Irreführung: Vermeintlich ökologisches Geschirr aus Bambus besteht zu einem großen Teil aus synthetischem Kunststoff

Iris Eckstein, Magdalena Lubecki, Dr. Uwe Lauber

 

Foto: Bambus.In 2014 fielen Küchenutensilien und Tafelware auf, die damit beworben werden, dass sie im Wesentlichen aus Bambus und Maisstärke bestehen und damit besonders ökologisch und umweltfreundlich sind. Verschwiegen wird von den Produzenten jedoch, dass im Zuge der Herstellung Kunststoffe, wie z.B. Melamin und Polylactat verwendet werden. Bei drei von vier untersuchten Proben aus Melamin wurde der spezifische Migrationsgrenzwert für diese Substanz überschritten. Alle Produkte wurden u.a. aufgrund irreführender Bezeichnung als nicht verkehrsfähig beurteilt. Bestehende Regelungen zur Einfuhrkontrolle für Lebensmittelbedarfsgegenstände aus Melamin greifen nicht, da die Produkte vermutlich zollrechtlich nicht als Kunststoffküchenartikel aus Melamin angemeldet werden.

 

 

Bambus (Rio Tambopata, Peru)

 

Produktpalette: Teller, Schüsseln und Becher aus Bambus und Maisstärke

Bei diesen Produkten handelt es sich nach Aussagen in Werbeprospekten und auf Verpackungen beispielsweise um eine Mischung aus gemahlenem Bambus und Maismehl, die mit einem „Harz“ verbunden werden. Die Artikel werden in den unterschiedlichsten Ausformungen und Farben vielfältig am Markt angeboten. Durch ihre matte, oftmals nicht ganz glatte Oberfläche ist nicht erkennbar, dass sie unter Einsatz synthetischer Kunststoffe hergestellt werden. Dieser Eindruck wird durch entsprechende Werbeaussagen untermauert. Es wird der Anschein erweckt, dass die Gegenstände ausschließlich aus natürlichen Materialien (im Wesentlichen Bambus) hergestellt werden. Die Produkte werden europaweit von verschiedenen Anbietern online über das Internet vertrieben, aber auch im speziellen Einzelhandel (u.a. Weltläden) angeboten.

 

Untersuchungsergebnisse des CVUA Stuttgart

In den letzten zwei Jahren wurden insgesamt 13 Proben sogenanntes Bambusgeschirr von sechs verschiedenen Inverkehrbringern untersucht und beurteilt. Die aktuelle Untersuchungsreihe umfasste sechs Produkte von fünf verschiedenen Firmen. In 11 der 13 Proben wurde Melaminharz bestimmt, in zwei Proben wurde vermutlich Polymilchsäure (PLA) als strukturgebender Kunststoff zugesetzt. Damit enthalten sämtliche zur Untersuchung vorgelegten Produkte einen synthetischen Kunststoff.

 

Bambusgegenstände mit hohem Melaminanteil

In der Werbung verschiedenster Produkte unterschiedlicher Anbieter wird hervorgehoben, dass diese z.B. eine Alternative zu Melamin darstellen und zu 100 % natürlich sind. Der Anteil an Bambusfasern wurde jedoch bei den einzelnen Proben lediglich zu 20–37 % bestimmt. Diese Gegenstände enthalten somit einen hohen Anteil an Kunststoff, der bei vier von sechs Proben der aktuellen Serie als Melamin (siehe Infokasten) identifiziert wurde.

 

Infokasten

Was ist Melamin?

Melaminharze sind Polymere und bestehen aus den Grundbausteinen (Monomeren) Melamin und Formaldehyd. Melaminharze sind sehr hart und werden daher häufig für die Herstellung von Küchenutensilien wie Teller, Schüsseln, Becher oder Besteck verwendet. Die Problematik dieses Materials besteht darin, dass die bei der Produktion nicht vollständig umgesetzten Monomere Melamin und Formaldehyd in das Lebensmittel übergehen können. Das ist besonders problematisch bei Produkten für den Heißkontakt (Kaffeebecher, Suppenschüsseln, Pfannenwender). (Römpp, Chemie Lexikon)

 

Bezeichnung ist irreführend

Der Verbraucher wird nicht darüber informiert, dass diese Produkte zu einem Teil aus Kunststoff bestehen. Bei einem als „Alternative zu Melamin“ ausgelobten Produkt stellte sich heraus, dass eben dieses unter Zusatz von Melamin hergestellt wurde. Alle Produkte wurden daher als irreführend und somit als nicht verkehrsfähig beurteilt.

 

Freisetzung von Melamin aus Gegenständen mit diesem Kunststoff

Bei der Untersuchung der melaminhaltigen Proben auf eine evtl. Freisetzung von Melamin wurde der spezifische Migrationsgrenzwert (siehe Infokasten) überschritten. Die Gehalte lagen bei drei der vier Proben aus Melamin gesichert über dem festgelegten Grenzwert von 2,5 mg/kg.

 

Infokasten

Was ist ein spezifischer Migrationsgrenzwert?

Der spezifische Migrationsgrenzwert gibt die zulässige Höchstmenge eines Stoffes in Lebensmitteln an. Dieser Grenzwert soll sicherstellen, dass das Lebensmittelkontaktmaterial kein Gesundheitsrisiko birgt. Der Hersteller hat sicherzustellen, dass Materialien und Gegenstände, die noch nicht mit Lebensmitteln in Berührung sind, diese Höchstwerte einhalten, wenn sie mit Lebensmitteln unter den ungünstigsten vorhersehbaren Bedingungen in Berührung gebracht werden.

 

Weitere Utensilien aus Bambus bestehen zu einem Großteil aus Polylactat

Bei zwei von sechs Proben wurde zur Herstellung anstatt Melamin der Kunststoff Polylactat (PLA) verwendet. Hier betrug der Anteil an Bambus im Mittel 34 %.

 

Infokasten

Was ist Polylactat?

Polylactate (auch Polymilchsäure, engl. PLA (polylactic acid) genannt) sind Polyester auf Basis von Milchsäure. Polymilchsäure kann so hergestellt werden, dass sie biologisch abbaubar ist und wird unter anderem als resorbierbares chirurgisches Nahtmaterial eingesetzt. (Römpp, Chemie-Lexikon)

 

Foto.Bei beiden Produkten aus PLA zeigte sich nach der Migration (zwei Stunden, 70°C mit 3%ige Essigsäure), dass diese nicht zum Befüllen mit warmen und sauren Lebensmitteln, wie z.B. Kaffee, Früchtetee oder Früchtekompott, geeignet sind, da die Lebensmittelkontaktseite nach der Behandlung verändert war (siehe Foto) und eine Wechselwirkung mit dem Lebensmittel nicht ausgeschlossen werden kann. Seitens der Hersteller erfolgt in der Regel keine Verwendungsbeschränkung.

 

Beschaffenheit der Lebensmittelkontaktseite nach der Migration

 

Infokasten

Was ist eine Migration?

Mit Testmedien (Lebensmittelsimulanzien, wie z.B. 3%ige Essigsäure, 0,5%ige Zitronensäure, 10–50%iges Ethanol oder pflanzliches Öl) die das Lebensmittel nachahmen (saure, alkoholische oder fettige Lebensmittel) wird der normale Hausgebrauch in der Küche simuliert. Das Lebensmittelsimulanz ahmt durch sein Verhalten die Wanderung von Stoffen (Migration) aus Lebensmittelkontaktmaterialien nach. Geprüft wird z.B. 15 bis 120 min lang bei Temperaturen von 70–100°C, je nach Anwendungsbereich des Gegenstandes.

 

Biokunststoffe

Polylactate werden auch als sog. Biokunststoffe bezeichnet, da sie aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Zur Herstellung von PLA wird Mais zu Milchsäure fermentiert, anschließend einer Polymerisationsreaktion und einer Reinigung unterzogen. Jedoch sind die Begriffe Biokunststoff, Biopolymer und biobasiert bis heute nicht eindeutig definiert. Der Begriff Biokunststoff beinhaltet jedoch nicht, dass der Kunststoff auch biologisch abbaubar ist. Er kann biologisch abbaubar sein, muss es aber nicht.

 

Biologisch abbaubare Kunststoffe

Diese Kunststoffe müssen nicht zwingend aus nachwachsenden pflanzlichen oder tierischen Rohstoffen produziert werden. Biologisch abbaubare Kunststoffe können z.B. auch aus fossilen, nicht nachwachsenden Ressourcen, hergestellt werden.

 

Bei allen aktuell untersuchten Produkten wird insbesondere auf die Verwendung nachwachsender Rohstoffe (Bambus, Maisstärke oder z.B. Milchsäure, die aus der Fermentation von Mais gewonnen wird) sowie auf deren biologische Abbaubarkeit abgehoben.

 

Foto.Auch bei Polymilchsäure handelt es sich um synthetische Kunststoffe! Deren tatsächliche Abbaubarkeit hängt vom Herstellungsprozess ab. Die angegebene Zeitdauer von 12 bis 24 Monaten, in der das Produkt vollständig abgebaut sein soll, muss daher hinterfragt werden. Dies gilt insbesondere für die biologische Abbaubarkeit melaminhaltiger Produkte.

 

Kompostierbarer Müllbeutel

 

Produkte fallen unter die Kunststoffverordnung VO (EU) Nr. 10/2011

Foto.Bei den Produkten handelt es sich unserer Einschätzung nach um Erzeugnisse, die den Regelungen der europäischen Kunststoff-Verordnung unterliegen. Dies geht auch aus einzelnen uns vorliegenden Konformitätserklärungen hervor, im Rahmen derer die Produkte auch aus Sicht des Herstellers als Kunststoffprodukte eingestuft werden.

 

Nach unseren Erkenntnissen handelt es sich um ein Kunststoffmaterial, bei dem vermahlener Bambus und Maismehl als Füllstoffe eingesetzt werden.


Die Struktur der Produkte (Form & Festigkeit) wird durch den Kunststoff und nicht durch das Füllmaterial erzielt. Demzufolge sind für die Produkte unter anderem Konformitätserklärungen sowie die hierfür zugrunde liegenden, begleitenden Dokumente (u. a. Analysenzertifikate) vorzulegen.

 

 

Untersuchte Proben

 

Zusätzlich wird im Leitfaden zur Verordnung (EU) Nr. 10/2011 folgendes ausgeführt: „Unter die Kunststoffverordnung fallen biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe, sofern sie aus synthetischen Polymeren, chemisch veränderten natürlichen oder synthetischen Polymeren oder Polymeren hergestellt sind, die durch mikrobielle Fermentation gewonnen wurden.“ Somit fallen unseres Erachtens auch Produkte mit dem sogenannten Biokunststoff „Polylactat“ (PLA) unter die Kunststoffverordnung.

 

Einfuhr von Küchenartikeln aus Melamin rechtlich geregelt

Für Lebensmittelbedarfsgegenstände gilt seit dem 1. Juli 2011 die Verordnung (EU) Nr. 284/2011 u.a. mit besonderen Bedingungen und detaillierten Verfahren für die Einfuhr von Melamin-Kunststoffküchenartikeln, deren Ursprung oder Herkunft die Volksrepublik China bzw. die Sonderverwaltungsregion Hongkong, China, ist.

 

Einfuhr unter falscher Bezeichnung „Bambusartikel“

Die Herstellung der in Rede stehenden Produkte erfolgt nach unserer Kenntnis überwiegend in China. Die Erzeugnisse werden jedoch vermutlich nicht über den entsprechenden Zollcode für „Kunststoffküchenartikel“ in die EU eingeführt. Ferner erfolgen bisher offenbar keinerlei Hinweise auf die tatsächliche, stoffliche Zusammensetzung. Somit ist es für die Zollbehörden schwierig, der Vorführpflicht unterliegende Artikel als solche zu erkennen.

 

Fazit

Sämtliche Produkte wurden aus den nachfolgenden Gründen (in Abhängigkeit vom jeweiligen Produkt einzeln oder in Kombination) als nicht verkehrsfähig beurteilt:

  • Irreführende Bezeichnung und Werbeaussagen
  • Fehlende Konformitätserklärung/unvollständige Konformitätsarbeit
  • Bei vorhersehbarem Gebrauch, Übergang von Melamin auf das Lebensmittel oberhalb des Grenzwertes oder Materialabtrag

 

Die genannten Produkte werden überwiegend in speziellen Online-Shops und Einzelhandelsgeschäften angeboten, die u.a. mit umweltgerechten, gesundheitlich unbedenklichen sowie natürlichen und nachhaltigen Produkten werben. Einzelne Produkte werden ausdrücklich als Alternative zu Melamingeschirr dargestellt, obwohl sie selbst einen erheblichen Anteil Melaminharz enthalten. Hier liegt u. E. ein schwerwiegender Fall von Verbrauchertäuschung vor.

 

Bildernachweis

  • Bambus am Rio Tambopata, Peru (Johannes Tröhler, Leonberg)
  • Eigene Bilder (Untersuchte Proben, kompostierbarer Müllbeutel)

 

Literatur

 

Artikel erstmals erschienen am 10.11.2014