Mineralölanalytik in Lippenpflegeprodukten – erste Ergebnisse des Forschungsprojekts MOSH/MOAH in Kosmetika

Sandra Weber und Dr. Gerd Mildau

 

Mineralölprodukte sind als Bestandteile in zahlreichen Kosmetika enthalten und stehen seit einiger Zeit in Verdacht, potentiell krebserregende aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen zu enthalten. Der Nachweis und die Gehaltsbestimmung dieser Stoffklasse in Kosmetika ist aufwendig und alles andere als trivial. Das CVUA Karlsruhe hat nun im Rahmen eines vom MLR geförderten Forschungsprojekts eine schnelle und selektive Screeningmethode basierend auf der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) entwickelt. Erste Ergebnisse aus der Untersuchung von Lippenpflegeprodukten unter Anwendung dieser Methode werden vorgestellt.

 

Warum werden Mineralöle in Kosmetika eingesetzt?

Mineralöle werden in Kosmetika seit vielen Jahren eingesetzt. In der Inhaltstoffliste eines Produkts sind sie an folgenden Begriffen zu erkennen: Cera Microcristallina, Ceresin, Mineral Oil, Ozokerite, Paraffinum Liquidum, Petrolatum und Vaseline.
Ihnen werden viele positive Eigenschaften zugeschrieben. So sorgen Mineralöle für ein pflegendes Gefühl auf der Haut und ihr allergenes Potential ist gering. Die Mineralölrohstoffe können in gleichbleibender Qualität produziert werden und sind lange haltbar. Sie können in vielen Kosmetika enthalten sein, wie beispielsweise in Lippenstiften, Cremes und Körperölen. Generell variiert der Anteil an Mineralöl in Kosmetika stark. Je nach Produkt können zwischen 1 % bis 99 % Mineralöl enthalten sein.

 

Wie sehen Mineralöle und –wachse chemisch gesehen aus?

Mineralöle und Wachse bestehen aus einer Vielzahl (oft hunderter) strukturell sehr ähnlicher Verbindungen (s. Abbildung 1). Sie werden grob in zwei Gruppen unterteilt, die gesättigten Mineralölkohlenwasserstoffe (MOSH) und die aromatischen Mineralölkohlenwasserstoffe (MOAH).

 

Die Abbildung zeigt chemische Strukturformeln für MOSH und MOAH.

Abbildung 1: Beispiele für mögliche chemische Strukturen von MOSH/MOAH in kosmetischen Mitteln. Der Index n steht für eine beliebige Anzahl an Methylengruppen (CH2-Gruppen).

 

Toxikologische Bewertung von Mineralölen

Mineralölhaltige Kosmetika stehen seitens der Medien immer wieder in der Kritik, potentiell krebserregende Stoffe zu enthalten (z. B. Stiftung Warentest, 2015; Verbraucherzentrale NRW, 2018). Hierbei wurde allerdings nicht ausreichend beachtet, dass es für Mineralölrohstoffe, die für Kosmetika bestimmt sind, eine Vielzahl an rechtlichen Regelungen gibt. Laut Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 (EU-Kosmetikverordnung) sind nur solche Rohstoffe auf Mineralölbasis zulässig, deren Raffinationsprozess vollständig bekannt ist und deren Ausgangsstoffe frei von kanzerogenen Verbindungen sind. Im Zuge der Raffinationsschritte wird der Anteil an unerwünschten aromatischen Verbindungen (MOAH) auf ein Minimum reduziert.

Von solchen hochraffinierten Mineralölbestandteilen europäischer Hersteller ist in kosmetischen Mitteln nach derzeitigem Kenntnisstand kein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher zu erwarten. Dies stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2018 fest (BfR, 2018).


Im Gegensatz zum gezielten Einsatz von Mineralölen bei der Herstellung von Kosmetika handelt es sich bei den seit einiger Zeit im Lebensmittelbereich nachgewiesenen Mineralölrückständen in den allermeisten Fällen um Kontaminationen z. B. durch Schmieröle oder Druckfarben. Die Herkunft dieser Öle ist oft nicht bekannt und aufwendig nachzuweisen. Die in Lebensmitteln nachgewiesenen Mineralöle sind minderer Qualität und haben mit den Rohstoffen in Kosmetika, außer dem Namen, nicht mehr viel gemeinsam.

 

 

Lippenkosmetika - eine Produktgruppe von besonderem Interesse

Lippenstifte, Gloss und Lippenbalsam werden auf die Lippen aufgetragen und im Laufe des Tages durch unterschiedliche Alltagssituationen von den Lippen in den Mund und anschließend in den Magen getragen. Das aufgebrachte Lippenprodukt wird nahezu vollständig oral aufgenommen, und zwar im statistischen Durchschnitt 0,057 g pro Tag (SCCS Notes of Guidance, 2016). Dies entspricht bei regelmäßiger täglicher Verwendung einer nicht unerheblichen Aufnahmemenge von etwa 100 g innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren. Lippenprodukte, die bei vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung im „worst case“ vollständig oral aufgenommen werden, spielten daher in Bezug auf die Ermittlung von Analysendaten für MOAH im Rahmen des Forschungsprojekts eine besondere Rolle und standen zunächst im Fokus. Ziel dieses Projekts ist es, analytische Methoden zu etablieren, um sicherzustellen, dass in Kosmetika eingesetzte Mineralöle die an sie gestellten Reinheitsanforderungen erfüllen.

 

Untersuchungstechniken für MOSH/MOAH – Analytische Aspekte

Sowohl bei MOSH als auch bei MOAH handelt es sich um einen Oberbegriff aus hunderten von Einzelbestandteilen, deren genaue Zusammensetzung nicht bekannt ist und sich von Mineralölrohstoff zu Mineralölrohstoff verändert. Des Weiteren bestand bis dato ein Mangel an Daten zum Gesamtgehalt dieser Bestandteile in Kosmetika. Daher fördert das MLR ein Projekt zur Entwicklung und Etablierung von Analysenmethoden für mineralölhaltige Kosmetika am CVUA Karlsruhe und parallel dazu ein Projekt zur Analytik von unerwünschten Mineralölkontaminationen in Lebensmitteln bzw. Lebensmittelkontaktmaterialien beim CVUA Stuttgart. Im Vergleich zu den MOSH/MOAH-Anteilen in kosmetischen Mitteln sind diese Verunreinigungen in deutlich niedrigeren Konzentrationen vorhanden (Abbildung 2).

 

Das Schaubild zeigt zwei Kuchendiagramm mit jeweils den Anteilen von MOSH bzw. MOAH. Bei Lebensmitteln und Lebensmittel-Kontaktmaterial liegt der MOAH Anteil bei etwa einem Sechstel, bei Kosmetischen Mitteln ist er verschwindend gering.

Abbildung 2: Schematische Darstellung für repräsentative Mengenverhältnisse MOSH und MOAH aus dem Bereich Lebensmittel/Bedarfsgegenstände (links) und kosmetische Mittel (rechts).

 

Als Standardmethode zur Analyse von MOSH und MOAH in Lebensmitteln hat sich die Kopplung von Liquid Chromatography (Flüssigchromatographie) mit Gaschromatographie und Flammenionisationsdetektion (LC-GC-FID) etabliert. Auch für Kosmetika wurde diese Technik bisher genutzt. Allerdings ist die Analytik wegen des o. g. hohen MOSH-Überschusses gegenüber MOAH (Abbildung 2) mit der Gefahr verbunden, erhöhte und ggf. auch falsch positive MOAH-Befunde zu ermitteln. Um dies zu vermeiden, ist ein zusätzlicher Aufarbeitungsschritt erforderlich, um eine Verschleppung von MOSH in den MOAH-Bereich zu verhindern. Daraus entstand unsere Überlegung, alternativ die NMR-Technik als selektive Screening-Analysenmethode für die LC-GC-FID einzusetzen.
Die aromatischen Ringstrukturen der MOAH Komponenten liefern im NMR Spektrum Signale, die als Summe deutlich von denen der MOSH Fraktion abgetrennt sind und damit zur Identifizierung und Quantifizierung der MOAH Fraktion herangezogen werden können. Allerdings müssen vor der eigentlichen Messung mittels NMR störende und oft in kosmetischen Mitteln enthaltene Bestandteile wie Lichtfilter und Stabilisatoren durch entsprechende Probenvorbereitung und Aufreinigung entfernt werden (s. Abb. 3) In einem Übersichtsartikel als Bestandteil unseres Projekts haben wir die bisherigen Analysenverfahren für MOSH/MOAH zusammengefasst (Weber et al., 2018).

 

1H-NMR-Spektren eines Lippenprodukts vor dem Cleanup (rotes Spektrum) und nach dem Cleanup (blaues Spektrum). Im blauen Spektrum fehlen Störsignale.

Abbildung 3: 1H-NMR-Spektren eines Lippenprodukts vor dem Cleanup (rotes Spektrum) und nach dem Cleanup (blau Spektrum).

 

Aufgrund der Vielfalt an strukturell ähnlichen Verbindungen ist eine Identifikation der im Mineralöl enthaltenen Einzelsubstanzen nicht möglich. Sowohl bei der LC-GC-FID-Technik als auch bei der NMR-Technik handelt es sich deshalb um Konventionsmethoden und die jeweils ermittelten Messwerte können sich unterscheiden. Beide Methoden haben Vorteile und Grenzen. Aufgrund der komplexen und unterschiedlichen Zusammensetzung der Mineralöle ist der wahre MOAH-Gehalt wahrscheinlich durch keine Methode ermittelbar. Es wird erhofft, dass die Kombination aus beiden Verfahren sich für die Untersuchung kosmetischer Mittel als zielführend erweisen wird. Details zum Messprinzip und dem Probencleanup wurden publiziert (Lachenmeier et al., 2017; Weber et al., 2019).

 

NMR-Messprinzip

Die H-Atome jeder Verbindung im Mineralöl liefern abhängig von ihrer elektronischen Umgebung Signale im 1H-NMR-Spektrum. Die H-Atome, welche sich am aromatischen Ring befinden (in Abbildung 4 rot) werden als MOAH-NMR erfasst und sind deutlich von MOSH-NMR (in Abbildung 4 blau) zu unterscheiden. Eine quantitative Auswertung ist daher möglich.

 

Abbildung der Strukturformel einer beispielhaften MOAH–Verbindung mit rot und blau markierten Wasserstoffatomen entsprechend ihrer Position am Molekülgerüst.

Abbildung 4: Beispiel für eine MOAH-Verbindung.

 

Nach guter Herstellungspraxis kann der MOAH-Gehalt (NMR) auf einen nicht mehr quantifizierbaren MOAH-Gehalt von <0,1 g / 100 g Probe reduziert werden.

 

Ergebnisse

In einem ersten Schritt wurden im Rahmen des Forschungsprojekts über 50 Mineralölrohstoffe unterschiedlicher Qualität untersucht. Mineralölrohstoffe, die als kosmetikrechtkonform gelten, aber auch Rohstoffe technischer Qualität, die den Reinheitsanforderungen nicht entsprechen. Anhand dieser Daten konnten wir entscheiden, welche Gehalte an MOAH in Kosmetika zu erwarten sind. In einem weiteren Schritt wurden über 57 Lippenkosmetika mittels 1H-qNMR auf deren MOAH-Gehalt hin untersucht.
Bei der Untersuchung wurden ausschließlich lipophile kosmetische Mittel mit geringem Wassergehalt betrachtet. Bei keinem der Produkte war Wasser (INCI: Aqua) in der Inhaltsstoffliste an vorderer Position aufgeführt. Um eine leichtere Unterteilung der Produkte in Lippenstifte, Lipglosse und Lippenpflegeprodukte zu ermöglichen, wurde diese anhand der Applikationsart bzw. Verpackung vorgenommen. Danach wurden die drei Kategorien „Applikator/Tube“, „Stift“ und „Tiegel“ etabliert. Da die Art der Applikation in Zusammenhang mit der Konsistenz eines Lippenproduktes steht, sind in der ersten Kategorie vor allem flüssige Lipgloss und Lippenstifte vertreten. Die zweite Kategorie beinhaltet überwiegend feste Lippenstifte und Lippenpflegestifte, während die Produkte der dritten Kategorie eine cremige und zum Teil gelartige Konsistenz aufweisen. Insgesamt wurden die MOAH-Gehalte von 19 flüssigen (Applikator/Tube), 28 festen (Stift) sowie 10 cremigen oder gelartigen (Tiegel) Produkten mittels 1H-qNMR nach SPE-Aufarbeitung quantifiziert. Die Ergebnisse aller 57 verschiedenen Lippenprodukte sind grafisch in Abbildung 5 dargestellt.

 

Darstellung der mittels NMR quantifizierten MOAH-Gehalte von 57 Lippenprodukten.

Abbildung 5: Darstellung der mittels NMR quantifizierten MOAH-Gehalte von 57 Lippenprodukten

 

Bei der Analyse der 57 Lippenkosmetika wurden für 63 % der untersuchten Lippenprodukte (36 Proben) Gehalte unterhalb der Bestimmungsgrenze von 0,1 g / 100 g Probe ermittelt. Auf Grundlage der zuvor gesammelten Rohstoffdaten wurde bei diesen Lippenprodukten Mineralölrohstoffe eingesetzt, die der guten Herstellungspraxis entsprechen. Es wurde für 30 % (17 Proben) der Proben MOAH-Gehalte zwischen 0,1 und 1 g / 100 g nachgewiesen. Für 4 Proben wurden besonders hohe MOAH-Werte von über einem 1 g / 100 g Probe ermittelt. Proben, für die erhöhte MOAH-Gehalte mit dem NMR-Screeningverfahren ermittelt wurden, werden im weiteren Verlauf des Projekts 2019 nochmals mittels LC-GC-FID-Methode untersucht, um vergleichend eine abschließende Beurteilung der Proben vornehmen zu können.

 

Basierend auf der 2018 durchgeführten Analysenserie konnte ein Zusammenhang zwischen den Produktgruppen flüssig, cremig und fester Stift sowie der Häufigkeit erhöhter MOAH-Gehalte nachgewiesen werden. Erhöhte MOAH-Werte wurden überwiegend bei flüssigen Lippenprodukten nachgewiesen. Dieser Hinweis wird im weiteren Verlauf des Projekts 2019 weiterverfolgt und abgesichert. Bei einem Großteil der Proben handelt es sich um Produkte „Made in China“, bei denen Mineralöl an einer der vorderen Positionen der Inhaltstoffliste deklariert ist.

 

Ausblick: In Kürze werden wir über den weiteren Verlauf des Projekts inklusive der vergleichenden Ergebnisse mittels LC-GC-FID berichten.

 

 

Literatur

Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) (2018): Hochraffinierte Mineralöle in Kosmetika: Gesundheitliche Risiken sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu erwarten: Aktualisierte Stellungnahme Nr. 008/2018 des BfR vom 19. Februar 2018.
Cosmetics Europe (2018): Recommendation N° 14 - Mineral hydrocarbons in cosmetic lip care products.
Lachenmeier, Dirk W.; Mildau, Gerd; Rullmann, Anke; Marx, Gerhard; Walch, Stephan G.; Hartwig, Andrea; Kuballa, Thomas (2017): Evaluation of mineral oil saturated hydrocarbons (MOSH) and mineral oil aromatic hydrocarbons (MOAH) in pure mineral hydrocarbon-based cosmetics and cosmetic raw materials using 1H NMR spectroscopy (6). In: F1000Research, S. 682.
Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS) (2016): Notes of guidance for the testing of cosmetic ingredients and their safety evaluation. 9th revision. Luxembourg: Publications Office (Scientific Committee on Consumer Products).
Stiftung Warentest (2015): Mineralöle in Kosmetika: Kritische Stoffe in Cremes, Lippenpflegeprodukten und Vaseline. 26.05.2015. Online verfügbar unter https://www.test.de/Mineraloele-in-Kosmetika-Kritische-Stoffe-in-Cremes-Lippenpflegeprodukten-und-Vaseline-4853357-0/.
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ NRW) (2018): MOSH und MOAH. Mineralöle in Kosmetika erkennen und vermeiden. In: Checked4you. 12.06.2018.
Weber, Sandra; Schmidt, Tamina; Schumacher, Paul; Kuballa, Thomas; Mildau, Gerd; Walch, Stephan G.; Hartwig, Andrea; Lachenmeier, Dirk W. (2019): Quantification of  mineral oil aromatic hydrocarbon (MOAH) in anhydrous cosmetics using 1H NMR. Hindawi Journal of Chemistry, volume 2019, Article ID 1680269.
Weber, Sandra; Schrag, Karola; Mildau, Gerd; Kuballa, Thomas; Walch, Stephan G.; Lachenmeier, Dirk W. (2018): Analytical Methods for the Determination of Mineral Oil Saturated Hydrocarbons (MOSH) and Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons (MOAH)-A Short Review (13). In: Analytical chemistry insights, 1177390118777757.

 

 

Artikel erstmals erschienen am 28.05.2019