31 Jahre nach Tschernobyl, 6 Jahre nach Fukushima: Nuklearer Notfallschutz in Baden-Württemberg

Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)

 

Tschernobyl_2013_1-© Arne Müseler  arne-mueseler.de  CC-BY-SA-3.0Das einzige Radionuklid, das auch nach 31 Jahren noch an den Reaktorunfall von Tschernobyl in der Ukraine erinnert, ist Cäsium(Cs)-137. Dessen Halbwertzeit von 30 Jahren ist inzwischen schon deutlich überschritten, aber durch biologische Anreicherungsprozesse gelangt der Beta- und Gammastrahler in belasteten Regionen doch noch in das Wildschweinfleisch. Aufgrund der weit reichenden Auswirkungen des Reaktorbrandes in der Ukraine am 26. April 1986 wurde in Deutschland 1990 „IMIS“, ein bundesweites Messnetz für die Umweltradioaktivität installiert und ständig weiter entwickelt (s. Infokasten IMIS).

 

Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUAs) Stuttgart und Freiburg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden. Sie müssen in einem Ereignisfall hohe Probenzahlen auch über längere Zeit bewältigen können. Die Landesregierung hat hierfür 2016 zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt. Der Kernkraftwerksunfall von Fukushima (Japan) am 11. März 2011 hatte erneut in Erinnerung gebracht, dass die derzeit weltweit ca. 450 (EU: ca.120) betriebenen Kernkraftwerke [5] ein nicht zu vernachlässigendes Umweltrisiko darstellen.

IMIS – Radioaktivitätsmessungen bundesweit vernetzt

Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile der Bundesrepublik großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG). Ein wesentlicher Kernpunkt dieses Gesetzes war die Einrichtung des IMIS (= Integriertes Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität). Damit wurden wichtige technische und organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen für ein besseres Krisenmanagement bei möglichen ähnlichen Ereignissen.

 

Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert. In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) muss dann der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.

Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Die Länder ermitteln im Auftrag des Bundes die Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm. Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig, z.B. in der Luft. Weiterhin betreibt der Bund (Bundesamt für Strahlenschutz, BfS) das IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) veröffentlicht. [1][2]

 

An IMIS sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz die CVUAs Stuttgart und Freiburg als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [2]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.

 

Aktuelle Luftmessungen auf Radioaktivität werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [3]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima (Japan) im Jahr 2011 konnten dadurch frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Bequerel (Bq)/m3 nachgewiesen werden, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch derartige Messergebnisse können über das Internet abgerufen werden [4].

 

[1] Wie funktioniert IMIS?

[2] Überwachung der natürlichen Radioaktivität in Baden-Württemberg?

[3] Messstellen in Deutschland

[4] Spurenmessungen in der Luft

Radioaktivität in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2016

Die insgesamt etwa 1300 von den CVUAs Stuttgart und Freiburg untersuchten Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben zeigten geringe Cs-137-Gehalte im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq/kg). Mit Ausnahme von Wildschweinfleisch (s.u.) lagen die Werte damit bei allen Proben deutlich unter dem EU-Grenzwert von 600 Bq/kg, der kurz nach Tschernobyl für Importe aus den besonders betroffenen Gebieten Ost- und Südosteuropas festgelegt worden war. Seither zieht die Lebensmittelüberwachung in Deutschland diesen Wert für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert heran (z.B. bei heimischem Wild).

 

Ein Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Strontium-90 findet sich heute zwar nur noch in Spuren in Lebensmitteln, gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.

 

Die Untersuchung von 69 Futtermittelproben ergab nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen 18 bzw. 3 Bq/kg Trockenmasse. Bei den 23 untersuchten Bodenproben lagen die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 bei 61 bzw. 3 Bq/kg.

 

WasserglasBei Trinkwasser waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.

 

Dagegen konnten (geologisch bedingte) natürliche Radionuklide durch das CVUA Freiburg im Trinkwasser nachgewiesen werden. Die Analyse von 36 risikoorientiert ausgewählten Trinkwasserproben auf den Übersichtsparameter „Gesamtalpha-Aktivitätskonzentration“ ergab in den meisten Fällen Gehalte, die eine Folgeuntersuchung im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen nach der Trinkwasserverordnung notwendig machen.

 

In Deutschland trägt das Trinkwasser durchschnittlich mit 0,01 mSv/Jahr (Millisievert pro Jahr) nur sehr wenig zur gesamten mittleren natürlichen Strahlenbelastung von 2,4 mSv/a bei. In einzelnen Regionen (z.B. im Schwarzwald) kann sich jedoch auch ein höherer Dosiswert ergeben. Dieser soll durch eine Änderung der Trinkwasserverordnung nun auf 0,1 mSv/a begrenzt werden. Deshalb werden inzwischen umfangreiche Untersuchungen im Rahmen der Trinkwasserüberwachung durchgeführt.

Radioaktivität in Lebensmitteln für den Export in die Russische Föderation

Im Jahr 2016 wurden 38 Proben von Lebensmittel-Erzeugnissen aus Baden-Württemberg auf Radioaktivität untersucht, die für den Export in die Russische Föderation bestimmt waren. Bei allen Proben lagen die gemessenen Gehalte erwartungsgemäß weit unterhalb der von den russischen Behörden festgelegten Grenzwerte.

Wildfleisch

WildschweinEine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch auch 31 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 kontaminiert ist. Der Grund: Hirschtrüffel, eine beliebte Nahrungsquelle für Wildschweine, reichern Cäsium, und damit auch radioaktives Cäsium aus dem Waldboden an. Überschreitungen des Richtwertes von 600 Bq/kg wurden von den CVUAs bei 101 (18 %) der 567 untersuchten Wildschweinproben festgestellt. Dieses Fleisch kam nicht in den Verkehr und wurde beseitigt. Die höchsten Werte lagen bei 4420 bzw. 3000 Bq/kg (Gemeinden Eberhardzell, Landkreis Biberach bzw. Bad Rippoldsau-Schapbach, Landkreis Freudenstadt). Allen Landesdienststellen, die an der Wildüberwachung beteiligt sind, steht seit Januar 2016 „RADIWI“ zur Verfügung, ein Server-Datenbankprogramm zur schnellen Erfassung und Auswertung von Radioaktivitätsdaten bei Wild.

 

Die vorliegenden Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Proben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung kommen (siehe Kasten).

 

12 Stichprobenkontrollen von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien ergaben in keinem Fall eine Überschreitung des Richtwertes von 600 Bq/kg. Der höchste gemessene Wert betrug 86 Bq/kg.

 

Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) ist in Baden-Württemberg durchgängig nicht mit Cs-137 belastet.

 

Die Daten werden in Form von Karten, Tabellen und Diagrammen im Juli 2017 veröffentlicht.

Überwachungsprogramm Radioaktivität in Schwarzwild

Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildschweinfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:

 

1. In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.

 

2. In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring durch die CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.

 

3. Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.

Wildpilze

PfifferlingeIm Jahr 2016 wurden 13 Proben Wildpilze (Sammelgebiete Baden-Württembergs sowie Importe aus Osteuropa) zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Bei eingeführten Pfifferlingen lag der festgestellte Höchstgehalt für Cs-137 mit 65 Bq/kg deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg. Maronenröhrlinge von Privatsammlern aus Baden-Württemberg (Landkreis Biberach) zeigten dagegen mit 360 und 700 Bq/kg erhöhte Cs-137-Gehalte.

 

 

Weitere Informationen:

[5] http://www.kernenergie.de

Chemische und Veterinäruntersuchungsämter Baden-Württemberg

 

Bildnachweis

Tschernobyl 2013-1-© Arne Müseler CC-BY-SA-3.0, www.arne-mueseler.de,
Wasserglas, Wildschwein, Pfifferlinge © CVUA-Freiburg

 

 

Artikel erstmals erschienen am 20.06.2017