Stückchen vom Hühnchen!
Dr. Dagmar Otto-Kuhn (CVUA Stuttgart), Kerstin Wahl (CVUA Freiburg)
Geflügelfleisch ist zart, proteinreich, fettarm und daher bestens zur Ergänzung einer Mahlzeit mit Gemüse und Reis oder Nudeln geeignet. Wer keine Zeit oder Lust zum Kochen hat, greift auf Fertiggerichte wie Konserven oder Menüschalen zurück. Aber was für Geflügelfleisch genau befindet sich denn da eigentlich in der Soße oder Suppe?
Vielfältige Fertiggerichte mit Geflügelfleisch
Das CVUA Freiburg, Zentrallabor für Convenience Food-Produkte, und das CVUA Stuttgart, zuständig für die Lebensmittelhistologie, untersuchten gemeinsam 19 Fertiggerichte mit Hühnerfleisch. Untersucht wurden Vollkonserven mit Eintöpfen und Suppen sowie Menüschalen oder Bowls. Besonders die Überprüfung der Kennzeichnung ist wichtig. Passen die Kennzeichnungsangaben zum Inhalt?
Die Bezeichnung des Lebensmittels: Kompaktinformation für den Einkauf
Bei verpackt angebotenen Lebensmitteln ist die Bezeichnung des Lebensmittels ein zentrales Kennzeichnungselement und oft – neben schönen Bildern – entscheidend für den Kauf oder Nichtkauf. Als Bezeichnung des Lebensmittels muss die rechtlich vorgeschriebene, die verkehrsübliche oder eine beschreibende Bezeichnung angegeben werden. Für Fertiggerichte mit Hühnerfleisch gibt es in der Regel keine rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen. Gegebenenfalls gibt es verkehrsübliche Bezeichnungen, jedoch nur für einzelne Komponenten. Zur korrekten Kennzeichnung der vielfältig zusammengesetzten Eintöpfe, Menüs oder Bowls ist eine beschreibende Bezeichnung daher unverzichtbar.

Abb. 1: Fertiggerichte mit Geflügelfleisch: eine schnelle, nahrhafte Mahlzeit
Infokasten
Die Bezeichnung des Lebensmittels
Die Bezeichnung des Lebensmittels ist nach der EU-weit einheitlich geltenden Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) für vorverpackte Lebensmittel verpflichtend vorgeschrieben. Sofern eine Bezeichnung rechtlich vorgeschrieben ist, muss diese verwendet werden (zum Beispiel „Hähnchenbrustfilet“). Ansonsten ist die verkehrsübliche Bezeichnung zu verwenden. Die Verkehrsüblichkeit wird in den Leitsätzen im Deutschen Lebensmittelbuch wiedergegeben. Die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse beschreiben zum Beispiel die Verkehrsauffassung für „Geflügelfleisch“. Gibt es weder eine rechtlich vorgeschriebene noch eine verkehrsübliche Bezeichnung, so muss eine beschreibende Bezeichnung gewählt werden.

Abb. 2: Im Gefriermikrotom werden sehr dünne Schnitte eines Fleischerzeugnisses angefertigt
Lebensmittelhistologie
Bei allen untersuchten Proben befanden sich kleine Stückchen von gegarten Fleischerzeugnissen in einer klaren Suppe oder dicken Soße (Abb. 1). Allein durch Inaugenscheinnahme war die Zusammensetzung und Beschaffenheit dieser kleinen Stückchen jedoch nicht genau erkennbar. Der Hühnerfleischanteil wurde daher zusätzlich histologisch untersucht. Für die Lebensmittelhistologie werden mit Hilfe des Gefriermikrotoms sehr dünne Schnitte hergestellt (Abb. 2), gefärbt und unter dem Mikroskop (Abb. 3) betrachtet. Dabei werden die verschiedenen Gewebskomponenten anhand ihrer charakteristischen Struktur und Anfärbbarkeit identifiziert und qualitativ sowie quantitativ ausgewertet.

Abb. 3: Ein histologisches Präparat wird mikroskopisch untersucht.
Stückchen vom Hühnchen sind immer drin!
Die gute Nachricht: Stückchen vom Hühnchen sind immer drin. Der Hühnerfleischanteil entsprach jedoch bei 11 der 19 untersuchten Proben nicht den Kennzeichnungsangaben (siehe Tabelle). Im Hühnerfleischanteil von 8 Proben waren unter dem Mikroskop histologisch deutlich Bereiche wabig-schaumig vernetztes Muskeleiweiß zwischen den Geflügelmuskelfasern (Abb. 4, 5) zu erkennen. Diese histologisch diagnostizierten Strukturen zeigen, dass das Geflügelfleisch „flüssig gewürzt“ worden war. Diese besondere Behandlung war jedoch gar nicht oder nicht ausreichend kenntlich gemacht worden. Beim Hühnerfleischanteil der übrigen Proben zeigte sich histologisch, dass offensichtlich unterschiedliche Kategorien von Geflügelfleisch als Zutat verwendet worden waren: Bei 5 Proben sehnen- und fettgewebsarmes, bei 3 Proben sehnenreiches Geflügelfleisch (Abb. 6). Nach der in den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse wiedergegebenen Verkehrsauffassung können beide Kategorien als „Geflügelfleisch“ bezeichnet werden, die Kennzeichnung bei diesen Proben war zumindest in Bezug auf das verwendete Geflügelfleisch folglich zutreffend. Bei den weiteren Proben wiesen die Stückchen weitgehend eine strukturlose Beschaffenheit auf, die Muskelfasern waren fast völlig zerstört (Abb. 7) oder bestanden aus einer vollständig fein zerkleinerten Masse.
| Menüschale/Bowl | Suppen/Eintopf Konserve | Fleischgericht Konserve | |
|---|---|---|---|
| Anzahl Proben | 10* | 6 | 3 |
| Ergebnisse der Histologische Untersuchung | 7 Flüssigwürzung 3 sehnenarmes Geflügelfleisch |
3 sehnenreiches Geflügelfleisch 1 Flüssigwürzung 1 fein zerkleinert 1 strukturlos |
2 sehnenarmes Geflügelfleisch 1 Formfleisch und fein zerkleinert |
| Beurteilung | 7 Kennzeichnungsmängel (Bezeichnung) 3 unauffällig |
3 Kennzeichnungsmängel (Bezeichnung) 3 unauffällig |
2 Kennzeichnungsmängel (Bezeichnung, andere) 1 unauffällig |

Abb. 4: Flüssiggewürzt: Geflügelmuskulatur (grün), dazwischen wabig-schaumig-vernetztes Muskeleiweiß

Abb. 5: Flüssiggewürzt: Geflügelmuskulatur (grün), dazwischen wabig-schaumig-vernetztes Muskeleiweiß
Was bedeutet eigentlich „flüssiggewürzt“
Die „Flüssigwürzung“ stellt ein besonderes Behandlungsverfahren dar, bei dem eine Flüssigkeit aus Trinkwasser, Salz, Gewürzen und eventuell auch Zusatzstoffen in Fleisch eingespritzt und durch einen mechanischen Wälzprozess, sogenanntes „Tumbeln“ im Fleisch verteilt wird. Vorteil für den Hersteller: Durch den erhöhten Wassergehalt ist die Fleischausbeute höher und es kann „mehr Fleisch“ verkauft werden. Das Fleisch ist weicher, erscheint saftiger und zarter, was wiederum manche Konsumenten als Vorteil empfinden. Zum Schutz der Verbraucher vor Irreführung muss die „Flüssigwürzung“ in der Bezeichnung des Lebensmittels angegeben werden.

Abb. 6: Sehnenreiches Geflügelfleisch: Muskulatur (links oben im Bild), Binde- und Fettgewebe (Bildmitte)

Abb. 7: Überwiegend strukturlose Masse mit Vakuolen (Bildmitte), wenige Muskelfasern (rechts im Bild)
Bildernachweis
CVUA Stuttgart
Literatur
LMIV: VO (EU) Nr. 1169/2011: Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, zuletzt geändert durch die Delegierte Verordnung (EU) 2024/2512 vom 17.04.2024 (ABl. L, 2024/2512, 25.09.2024)
Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse des Deutschen Lebensmittelbuches in der Neufassung vom 14.04.2022 (BAnz. AT 28.07.2022 B1, GMBl. Nr. 29-30 S. 657 vom 10.08.2022), zuletzt geändert am 07.11.2024 (BAnz. AT 09.12.2024 B3, GMBl. Nr. 53 S. 1162 vom 20.12.2024)