Nail-Design - „wer schön sein will, muss leiden”
Diethild Herbolzheimer-Böttner, Dr. Bernhard Schuster (CVUA Freiburg)
Ausgelöst durch eine Verbraucherbeschwerde wegen einer starken Unverträglichkeit auf ein Nagelmodellageprodukt im Sommer letzten Jahres hat das CVUA Freiburg in einem Schwerpunktprojekt Ende 2013 gezielt Nagelmodellageprodukte auf die Zusammensetzung und die Kennzeichnung überprüft.
Insgesamt 11 von 29 Proben (37,9 %) von Flüssigkomponenten dieser Produkte enthielten stark sensibilisierendes Methylmethacrylat (MMA) in hohen Gehalten, sodass die Produkte als nicht sicher und somit als gesundheitsschädlich beurteilt wurden.
Die besondere Problematik von MMA besteht darin, dass es auch als Bestandteil von Zahnersatz oder künstlicher Skelettteile bzw. Knochenzement zum Einsatz kommen kann. Diese medizinischen Anwendungen stehen für die Patienten nicht mehr zur Verfügung, wenn eine Sensibilisierung durch MMA, etwa durch Nagelmodellage-Produkte erfolgt ist (siehe auch Stellungnahme des BfR, unten).
Woraus bestehen die gängigen Nagel-Modellageprodukte?
Zur Nagelmodellage werden professionell oder auch in persönlicher Anwendung Produkte mit verschiedenen Systemen angewandt:
- selbsthärtende Zweikomponenten-Systeme (Pulver-Flüssigkeitssysteme):
Für die Nagelmodellage werden Acrylat-Monomere wie z. B Ethylmethacrylat (EMA) oder Hydroxyethylmethacrylat (HEMA) verwendet, aus denen durch Polymerisation Kunstharze entstehen. Durch Acrylat-Monomere kann es in seltenen Fällen zur Kontaktdermatitis, sowie zu Haut-, Schleimhaut- und Augenreizung kommen. - lichthärtende Gel-Systeme:
Lichthärtende Systeme zeichnen sich durch eine bessere Hautverträglichkeit aus als Pulver-Flüssigkeitssysteme.
Bei dem Produkt, das als Verbraucherbeschwerde vorgelegt wurde, handelte es sich um die Flüssigkomponente eines selbst härtenden Zweikomponentensystems, das hohe Anteile an MMA enthielt. In den letzten Jahren tauchten mehrfach Warnmeldungen über MMA-haltige Nagelmodellagemittel im europäischen Schnellwarnsystem RAPEX auf. Die meisten dieser Meldungen gingen auf ein bayerisches Untersuchungsprogramm im Jahr 2012 zurück.
Aus diesem Grund wurde bei unseren Untersuchungen der Fokus auf die selbsthärtenden Zweikomponenten-Systeme gelegt, da der Verdacht bestand, dass es sich nicht um einen Einzelfall handeln könnte und noch immer MMA-haltige Produkte in Deutschland auf dem Markt sind.
Die Verwendung von MMA ist derzeit in Deutschland und der EU rechtlich nicht geregelt. In Kanada z.B. ist die Verwendung von Methylmethacrylat verboten.
Warum ist Methylmethacrylat gefährlich?
Methylmethacrylat wurde vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seiner Stellungnahme Nr. 014/2012 vom 22.12.2011 im Hinblick auf eine mögliche Gesundheitsschädigung bei der Verwendung in Nagelmodellagemitteln bewertet:
Das BfR kommt zu dem Schluss, dass hohe Konzentrationen von Methylmethacrylat in Mitteln zur Nagelmodellage während der Anwendung beim Aufbringen auf den Nagel die Gesundheit schädigen können. Es empfiehlt Herstellern von Produkten zur Nagelmodellage, Methylmethacrylat nicht in Pulver-Flüssigkeitssystemen einzusetzen.
Aus der Stellungnahme des BfR:
„Methylmethacrylat ist ein flüssiges, farbloses Monomer, das ein Grundbestandteil von hochmolekularen polymeren Kunstharzen ist, die auch in der Zahnheilkunde als Füllungsmaterialien und in der Medizin unter anderem als Knochenzement bei Implantaten eingesetzt werden. Von Methylmethacrylat als Monomer ist bekannt, dass es stark sensibilisierend wirkt und Kontaktallergien auslösen kann. Weiterhin kann der Stoff Nagelfalzentzündungen und Nagelablösungen verursachen, in deren Folge der Nagel unter Umständen auch nicht mehr nachwächst. Nach der Polymerisation tritt dieser Effekt nicht mehr auf, es können aber Restmengen von Monomeren vorhanden sein, die gesundheitsbeeinträchtigend wirken.
Methylmethacrylat hat ein hohes Sensibilisierungspotential. Entstehende Schäden am Nagel bzw. an der Hand persistieren über Jahre. Ist eine Sensibilisierung erfolgt, so kann eine Allergie auch auf Methylmethacrylat-haltigen Zahnersatz oder bei orthopädischen Eingriffen, bei denen künstliche Skelettteile oder Knochenzement zum Einsatz kommen, auftreten. Dies bedeutet eine Einschränkung therapeutischer Optionen.“
Eine Konzentration von über 50 % wurde vom CVUA Freiburg als „hohe" Konzentration angesehen. Das BfR bewertet auf Grund einer Anfrage gezielt Konzentrationen von 80 bis 90 %, beurteilt aber generell das hohe Sensibilisierungspotenzial des Stoffes bei hohen Konzentrationen von Methylmethacrylat.
Unsere Untersuchungsergebnisse im Einzelnen:
Zur Untersuchung gelangten insgesamt 51 Proben, davon wurden 6 als Nachproben zu Beanstandungen erhoben. Die Proben bestanden aus 22 Pulvererzeugnissen und 29 Flüssigkomponenten.
Die Pulver enthalten Acryl-Polymere und einen Aktivator (i.d.R. Dibenzoylperoxid). Diese Proben wurden ausschließlich hinsichtlich der Kennzeichnung überprüft (siehe auch Tabelle).
Die Flüssigkomponenten wurden auf die Monomere EMA und MMA untersucht.
Insgesamt 11 der 29 flüssigen Proben (37,9 %) enthielten Methylmethacrylat (MMA) in hohen Gehalten, sodass die Produkte als nicht sicher und somit als gesundheitsschädlich beurteilt wurden.
Bei mehreren Erzeugnissen war EMA deklariert; sie enthielten aber MMA, was zusätzlich als Irreführung beurteilt wurde.
Zahlreiche Proben mussten im Hinblick auf die fehlenden Angaben von Warnhinweisen in deutscher Sprache (nur in Englisch oder unvollständig und nicht gemäß den Vorgaben) beanstandet werden. Es fehlten auch vorgeschriebene Kennzeichnungselemente wie Angaben zur Haltbarkeit, zur Zusammensetzung oder zur verantwortlichen Person.
Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst:
Die ausgesprochenen Beanstandungen (auch Mehrfachbeanstandungen) verteilten sich wie folgt:
Als Alternative zu den untersuchten Zwei-Komponenten-Systemen zur Nagelmodellage werden professionell auch unter UV-Licht aushärtende Acrylgele verwendet. Diese Acrylgele enthalten kein oder nur sehr wenig Methylmethacrylat (was auch unsere Untersuchungen bestätigen). Daher wird laut BfR bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine Gefährdung für den Verbraucher bei der Verwendung lichthärtender Gele gesehen.
Herkunft der Produkte: häufig nicht nachvollziehbar
Ermittlungen der Lebensmittelüberwachungsbehörden ergaben, dass häufig die Herkunft der Produkte nicht mehr zu ermitteln ist. Dies liegt an den mangelhaften Aufzeichnungen vieler Studiobetreiber. Oft werden die Produkte direkt über das Internet aus den USA bezogen. Derartige Produkte entsprechen sowohl bezüglich der Kennzeichnung als auch teilweise der Zusammensetzung nicht unseren Rechtsvorschriften.
Ein anderer Bezugsweg ist über Importeure in die EU (i.d.R. Nagelstudios). Produkte, die über diesen Weg bezogen wurden, sind ebenfalls häufig mangelhaft gekennzeichnet und enthielten teilweise verbotenes MMA. Einige Importeure kamen auch hier nicht ihren kosmetikrechtlichen Pflichten nach. Der Importeur ist für die von ihm in die EU eingeführten Produkte die verantwortliche Person. Es liegt in der Verantwortung des Importeurs, dass die eingeführten Produkte den europäischen Kosmetikbestimmungen entsprechen.
Eine Verpflichtung der verantwortlichen Person ist u.a. auch, dass die Produkte vor dem Inverkehrbringen bei der EU-Kommission über das CPNP-Portal (Cosmetic Products Notification Portal) notifiziert werden müssen. Wie unsere Überprüfung ergab, haben in diesem Portal jedoch die wenigsten Importeure diese Produkte notifiziert.
Was kann der Verbraucher tun?
Hinweise für Nagelstudios:
Diese Kennzeichnung z.B. ist nicht korrekt und vergleichbare Produkte sollten zurückgewiesen werden.
Hier ist z. B. nicht nur die Kennzeichnung lediglich in englischer Sprache, sondern zudem MMA als Inhaltsstoff angegeben.
Weitere Informationen
RAPEX - Search notifications (engl.)
BVL: Informationen für Kosmetikunternehmen
Bildnachweis
Robert Babiak jun., www.pixelio.de, Image-ID: 223507 (kleine Kunstwerke)
CVUA Freiburg (Kennzeichnung)