solchen Bedarf nicht, da die Aufnahme von Nährstoffen über die herkömmliche Ernährung ausreichend ist bzw. bereits durch speziell reglementierte Lebensmittelkategorien (Säuglingsnahrung, Beikost) abgedeckt ist. Es besteht jedoch eine Verwechslungsgefahr mit eben diesen Produkten, weshalb Produkte, die für Kinder unter 3 Jahren bestimmt waren, als irreführend beurteilt wurden.
Auf den Internetseiten wurden außerdem häufig Aussagen gemacht, die bei Verbrauchern (Eltern) Ängste auslösen können und damit gegen die Grundsätze gesundheitsbezogener Angaben verstoßen. Hierzu gehörten beispielsweise umfangreiche Ausführungen über auftretende Wachstumsstörungen und verzögerte geistige Entwicklung bei der fehlenden Zufuhr bestimmter Nährstoffe oder eine mögliche Fehlbesiedelung des Darms von Kindern, die per Kaiserschnitt zur Welt kommen. Bei 68 % der Proben wurden darüber hinaus gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf die Entwicklung von Kindern verwendet, die nicht zugelassen sind.
Auch andere irreführende Angaben über die Zusammensetzung und Wirkung der Produkte wurden festgestellt. So wurde ein Produkt als „fruktosefrei“ beworben, obwohl es als Zutat eine Fruktosequelle enthielt. Solche Produkte können bei Personen, die empfindlich auf Fruktose reagieren, zu Magen-Darm-Problemen führen und die Probe wurde deshalb als gesundheitsschädlich beurteilt. Eine Probe wurde auch als zur Behandlung von Band- und Madenwürmern geeignet beworben, was zu einer Einstufung als Präsentationsarzneimittel führte.
Fazit
Bei Nahrungsergänzungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder handelt es sich um Produkte, die sich bestenfalls in einem rechtlichen Graubereich bewegen – allerdings aus Sicht des CVUA Karlsruhe nicht verkehrsfähig sind. Hier besteht dringender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Alle untersuchten Produkte dieser Art enthielten Stoffe, die darin nicht zugelassen sind oder fielen durch irreführende Aufmachungen auf. Insbesondere die damit zugeführten Nährstoffmengen geben Anlass zu großen Bedenken.
Es ist Eltern ebenfalls davon abzuraten, älteren Kindern Nahrungsergänzungsmittel zu verabreichen. Die Untersuchungen zeigten, dass die Referenzmengen einzelner Vitamine und Mineralstoffe für Kinder bereits allein durch den Verzehr eines Nahrungsergänzungsmittels vollständig ausgeschöpft oder sogar um ein Vielfaches überschritten werden können. Eine Überversorgung ist somit insbesondere bei regelmäßiger Einnahme leicht möglich.
Das CVUA Karlsruhe empfiehlt, auf natürliche Nährstoffquellen aus herkömmlichen Lebensmitteln zu setzen. Ernährungsstudien zur Nährstoffversorgung von Kindern geben ohnehin wenig Anlass zu Besorgnis. Sofern dennoch die Unterversorgung eines Nährstoffs befürchtet wird, sollte dies zunächst ärztlich abgeklärt werden.
Literatur
[1] Scientific Committee on Food (SCF): Tolerable Upper Intake Levels for Vitamins and Minerals, Februar 2006 https://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/efsa_rep/blobserver_assets/ndatolerableuil.pdf
[2] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Verwendung von Vitaminen in Lebensmitteln – Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte, 2004 https://www.bfr.bund.de/cm/350/verwendung_von_vitaminen_in_lebensmitteln.pdf
[3] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, Bonn, 2. Auflage, 6. Aktualisierte Ausgabe 2020.
[4] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Referenzwerte - ausgewählte Fragen und Antworten zu den Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr allgemein
https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/faq/referenzwerte/ abgerufen am 04.08.2023.
[5] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Stellungnahme Nr. 009/2021 Aktualisierte Höchstmengenvorschläge für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln, 15. März 2021. https://www.bfr.bund.de/cm/343/aktualisierte-hoechstmengenvorschlaege-fuer-vitamine-und-mineralstoffe-in-nahrungsergaenzungsmitteln-und-angereicherten-lebensmitteln.pdf
[6] EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA), Scientific Opinion on the essential composition of infant and follow-on formulae, EFSA Journal 2014;12(7):3760. https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2014.3760
[7] Mensink et al.: Ergebnisse aus EsKiMo - Die aktuelle Nährstoffversorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Ernährungs Umschau 54 (2007) S. 636 – 646.
[8] Kersting et al.: Forschung zur Verbesserung der Kinderernährung - Die DONALD Studie Kinderernährung, Ernährungs Umschau 1/2008 S. 16 – 19.