Streptococcus catagoni sp. nov.: eine neu beschriebene Bakterienart aus erkrankten Chaco-Pekaris – weiterer Erfolg einer bewährten Zusammenarbeit im Dienst der Zoo- und Wildtierforschung

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Jörg Rau (CVUAS), Tobias Eisenberg (LHL) ,Valerij Akimkin (CVUAS), Kristin Mühldorfer (Leibniz-IZW)

 

Zoo- und Wildtiere sind Exoten in der veterinärmedizinischen Krankheitsdiagnostik. Ihre Artenvielfalt ist groß, aber das Wissen über die Infektionserreger und ihre Bedeutung ist begrenzt. Nun konnte eine bisher unbekannte Bakterienart, die bei Nabelschweinen schwere Atemwegserkrankungen auslöste, näher untersucht und taxonomisch eingeordnet werden. Die Bakterien gehören zu den Streptokokken, eine Familie mit wichtigen Krankheitserregern für Menschen und Tiere. Die mikrobiologischen Arbeiten erfolgten in Zusammenarbeit mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen und wurden vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und vom Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL) geleitet. Fachleute des CVUA Stuttgart unterstützten die Studie durch ihre Expertise in der identifizierenden Spektroskopie und der Elektronenmikroskopie.

 

Abb. 1: Chaco-Pekari (Catagonus wagneri), gemeinfrei (Wikipedia/Dave Pape).

Abb. 1: Chaco-Pekari (Catagonus wagneri), gemeinfrei (Wikipedia/Dave Pape)

 

Das Chaco-Pekari (Catagonus wagneri) [ Abb. 1] war seit etwa 1930 nur aus südamerikanischen Knochenfunden bekannt und galt bereits als ausgestorben. Es war daher eine zoologische Sensation, als 1975 die Entdeckung lebender Exemplare dieser Nabelschweine wissenschaftlich bestätigt werden konnte [1]. Die stark gefährdete Tierart kommt heute in kleiner Zahl verstreut in unzugänglichen Gebieten des Chaco Paraguays, Boliviens und Argentiniens vor [2].

 

In zoologischen Gärten werden Chaco-Pekaris nur selten gezeigt. Die in menschlicher Obhut gehaltenen Gruppen sind wichtig zur Sicherung der Arterhaltung, aber auch um mehr über die Lebensweise oder über die Krankheiten der kostbaren Tiere zu erfahren. Schwere Erkrankungen werden daher intensiv wissenschaftlich untersucht.

In zwei aufeinanderfolgenden Jahren wurden bei einer Gruppe Chaco-Pekaris Erkrankungen, auch mit Todesfolge beobachtet. Betroffen waren vor allem junge Tiere im ersten Lebensjahr, die eitrige Infektionen der oberen und unteren Atemwege zeigten. Als Auslöser der ernsten Atemwegserkrankungen wurde ein bisher unbekannter bakterieller Erreger nachgewiesen [ Abb. 2]. Diese Bakterienart aus der Familie der Streptokokken konnte nun näher charakterisiert und taxonomisch beschrieben werden. Die neue Art wurde nach ihrer Wirtsspezies als Streptococcus catagoni sp. nov. benannt (s. Abb. 2) [3, 4].

 

Abb. 2: Bakterienkultur von S. catagoni mit deutlich erkennbarer ß-Hämolyse (Mühldorfer, IZW).

Abb. 2: Bakterienkultur von S. catagoni mit deutlich erkennbarer ß-Hämolyse (Mühldorfer, IZW)

 

Speziesbeschreibungen sind wissenschaftlich aufwändig, da eine Vielzahl an Eigenschaften und Daten über das Bakterium zusammengetragen werden müssen. Dies wurde nur durch die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen möglich, zu der auch Experten aus zwei Instituten der Justus-Liebig-Universität Gießen, dem Robert-Koch-Institut in Berlin und dem Nationalen Referenzzentrum für Streptokokken am Universitätsklinikum Aachen gehörten. Wie bereits mehrfach in den letzten Jahren ergänzte die Expertise des CVUA Stuttgart in der identifizierenden Spektroskopie und der Elektronenmikroskopie die Arbeiten an den Streptokokken der Zootiere [Abb. 3].

 

Abb. 3: Elektronenmikroskopische Abbildung des neu beschriebenen Bakteriums Streptococcus catagoni (Akimkin, CVUAS).

Abb. 3: Elektronenmikroskopische Abbildung des neu beschriebenen Bakteriums Streptococcus catagoni (Akimkin, CVUAS)

 

Die Ergebnisse tragen zu einem besseren Verständnis und der sicheren Identifizierung der neuen Bakterienart bei. „Es sind die ersten Fälle bei Chaco-Pekaris“, erklärt Kristin Mühldorfer, Bakteriologin und Wissenschaftlerin am Leibniz-IZW. Das Chaco-Pekari ist eine stark gefährdete Tierart, die eine stete Abnahme der Populationsgröße zeigt. „Leider kennen wir oft weder die Bedeutung von Infektionskrankheiten in Wildtierpopulationen noch die beteiligten Krankheitserreger“, so Mühldorfer. Die Gründe liegen in der Artenvielfalt, fehlenden Erkenntnissen zum Gesundheitszustand und in der eingeschränkten Erreichbarkeit der Tiere in ihren Lebensräumen.

Neuartige Krankheitserreger werden bei Zoo- und Wildtieren häufiger beobachtet. Leider sind diese Erreger mit etablierten Testsystemen und Datenbanken nicht schnell und sicher zu identifizieren, womit sich der zeitliche und methodische Aufwand der Diagnose erheblich steigert. Die MALDI-TOF Massenspektrometrie bietet hier eine gute Lösung, weil Bakterienspezies von Exoten über neu definierte Referenzspektren verlässlich und schnell identifiziert werden. Die sechs am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart entstandenen Datenbankeinträge für Streptococcus catagoni können über die MALDI-TOF MS Nutzer Plattform „MALDI-UP“ ausgetauscht werden [7].

 

Es bleibt das Ziel der Mikrobiolog*innen, Erkenntnisse über erregerspezifische Eigenschaften, Vorkommen und Bedeutung bei bestimmten Tierarten zu sammeln und den Nachweis seltener bakterieller Infektionserreger zu fördern. Wir wünschen uns daher, die fruchtbare Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen auch zukünftig fortsetzen zu können.

 

Infokasten

Streptococcus catagoni

Die Familie der Streptokokken ist groß und beinhaltet natürlicherweise auf der Haut und den Schleimhäuten vorkommende Bakterienarten. In dieser weit verbreiteten Familie gibt es harmlose (apathogene) Vertreter, aber auch bedeutende Krankheitserreger. Wirtsunabhängige Streptokokken-Arten kommen bei verschiedenen Wirbeltieren vor, wie beispielsweise Streptococcus agalactiae, ein wichtiger Krankheitserreger bei Menschen, Rindern, aber auch anderen Tierarten wie Elefanten [6]. Einige dieser Bakterien-Arten zeigen eine Anpassung an bestimmte Wirte oder Lebensräume und wurden nur dort nachgewiesen. Dazu gehören Krankheitserreger von in Gefangenschaft und frei lebenden Wildtieren, wie Streptococcus castoreus bei Bibern [5], Streptococcus didelphis bei bestimmten Beuteltierarten oder Streptococcus phocae bei Meeressäugern und Fischen.

 

Streptococcus (S.) catagoni wurde erstmalig bei Chaco-Pekaris (Catagonus wagneri) und im Zusammenhang mit schweren Atemwegserkrankungen bei Tieren einer zoologischen Haltung nachgewiesen [3]. Ob die neue beschriebene Streptokokken-Spezies an die Pekaris angepasst ist oder auch bei anderen Wirten vorkommt, ist bisher nicht bekannt. Von ihren Eigenschaften gehört sie zu den beta-hämolysierenden Streptokokken, die die Fähigkeit haben, rote Blutzellen in den Kulturmedien aufzulösen. Serologisch lässt sich S. catagoni in keine Lancefield-Gruppe  einsortieren. Das Bakterium zeigt deutliche Unterschiede zu allen bisher bekannten Streptokokken. Durch eine Sequenzierung spezifischer Gene sowie durch die MALDI-TOF MS lässt sich S. catagoni zukünftig schnell und eindeutig identifizieren, um mehr über das Bakterium zu erfahren.

 

Quellen

[1] Wetzel RM, Dubos RE, Martin RL, Myers P. 1975: Catagonus, an "extinct" peccary, alive in paraguay. Science.189 (4200): 379-381. doi:10.1126/science.189.4200.379

[2] Altrichter M, Taber A, Noss A, Maffei L, Campos J. 2015: Catagonus wagneri. The IUCN Red List of Threatened Species 2015: e.T4015A72587993. Downloaded on 19 September 2020.

[3] Mühldorfer K, Szentiks CA, Wibbelt G, van der Linden M, Ewers C, Semmler T, Akimkin V, Blom J, Rau J, Eisenberg T. 2020: Streptococcus catagoni sp. nov., isolated from the respiratory tract of diseased Chacoan peccaries (Catagonus wagneri). International Journal of Systematics and Evolutionary Microbiology. Epub ahead of print.

[4] Pressemitteilung Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), Datum: 13.10.2020

[5] Mühldorfer K, Rau J, Fawzy A, Heydel C, Glaeser SP, van der Linden M, Kutzer P, Knauf-Witzens T, Hanczaruk M, Eckert AS, Eisenberg T. 2019: Streptococcus castoreus, an uncommon group A Streptococcus in beavers. Antonie Van Leeuwenhoek 112, 1663–1673

[6] Eisenberg T, Rau J, Westerhüs U, Knauf-Witzens T, Fawzy A, Schlez K, Zschök M, Prenger-Berninghoff E, Heydel C, Sting R, Glaeser SP, Pulami D, van der Linden M, Ewers C. 2017: Streptococcus agalactiae in elephants – A comparative study with isolates from human and zoo animal and livestock origin. Veterinary Microbiology 204: 141–150

[7] Rau J, Eisenberg T, Männig A, Wind C, Lasch P, Sting, R. 2016: MALDI-UP – An Internet Platform for the Exchange of MALDI-TOF Mass Spectra – User guide for http://maldi-up.ua-bw.de. Aspects of Food Control and Animal Health. 2016-1, 1–17

 

Artikel erstmals erschienen am 13.10.2020