Ursachen zentralnervöser Störungen bei Tieren – Beispiele aus der Pathologie (6)

S. Albrecht, S. Dietrich, Dres. Suntz, Kirchgäßner, Reichert, Fischer

 

LammIn das Labor für Veterinär-Pathologie des CVUA Freiburg werden täglich Tiere zur Obduktion eingesandt. Bei vielen dieser Tiere lautet der Vorbericht „neurologische Ausfallserscheinungen“. Diesen relativ unspezifischen klinisch feststellbaren Symptomen können zahlreiche unterschiedliche, infektiöse, aber auch nichtinfektiöse Ursachen zugrunde liegen. Das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) muss dabei nicht immer der eigentliche Sitz der Erkrankung sein. Auch Erkrankungen von Leber, Nieren, Magen-Darmtrakt, Atmungs- und Kreislauforganen können zu zentralnervösen Symptomen führen.

 

Aufgrund dieser Vielfalt möchten wir Ihnen mit unserer Newsletter-Serie „Ursachen zentralnervöser Störungen – Beispiele aus der Pathologie“ einige solcher Krankheiten anhand von Fallberichten vorstellen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden Sie hier.

 

Im Folgenden wird von einem knapp 8 Wochen alten männlichen Schaflamm berichtet, dass aufgrund zentralnervöser Symptome eingeschläfert werden musste und mit den Verdachtsdiagnosen „Clostridien/Tetanus“ zur Obduktion eingesandt wurde. Im Vorfeld waren bereits vier weitere männliche Lämmer verstorben.

Clostridienenterotoxämie

Abb. 1: Stauungslunge

Abb. 1: Stauungslunge

 

Abb. 2: gestaute, pralle Niere

Abb. 2: gestaute, pralle Niere

 

Abb. 3: Übersicht Gehirn im Längsschnitt

Abb. 3: Übersicht Gehirn im Längsschnitt

 

Abb. 4: ca. 1 cm im Durchmesser großer weicher rötlicher Herd im Thalamus

Abb. 4: ca. 1 cm im Durchmesser großer weicher rötlicher Herd im Thalamus

 

Abb. 5: Malazie im Bereich des Thalamus mit akuten Blutungen, HE 100x

Abb. 5: Malazie im Bereich des Thalamus mit akuten Blutungen, HE 100x

 

Abb. 6: Clostridium perfringens auf Clostridium Selektiv Agar (CSA)

Abb. 6: Clostridium perfringens auf Clostridium Selektiv Agar (CSA)

Das Tier wurde zunächst pathologisch-anatomisch untersucht. Es wies einen guten bis mastigen Ernährungszustand auf. Die äußere Besichtigung war unauffällig. Bei der inneren Besichtigung wurde ein hochgradiges akutes diffuses alveoläres Lungenödem sowie eine hochgradige akute Stauungslunge festgestellt. Die Lunge war insgesamt sehr schwer (Abb.1). Auch Leber, Nieren (Abb. 2) und Milz waren akut gestaut und fühlten sich prall an. Im Herzbeutel lag ein mittelgradiger Erguss mit Fibrinausschwitzungen vor. Die Vormägen waren zwar gut gefüllt, der Inhalt jedoch vermehrt schaumig und recht flüssig. Der Darm war bis auf einen geringgradigen segmentalen Blutaustritt in das Darmlumen unauffällig. Im Gehirn wurde im Bereich des Thalamus ein ca. 1 cm im Durchmesser großer weicher rötlicher Herd festgestellt (Abb. 3, 4).

Diese Veränderungen sind jeweils einzeln für sich betrachtet recht unspezifisch, in ihrer Kombination jedoch verdächtig für eine Clostridienenterotoxämie.

 

Zur weiteren Abklärung der Erkrankungsursache wurde daher eine pathologisch-histologische, eine bakteriologische und eine parasitologische Untersuchung angeschlossen.

Mittels pathologisch-histologischer Untersuchung wurde die akute Stauung zahlreicher Organe sowie das akute Lungenödem bestätigt. Weiterhin wurde in den Nieren eine beginnende Degeneration proximaler Tubulusepithelzellen mit multifokalen akuten Blutungen nachgewiesen. Die Milz wies eine geringgradige akute multifokale eitrige Entzündung auf und der weiche rötliche Herd im Gehirn wurde als akute Malazie mit akuten Blutungen (Abb. 5) diagnostiziert. In den Darmlymphknoten lagen neben einer follikulären Hyperplasie und Sinushistiozytose zahlreiche Kokzidien-Stadien vor.

Kokzidien konnten mittels Flotation auch im Darm hochgradig nachgewiesen werden.

In der bakteriologischen Untersuchung wurde im Darm mittels anaerober Bebrütung auf einem Spezialnährmedium (Clostridium Selektiv Agar (CSA), Abb.6) hochgradig Clostridium perfringens angezüchtet. Im Gehirn wurden Listerien ausgeschlossen.

Infokasten

Bei Clostridium perfringens handelt es sich um ein grampositives, sporenbildendes, anaerob wachsendes Stäbchenbakterium. Es gehört bei Wiederkäuern zur normalen Darmflora. Erkrankungen treten infolge der Fähigkeit der Bakterien Toxine zu bilden ein - jedoch erst bei einer massiven Vermehrung der Keime im Darm, welche durch Veränderungen der Darmflora ausgelöst werden kann. Dies kann vor allem durch abrupte Fütterungsveränderungen bedingt sein, insbesondere bei Futter mit hohen Konzentrationen an fermentierbarem Zucker. Jedoch auch eine antibiotische Therapie oder Primärinfektionen des Darms wie eine Kokzidiose können prädisponierend sein.

 

Clostridium perfringens wird in 5 Toxintypen entsprechend der Fähigkeit 4 Haupttoxine (Tab. 1) zu bilden eingeteilt. Die unterschiedlichen Toxintypen können bei unterschiedlichen Tierarten verschiedene Krankheitsbilder auslösen. So kann Clostridium perfringens Typ A bei Wundinfektionen den sogenannten Gasbrand hervorrufen. Clostridium perfringens Typ B ist der Erreger der Dystenterie der Lämmer und Typ C kann eine hämorrhagische Enteritis bei neugeborenen Kälbern, Fohlen, Ferkeln und Lämmern auslösen.

 

Die durch Clostridium perfringens Typ D verursachte Enterotoxämie („Breinierenerkrankung“, „Überfütterungserkrankung“) ist eine wichtige Erkrankung bei Schafen und Ziegen mit weltweitem Vorkommen.

Als Enterotoxämie wird dabei eine Erkrankung definiert, welche durch eine Toxinbildung im Darm bedingt ist, die Toxine aber dann in die Blutbahn abgegeben werden und ihre Schadwirkung auf entfernte Organe wie Nieren, Lunge und Gehirn entfalten.

In diesem Fall war die Hauptveränderung infolge der Clostridienenterotoxämie die Malazie im Gehirn, welche zu den neurologischen Ausfallserscheinungen führte. Die Veränderungen an den Nieren und im Darm waren dezent, womöglich da das Schaflamm vor Ausbildung der vollen Krankheitsausprägung eingeschläfert wurde.

 

 

Tabelle 1: Klassifikation von Clostridium perfringens in 5 Toxintypen basierend auf den Genen für 4 Hauptexotoxine (alpha, beta, epsilon, iota):
C. perfringens Toxin-Gen
Typ Alpha Beta Epsilon Iota
A + - - -
B + + + -
C + + - -
D + - + -
E + - - +

Aus: Jubb, Kennedy and Palmer`s pathology of domestic animals 7 edited by m. Grant Maxie. - Sixth edition, volume two

Mögliche Ursache / Prophylaxe

Ursächlich kommt aufgrund des schaumigen flüssigen Panseninhalts eine Veränderung in der Fütterung in Frage. Jedoch auch die hochgradige Besiedelung des Darms mit Kokzidien kann eine Rolle gespielt haben.

 

Eine Therapie ist nicht möglich. Es gibt jedoch die Möglichkeit der Prophylaxe durch Impfung. Auch fütterungstechnische Maßnahmen sollten nicht außer Acht gelassen werden.

 

 

Literatur

  • Jubb, Kennedy and Palmer`s pathology of domestic animals / edited by M. Grant Maxie. – Sixth edition, volume two
  • Klinik der Schaf- und Ziegenkrankheiten, herausgegeben von Hartwig Bostedt, Martin Ganter und Theodor Hiepe, Georg Thieme Verlag, 2019
  • Tiermedizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre, herausgegeben von Hans-Joachim Selbitz, Uwe Truyen, Peter Valentin-Weigand, Enke Verlag, 10., aktualisierte Auflage, 2015

 

 

Bildnachweis

alle CVUA Freiburg

 

 

Artikel erstmals erschienen am 31.03.2022