Aufgeklärt: Das „Stockschwämmchen“ in Konserven und Tiefkühlwaren
Dr. Pat Schreiter, Ellen Scherbaum
Was hat das chinesische Stockschwämmchen, auch Nameko genannt, mit dem Stockschwämmchen zu tun? Wir klären auf.
Vielleicht haben Sie „Stockschwämmchen“ schon mal im Supermarkt gesehen oder gar gekauft, ob als reine Pilzart oder als ein Bestandteil von Mischpilzen in Konserven oder als Tiefkühlware. Falls Sie sich als Pilzsammler schon mal mit den giftigen Doppelgängern der wildwachsenden Speisepilze beschäftigt haben, wissen Sie vielleicht auch, dass das Stockschwämmchen wegen der extrem großen Verwechslungsgefahr besser nur von Kennern gesammelt werden soll.
So löste es neulich bei mir als Pilzsachverständige die Alarmstufe 1 aus, als mir eine Anfrage zur Untersuchung und Beurteilung über eine Pilzkonservenprobe „Stockschwämmchen – waldfrisch“ vorgelegt wurde. Mein erster Gedanke: Oh je, jetzt muss jedes einzelne vermeintliche Stockschwämmchen genau unter die Lupe genommen werden, denn eine Verwechselung der Stockschwämmchen mit seinem giftigen Doppelgänger kann Leben kosten. Meine erste Frage: Hat der Hersteller darauf geachtet? Schnell kam mir die zweite Frage: Handelt es sich bei der vorliegenden Probe tatsächlich um wildwachsende gesammelte Stockschwämmchen? Ein Blick auf die Zutatenliste verschaffte Klarheit und Entwarnung: In der Konserve soll nämlich nicht das Stockschwämmchen (Kuehneromyces mutabilis), sondern das chinesische bzw. japanische Stockschwämmchen (Pholiota nameko) vorliegen. Demzufolge haben die Pilze in der Konserve höchstwahrscheinlich noch nie einen Wald gesehen.
Also, Stockschwämmchen ist nicht gleich Stockschwämmchen. Im Folgenden klären wir die Unterschiede bei den vermeintlichen Stockschwämmchen auf.
Stockschwämmchen (echtes Stockschwämmchen, gemeines Stockschwämmchen)
Links: Stockschwämmchen (Kuehneromyces mutabilis); rechts: sein giftiger Doppelgänger Gifthäubling (Garlerina marginata). Eine Verwechslung kann Leben kosten, daher sollen Stockschwämmchen nur von Kennern gesammelt werden. (Fotos: Stockschwämmchen: Dr. Claudia Görke; Gifthäubling: Ingeborg Dittrich, beide vom Pilzverein Stuttgart)
Als Stockschwämmchen wird der Pilz Kuehneromyces mutabilis bezeichnet und von Mykologen und Pilzsammlern verstanden. Dieser Pilz lebt saprobiontisch auf Holz, d. h., er ernährt sich durch Zersetzung organischen Materials von toten Bäumen und kann daher gezüchtet werden. In Deutschland werden Pilzzuchtsets und -brut von Stockschwämmchen für Hobby-Pilzzüchter angeboten; als frische Speisepilze oder in Konserven im Handel sind sie bei uns noch unbekannt.
Das Stockschwämmchen ist ein sehr schmackhafter Pilz, hat aber einen sehr giftigen Doppelgänger: den Gifthäubling (Galerina marginata), der genau die gleichen Giftstoffe wie der grüne Knollenblätterpilz enthält. Eine Verwechslung kann tödlich enden. Stockschwämmchen und Gifthäubling sehen sich nicht nur ähnlich, sie können sogar auf demselben Baumstrumpf und nicht weit voneinander wachsen. Daher sollen Stockschwämmchen nur von Kennern gesammelt werden, und beim Sammeln muss jeder einzelne Pilz genau nach seinen Merkmalen bestimmt werden.
Chinesisches Stockschwämmchen (Nameko, Japanisches Stockschwämmchen)
Anbau von chinesischen Stockschwämmchen auf liegendem Birkenholz, die Fruchtkörper wachsen aus den Impfstellen. (Fotos: Nicola Krämer, www.shii-take.de)
Beim chinesischen Stockschwämmchen handelt es sich gemäß den Leitsätzen für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse (siehe auch Infobox) um Pholiota nameko. Im Handel wird dieser Pilz auch unter der Bezeichnung „Nameko“ oder „Japanisches Stockschwämmchen“ angeboten. Dieser Pilz lebt ebenfalls saprobiontisch auf Holz und wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Japan als Speisepilz für den Handel kultiviert. Das chinesische Stockschwämmchen wird vor allem in der asiatischen Küche verwendet und ist beliebt. Neben Pilzzuchtsets und -brut des chinesischen Stockschwämmchens für Hobby-Pilzzüchter findet man diesen Pilz in Deutschland im Handel meistens nur als Konserven in Gläsern, Dosen oder als Tiefkühlware.
Infokasten
Deutsches Lebensmittelbuch
Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission erarbeitet sogenannte Leitsätze für Produkte, die in Rechtsvorschriften nicht näher beschrieben sind. In den Leitsätzen ist die allgemeine Verkehrsauffassung für mehr als 2000 Lebensmittel niedergeschrieben. Sie bearbeiten Fragen wie „Wie hoch ist der Erdbeeranteil in einem Erdbeereis“ oder „Was ist ein Stockschwämmchen“ und sollen damit Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung bei Lebensmitteln bewahren und Transparenz und Klarheit im Verkehr mit Lebensmitteln sicherstellen.
Es gibt 23 Leitsätze u.a. zu folgenden Produktgruppen:
- Brot und Kleingebäck
- Fisch und Fischerzeugnisse
- Fleisch und Fleischerzeugnisse
- Fruchtsaft und Fruchtnektar
- Gemüseerzeugnisse
- Gemüsesaft und Gemüsenektar
- Kartoffelerzeugnisse
- Obsterzeugnisse
- Speiseeis
- Speisefette und Speiseöle
- Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse
Nähere Auskunft gibt eine Broschüre des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (aufgerufen am 21.10.2024)
Fazit
Das (echte) Stockschwämmchen und das chinesische Stockschwämmchen sind genetisch nicht verwandt und haben geschmacklich nichts miteinander zu tun. Die im Handel angebotenen „Stockschwämmchen“ sind meistens keine „echten Stockschwämmchen“, sondern kultivierte „chinesische Stockschwämmchen“. Gemäß den Leitsätzen für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse sind für diese Pilzart die Bezeichnungen „Chinesisches Stockschwämmchen“ oder „Nameko“ üblich. Wie im vorliegenden Fall steht auf der Vorderseite der Produkte meistens lediglich „Stockschwämmchen“ und die korrekte Bezeichnung „chinesische Stockschwämmchen“ findet man erst in der Zutatenliste. Das wildwachsende echte Stockschwämmchen soll nur von Kennern gesammelt werden.