Algenöl zur Nahrungsergänzung – vegan, aber nichts für Cholesterinbewußte
Dr. Christiane Lerch
Öl aus der Mikroalge Schizochytrium species (Sch. sp.) hat sich einen festen Platz auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel mit Omega-3-Fettsäuren erobert. Charakterisierend für Algenöl ist der Gehalt an den langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und/oder Docosahexaensäure (DHA). Diese Fettsäuren machen Algenöl als veganen Ersatz für herkömmliche, aus Fischöl gewonnene Omega-3-Konzentrate attraktiv.
Algenöl – ein „neuartiges Lebensmittel“
Algenöl ist ein, in der Europäischen Union seit dem Jahr 2014 für den Zusatz zu verschiedenen Lebensmittelgruppen, einschließlich Nahrungsergänzungsmitteln, zugelassenes neuartiges Lebensmittel – ein sog. „Novel Food“ [1].
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Was ist ein „Novel Food“?
Neuartige Lebensmittel – „Novel Food“ – sind Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Da sie noch relativ neu bzw. noch gar nicht auf dem europäischen Markt sind, haben sie auch keine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel. Aufgrund ihrer exotischen Herkunft oder der Anwendung innovativer Herstellungsverfahren sowie ihrer speziellen Zusammensetzung werden diese Produkte vor ihrer Verwendung einem Zulassungsverfahren unterzogen, das eine Sicherheitsüberprüfung beinhaltet.
Für die wissenschaftliche Bewertung ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig. Die Zulassung erfolgt durch die Kommission [2]. Die Regelungen in der Verordnung über neuartige Lebensmittel (VO (EU) Nr. 2015/2283) dienen dem Schutz der Gesundheit des Menschen und ermöglichen gleichzeitig ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts.
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Algenöl – „Öl aus der Mikroalge Sch. sp.“
Zugelassene neuartige Lebensmittel, darunter auch Öl aus der Mikroalge Sch. sp., sind in der Durchführungsverordnung (DVO) 2017/2470 gelistet [3]. Die Verordnung gibt für Algenöl Mindestgehalte an DHA bzw. DHA plus EPA sowie Qualitätsparameter vor, regelt die Kennzeichnung und setzt Höchstmengen für den Zusatz von Algenöl zu bestimmten Lebensmittelgruppen fest.
Nahrungsergänzungsmittel mit Algenöl – unsere Untersuchungsergebnisse
Bisher wurden am CVUA Stuttgart 30 Proben „Nahrungsergänzungsmittel mit Algenöl aus der Mikroalge Sch. sp.“ untersucht. Neben Algenöl in flüssiger Dosierung und in verkapselter Form wird als Zutat auch mikroverkapseltes Algenölpulver mit einem Gehalt von 10 % DHA verwendet.
Bildquelle: CVUA Stuttgart
Als Kapselmaterial werden modifizierte Stärke, seltener Hydroxypropylmethylcellulose verwendet. Bei ca. der Hälfte der Proben war ein Pflanzenöl als Zutat im Zutatenverzeichnis aufgeführt (meistens Sonnenblumenöl). Da Pflanzenöle kein DHA und EPA enthalten, wird der Gehalt der Fettsäuren durch den Zusatz nicht erhöht. Der Zusatz dient lediglich der Standardisierung.
Bei lediglich acht Proben wurden keine Mängel festgestellt.
Gehalte an DHA und EPA
Die Überprüfung der Gehalte an DHA und EPA ergab bei allen 30 Proben keine Auffälligkeiten. Bei drei Proben handelt es sich um „DHA-reiches Öl“ (DHA-Gehalt 38, 41 und 51 % an den Gesamtfettsäuren (% GFS); der EPA-Gehalt war hier sehr gering (1.2, 1.5 und 1.3 g % GFS). Die übrigen „DHA- und EPA reichen Öle“ wiesen einen DHA-Gehalt von 22 bis 45 % GFS bzw. 13 bis 24 % GFS an EPA auf. Die Summe an DHA plus EPA betrug 35 bis 69 % GFS. Das Verhältnis von DHA/EPA variierte von 1,23 bis 2,6.
Fettsäure- und Sterinverteilung
Neben DHA bzw. einer Kombination von DHA/EPA ist Palmitinsäure die dominierende Fettsäure (Gehalt zwischen 10 und 25 g % GFS). Der Gehalt an der-Omega-3-Fettsäure Docosapentaensäure (DPA) betrug bei 20 der 29 untersuchten Proben unter 2 % GFS, der höchste Wert lag bei 11 % GFS. Sowohl die Fettsäure- als auch die Sterinverteilung ist sehr variabel. Es ist davon auszugehen, dass dies unterschiedlichen Bedingungen bei der Fermentation der Algen und dem mehrstufigen Gewinnungsverfahren des Algenöls geschuldet ist.
Cholesteringehalt
Dass Algenöl aus Sch. sp. Cholesterin enthält, ist bekannt [4]. Die Untersuchung von 27 Proben Algenöl aus Schizochytrium sp. bestätigte, dass beachtliche Mengen enthalten sind. Der Cholesteringehalt betrug zwischen 504 bis 4490 mg/kg Algenöl.
Im Vergleich mit – vom CVUA Stuttgart untersuchten – Proben Omega-3-Ölen aus Fischöl kann der Cholesteringehalt von Algenöl zwar deutlich geringer ausfallen, liegt aber bei zahlreichen Proben im Bereich der Erzeugnisse aus Fischöl (s. gestrichelten Bereich im Diagramm):
Nachweis von Fettsäure-Ethylestern
Von 26 geprüften Proben Algenöl wiesen fünf Proben deutliche Gehalte an Fettsäure-Ethylestern (FEE) auf. Vier Proben eines Abfüllers enthielten erhebliche Mengen (60, 52 und 54 g FEE pro kg Öl).
Alle natürlichen Speiseöle bestehen zu über 95 % aus Triglyceriden. Alle Triglyceride bestehen aus dem Alkohol Glycerin und verschiedenen Fettsäuren, die mit dem Glycerin chemisch verbunden (verestert) sind. Bei den auffälligen Proben besteht die Alkoholkomponente (zumindest zu einem erheblichen Teil) nicht aus Glycerin, sondern aus Ethanol. Die Fettsäuren liegen daher nicht als Triglycerid, sondern in der Form von FEE vor.
Die Herkunft der FEE konnte nicht abschließend geklärt werden. Von Unternehmerseite aus wurde argumentiert, dass bei der Fermentation der Mikroalgen zur Stimulierung der Fettsäureproduktion Ethanol zugesetzt wird, was eine (natürliche) Bildung von Fettsäureethylestern begünstigen könnte [5]. Andererseits ist eine Veresterung mit Ethanol fester Bestandteil der Anreicherungstechnologie von Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl zur Verwendung in Arzneimitteln [5]. Auch für die Gewinnung von Biodiesel und von Omega-3-Fettsäuren aus der Mikroalge Sch. sp. kann das Verfahren eingesetzt werden [6], [7].
Unseres Erachtens handelt es sich bei der Anreicherung von Fettsäuren über eine Umesterung mit Ethanol nicht um ein für Pflanzenöl übliches Verfahren.
In der Pflanzenölindustrie übliche Verfahren werden in den Leitsätzen für Speisefette und Speiseöle beschrieben. Die klassische Umesterung gemäß den Leitsätzen erlaubt lediglich, die Eigenschaften von Fetten und Ölen zu modifizieren, indem die Fettsäuren neu auf Glycerin verteilt werden. Unter Punkt 1.2.6 der Leitsätze heißt es:
„Umgeesterte Speisefette und Speiseöle sind raffinierte Speisefette und Speiseöle oder Mischungen, die unter Einwirkung von Katalysatoren/Enzymen hergestellt werden. Dabei wird durch die geänderte Anordnung der Fettsäuren in den Triglyceriden das Schmelzverhalten verändert“.
Die klassische Umesterung oder das Winterisieren gemäß den Leitsätzen erlaubt, die physikalischen Eigenschaften von Fetten und Ölen zu verändern. Sie ist im Gegensatz zu einer Aufkonzentrierung über Fettsäureethylester ein Verfahren, das die Bausteine der Fette prinzipiell unangetastet lässt, sodass die Fettsäureverteilung in der Regel nicht wesentlich verändert wird [8].
Peroxidzahl
Aufgrund der hohen Oxidationsempfindlichkeit des Öls wurden bereits mit der Zulassung als Novel Food Maßnahmen vorgesehen, die die Haltbarkeit gewährleisten sollen [9] Die sog. „Peroxidzahl“ (POZ), die als Kennzahl für die Beurteilung des Fettverderbs herangezogen werden kann, darf nach DVO 2017/2470 bei Algenöl den Wert von „fünf“ nicht überschreiten. Die POZ ist eine Kennzahl für den Gehalt an peroxidischen funktionellen Gruppen eines Fettes oder eines fetten Öls.
Fünf der 28 untersuchten Proben wurden aufgrund einer deutlichen Überschreitung dieses Wertes (bei Probeneingang) beanstandet. Zwei dieser Proben wiesen – bei einer POZ von über 100 – bereits eine deutliche Ranzigkeit auf. Acht Proben, die zum Zeitpunkt des Probeneingangs eine POZ unter fünf aufwiesen, wurden haushaltsüblich gelagert und die POZ bei Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) wiederholt bestimmt. Nur zwei Proben mit einer POZ von zunächst zwei bzw. drei wiesen bei Erreichen des MHD noch eine POZ nahe fünf auf. Alle anderen lagen z. T. sehr deutlich darüber (ca. 10 bis max. 67). Dies erlaubt die Schlussfolgerung, dass die Mindesthaltbarkeit bei Algenölen i. d. R. zu lang bemessen ist.
Gehalt an Antioxidationsmitteln
Zahlreiche Proben enthielten lt. Deklaration gleich drei Zusatzstoffe als Antioxidationsmittel: Stark tocopherolhaltige Extrakte (E 306) oder Alpha-Tocopherol (E 307), Extrakt aus Rosmarin (E 392) und Ascorbylpalmitat (E 304i).
Bei einigen Proben war der Zusatz von Antioxidantien jedoch nicht kenntlich gemacht: Bei der analytischen Prüfung stellte sich heraus, dass erhebliche Mengen an Tocopherolen und rosmarintypischen Inhaltsstoffen enthalten waren.
Ein Abfüller konnte belegen, dass der nachgewiesene Zusatz von antioxidativ wirkende Zusatzstoffen im Rohstoffzertifikat nicht deklariert war.
Gesundheitsbezogene Bewerbung von DHA und EPA
Rechtliche Regelungen
Für DHA und EPA dürfen gesundheitsbezogene Angaben, sog. „Claims“, verwendet werden, die erfolgreich das Zulassungsverfahren nach der sog. „Health-Claims-Verordnung“ (VO (EG) Nr. 1924/2006) durchlaufen haben. Unter bestimmten Bedingungen (Einhaltung von Mindestgehalten in der Tagesverzehrsmenge, Bereitstellung von bestimmten Verbraucherinformationen) darf mit diesen Wortlauten geworben werden [10]:
- DHA trägt zur Erhaltung einer normalen Gehirnfunktion/normaler Sehkraft bei.
Hinweis: Die positive Wirkung stellt sich ab einer Aufnahme von 250 mg täglich ein. - DHA bzw. DHA und EPA tragen zu einer normalen Herzfunktion bei.
Hinweis: Die positive Wirkung stellt sich ab einer Aufnahme von 250 mg täglich ein. - DHA bzw. DHA und EPA tragen zu Aufrechterhaltung eines normalen Triglyceridspiegels
im Blut bei.
Bedingung: Mindestzufuhr über das Nahrungsergänzungsmittel 2 g täglich.
Hinweis: Die tägliche Gesamtaufnahme von 5 g darf nicht überschritten werden. - DHA und EPA tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Blutdrucks bei.
Bedingung: Mindestzufuhr über das Nahrungsergänzungsmittel 3 g täglich.
Hinweis: Die tägliche Gesamtaufnahme von 5 g darf nicht überschritten werden.
Mit den vorgegebenen Formulierungen wird seitens des Gesetzgebers klargestellt, dass die Aufnahme von DHA und EPA lediglich einen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer normalen Funktion leisten kann. Leichte Umformulierung der Angaben sind nur erlaubt, wenn diese Bedeutung nicht verändert wird. Formulierungen, die auf eine Verbesserung, Steigerung oder Optimierung einer Funktion abzielen, sind nicht zulässig.
Eine Linderung oder gar eine Heilung eines krankhaften Zustandes ist per se nicht Zweckbestimmung von Lebensmitteln wie Nahrungsergänzungsmitteln und daher verboten.
Da Nahrungsergänzungsmittel zusätzlich zur normalen Ernährung verzehrt werden, darf dieser für ungesättigte Fettsäuren zugelassene Claim nicht verwendet werden:
- Der Ersatz gesättigter Fettsäuren durch einfach und/oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren in der Ernährung trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei.
Feststellungen
Bei der Prüfung der Produktwerbung (Etikettierung, Webshops, Social Media) wurden bei 11 Proben Verstöße gegen diese Regelungen der VO (EG) Nr. 1924/2006 festgestellt. Besonders kritisch werden die Fälle gesehen, bei denen eine positive Wirkung von DHA und EPA bzw. von Omega-3-Fettsäuren auf den Cholesterinspiegel im Blut behauptet wurde. Da es lt. EFSA hierfür keine wissenschaftliche Evidenz gibt, wurden entsprechende Angaben auch nicht zugelassen [11], [12].
Steckbrief der Mikroalge Schizochytrium sp.
Die ursprünglich in küstennahen marinen Lebensräumen (z. B. im Brackwasser von Mangrovenwäldern) beheimatete Mikroalge Schizochytrium sp. zählt zu den einzelligen Eukaryonten. Als „echte Alge“ besitzt Sch. sp. einen echten Zellkern – im Gegensatz zu „unechten Algen“ wie Spirulina und AFA (Aphanizomenon flos-aqua), die zu den zellkernlosen Cyanobakterien gehören. Die Zellen von Sch. sp sind rund und weisen einen Durchmesser von 10 bis 20 µm auf – sie sind also nur mit einem Blick durchs Mikroskop einzeln erkennbar. Da Sch. sp. kein Chlorophyll aber Carotinoide enthält, ist sie nicht grün, sondern bräunlich. Die Mikroalge gehört zu den heterotrophen Organismen, d. h. sie kann ihren Stoffwechsel ohne Licht betreiben und sich ausschließlich von organischem Material ernähren.
Die Gewinnung von mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus Sch. sp. ist wirtschaftlich attraktiv, da diese Alge über den notwendigen Biosynthesemechanismus verfügt und unter kontrollierten Bedingungen in einem Bioreaktor ganzjährig gezüchtet werden kann. Die Fermentationstechnologie wird ständig verbessert, um die Ausbeute an EPA und DHA zu erhöhen (durch sog. „metabolic engineering“). Im industriellen Maßstab wird Sch. sp. auch zur Produktion von Futtermitteln und Biokraftstoff eingesetzt [13], [14], [15].
Die Gewinnung von Öl aus der Mikroalge Schizochytrium sp.
Für die Zulassung als Novel Food wurde ein Dossier eingereicht, in dem die Bedingungen der Fermentation der Algen und des Gewinnungsverfahrens der Omega-3-Fettsäuren skizziert sind. Die Mikroalgen werden in einem heterotrophen Fermentationsprozess (d. h. ohne Licht) unter Zugabe von Nährstoffen in Reinkultur gezüchtet und aus dem Fermentationsmedium zurückgewonnen.
Die Ölgewinnung erfolgt direkt aus dem Fermentationsmedium oder die Algen werden zunächst getrocknet und dann nach Rekonstitution mit Wasser dem Ölgewinnungsprozess unterworfen. Nach dem Aufbrechen der Zellwände (durch z. B. Anwendung von Druck, Hitze, Ultraschall) erfolgt eine Zentrifugation, um das Öl von der wässrigen Phase zu trennen. Das Rohöl wird mittels in der Pflanzenölindustrie üblicher Verfahren zum Endprodukt raffiniert. Dem sehr oxidationsempfindlichen Öl werden zur Stabilisierung zugelassene Antioxidantien zugesetzt. In diesem Stadium kann der DHA- und EPA-Gehalt durch Zugabe von Pflanzenöl in Lebensmittelqualität standardisiert werden, z. B. mit Sonnenblumenöl [4], [9].
Ist die Herstellung von Algenöl nachhaltiger als die von omega-3-angereichertem Fischöl?
Für die Verwendung von Algenöl spricht, dass Fisch- und Krillbestände geschont werden. Die Herstellung ist aufgrund des Energieverbrauchs bei der Fermentation und der Ölgewinnung jedoch nicht grundsätzlich nachhaltiger als die Fischölproduktion [16].
Quellen
[2] Bundesinstitut für Risikobewertung: „Neuartige Lebensmittel (Novel Food)“
[5] Wikipedia – Omega-3-Säurenethylester
[8] Leitsätze für Speisefette und Speiseöle i. d. F. vom 14.03.2024
[10] VO (EU) Nr. 432/2012
[11] Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to eicosapentaenoic acid (EPA), docosahexaenoic acid (DHA), docosapentaenoic acid (DPA) – EFSA Journal 19.10.2010