Erregeridentifizierung mittels Elektronenmikroskopie am CVUA Stuttgart – ein Rückblick auf die letzten 18 Jahre

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Valerij Akimkin, Fachtierarzt für Mikrobiologie; Christina Gulyas, Bachelor of Science, Biotechnologie

 

Die Elektronenmikroskopie hat am CVUA Stuttgart mittlerweile eine lange Tradition. Was kann diese diagnostische Nachweistechnik leisten und wie wird sie am CVUA Stuttgart eingesetzt? Wir blicken zurück auf 18 Jahre einer Erfolgsgeschichte.

 

Virusnachweis im Wandel der Zeiten

Durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie sind wir alle ungewollt ein bisschen zu Virologinnen und Virologen geworden. Begriffe wie Polymerase Kettenreaktion (PCR), Antigennachweis und Inzidenz haben in den letzten drei Jahren unseren Alltag begleitet. Viele von uns haben auch die Möglichkeit genutzt, einen Virusnachweis selbst durchzuführen. Das dafür benötigte Equipment, den sogenannten Schnelltest, konnte sich jeder in der Apotheke oder sogar im Supermarkt besorgen. Doch schon vor der Pandemie hat die Infektionsdiagnostik enorme Fortschritte gemacht. Beim Nachweis von Viruskrankheiten wird inzwischen oft auf molekularbiologische Methoden wie PCR und Genomsequenzierung gesetzt. Was aber kaum jemand weiß: Die Techniken aus dem letzten Jahrhundert sind immer noch aktuell. Ein solches Verfahren ist beispielsweise die Elektronenmikroskopie. Sie zählt zu den klassischen virologischen Methoden und feiert bald ihr hundertjähriges Jubiläum.

 

Abbildung 1: Transmissionselektronenmikroskop am CVUA Stuttgart.

Abbildung 1: Transmissionselektronenmikroskop am CVUA Stuttgart

 

Das Elektronenmikroskop wurde im Jahr 1931 von zwei deutschen Ingenieuren, Ernst Ruska und Max Knoll, erfunden. Wie bahnbrechend diese Erfindung war, zeigt sich darin, dass Ruska hierfür 1986 den Nobelpreis für Physik erhielt. Das erste Modell hatte nur eine 17-fache Vergrößerung. Heute lassen sich mit dem Elektronenmikroskop (Abb. 1) Vergrößerungen von über 500.000-facher Größe erzeugen. Somit handelt es sich um die einzige Technik, mit der Viren sichtbar gemacht werden können. Transmissionselektronenmikroskope (TEM) sind dafür besonders geeignet, da sie neben der starken Vergrößerung auch einen relativ hohen Probendurchsatz ermöglichen.

 

Vorteile der Elektronenmikroskopie

Im Vergleich zu einem PCR-Test, bei dem nur nach einem bestimmten Erreger gesucht wird, ermöglicht die Elektronenmikroskopie einen „offenen Blick“ in die Probe. Das uneingeschränkte Nachweisspektrum dieses Verfahrens gestattet es dem Virologen, in einer einzigen Untersuchung alle möglichen viralen Erreger zu erfassen. Der Einsatz von teuren, für jedes Virus spezifischen Reagenzien ist nicht notwendig. Besonders in der Diagnostik von neuen oder neuartigen viralen Infektionen ist die Elektronenmikroskopie daher unverzichtbar. Für diese Viren stehen häufig noch keine molekularbiologischen Tests zur Verfügung. Ein weiterer Vorteil der Methode besteht in der Schnelligkeit, mit der ein Ergebnis ermittelt werden kann. Für die Untersuchung einer Probe werden nur etwa 30 Minuten benötigt. Bei der Bekämpfung von Seuchen ist eine rasche Diagnosestellung von entscheidender Bedeutung.

 

Lediglich bei der Nachweisempfindlichkeit kann die Elektronenmikroskopie den PCR-Test nicht toppen. Für eine zuverlässige Diagnose müssen mindestens eine Million Viruspartikel in einem Milliliter Probe vorhanden sein. Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen jedoch, dass die alte Nachweistechnik, trotz dieser Einschränkung, sehr gute Dienste bei der Suche nach Krankheitsursachen leistet. So werden wir bei mehr als jeder vierten untersuchten Probe fündig.

 

Die elektronenmikroskopischen Untersuchungen in der Übersicht

Das Elektronenmikroskop im CVUA Stuttgart stammt aus dem Jahr 2005. Seit 2010, dem Jahr, in dem unser Laborinformations- und Managementsystem (LIMS) startete, wurden am CVUA Stuttgart über 8.500 Proben elektronenmikroskopisch untersucht. In 2.280 Fällen (27 %) konnten wir einen oder gleich mehrere virale Erreger identifizieren. Beim Nachweisspektrum sind dem Elektronenmikroskop keine Grenzen gesetzt. Wir finden sowohl die kleinsten Viren, wie die Vertreter der Familie Circoviridae (Abb. 2), welche nur 18 Nanometer (nm) groß sind, als auch den größten Vertreter aus dem Reich der Viren, das Pockenvirus (Abb. 3). Diese Viren messen im Durchmesser bis zu 300 nm und sind in einem Präparat kaum zu übersehen.

 

Abbildung 2: Circoviren im TEM.

Abbildung 2: Circoviren im TEM

 

Abbildung 3: Pockenvirus im TEM.

Abbildung 3: Pockenvirus im TEM

 

Die Abbildung 4 zeigt eine Übersicht der viralen Erreger, welche wir seit 2010 mit Hilfe des Elektronenmikroskops nachgewiesenen haben.

 

Abbildung 4: Übersicht der Virusnachweise mittels Elektronenmikroskopie am CVUA Stuttgart seit 2010.

Abbildung 4: Übersicht der Virusnachweise mittels Elektronenmikroskopie am CVUA Stuttgart seit 2010

 

Der häufige Nachweis von Rota-, Astro-, und Caliciviren lässt sich durch den hohen Anteil von Kot- und Darminhaltproben unter den Untersuchungsmaterialien erklären. Mit 46 % (3915) sind dies die häufigsten Proben, welche wir mit dem Elektronenmikroskop untersuchen. Überraschend ist dies nicht, da bei Haus- und Nutztieren Durchfallerkrankungen sehr häufig vorkommen. Bei etwa jedem dritten an Durchfall leidenden Tier (35 %) stellen wir eine Virusinfektion als Krankheitsursache fest. Rotaviren werden dabei am häufigsten nachgewiesen (Abb. 5).

 

Abbildung 5: Rotaviren in der Kotprobe eines Rindes im Elektronenmikroskop.

Abbildung 5: Rotaviren in der Kotprobe eines Rindes im Elektronenmikroskop

 

Entdeckung neuer Seuchen

Am CVUA Stuttgart existiert das Labor für Elektronenmikroskope bereits seit 18 Jahren. Unser hoch qualifiziertes und erfahrenes Team hat schon tausende Diagnosen mit Hilfe des TEM gestellt. Dennoch werden auch wir manchmal von unseren eigenen Befunden überrascht. Der Grund hierfür liegt in den nahezu uneingeschränkten Möglichkeiten der Elektronenmikroskopie in der Virusdiagnostik: Es werden damit auch neue und neuartige Infektionserreger nachgewiesen. Werden solche Infektionen nicht schnell genug entdeckt, sind die Folgen kaum kalkulierbar.

 

Zwei Beispiele sollen dies erläutern:

Im Mai 2014 konnten wir ein Coronavirus, den Erreger der Porzinen Epidemischen Diarrhoe des Schweines (PEDV) in einem Schweinebestand aus Baden-Württemberg mittels TEM nachweisen (Abb. 6). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde diese Infektion in Europa noch nicht beschrieben. In den USA wütete die Seuche bereits seit einem Jahr, mit verheerenden Folgen: Millionen von Schweine fielen dieser Krankheit zum Opfer, die Bacon-Preise explodierten. Unsere Untersuchungsergebnisse waren der Startschuss für die Erforschung und Überwachung dieser Infektion in Europa. Schweinehalter wurden umgehend über die Gefahr informiert und konnten vorsorglich ihre Biosicherheitsmaßnahmen erhöhen, was viele Seuchenausbrüche verhindern konnte. Dennoch kam es zu einer europaweiten Infektionsausbreitung. Das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems nahm das Genom des Virus genau „unter die Lupe“ und stellte fest, dass der Erreger aus Baden-Württemberg mit dem Virus aus den USA sehr eng verwandt war. Trotz dieser engen Verwandtschaft wies er aber gewisse Unterschiede auf. Wie die Praxis später zeigte, sorgten diese Unterschiede für eine abgemilderte Klinik.

 

Abbildung 6: Coronavirus, der Erreger der Porzinen Epidemischen Diarrhoe des Schweines (PEDV) im Elektronenmikroskop.

Abbildung 6: Coronavirus, der Erreger der Porzinen Epidemischen Diarrhoe des Schweines (PEDV) im Elektronenmikroskop

 

Ein weiteres Mal konnte das Elektronenmikroskop sich im Jahr 2017 als unersetzlich beweisen. Damals kam es in Baden-Württemberg zu zahlreichen Todesfällen von Straßen- und Zuchttauben. Die Vögel verendeten nach dem Auftreten erster Anzeichen, wie Unwohlsein, Mattigkeit, Appetitlosigkeit und Durchfall, innerhalb kürzester Zeit. Bei der Sektion der Tauben waren pathologische Veränderungen in der Leber sehr auffällig. Durch die elektronenmikroskopische Untersuchung von Leberproben konnte am CVUA Stuttgart zweifellos das Rotavirus in sehr hoher Anzahl nachgewiesen werden. Diese Diagnose stellte uns vor ein Rätsel, denn in der Regel richten Rotaviren große Schäden im Darm an, nicht in der Leber. Weitere Recherchen führten nach Australien. Erst ein Jahr zuvor war dort von einer ähnlichen Infektion berichtet worden. Außerhalb des australischen Kontinents war diese seltsame Taubenseuche damals jedoch nicht beschrieben worden. Durch eine Forschungsarbeit unter Beteiligung mehrerer deutscher Institute und australischer Kollegen konnte bewiesen werden, dass wir es mit einem neuartigen Rotavirus zu tun haben, welches vor allem für Jungvögel eine Gefahr darstellt.

 

Die veränderten klimatischen Bedingungen und das zunehmende Eindringen der Menschen in die Lebensräume der Wildtiere führen unvermeidlich dazu, dass wir ständig mit neuen Infektionen konfrontiert werden. Nur mit einer modernen, zuverlässigen und schnellen Diagnostik sowie mit effektiven Bekämpfungsmaßnahmen können wir der Ausbreitung der Seuchen entgegenwirken. Unsere Laborerfahrung zeigt: Obwohl die Erregerdiagnostik heutzutage durch hochautomatisierte molekularbiologische Nachweisverfahren geprägt ist, spielen auch die klassischen virologischen Methoden immer noch eine wichtige Rolle bei der Suche nach Krankheitsursachen.

 

Das Transmissionselektronenmikroskop im CVUA Stuttgart ist inzwischen in die Jahre gekommen und zunehmend reparaturanfällig. Um weiterhin mit dieser Methode erfolgreich arbeiten zu können, muss es daher nun durch einen Nachfolger ersetzt werden.

 

Infokasten

Das Transmissionselektronenmikroskop in der virologischen Diagnostik

Das Elektronenmikoskop wurde im Jahr 1931 von Ernst Ruska und Max Knoll erfunden. Es kann Vergrößerungen von bis zu 500.000 erreichen und ist daher zum direkten Nachweis von Viruspartikeln in Probenmaterial (z. B. Kotproben, Organproben, Hautgeschabsel, Tierkörpern) geeignet. Der Vorteil gegenüber anderen Nachweismethoden ist der “offene Blick” in die Probe, so dass auch bis dahin unbekannte oder nicht vermutete Viren nachgewiesen werden können. Ein weiterer Vorteil ist die Schnelligkeit, mit der ein Virusnachweis mittels Elektronenmikroskopie gelingt. Die Virologen im CVUA Stuttgart finden Viren in jeder vierten mittels Elektronenmikroskop untersuchten Probe; mehrere Viruserkrankungen wurden durch das Elektronenmikroskop im CVUA Stuttgart erstmalig beschrieben.

 

Quellen

[1] Rubbenstroth D, Peus E, Schramm E, et al. Identification of a novel clade of group A rotaviruses in fatally diseased domestic pigeons in Europe. Transbound Emerg Dis. 2019; 66: 552–561.

 

[2] Hanke D, Jenckel M, Petrov A, Ritzmann M, Stadler J, Akimkin V, Blome S, Pohlmann A, Schirrmeier H, Beer M, Höper D. Comparison of porcine epidemic diarrhea viruses from Germany and the United States, 2014. Emerg Infect Dis. 2015 Mar;21(3):493-6.

 

Artikel erstmals erschienen am 06.06.2023