5 Jahre EU-Acrylamid-Verordnung – Alles gut?

Dr. Carmen Breitling-Utzmann

 

In der EU-Acrylamid-Verordnung sind Minimierungsmaßnahmen und Richtwerte festgelegt, die den Gehalt des gesundheitlich bedenklichen Prozesskontaminanten Acrylamid in Lebensmitteln soweit wie möglich verringern sollen. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung im Jahr 2018 hat das CVUA Stuttgart den Acrylamid-Gehalt in mehr als 2000 Lebensmitteln untersucht. Die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelten Lebensmittelgruppen halten die vorgegebenen Richtwerte in der Regel gut ein. Jedoch finden sich zum Teil sehr hohe Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln, für die bislang noch kein Richtwert festgelegt wurde, wie zum Beispiel in Süßkartoffelpommes, Gemüsechips oder Oliven.

 

Acrylamid – Richtwerte und Minimierungsmaßnahmen

Der herstellungsbedingte Kontaminant Acrylamid bildet sich, wenn die in Lebensmitteln natürlich vorkommende freie Aminosäure Asparagin mit reduzierenden Zuckern wie Glucose oder Fructose bei Temperaturen über 120 °C und geringem Wassergehalt reagiert. Diese Bedingungen herrschen zum Beispiel beim Backen, Frittieren oder Rösten von Lebensmitteln vor. Acrylamid steht im Verdacht, das Erbgut zu verändern und das Krebsrisiko zu erhöhen.
Im April 2018 trat die VO (EU) 2017/2158 (EU-Acrylamid-VO, siehe Infokasten) in Kraft [1]. In dieser rechtlich verbindlichen Regelung wurden für bestimmte Lebensmittel wie zum Beispiel Pommes frites, Brot, Cornflakes, Lebkuchen und Kaffee Minimierungsmaßnahmen und Acrylamid-Richtwerte festgelegt. Lebensmittelunternehmer werden nach der EU-Acrylamid-VO dazu verpflichtet, konkrete Minimierungsmaßnahmen anzuwenden, um „die niedrigsten nach vernünftigen Ermessen erreichbaren Acrylamid-Gehalte unterhalb der in Anhang IV aufgeführten Richtwerte zu erreichen“.

 

Acrylamid-Richtwerte sind sogenannte Leistungsindikatoren (benchmark levels), die anzeigen, ob die bei der Herstellung des Lebensmittels angewandten Minimierungsmaßnahmen wirksam waren. Bei Überschreitung des Richtwertes muss ein Lebensmittel nicht vom Markt genommen werden. Vielmehr ist der verantwortliche Hersteller angehalten zu überprüfen, in welcher Form die Minimierungsmaßnahmen gegebenenfalls nachgesteuert werden müssen.

 

Die Höhe der einzelnen Richtwerte ist technologisch begründet. Letztlich ist für die Höhe der Richtwerte entscheidend, auf welches Niveau der Acrylamid-Gehalt einer Produktgruppe wie z. B. Pommes frites mit einem vertretbaren technologischen Aufwand gesenkt werden kann, ohne dass die charakteristischen organoleptischen Eigenschaften wie der Geschmack, das Aussehen oder die Textur des Lebensmittels entscheidend verändert werden. Da Lebensmittel je nach Rezeptur und Herstellungsweise unterschiedlich anfällig für die Bildung von Acrylamid sind, unterscheiden sich somit auch die Richtwerte.

 

Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln in Baden-Württemberg

Das CVUA Stuttgart hat in den Jahren 2018 bis 2023 insgesamt 2426 Lebensmittelproben unterschiedlichster Art auf den herstellungsbedingten Kontaminant Acrylamid untersucht. Dabei wurden sowohl Lebensmittelgruppen analysiert, für die es Richtwerte in der EU-Acrylamid-Verordnung gibt, wie zum Beispiel Brot, Pommes frites, Kaffee, Lebkuchen, Chips und Kekse, als auch Lebensmittel, für die bislang noch keine Acrylamid-Richtwerte festgelegt wurden.

 

Werden die Richtwerte aus der EU-Acrylamid-Verordnung eingehalten?

In der folgenden Tabelle sind unsere Untersuchungsergebnisse zu Lebensmitteln aufgeführt, für die bereits Richtwerte in der EU-Acrylamid-Verordnung festgelegt sind.

 

Tabelle: Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Lebensmitteln, die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelt sind. Für die Auswertung wurden die Jahre 2018 bis 2023 herangezogen. Der Median gibt den mittleren Acrylamid-Gehalt in den Lebensmitteln wieder.
Lebensmittel
(Anzahl Proben)
min
max
Median
Richtwert
Überschreitungen
Anzahl [%]
[µg/kg]
Pommes frites (48)
< 10
2000
150
500
4 (8)
Kartoffelchips (63)
60
2430
217
750
8 (13)
Brot auf Weizenbasis (52)
< 10
119
22
50
7 (13)
Brot auf Roggenbasis (18)
< 10
120
22
100
1 (6)
Pumpernickel (16)
< 10
42
20
300
0 (0)
Knäckebrot (56)
< 10
600
130
350
4 (7)
Röstkaffee (77)
57
912
169
4001)
1 (1)
Instantkaffee (17)
315
910
532
8501)
1 (6)
Kaffeemittel (54)
63
1500
466
500 - 40001,2)
2 (4)
Lebkuchen (158)
< 10
4010
72
800
14 (9)
Kekse und Waffeln (161)
< 10
1130
61
350
4 (2)
Kräcker (20)
< 10
586
165
400
1 (5)
Cornflakes (17)
< 10
160
34
150
1 (6)
Gepuffte Frühstückscerealien (13)
34
626
201
300
2 (15)

1) Bei Kaffee und Kaffeeersatzprodukten bezieht sich der Richtwert auf die Kaffeebohnen bzw. das Kaffee(ersatz)pulver, bei allen anderen Lebensmitteln auf das verzehrfertige Produkt. Bei Kaffeemitteln (sogenannter Kaffeeersatz) ist der Richtwert abhängig vom Anteil gegebenenfalls enthaltener Zichorie, da diese besonders anfällig für die Acrylamid-Bildung ist.

 

Erfreulicherweise zeigt sich, dass die Richtwerte nur selten überschritten werden. Auch liegt der mittlere gemessene Acrylamid-Gehalt der einzelnen Erzeugnisgruppen in der Regel deutlich unterhalb der festgelegten Richtwerte, wie Abbildung 1 verdeutlicht.

 

Abb. 1: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Lebensmitteln, die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelt sind (grüne Balken, Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018 bis 2023) im Vergleich zu den entsprechenden Richtwerten aus der EU-Acrylamid-Verordnung (blaue Balken).

Abbildung 1: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Lebensmitteln, die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelt sind (grüne Balken, Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018 bis 2023) im Vergleich zu den entsprechenden Richtwerten aus der EU-Acrylamid-Verordnung (blaue Balken).

 

Dies zeigt, dass die seit 2002 entwickelten Minimierungsmaßnahmen greifen und vereinzelte Richtwertüberschreitungen eher die Ausnahme sind. In der Gruppe „Kartoffelchips“ wurden die höchsten Gehalte zum Beispiel in frittierten Kartoffelspiralen gefunden, wie sie häufig auf Volksfesten angeboten werden. Überschreitungen in der Produktgruppe Brot wurden nur in manchen Holzofenbroten festgestellt. Abbildung 2 gibt beispielhaft wieder, wie der mittlere Gehalt an Acrylamid in Kartoffelchips seit dem Jahr 2002 deutlich gesunken ist und nach dem Inkrafttreten der EU-Accrylamid-Verordnung noch weiter minimiert wurde.

 

Abb. 2: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Kartoffelchips, die in den Jahren 2002, 2010, 2018 und 2022 am CVUA Stuttgart untersucht wurden.

Abbildung 2: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Kartoffelchips, die in den Jahren 2002, 2010, 2018 und 2022 am CVUA Stuttgart untersucht wurden.

 

Wie sieht es in anderen Lebensmitteln aus?

Natürlich untersucht das CVUA Stuttgart nicht nur Lebensmittel auf Acrylamid, für die es Richtwerte gibt. Zum einen wird das EU-weite Monitoring weitergeführt, im Rahmen dessen weitere vorgeschlagene Matrices untersucht werden, für die es bislang noch keine Richtwerte gibt [2]. Zum anderen sollen unsere Untersuchungen dazu dienen, im Hinblick auf den vorbeugenden Verbraucherschutz die Produkte zu identifizieren, für die gegebenenfalls weitere Minimierungsmaßnahmen erforderlich sind. Dies ist zum Beispiel bei Pommes frites aus Süßkartoffeln oder bei Gemüsechips der Fall.

 

Abbildung 3 zeigt den Vergleich zwischen den mittleren Acrylamid-Gehalten in Pommes frites aus herkömmlichen Kartoffeln gegenüber Pommes frites aus Süßkartoffeln sowie den Vergleich zwischen Kartoffel- und Gemüsechips. Hierbei ist festzustellen, dass Pommes aus Süßkartoffeln sowie Gemüsechips aus einer Mischung von Süßkartoffeln, Pastinaken und Rote Beete deutlich anfälliger für die Bildung für Acrylamid sind, als Pommes frites und Chips aus herkömmlichen Kartoffeln. Bei Letzteren zeigen die über die Jahre entwickelten Minimierungsmaßnahmen eine deutliche Wirkung. Dagegen enthalten vor allem Gemüsechips oft noch sehr viel Acrylamid, in zwei Proben aus dem Jahr 2023 wurden sogar Acrylamid-Gehalte von 3500 µg/kg gemessen.

 

Abb. 3: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Pommes frites und Chips; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018 bis 2023.

Abbildung 3: Mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Pommes frites und Chips; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018 bis 2023.

 

Leider zeigte sich beim mittleren Acrylamid-Gehalt in Gemüsechips in den letzten Jahren keinerlei Verringerung, der Trend zeigt vielmehr kontinuierlich nach oben (siehe Abbildung 4).

 

Abb. 4: mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Gemüsechips aus einer Mischung von Süßkartoffeln, Pastinaken und Roter Bete; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018, 2021 und 2023.

Abbildung 4: mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Gemüsechips aus einer Mischung von Süßkartoffeln, Pastinaken und Roter Bete; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2018, 2021 und 2023.

 

Wer die Acrylamid-Aufnahme aus Chips & Co. also verringern möchte, sollte lieber zu Produkten aus Linsen oder Kichererbsen greifen. Diese Erzeugnisse sind nach den Untersuchungen des CVUA Stuttgart deutlich weniger mit Acrylamid belastet als Kartoffel- oder Gemüsechips.

 

Doch nicht nur gebackene, geröstete oder frittierte Lebensmittel können hohe Gehalte an Acrylamid enthalten. Untersuchungen, unter anderem des CVUA Stuttgart, haben gezeigt, dass sogenannte geschwärzte Oliven, die ihre dunkle Farbe nicht durch natürliche Reifung am Olivenbaum, sondern durch einen absichtlich herbeigeführten Oxidationsprozess erhalten, zum Teil erhebliche Acrylamid-Gehalte aufweisen können [3]. Diese Ergebnisse wurden auch im Rahmen eines bundesweiten Monitorings im Jahr 2021 bestätigt (siehe Abbildung 5).

 

Abb. 5: mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg geschwärzten, schwarzen und grünen Oliven; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2019 bis 2023 (grüne Balken) und aus dem bundesweiten Monitoring 2021 (blaue Balken) [4].

Abbildung 5: mittlere Acrylamid-Gehalte in µg/kg geschwärzten, schwarzen und grünen Oliven; Ergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2019 bis 2023 (grüne Balken) und aus dem bundesweiten Monitoring 2021 (blaue Balken) [4].

 

Wie geht es mit den Acrylamid-Richtwerten weiter?

Die EU-Acrylamid-Verordnung sieht vor, dass die im Anhang der Verordnung aufgeführten Acrylamid-Richtwerte alle drei Jahre von der EU-Kommission überprüft werden. 2021 wurde ein dreiteiliger Überarbeitungsprozess gestartet zur Überprüfung und möglichen Absenkung bestehender Richtwerte, Festlegung neuer Richtwerte und Festlegung von Grenzwerten für Lebensmittel. Sobald Acrylamid-Grenzwerte in Kraft treten, müssten bei gesicherter Überschreitung die betroffenen Lebensmittel vom Markt genommen werden. Dies ist aktuell bei Überschreitungen der Richtwerte nicht der Fall.

 

Nach aktuellem Stand ist der Überarbeitungsprozess noch nicht abgeschlossen.

 

Fazit

In Lebensmitteln, die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelt sind, wie zum Beispiel Pommes frites, Kaffee oder Kekse, werden die Acrylamid-Gehalte in der Regel durch geeignete Minimierungsmaßnahmen kontrolliert und es kommt nur selten zu Überschreitungen des Richtwerts. Daher sollten unseres Erachtens für alle Lebensmittel mit Potential zur Acrylamid-Bildung, wie zum Beispiel Gemüsechips oder geschwärzte Oliven, ebenfalls Richtwerte und Minimierungsmaßnahmen festgelegt werden. 

 

Infokasten

Acrylamid – Von der Entdeckung bis zur EU-Acrylamid-Verordnung

Im Jahr 2002 berichteten schwedische Wissenschaftler erstmals über den Nachweis von Acrylamid in Lebensmitteln. Weitergehende Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Acrylamid vor allem in stärkehaltigen Lebensmitteln bildet, die trocken erhitzt werden, also zum Beispiel beim Backen, Rösten und Frittieren von Lebensmitteln.

 

Acrylamid erhöht im Tierversuch die Wahrscheinlichkeit für Erbgutveränderungen und das Auftreten von Tumoren. Epidemiologische Untersuchungen haben bislang noch keinen direkten Zusammenhang zwischen Acrylamid in unserer Nahrung und dem Auftreten verschiedener Krebsarten nachweisen können. Allerdings ist nach toxikologischen Berechnungen der Abstand zwischen der Aufnahme durch die Ernährung und einer im Tierversuch als gesundheitsschädlich festgestellten Acrylamid-Dosis zu gering, um ein Gesundheitsrisiko für den Menschen auszuschließen [5].

 

Solange das Risiko durch Acrylamid in Lebensmitteln nicht abschließend geklärt ist, gilt das "ALARA"-Prinzip (as low as reasonably achievable): Lebensmittel sollten so hergestellt werden, dass der Gehalt an Acrylamid so niedrig wie möglich ist.

 

Im Rahmen der Amtlichen Lebensmittelüberwachung wurden seit 2002 sehr viele Lebensmittel untersucht, um Daten über deren Acrylamid-Gehalte zu erhalten. Diese Daten wurden im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL gesammelt und daraus zunächst die sogenannten Signalwerte berechnet [6]. Der Signalwert stellte den Acrylamid-Gehalt dar, der von 90 % aller Proben einer bestimmten Lebensmittelgruppe unterschritten wird, zum Beispiel von Pommes frites. Bei Überschreitung des Signalwertes mussten Maßnahmen ergriffen werden, um den Acrylamid-Gehalt im Lebensmittel zu senken. Daraus haben sich über die Jahre zahlreiche Minimierungsmaßnahmen entwickelt.

 

Diese gesammelten Daten gingen darüber hinaus auch in ein Monitoring-Programm der EU zu bestimmten Lebensmitteln ein, die sich nach den ersten Untersuchungen als besonders anfällig für die Bildung von Acrylamid erwiesen haben. Dies sind zum Beispiel Pommes frites, Chips, Kaffee und Backwaren. Aufgrund dieser Daten wurden schließlich Acrylamid-Richtwerte festgelegt, die in der Verordnung (EU) 2017/2158 (EU-Acrylamid-Verordnung) gemeinsam mit entsprechenden Minimierungsmaßnahmen veröffentlicht wurden. Seit dem 11. April 2018 gelten damit EU-weit verbindliche Regelungen zur Absenkung des Acrylamid-Gehalts in Lebensmitteln [1].

 

Weiterführende Informationen zum Thema Acrylamid finden sie auch hier.

 

Bildernachweis

CVUA Stuttgart

 

Quellen

[1] Verordnung (EU) 2017/2158 zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln; Amtsblatt der Europäischen Union, L 304/24 vom 21.11.2017

[2] Empfehlung (EU) 2019/1888 der Kommission vom 7. November 2019 zur Überwachung des Acrylamidgehalts in bestimmten Lebensmitteln (2019/1888/EU)

[3] „Salzige Angelegenheit – Salz und Acrylamid in eingelegten Oliven“, Internet-Beitrag des CVUA Stuttgart vom 19.08.2021

[4] Bericht zur Lebensmittelsicherheit 2021 des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

[5] EFSA Panel on Contaminants in the Food Chain (CONTAM). Scientific Opinion on Acrylamide in Food. (2015) EFSA Journal 13(6): 4104–4424, doi:10.2903/j.efsa.2015.4104

[6] BVL “Gesundheitsrisiko Acrylamid

 

Artikel erstmals erschienen am 05.03.2024