Rachenfliegen- und Lausfliegenbefall beim Rehwild müssen gegenüber der Tollwut diagnostisch abgegrenzt werden

Verhaltensstörungen beim Reh: Oft sind Parasiten die Ursache für tollwutähnliche Symptome

Dr. Ingo Schwabe

 

Eine beim tollwütigen Rehwild häufig auftretende Verhaltensauffälligkeit ist das Anrennen gegen Bäume mit Abwetzen des Haarkleides und Ausbildung von Schürfstellen auf der Haut. Solche Wetz- und Schürfstellen sind dann auch bei verendet aufgefundenen Rehen ein möglicher Hinweis auf das eventuelle Vorliegen einer Tollwut. Am CVUA Stuttgart werden im Rahmen des Wildgesundheitsmonitoring häufig Tierkörper von Rehen mit Tollwutverdacht zur Untersuchung angeliefert, die Aufgrund einer Verhaltensanomalie mit Stoßen und Wetzen des Kopfes und der vorderen Körperpartien an Baumstämmen sowie Verlust der Scheu vor dem Menschen erlegt wurden. Ebenfalls häufig wird eine Tollwutabklärung bei verendet aufgefundenen Rehen mit Schürfwunden und stellenweise abgescheuertem Haarkleid angefordert. Deutschland gilt als tollwutfrei. Der letzte Fall von Tollwut in Baden-Württemberg war im Jahre 2005 aufgetreten. Bei der Untersuchung von Tierkörpern tollwutverdächtiger Rehe durch die Veterinärpathologen des CVUA Stuttgart wird nicht selten ein Befall mit Rachenfliegenlarven oder Hirschlausfliegen als Ursache des abnormen Verhaltens bzw. der Haarkleid- und Hautveränderungen festgestellt.

Foto vergrößern.Bei den Rachenfliegen des Rehwildes (Cephenemyia stimulator, seltenerPharyngomyia picta), welche auch als Rachenbremsen oder Rachendasselfliegen bezeichnet werden, handelt es sich um 12-15 mm lange hummelähnliche, flugfähige Insekten, die ihre Hauptaktivitätsphase in den Sommermonaten bis in den September hinein haben. Befruchtete Weibchen der Rachenfliege legen im Fluge Larven an den Nasenlöchern, den Lippen und den Augen von Rehen ab. Diese nur 1 mm großen Larven wandern selbständig oder durch Lecken des Wirtstieres in die Nasengänge und den Rachenraum ein. Hier verbleiben die Larven für neun bis zehn Monate, häuten sich zweimal und wachsen auf eine Größe von ca. 2,5 cm heran. Im Frühjahr bis Frühsommer werden die Larven dann von den Wirtstieren ausgenießt oder ausgehustet, verpuppen sich im Erdboden und verwandeln sich innerhalb von ca. 4 Wochen zum Erwachsenenstadium (Imago). Der Larvenbefall führt auf der Schleimhaut des Nasen-Rachen-Raumes zu entzündlichen Veränderungen, die häufig durch bakterielle Infektionen verkompliziert werden. Symptome wie Kopfschlagen, erschwerte Atmung, Husten und Niesen, Nasenausfluss und allgemeine körperliche Schwäche bis hin zum Tode können bei betroffenen Rehen ab dem Frühjahr zu Beobachten sein. Ein Massenbefall mit diesen Parasiten sind beim Rehwild keine Seltenheit. Nach Ausscheidung aller Larven verschwinden die Krankheitssymptome. Eine immer wieder auftretende Komplikation der Erkrankung stellt ein Aufsteigen der Entzündung im Nasenraum entlang der Lymphscheiden der Riechnerven (Nervi olfactorii) zu den Hirnhäuten dar. Die in der Folge entstehende Hirnhautentzündung führt zu zentralnervösen Symptomen, die ebenfalls einen Tollwutverdacht erwecken können. Rachenfliegenbefälle kommen auch bei anderen Hirscharten und beim Mufflon vor.

 

Foto: Hirschlausfliege. Bildquelle: Wikipedia; dieses Bild wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.Die Hirschlausfliege (Lipoptena cervi) ist ein 3-5 mm langes, dunkelbraunes Insekt, welches sich durch Blutsaugen auf Rehen und anderen Hirscharten ernährt. Mufflons, Steinböcke, Gemsen, Wildschweine, Dachse und Geflügel sind selten von einem Befall betroffen. In Ausnahmefällen werden auch Menschen kurzzeitig befallen, hier verweilen die Parasiten jedoch nicht länger. Junge Hirschlausfliegen sind beflügelt und können fliegend neue Wirtstiere erreichen. Die weiblichen Insekten werfen auf dem Wirt angekommen immer ihre Flügel ab, männliche Hirschlausfliegen tun dies nur selten. Flügellose Hirschlausfliegen können leicht mit Zecken verwechselt werden, sie verbeißen sich im Unterschied zu Zecken jedoch nicht Permanent in der Haut des Wirtes, sondern bewegen sich frei im Fell. Larven werden in das Haarkleid des befallenen Tieres abgelegt, verpuppen sich zu sogenannten „Tönnchenpuppen“, aus denen schließlich neue Erwachsenenstadien schlüpfen. Bevorzugter Sitz der Parasiten ist der Kopf, hier insbesondere der Ohrgrund, sowie der Hals. Der Stich einer Hirschlausfliege ist sehr schmerzhaft. Bei starkem Befall kommt es zu einer ausgeprägten Unruhe der Tiere sowie zu starkem Juckreiz mit ausgeprägtem Scheuern an Baumstämmen. Bei Massenbefällen setzt alsbald ein körperlicher Verfall mit auffälligen Haarkleidverlusten und sekundären Hautentzündungen ein. In diesem Stadium entsteht häufig der Eindruck eines vermeintlich tollwütigen Tieres.

Bildernachweis

Hirschlausfliege, wikipedia.de, dieses Bild wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

 

 

Artikel erstmals erschienen am 16.07.2008