Jetzt geht’s um die Dosenwurst! – Bisphenole und deren Derivate in Konserven – eine Zusammenfassung über 8 Jahre

Dr. Roland Perz

 

Eigentlich sollen Innenlackierungen das Füllgut in Konservendosen schützen. Trotzdem handelt man sich bei so mancher Dose unerwünschte Stoffe ein, die von hier ins Lebensmittel wandern und mitverzehrt werden. Obwohl manche dieser Substanzen „alte Bekannte“ sind, weiß man nicht von allen, wie schädlich sie genau sind. Von 2014 bis 2021 wurden mehr als 400 Lebensmittel in Dosen untersucht, wobei je nach Produktgruppe nicht nur problematische Gehalte an Bisphenol A gefunden wurden, sondern auch an Cyclo-di-BADGE. Für diesen Stoff liegen bis heute keine genauen toxikologischen Daten vor.

 

Dosenlack – wozu und wie?

Eine luft- und gasdicht verschlossene Metalldose ist eine hervorragende Verpackung, um ein Lebensmittel darin für eine lange Lagerdauer ohne wesentliche Änderung der Qualität aufzubewahren. Um das Lebensmittel keimfrei zu machen, kann man es praktischerweise gleich nach dem Abfüllen durch Erhitzen sterilisieren (= Vollkonserve). Weil das auch recht preiswert geht, erfreuen sich Konservendosen einer großen Beliebtheit und Anwendungsbreite.

 

Abb. 1: Einzelne Beispiele für Konservendosen, die die Produktvielfalt erahnen lassen.

Abb. 1: Einzelne Beispiele für Konservendosen, die die Produktvielfalt erahnen lassen

 

Die meisten Dosen bestehen aus Weißblech, einer Zinn-haltigen Legierung. Damit sich Metall und Lebensmittel gegenseitig nicht negativ beeinflussen (einerseits Korrosion der Dose, andererseits Übergang von Schwermetallionen auf das Lebensmittel), wird eine dünne Lackschicht aufgebracht. Die muss mechanisch und bei Erhitzung stabil sowie inert (d. h. unreaktiv und chemisch beständig) sein. Weil sie die genannten Bedingungen erfüllen und obendrein billig in der Herstellung sind, kommen hier hauptsächlich so genannte Phenol- bzw. Epoxidharze zum Einsatz (s. Abb. 2).

 

Abb. 2: a) Herstellung von Bisphenol A-Diglycidylether (BADGE) zur Epoxidharzherstellung aus den Prämonomeren Bisphenol A (BPA) und Epichlorhydrin; b) Harzherstellung aus BADGE und BPA [1]

 

Kein Vorteil ohne Nachteil

Leider wird die Freude über die technologischen Vorteile manchmal getrübt durch Stoffe, die bei der Herstellung als Nebenprodukte anfallen und während der Lagerung der Konserve aus der Lackschicht in das Lebensmittel hinein wandern – hier spricht man von Migration.

 

Tab. 1: Spezifische Migrationshöchstwerte gemäß Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1895/2005 [1]
Stoff
CAS-Nr.
Summenformel
Strukturformel
Höchstwerte in µg/kg
BADGE
1675-54-3
C21H24O4
Grafik: Strukturformel von BADGE.
in Summe 9000
BADGE·H2O
76002-91-0
C21H26O5
Grafik: Strukturformel von BADGE-H2O.
BADGE·2H2O
5581-32-8
C21H28O6
Grafik: Strukturformel von BADGE-2H2O.
BADGE·HCl
13836-48-1
C21H25ClO4
Grafik: Strukturformel von BADGE_HCl.
in Summe 1000
BADGE·2HCl
4809-35-2
C21H26Cl2O4
Grafik: Strukturformel von BADGE-2HCl.
BADGE·H2O·HCl
227947-06-0
C21H27ClO5
Grafik: Strukturformel von BADGE-H2O-HCl.

 

Ein Blick auf Wurst und andere Lebensmittel wie Fisch, Kokosmilch und Eintöpfe in Dosen zeigt, dass man tatsächlich fündig wird und bekannte Ausgangsstoffe und Nebenprodukte der Phenolharze in den Lebensmitteln findet. Die meisten davon (s. Tab. 1) kennt man schon seit 15 bis 20 Jahren. Auf europäischer Ebene wurden bereits 2005 Grenzwerte festgesetzt (Verordnung (EG) Nr. 1895/2005, BADGE-VO [1]). Dennoch weiß man in einigen Fällen bis heute nicht, wie sich bestimmte Stoffe langfristig auf die Gesundheit auswirken. Zu diesen gehört das Cyclo-di-BADGE (CdB), das erstmalig in der Schweiz gefunden und 2011 näher beschrieben wurde (s. Abb. 3, [2]).

 

Abb. 3: Entstehung von Cyclo-di-BADGE aus Bisphenol A und BADGE.

Abb. 3: Entstehung von Cyclo-di-BADGE aus Bisphenol A und BADGE

 

Hier fehlen bis heute belastbare toxikologische Daten, d. h. Angaben darüber, wie giftig dieser Stoff wirklich ist. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber dafür noch keinen Grenzwert festgelegt. Damit der Verbraucher in solchen Fällen nicht zum „Beta-Tester“ wird, trägt nach der Rahmen-Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 [3] grundsätzlich der Hersteller die Verantwortung dafür, dass seine Lebensmittel sicher sind. D. h. auch beim Verpacken und Lagern von Lebensmitteln dürfen keine Stoffe übergehen, die geeignet sind, die Gesundheit des Verbrauchers zu gefährden oder eine unvertretbare Veränderung der Lebensmittel hervorzurufen.

 

Keine Grenzwerte – und nun?

Wenn aber der Hersteller den Nachweis nicht führen kann oder will, dass seine unbeabsichtigt ins Lebensmittel gelangten Stoffe harmlos sind, behilft man sich dadurch, dass die betreffenden Stoffe nach einem vereinfachten, aber sehr strengen System bewertet werden. Dies ist das TTC-Konzept [4] (s. Infokasten). Zusätzlich muss man noch berücksichtigen, wie viel von einem vorliegenden Lebensmittel im ungünstigsten Fall (d. h. unter so genannten „worst case“-Bedingungen) verzehrt wird. Hier zählen also nicht die durchschnittlichen Verzehrsdaten eines Produktes (z. B. bei Dosenfisch 3 g/Tag), sondern wie viel ein produkttreuer Liebhaber über einen langen Zeitraum verzehrt (z. B. eine Dose á 125 g pro Tag). Je nach Produktgruppe und ihren jeweiligen Verzehrsdaten ergeben sich unterschiedliche Grenzwerte – für CdB in Dosenfisch sind dies 720 µg/kg Fisch [5], für Kokosmilch, die insgesamt in kleineren Mengen verzehrt wird, 1260 µg/kg.

 

Infokasten

Threshold of toxicological concern (TTC) – Toxikologie für „Trockenschwimmer“

Wenn keine Daten aus Tier- oder Zellkultur-Versuchen vorliegen, kann die in-silico-Toxikologie weiterhelfen. Bei dem so genannten TTC-Konzept wird ein Grenzwert für einen Stoff unbekannter Toxizität (also noch nicht überprüfter gesundheitlicher Schadwirkung) anhand seiner chemischen Struktur abgeleitet. Das geschieht auf der Grundlage großer Datenbanken mit Stoffen, für die ausreichend Daten vorliegen. Daraus wird dann eine Struktur-Wirkungsbeziehung abgeleitet und auf andere Stoffe mit ähnlicher Struktur übertragen. Es erfolgt eine Einteilung in verschiedene Klassen, wobei CdB in der so genannten Cramer Klasse III eingeordnet wird (d. h. einer Klasse mit wahrscheinlich oder eindeutig toxischen Stoffen, die aber nicht krebserregend sind). Für diese Gruppe und damit auch für CdB gilt eine maximale Aufnahme von 90 µg/Person und Tag. Diese Aufnahmemenge ist unter Einbeziehung eines Sicherheitsfaktors so vorsichtig abgeschätzt, dass man davon ausgehen kann, dass eine lebenslange tägliche Aufnahme des betreffenden Stoffes in dieser Menge sehr wahrscheinlich zu keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt.

 

Seit 2014 untersuchen wir laufend Konserven wechselnder Produktgruppen, wobei wir mittels LC-MS/MS-Analyse auf das Vorhandensein von 18 verschiedenen Bisphenolen und deren Abkömmlinge prüfen. Insgesamt wurden bisher 422 Proben untersucht.

 

Ergebnisse – die gute Nachricht

Sehr wenig von diesen unliebsamen Stoffen findet sich durchschnittlich sowohl in Dosenobst (Ergebnisse von 2014 bis 2020) als auch in Dosengemüse (Ergebnisse von 2019 bis 2021): bis auf jeweils eine Probe gaben die gefundenen Gehalte (in 27 Proben Obst und 21 Proben Gemüse) zu keiner gesundheitlichen Sorge Anlass. Beruhigend ist auch, dass wir bei Pflanzenölen in Metallkanistern (18 Proben aus 2019), bei Kondensmilchprodukten (15 Proben, untersucht 2021) und bei Säuglings- und Anfangsnahrung (13 Proben, untersucht 2018) praktisch nichts gefunden haben. Remouladen und Mayonnaisen in beschichteten Tuben (15 Proben aus dem Zeitraum 2016 bis 2021) stellen nach unseren Erkenntnissen auch kein Problem dar. Hier fanden sich allenfalls Spuren im Bereich der Nachweisgrenze (< 5 µg/kg).

 

Senf als Bisphenol F-Quelle

Senf in Tuben stellt einen Spezialfall dar, weil hier in der Analyse mit Gehalten zwischen 425 µg/kg und 6200 µg/kg teilweise erkleckliche Mengen an Bisphenol F (BPF) auftraten (27 Proben aus den Jahren 2015 bis 2021, von denen zwei Drittel positiv waren, s. Abb. 4). Es gibt aber Hinweise, dass Bisphenol F natürlicherweise in Senf vorkommt bzw. bei der Senfherstellung entsteht (womit es eine so genannte Prozesskontaminante wäre). Sei es natürlicher Gehalt, sei es Prozesskontamination: die genauen toxikologischen Eigenschaften von Bisphenol F sind noch zu ergründen. Mit den Tuben-Innenbeschichtungen haben diese Gehalte aber nichts zu tun (siehe hierzu auch unseren Artikel „Bisphenol F in Senf – wie kommt der Bisphenol A-ähnliche Stoff in die Würze?“).

 

Abb. 4: Bisphenol F-Gehalte aller 27 untersuchter Senfproben.

Abb. 4: Bisphenol F-Gehalte aller 27 untersuchter Senfproben

 

Weitere Ergebnisse – die weniger gute Nachricht

Wer eine Dose Kokosmilch bzw. -creme öffnet, z. B. für die Zubereitung einer Piña Colada oder einer feurigen Thai-Suppe, kann belastete Ware erwischen. Neben BPA und BADGE·2H2O findet sich hauptsächlich CdB mit Gehalten bis 1100 µg/kg (15 von 33 positiven Proben aus dem Zeitraum 2016 bis 2021). Bei üblichen Verzehrsmengen ist das noch kein Problem, jedoch sollte man hier von regelmäßigem Vielverzehr besser absehen. Im Inland abgefüllte Dosen sind meist in Ordnung, hingegen war Importware aus Asien häufiger auffällig.

 

Noch weniger zufriedenstellend ist die Situation bei Dosenwurst/-fleisch, Dosenfisch und Eintöpfen. Weil diese Produkte in größeren Mengen verzehrt werden, ergeben sich für CdB entsprechend niedrigere abgeleitete Grenzwerte (z. B. Fisch 720 µg/kg, Fleisch- und Wurstprodukte 450 µg/kg, Eintöpfe und Fertiggerichte 225 µg/kg). Fisch- und Wurst-/Fleisch-Produkte untersuchen wir seit 2016, Eintöpfe und Fertiggerichte seit 2018. In diesen Produktgruppen führten die gefundenen CdB-Gehalte zur Beanstandung von rund einem Achtel bis zu einem Drittel aller Proben (bei Fisch 12 von 95 Proben (= 13 %), bei Fleisch und Wurst 21 von 109 Proben (= 19 %) und bei Eintöpfen/Fertiggerichten 16 von 49 Proben (= 33 %)).

 

Abb. 5: Diagramme.

Abb. 5: a) oben Probengehalte in µg/kg Lebensmittel an BADGE·2H2O und CdB geordnet nach ansteigendem CdB-Gehalt und b) unten dieselben Probenergebnisse in der chronologischen Reihenfolge ihrer Untersuchung
größere Ansicht

 

Wenn man den chronologischen Verlauf der Analysenergebnisse für Fleisch- und Wurstwaren (s. Abb. 5 b) betrachtet, fällt auf, dass die CdB-Problematik bis heute zwar nicht ganz abgestellt ist, aber deutlich seltener exorbitant hohe Werte vorkommen. Deutlich wird das auch, wenn man die Beanstandungsquote bis Ende 2017 mit der ab 2018 bis heute vergleicht: hier stehen rund 35 % (17 von 49 Proben) etwa 7 % (4 von 60 Proben) gegenüber – eine begrüßenswerte Tendenz. Nach aktuellem Stand der Technik kann also die unerwünschte Entstehung von CdB im Dosenlack zwar nicht ganz vermieden, wohl aber minimiert werden. Wie bei der Kokosmilch gilt auch hier, dass im Ausland abgefüllte Dosen häufiger auffällig waren.

 

Eine saubere Lösung des Problems wäre, bei diesen Lebensmittelgruppen auf alternative Beschichtungen umzusteigen (sofern man sich nicht ein anderes Problem damit einhandelt), oder die Toxikologie von CdB vollends aufzuklären. Beides ist Aufgabe der Industrie und kostet Geld.

 

Fazit

Viele Produktgruppen sind gar nicht oder nur gering belastet (Obst, Gemüse, Remouladen, Milchprodukte, Pflanzenöle). Kokosmilch, Fisch-, Fleisch- und Wurstprodukte sowie Eintöpfe und Fertiggerichte geben jedoch gelegentlich noch aufgrund zu hoher CdB-Gehalte Anlass zur Beanstandung. Solange Restbestände von älteren Dosen aufgebraucht werden oder im Ausland weiter Ware nach alten Standards produziert wird, ist das CdB-Problem unser Wegbegleiter. Allerdings ist ein abnehmender Trend zu verzeichnen, weil problematische Gehalte im Durchschnitt seltener vorkommen als noch vor 3 Jahren. Wir verfolgen dies weiter und werden zu gegebener Zeit wieder berichten.

 

Bildernachweis

Abb. 1, 3, 4 und 5: eigene Bilder; Abb. 2: Wikipedia

 

Quellen

[1] Verordnung (EG) Nr. 1895/2005 der Kommission vom 18. November 2005 über die Beschränkung der Verwendung bestimmter Epoxyderivate in Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (ABl. L 302/28)

[2] Brüschweiler, B. J. and Vedani, A. (2011) Toxicological profiling of cyclo-di-badge, an unwanted reaction product in epoxy resin. Toxicology Letters 205(S): 139–140

[3] VO (EG) 1935/2004: Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen und zur Aufhebung der Richtlinien 80/590/EWG und 89/109/EWG (ABl. L 338/4), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2019/1381 vom 20. Juni 2019 (ABl. L 231/1)

[4] Munro, I.C., Renwick, A.G., Danielewska-Nikiel, B. (2008) The Threshold of Toxicological Concern (TTC) in risk assessment. Toxicology Letters 180: 151–156

[5] Stellungnahme des BfR vom 15.04.2016, Epoxidharz-Beschichtungen von Konservendosen: Stoffübergänge in ölhaltige Lebensmittel sind möglich

 

Artikel erstmals erschienen am 28.02.2022