Klinische Relevanz von Neospora caninum als Aborterreger in Rinderbeständen im Regierungsbezirk Stuttgart

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Sarah Stalb, Birgitta Polley

 

Der Parasit Neospora (N.) caninum zählt weltweit bei Rindern zu einer der häufigsten infektiösen Ursachen von Fehlgeburten (Aborten). Seine Bedeutung in Nordwürttemberg ist bisher jedoch unbekannt. Unser Ziel war es daher, auf Grundlage unserer Untersuchungsdaten die Bedeutung von N. caninum als Ursache von Fehlgeburten in den hiesigen Rinderbeständen zu ermitteln.

Innerhalb der letzten sieben Jahre wurden in Blutproben rinderhaltender Betriebe, bei denen Fehlgeburten aufgetreten waren, regelmäßig Antikörper gegen N. caninum gefunden. Dabei zeigte sich, dass fast 11 % (n = 1.120) der untersuchten Serumproben Antikörper gegen N. caninum aufwiesen, wobei 40 % (n = 278) der beprobten Betriebe betroffen waren. Oft handelte es sich nur um einzelne betroffene Tiere. Unsere Ergebnisse weisen somit darauf hin, dass auch in Nordwürttemberg N. caninum eine bedeutende Infektionskrankheit darstellt. Daher werden Untersuchungen auf Antikörper gegen N. caninum (serologische Untersuchungen) von Zuchttieren vor Zukauf und beim Auftreten ungeklärter Fehlgeburten empfohlen.

 

Der Erreger

Der einzellige Parasit Neospora (N.) caninum gilt bei Rindern weltweit als einer der häufigsten Erreger von Fehlgeburten (Aborten). Der Lebenszyklus von N. caninum ist komplex und umfasst Stadien im Rind (Zwischenwirt) und im Hund (Endwirt) [1]. Hunde, die die einzigen bekannten Endwirte in Europa darstellen, infizieren sich durch die Aufnahme infizierten Gewebes, insbesondere durch den Verzehr von rohem Rindfleisch, das infektionsfähige Parasitenstadien (Zysten) enthält [2]. Infizierte Hunde scheiden Parasiteneier (Oozysten, Dauerstadien) mit dem Kot aus, die sich in der Umgebung zu infektiösen Eiern entwickeln (sporulierte Oozysten). Selten können stark infizierte Hunde schwere neuromuskuläre Symptome entwickeln [3]. Der Eintrag des Parasiten in eine Rinderherde erfolgt durch die Aufnahme dieser infektiösen Eier (sporulierte Oozysten) über verunreinigtes Wasser oder Futter. Hierbei spielen hauptsächlich Oozysten-ausscheidende Hofhunde eine entscheidende Rolle [2, 4].

Innerhalb einer Rinderherde ist der Hauptinfektionsweg jedoch pränatal, das bedeutet die Übertragung erfolgt von der infizierten Kuh vor der Geburt auf das ungeborene Kalb. Diese Übertragungsstrategie ist sehr effizient, da bereits infizierte Zuchtlinien dauerhaft infiziert bleiben [4, 5]. I n den meisten Fällen führt die Übertragung des Erregers im Mutterleib auf das noch ungeborene Kalb zur Geburt infizierter, aber gesunder Kälber. Seltener sind die Folgen einer Infektion Fehl- oder Totgeburten oder Geburten lebensschwacher Kälber. Betroffene Rinder bleiben lebenslang infiziert und bilden Antikörper gegen N. caninum, die im Labor nachgewiesen werden können. Für Kühe mit nachweisbaren Antikörpern gegen N. caninum (serologisch positiv) ist das Risiko einer Totgeburt um das Doppelte, das Risiko von Totgeburt oder Tod des Kalbes innerhalb von 24 Stunden sogar um das Vierfache erhöht im Vergleich zu Tieren ohne nachweisbare Antikörper (serologisch negativ). Die Fruchtbarkeit infizierter Rinder ist jedoch nicht beeinträchtigt [6].

Erhebliche regionale Unterschiede in der Häufigkeit des Vorkommens serologisch positiver Kühe ( Seroprävalenz) sind bekannt, u.a. aus Rheinland-Pfalz [7], Schleswig-Holstein [8] und Nord-Bayern [9]. Im Rahmen unserer Routinediagnostik zur Abklärung von Fehlgeburten beim Rind treten regelmäßig serologisch positive N. caninum Fälle auf. Deshalb wollen wir mit Hilfe der Auswertung unserer Untersuchungsdaten über einen Zeitraum von sieben Jahren die Bedeutung von N. caninum als Ursache von Fehlgeburten in den hiesigen Rinderbeständen darstellen.

 

Abbildung 1: Neospora caninum-Zyste (Pfeilspitze) im Gehirn eines totgeborenen Kalbs (HE-Färbung, Dr. Birgit Blazey).

Abbildung 1: Neospora caninum-Zyste (Pfeilspitze) im Gehirn eines totgeborenen Kalbs (HE-Färbung, Dr. Birgit Blazey).

 

Diagnostik von N. caninum

Im Rahmen der Routinediagnostik wurden Blutproben von Rindern aus Nordwürttemberg , die zur Abklärung von Abortursachen eingesandt worden waren, auf Antikörper gegen N. caninum unter Verwendung eines kommerziellen ELISA-Testkits untersucht (ID Screen®, Neospora caninum Indirect, IDVET). Die erzielten Ergebnisse wurden rückblickend über einen Zeitraum von sieben Jahren (01.01.2010 bis 31.12.2016) bezüglich der Gesamthäufigkeit und der Häufigkeit innerhalb einer betroffenen Herde ausgewertet .

 

Vorkommen von N. caninum in Rindern aus Nordwürttemberg

Anzahl der N. caninum-infizierten Rinder

Innerhalb von sieben Jahren wurden insgesamt 10.266 Rinder auf das Vorliegen von Antikörpern gegen N. caninum getestet ( Abbildung 2 ). In 10,9 % (1.120/10.266) der Rinder wurden Antikörper gegen N. caninum nachgewiesen, 0,1 % (14/10.266) der Tiere wiesen ein fragliches Testergebnis auf und bei 89,0 % (9.132/10.266) der Tiere waren keine Antikörper nachweisbar. Die serologisch positiven Tiere stammten aus 40 % (278/689) der untersuchten Betriebe. Der Anteil serologisch positiver Tiere blieb in den einzelnen Jahren vergleichbar groß bei einer jährlichen durchschnittlichen Anzahl von 1.467 Blutproben (Spanne von 1.244 bis 1.809 Blutproben pro Jahr).

 

Abbildung 2: Untersuchungen von Rindern auf Antikörper gegen N. caninum in den Jahren 2010 bis 2016. Nahezu 11 % ( 1.120/10.266) der Rinder wiesen Antikörper gegen Neospora caninum auf, wobei insgesamt 40 % (278/689) der beprobten Betriebe betroffen waren.

Abbildung 2: Untersuchungen von Rindern auf Antikörper gegen N. caninum in den Jahren 2010 bis 2016. Nahezu 11 % ( 1.120/10.266) der Rinder wiesen Antikörper gegen Neospora caninum auf, wobei insgesamt 40 % (278/689) der beprobten Betriebe betroffen waren.

 

Häufigkeit der N. caninum-Infektionen innerhalb einer betroffenen Herde

Insgesamt wurden 1.379 Bestandsuntersuchungen in 689 Betrieben in Nordwürttemberg zur Abklärung von N. caninum-Infektionen durchgeführt. Bei den positiven Bestandsuntersuchungen waren zum Großteil (81 %, 395/487) nur jeweils ein bis drei Tiere aus einer Herde betroffen und in fast der Hälfte aller positiven Fälle wies sogar nur ein Einzeltier je Bestandsuntersuchung Antikörper auf (49 %, 241/487) (Abbildung 3 ).

 

Abbildung 3: Anzahl serologisch positiver Rinder je Bestandsuntersuchung: In fast der Hälfte aller Fälle (49 %) war nur ein Tier pro Betrieb und in einem weiteren Drittel (32 %) waren 2 bis 3 Tiere je Herde betroffen.

Abbildung 3: Anzahl serologisch positiver Rinder je Bestandsuntersuchung: In fast der Hälfte aller Fälle (49 %) war nur ein Tier pro Betrieb und in einem weiteren Drittel (32 %) waren 2 bis 3 Tiere je Herde betroffen.

 

Zusammenfassung und Fazit

Klinische Relevanz in Nordwürttemberg

Im Rahmen der Abklärung infektiöser Ursachen von Fehlgeburten (Aborten) wurden innerhalb der letzten sieben Jahre regelmäßig Antikörper gegen N. caninum in rinderhaltenden Betrieben in Nordwürttemberg gefunden. Dabei wiesen fast 11 % der serologisch untersuchten Blutproben Antikörper gegenüber N. caninum auf und 40 % der beprobten Betriebe hatten infizierte Tiere in der Herde. In den betroffenen rinderhaltenden Betrieben stellte eine N. caninum-Infektion fast immer eine Infektion von einzelnen oder wenigen Tieren dar, mit der Ausnahme weniger Betriebe, bei denen die Ergebnisse auf eine starke Infektionsrate hinwiesen. Solche Fälle sind auf einen Neueintrag des Erregers in eine Herde ohne Immunschutz zurückzuführen und haben ein seuchenhaftes Auftreten von Fehlgeburten von bis zu 15 % der tragenden Kühe innerhalb von 4–8 Wochen zur Folge [1]. Als Erregereintragsquelle spielen hauptsächlich Parasiteneier (Oozysten) ausscheidende Hofhunde eine Rolle.

Die Tatsache, dass in den Herden meist nur einzelne oder wenige Tiere Antikörper gegen N. caninum aufwiesen, lässt auf ein lokal auftretendes (endemisches) Infektionsgeschehen schließen, das durch eine sehr effektive Erregerübertragungsrate von mindestens 95 % von der Kuh im Mutterleib direkt auf das noch ungeboren Kalb (intrauterine Übertragung) aufrechterhalten wird [1]. Vergleichbare Ergebnisse wurden in Bayern mit 6,8 % serologisch positiven Rindern erzielt, die zur Abklärung der Ursache aufgetretener Fehlgeburten untersucht wurden [10].

 

Empfehlungen zum Schutz vor N. caninum assoziierten Fehlgeburten

Bei ungeklärten Fehlgeburten in Rinderhaltungen sollte serologisch immer auch auf N. caninum - Infektionen untersucht werden. Da die Übertragung des Parasiten von der infizierten Kuh auf das ungeborene Kalb im Vordergrund steht, sollten seropositive Tiere von der Zucht ausgeschlossen werden, sofern diese tatsächlich häufiger Fehlgeburten als nicht infizierte Rinder erleiden [4]. Bei guter Milchleistung infizierter Kühe besteht die Möglichkeit, deren Nachkommen ausschließlich für die Mast zu nutzen (persönliche Mitteilung Dr. Mandl, RGD). Präventiv sollten Hunde, insbesondere Hofhunde, vom Stall und dem Futtertisch fern gehalten und keine infizierten Rinder zugekauft werden [2, 4]. Daher ist eine serologische Untersuchung auch auf N. caninum vor dem Zukauf von Zuchtrindern anzuraten.

 

Infokasten

Erreger. Neospora (N.) caninum ist ein einzelliger Parasit (Protozoon) [3], der weltweit zu den häufigsten Ursachen für Fehlgeburten (Aborte) und Frühsterblichkeit der Neugeborenen bei Rindern zählt [1]. Der Parasit ist eng mit Toxoplasma gondii verwandt, aber nach derzeitigem Wissensstand nicht auf den Menschen übertragbar [1].

Lebenszyklus. Der Lebenszyklus von N. caninum benötigt einen erregerausscheidenden Endwirt (Hund), der vermehrungsfähige Stadien (Oozysten) über den Kot ausscheidet und einen empfänglichen Zwischschenwirt wie das Rind, das als Infektionsquelle für den Hund dient. Im Rind entwickeln sich nach Aufnahme infektiöser (sporulierter) Oozysten über verschiedene Entwicklungsstadien infektionsfähige Parasitenzysten. Der Hund infiziert sich wiederum durch die Aufnahme dieser Parasitenzysten und schließt somit den Infektionszyklus [1, 2, 4]. Der einzig bekannte Endwirt in Europa ist der Hund [4]. Die Weiterverbreitung des Parasiten bei Rindern (Zwischenwirte) geschieht jedoch vor allem ohne den Endwirt Hund durch eine direkte Übertragung von der trächtigen Kuh auf ihr ungeborenes Kalb (intrauterine Übertragung) [1, 5].

Infizierte Hunde. Die Mehrzahl der Hunde infiziert sich bereits nach der Geburt (postnatal), dabei ist das Vorkommen (Prävalenz) in ländlichen Regionen höher als in der Stadt [1]. Infizierte Hunde können Dauerformen (Oozysten) dieses Einzellers ca. 5 (3–14) Tage im Kot ausscheiden [2, 11] und weisen bei starker Infektion zum Teil schwere neuromuskuläre Symptome auf [12]. Um Infektionen in Rinderbeständen zu vermeiden, sollten Hunde, insbesondere Hofhunde, vom Stall und dem Futtertisch ferngehalten werden. Die Verhinderung des Zugangs von anderen Hunden zu Grünflächenarealen ist von untergeordneter Rolle [2].

Infizierte Kühe. Serologisch positive Kühe gebären in 95 % der Fälle infizierte Kälber [1, 4, 5], wobei die Übertragung auf die Nachkommen mit zunehmender Anzahl der Trächtigkeiten möglicherweise aufgrund einer verbesserten Immunität zurückzugehen scheint [1]. In den meisten Fällen führt die intrauterine Infektion des ungeborenen Kalbes nicht zu einer Fehlgeburt, sondern zur Geburt persistent infizierter, aber klinisch unauffälliger Kälber [4]. Bei chronisch infizierten Kühen ist das Risiko einer Fehlgeburt jedoch um das Doppelte, das Risiko von Totgeburt oder Tod des Kalbes innerhalb von 24 Stunden sogar um das Vierfache erhöht [6]. N. caninum-assoziierte Rinderaborte treten v.a. im 5. Trächtigkeitsmonat auf (4.–6. Monat) [13]. Es gibt nach dem heutigen Wissensstand keine Therapie. Eine Übertragung von Kuh zu Kuh kommt nicht vor [1].

 

Quellen

1. Dubey, J.P., et al., Epidemiology and control of neosporosis and Neospora caninum. Clin Microbiol Rev, 2007. 20(2)

2. Schares, G., et al., Risikobewertung: Rinderaborte durch Neospora caninum – Welche Gefahren gehen von Hundekot auf Weiden aus? 2007

3. Dubey, J.P., et al., Newly recognized fatal protozoan disease of dogs. J Am Vet Med Assoc, 1988. 192(9)

4. Schares, G. and F.J. Conraths, Neospora caninum als Abortursache bei Rindern – Neues zur Pathogenese, Epidemiologie und Diagnose. Praktischer Tierarzt, 2007. 88(9)

5. Bjorkman, C., et al., Neospora species infection in a herd of dairy cattle. J Am Vet Med Assoc, 1996. 208(9)

6. Brickell, J.S., et al., Association between Neospora caninum seropositivity and perinatal mortality in dairy heifers at first calving. Vet Rec, 2010. 167(3)

7. Schares, G., et al., Regional distribution of bovine Neospora caninum infection in the German state of Rhineland-Palatinate modelled by Logistic regression. Int J Parasitol, 2003. 33(14)

8. Schares, G., et al., Neospora caninum in dairy herds in Schleswig-Holstein, Germany. Berl Munch Tierarztl Wochenschr, 2009. 122(1–2)

9. Rinder, H., Neospora caninum: Aborterreger beim Rind, Homepage Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, 2012. (accessed 23.03.2017).

10. Weber, A., et al., Prevalence of antibodies to Neospora caninum in cows with abortion problems in North Bavaria. Tierärztliche Umschau, 2000. 55(1)

11. Gondim, L.F., et al., Improved production of Neospora caninum oocysts, cyclical oral transmission between dogs and cattle, and in vitro isolation from oocysts. J Parasitol, 2002. 88(6)

12. Bjerkas, I., et al., Unidentified cyst-forming sporozoon causing encephalomyelitis and myositis in dogs. Z Parasitenkd, 1984. 70(2)

13. Thurmond, M.C., et al., An example of selection bias in submissions of aborted bovine fetuses to a diagnostic laboratory. J Vet Diagn Invest, 1994. 6(2)

 

Artikel erstmals erschienen am 20.07.2017