Über Berg und Tal – Rückblick auf die Untersuchungen von Lebensmittelbedarfsgegenständen

Sarah Stürenburg

 

Naturwissenschaftler erfreuen sich an Zahlen, Daten und Fakten – so ergaben sich bei einem Rückblick auf 2024 und die letzten Jahre, verschiedene Diagramme. Wagt man sich an eine ungewöhnliche Darstellungsvariante, ergibt sich ein Blick auf eine hügelige Untersuchungslandschaft. Ich lade ein zu einer etwas anderen Bildinterpretation über die Untersuchung von Lebensmittelbedarfsgegenständen.

 

Ein Landschaftsbild – vom Säulendiagramm zur Berglandschaft

Oft werden unsere Probenergebnisse in Säulen- oder Balkendiagrammen dargestellt. Lässt man sich auf eine andere Variante ein, ergeben sich ganz andere Blickwinkel. Bei den hier gewählten „gestapelten Flächen“ wird der Abstand zur darunter und darüber liegenden Fläche bzw. die Größe der Gesamtfläche betrachtet, um Anstiege oder Einbrüche zu erkennen. Wählt man dann noch ein stimmiges Farbbild und lässt die Zahlen und Daten weg, ergibt sich eine Art Landschaftsbild. Wer lieber auf die Schnelle die Fakten sehen möchte … einfach an das Ende des Artikels scrollen. Wie eine solche Hügellandschaft entsteht, soll im Folgenden anhand unserer Untersuchungen gezeigt werden. Die wichtigste Erkenntnis vorab: wir sehen daran, dass unsere Arbeit wirkt!

 

Grafik: Untersuchungslandschaft auffälliger Lebensmittelkontaktmaterialien im Verlauf der Jahre 2017 bis 2024 als gestapelte Flächen.

Untersuchungslandschaft auffälliger Lebensmittelkontaktmaterialien im Verlauf der Jahre 2017 (links) bis 2024 (rechts) als gestapelte Flächen (von oben nach unten: Sensorik (hellgrau), Verbrauchertäuschung wie „Bambusbecher“ und „Greenwashing“ (dunkelgrau), BPA in Papier (grün), Cyclo-di-Badge(blau), Chlorpropanole (gelb))

 

Zum Naheliegenden – das Jahr 2024

Beim Rückblick auf die Statistik des Jahres 2024 springen am rechten Bildrand zwei hohe Hügelketten ins Auge. Sie gehören zu den Themen „Greenwashing“ (dunkelgraue Hügelkette) und Sensorik (hellgraue Hügelkette).

Während uns die sensorische Untersuchung seit Jahren beschäftigt, ist das Thema „Greenwashing“ seit 2022 stark angestiegen und 2024 gefühlt durch die Decke gegangen. Daher wird die Fläche der „dunkelgrauen Hügelkette“ am rechten Bildrand im Vergleich zu den anderen viel größer.

 

Ursache des „Greenwashings“ ist der sogenannte Greendeal der EU, wonach die Nachhaltigkeit u. a. von Verpackungen gesteigert werden muss. Daneben steht auch der Wunsch der Verbraucher nachhaltiger zu leben. Das Ganze mündet in einer Werbeflut mit den Begriffen: Nachhaltigkeit, Recycling, Plastikfreiheit, Umweltfreundlichkeit und vielem mehr auf Verpackungen von Lebensmitteln und Konsumgütern.

 

Wir überprüfen diese Werbeaussage auf ihr Täuschungspotential und haben dazu mehrere Internet-Artikel verfasst. Der Aktuellste findet sich hier: Greenwashing bei Lebensmittelbedarfsgegenständen – ein Rückblick auf das Jahr 2024

 

Und die Sensorik? Von Gegenständen im Lebensmittelkontakt dürfen keine geschmacklich oder geruchlich auffälligen Stoffe übergehen. Detaillierte Ausführungen dazu sind in mehreren Artikeln nachzulesen. Beim Aktuellsten geht es um Trinkflaschen verschiedenster Art: Trinkflaschen im Test – keine erfreulichen Nachrichten

 

Die Bergkette im Hintergrund ist eine zumeist konstante Fläche, da die Zahl auffälliger Proben sich über die Jahre kaum ändert. Das Tal in der linken Bildhälfte stammt aus den Corona-Jahren, als weniger Proben bei uns auf den Untersuchungstisch gelangten und sensorische Untersuchungen mit der Maskenpflicht quasi unmöglich waren.

 

Ein Zeitsprung – Der Bambusbecher

Ein alter Hut? Ja! Aber wir hatten 2024 ein Jubiläum. Vor 10 Jahren wurde bei uns der erste Bambusbecher als „geeignet den Verbraucher zu täuschen“ beurteilt. Die als „Bambusbecher“ bezeichneten Becher bestanden nämlich überwiegend aus Melaminkunststoff mit Bambusspänen, statt aus Bambus. Ein weiteres Problem: die Bambusspäne verursachten auch eine verstärkte Migration von Formaldehyd und Melamin ins Lebensmittel. Beides bedenkliche Substanzen mit einem Grenzwert.

 

Inzwischen wurde Holz als Zusatz zu Kunststoffen gestrichen und kann nur noch mit Sonderzulassung genutzt werden. Für diese muss gezeigt werden, dass der spezifische Holzzusatz keine negativen Folgen hat. Man sieht also, ein langer Atem bewährt sich. Mehr zur Bambusbecher-Chronologie gibt es in folgendem Artikel: Bambus in Coffee-to-go Bechern – legal auf dem Markt?

 

Aus dem Abklingen der damaligen Auffälligkeit stammt der kleine Hügel am linken Bildrand der dunkelgrauen Hügelkette, welche unsere Proben widerspiegelt, die geeignet sind den Verbraucher zu täuschen.

 

Das Jahr 2017 und davor – Bisphenole und Cyclo-di-Badge

Bispenole und Cyclo-di-Badge sind in Lebensmitteln in Dosen zu finden. In bestimmten Lacken werden diese zur Beschichtung eingesetzt, damit keine Bestandteile des Dosenmetalls ins Lebensmittel übergehen. Auf diese Substanzen prüfen wir bereits seit 2014. In einem Bericht wurde die Problematik 2022 ausführlich beleuchtet: Jetzt geht's um die Dosenwurst! – Bisphenole und deren Derivate in Konserven – eine Zusammenfassung über 8 Jahre

 

Die fast wie ein See eingebettete blaue Fläche spiegelt die damals festgestellte Abnahme der Auffälligkeiten wieder. Heute finden wir nur noch selten die Substanz Cyclo-di-Badge in Lebensmitteln. Hier zeigt sich, dass auch ohne Bestehen eines Grenzwerts das Hinweisen auf eine Stoffproblematik lohnt.

 

Da inzwischen ein komplettes Bisphenol A-Verbot besteht (siehe Verordnung Nr. 2024/3190) ergeben sich neue Herausforderungen. Nur noch bis 2026 dürfen bisphenolhaltig beschichtete Gegenstände verkauft werden. Die Entwicklung der letzten Jahre findet sich in folgendem Bericht: Wie sehr sind Lebensmittel in Dosen mit Bisphenol A belastet? Ein kurzes Update

 

2019 – Chlorpropanole

Im Jahr 2021 wurden Kunststoffeinwegprodukte, wie Trinkhalme verboten. Damit war der Markt für mehr oder weniger kreative Alternativen offen: plastikfreie Trinkhalme …, die dann doch aus Plastik sind oder Trinkhalme aus Apfeltrester, Nudeln, Silikon, Glas, Edelstahl. Am weitesten verbreitet sind jedoch Papiertrinkhalme.

 

Wer während eines langen Films schon einmal einen Papiertrinkhalm im Getränk gelassen hat, weiß: Irgendwann verliert er seine Stabilität. Um diesen Effekt möglichst lange hinaus zu zögern, werden dem Papier Nassverfestiger zugesetzt. In Abhängigkeit von der Herstellungsart können 3-Monochlor-1,2-propandiol und 1,3-Dichlor-2-propandiol abgespalten werden, welche gesundheitlich bedenklich sind. Mehr dazu in unserem Artikel von 2020: Papiertrinkhalme – Die unbedenkliche Alternative zu Kunststoff?

 

Untersucht wurde diese Problematik seit 2019 und blieb seither auf beinahe gleichem Niveau. Daher stammt das gelbe „Kornfeld“ im Vordergrund. Im Jahr 2024 verschwindet dieses fast von der Bildfläche, da kaum noch auffällige Proben dabei waren. Wir sind gespannt, wie sich das Gemälde hier fortsetzt.

 

Das Jahr 2020 – nochmal Bisphenol A, aber in Papier

Wenig Substanzen aus unserem Fachgebiet sind in der Öffentlichkeit und unter Wissenschaftlern so heiß diskutiert worden, wie Bisphenol A. Dieser Stoff findet sich nicht nur in Dosenbeschichtungen, sondern auch in Gegenständen und Verpackungen aus Papier. Über Thermopapier wie z. B. Kassenbons gelangt BPA ins Altpapier. Dieses wird wiederum zur Herstellung von Lebensmittelverpackungen wie Pizzakartons, Faltschachteln, Obst- und Gemüseschalen oder anderen Materialien im Lebensmittelkontakt, wie Servietten oder Papierküchentücher genutzt. Papierproben werden bei uns seit Ende 2018 untersucht. In Abhängigkeit von der Produktgruppe, werden wir mehr oder weniger fündig. Vor allem Pizzakartons und Papierküchentücher zeigen Auffälligkeiten. Eine verstärke Untersuchung dieser Produkte führt somit auch zu einem kleinen „bewaldeten“ grünen Hügel mit Beginn des rechten Bilddrittels. Um Bisphenol A in Papier geht es neben anderen Themen in unserem Beitrag aus 2023: Serviette – eine Probe, viele Untersuchungsmöglichkeiten

 

Abschließende "Bildinterpretation"

Dieser etwas andere Blickwinkel über Berge und Täler zeigt, dass unsere Arbeit wirkt. Nach der Neuentwicklung einer analytisch-chemischen Methode für bestimmte Stoffe, können wir Produktgruppen wie Dosen, Papierverpackungen bzw. deren Inhalt näher beleuchten. Liegt ein Problem vor, steigt die Anzahl auffälliger Proben, die Fläche im Bild wird im Vergleich zu den anderen größer. Durch unsere Analysenergebnisse, die daraus folgenden Gutachten und den anschließenden Vollzug durch die Lebensmittelüberwachungsbehörden erfolgt häufig eine Umstellung bei den Herstellern. In der Folgezeit nehmen die Auffälligkeiten ab. Von Vorteil ist auch der Austausch mit Kollegen in anderen Bundesländern, die sich ähnlichen Untersuchungsschwerpunkten widmen.

 

Manchmal läuft es auch anders. Methoden zur Analytik potentiell riskanter Stoffe werden entwickelt, die dann aber kein Problem in den Lebensmittelkontaktmaterialien darstellen. Aber so soll es ja auch sein! Letztlich ist der Hersteller für sichere Produkte verantwortlich und die Lebensmittelüberwachung ist ausschließlich die Kontrolle für deren Kontrolle.

 

Und jetzt doch noch ein paar Zahlen und Daten

Zurück zur geläufigen Darstellungsform. Als Säulendiagramm und mit Zahlen und Daten versehen, sieht unsere Untersuchungsstatistik so aus:

 

Balkendiagramm: Auswahl auffälliger Proben 2017 bis 2024.

Auswahl auffälliger Proben 2017 bis 2024

 

Die hier gezeigten Parameter bilden einen Ausschnitt unserer Untersuchungen ab. Es handelt sich dabei aber um die Themen, die uns in den letzten Jahren am meisten beschäftigt haben.

 

Kristallkugel? – Ein Blick voraus

Das Thema „Greenwashing“ wird bleiben. Neue Herausforderungen könnten Stoffproblematiken von Recycling­kreisläufen und Kunststoff­alternativen sein. Themen wie PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) oder das Bisphenol A-Verbot werden uns in naher Zukunft beschäftigen. Wir malen also weiter an unserem Landschaftsbild. Und wer weiß, welche neuen Hügelketten dazu kommen.

 

Artikel erstmals erschienen am 22.05.2025