60 Jahre ALUA – Wegbegleiter erinnern sich

Aus dem Drehbuch der Festveranstaltung am 26. November 2014

6 Jahrzehnte gestaltete eine Gruppe von Amtsleitern und in jüngster Zeit auch Amtsleiterinnen die Geschicke der baden-württembergischen Untersuchungsämter. Die Gruppe trug den Namen ALUA. Und sonst? Es gibt kein Gründungsdokument, keine Verfassung, keine Definition in einem Gesetz oder eine Erwähnung in einer Verordnung. Lediglich im Jahresbericht der Chemischen Landesuntersuchungsanstalt Stuttgart aus dem Jahre 1954 wird in zwei dürren Zeilen erwähnt, dass „am 23. November 1954 auf Vorschlag der Anstalt eine Arbeitsgemeinschaft der bad.-württ. Untersuchungsämter gegründet wurde“.

 

Banner: 60 Jahre ALUA.

 

 

Wir haben hier in der Runde Zeitzeugen, die den Gründungsvater persönlich kannten. Wie Herrn Prof. Edelhäuser. Wer war Dr. Bergner, der Anstaltsleiter, der so ein Kind in die Welt setzte, Herr Prof. Edelhäuser?

 

Prof. Bergner war ein Pionier im Verbraucherschutz in Baden-Württemberg. Er wurde aus dem Internierungslager kurz nach dem 2. Weltkrieg vom Kommandanten der Amerikanischen Besatzungstruppen zum Leiter der Untersuchungsanstalt Stuttgart im damaligen Landesgewerbeamt in der Kienestraße eingesetzt. Mit großem Engagement hat er in der zerbombten Stadt wieder eine funktionierende Lebensmitteluntersuchung aufgebaut. Zu Gute kam ihm ein gutes Verhältnis zur amerikanischen Verwaltung, die sich besonders vor Seuchen fürchtete, und immer wenn Bergner etwas gebraucht hat, z.B. ein Auto oder eine Gasleitung zum Amt, dann hat er Seuchengefahr beschworen und gleich bekam er, was er brauchte. Engagement für den Verbraucherschutz hat er in seinen spannenden Vorlesungen auf seine Studenten übertragen können. Er hat bis 1985 die Stuttgarter Lebensmittelchemie geprägt. Sein Vermächtnis ist die ALUA und auch der hohe wissenschaftliche Anspruch in der amtlichen Lebensmitteluntersuchung, den wir auch heute noch vom Ministerium aus fördern und fordern.

 

Block 1 Die ALUA – Modern zu allen Zeiten

Wie kam die Idee auf, dass die Untersuchungsämter sich abstimmen sollten? (Frau Roth)

In der amerikanischen Besatzungszone wurde bereits 1946 eine Sonderkommission Lebensmittelchemie eingerichtet. Die Not machte erfinderisch und Verfälschungen waren in diesen Hungerzeiten an der Tagesordnung. Anders als heute hatte ein zu geringer Nährwert von z.B. Brot große Auswirkungen auf die Gesundheit. Unterernährung mit all ihren Folgen war an der Tagesordnung. Ziel der Sonderkommission war es, die Verbraucher mit einwandfreien Lebensmitteln zu versorgen und auch den Schwarzmarkt zu bekämpfen. Kriminalität machte auch damals nicht an den Zonengrenzen halt! Einige Untersuchungsamtsleiter, u.a. Prof. Bergner, waren in dieser Sonderkommission tätig und daraus entwickelte sich dann 1954 die ALUA.

 

Wie sah die Untersuchungslandschaft 1954 aus? (Frau Dr. Hartmann)

Anzahl der chemischen Untersuchungsämter: 11, davon staatlich (Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg) und Kommunaluntersuchungsämter (Reutlingen, Ulm, Stuttgart, Pforzheim, Mannheim, Heidelberg, Konstanz, Offenburg).

Die Staatlich tierärztlichen Untersuchungsämter beschäftigen sich damals noch kaum mit der Lebensmitteluntersuchung. Gelegentlich ist jedoch von Probenteilung, insbesondere bei verdächtigen Proben die Rede und dass es wünschenswert wäre, die Erfahrung der Tierärzte im Bereich tierische Lebensmittel einzubinden.

- Teilnahme des THI an gemeinsamen Wurstprüfungen seit 1957

- Teilnahme des STUA Stuttgart und des THI Freiburg an der 10. -12. ALUA (1959) sowie des STUA Aulendorf an der 12. ALUA (1959) mit dem Ziel, einen gemeinsamen „Wurstkatalogs“ zu erstellen. Dieser wurde dann 1962 bundesweit akzeptiert und in das Deutsche Lebensmittelbuch aufgenommen unter „Richtlinien für die Qualität von Fleisch- und Wursterzeugnissen und deren Kenntlichmachung."

Ein schöner gemeinsamer Impuls der ALUA in Richtung Bund!

Die Medizinaluntersuchungsämter haben damals Trinkwasser untersucht.

 

Heute reden wir viel von Innovation, Kennzahlen, Effizienz – wie sah es eigentlich damals aus? (Frau Dr. Hartmann)

Foto: Frau Dr. Hartmann.Ja und ob! Ich ziehe den Hut vor der damaligen Amtsleitergruppe und war tief beeindruckt, was ich in den alten Unterlagen so gefunden habe. Beispielsweise die Diskussion um die Arbeitszeit. Sie sollte 1957 auf 45 h pro Woche abgesenkt werden. Die ALUA machte klar, dass das ohne Personalzuwachs nicht geht. Schließlich könnten die Proben nicht vom Freitag bis Montag herumliegen. Ein Bereitschaftsdienst müsse eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang wurden dann erstmals Personalbedarfs-Kennzahlen aufgeführt: 1000 Proben, 1 Lebensmittelchemiker, 2 Laboranten und Schreibkräfte. Der Aufschrei der ALUA hatte Erfolg: das Land stellte 18 neue Planstellen zur Verfügung.

 

Haben Ihre Vorgänger auch schon wirtschaftlich ihre Aufgaben erledigt? (Frau Roth)

Die ALUA wies schon in den 50er Jahren darauf hin, dass man nicht nur teure Messgeräte anschaffen darf, sondern auch das Bedienungspersonal dazu braucht, um die Geräte wirtschaftlich betreiben zu können. Zentrale Messtechnik in jedem Haus.

 

Unternehmen überleben nur, wenn sie flexibel bleiben, Kundenwünsche erahnen und ihre Arbeit optimieren. Als staatliche Untersuchungsämter haben Sie das Problem ja nicht, dennoch die ketzerische Frage, wie hält es die ALUA mit dem Changemanagement? (Frau Roth)

Das ist jetzt aber eine richtig schöne Frage! Sie werden staunen, bereits 1959 hat die ALUA erstmals darüber nachgedacht, dass sie teure Untersuchungen nur an bestimmten Standorten anbieten könnte und welches Amt sich für welche aufwändige Untersuchung spezialisieren sollte.
Wie ein roter Faden zieht sich die Veränderung durch die Jahrzehnte: Eingliederung der kommunalen Untersuchungsämter in die staatlichen Anstalten, Zusammenführung der Chemischen, tierärztlichen und Medizinaluntersuchungsämter, Zentralisierung und Schwerpunktbildung von Aufgaben – es wurde viel verlangt von den Mitarbeitern! Aber das macht aus meiner Sicht den Erfolg der ALUA aus, dass sie Änderungen aktiv begleitet und häufig sogar selbst anstößt. Insofern sage ich voller Selbstbewusstsein: wir sind mehr als ein Untersuchungsamt!

Die Veränderungen wurden jedoch immer auch von außen befeuert. Sei es eine Denkschrift des Rechnungshofes oder auch plötzliche kritische Substanzen in besonderen Lebensmitteln. Als z.B. 1980 die schädlichen Nitrosamine ausgerechnet in Bier – in deutschem Bier! – nachgewiesen wurden, führte dies zum ersten Zentrallabor in der ALUA.

 

Was hat Sie beim Schmökern in den alten Protokollen amüsiert? (im Wechsel)

Roth: Ende der 50er Jahre wurde diskutiert, ob die Jahresberichte der Untersuchungsanstalten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Die ALUA sagt damals nein, man habe „schlechte Erfahrungen mit der Presse“ gemacht.

Hartmann: Das zweite Beispiel kommt mir vor wie eine Geschichte aus uralter Zeit:

1957 gab es Schwierigkeiten mit der Beurteilung von Wurstqualitäten. Zwar gab es Qualitäts-Richtlinien für Nord- und Südbaden, nicht jedoch für Württemberg!! Wie ist jetzt eine Wurst zu beurteilen, die in Balingen hergestellt wurde und in Baden verkauft wird? Die ALUA setzt sich damals für eine landeseinheitliche Regelung ein. Und sie machte gleich Nägel mit Köpfen: gemeinsam mit den Tierärztlichen Untersuchungseinrichtungen wurde ein sogenannter Wurstkatalog erstellt, dem damals zuständigen Innenministerium überreicht und auch auf Wunsch der Industrie 1962 in das Deutsche Lebensmittelbuch aufgenommen (Richtlinie zu Qualitätsanforderungen für Fleisch- und Wursterzeugnisse). Bereits damals setzte die ALUA so bundesweit Impulse.

 


Block 2: Die ALUA deckt Mängel auf oder die Geschichte der Skandale

Sie, Herr Dr. Binnemann, haben Jahrzehnte die Geschicke des Freiburger Untersuchungsamtes geleitet. Was für Impulse gingen in den 70er und 80er Jahren von der ALUA aus?

Nach Entwicklung geeigneter Methoden fanden wir eine Fülle von Rückständen und Verunreinigungen. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele anführen.

Dioxine in Milch

Die Globalisierung des Lebensmittelhandels brachte in den folgenden Jahren zunehmend weitere Probleme. So wurde bei Milch ein Anstieg der Spuren von Dioxinen gefunden. Auch Nachbarländer von Deutschland waren betroffen. Umfangreiche Untersuchungen ergaben als Ursache Zitrustrester, der Leistungsfutter für Milchkühe zugesetzt worden war. Zitrustrester ist ein Abfallprodukt, das bei der Orangensaftherstellung anfällt. Der Dioxinspezialist der ALUA, Dr. Malisch, reiste als nationaler Experte gemeinsam mit EU-Inspektoren nach Brasilien, dem Herkunftsland des Tresters. Für die Nachforschungen bei den weit entfernt liegenden Firmen stellte die brasilianische Regierung eigens ein Düsenflugzeug zur Verfügung. Die Untersuchungen ergaben, dass der Zitrustrester zur Neutralisierung und Pelletierung mit dioxinhaltigem Industriekali versetzt worden war. In Europa mussten 100 000 Tonnen Zitrustrester vom Markt genommen werden. Der gesamte Markt mit einem Wert von ca. 100 bis 150 Millionen brach zusammen.

Österreichische Weine mit Diethylenglykol

Ein weiteres Beispiel für ein importiertes Problem waren 1250 verschiedene, vorwiegend österreichische Weine mit Diethylenglykol. Ein Zusatz von Diethylenglykol verleiht Weinen den Charakter von höherpreisigen Auslesen. Die betroffene Menge wurde auf insgesamt 30 Mio. Liter geschätzt. Die Veröffentlichung eines Ergebnisses bei einem Erzeugnis, das in Baden-Württemberg zwar im Handel war, aber nach den Ermittlungen bei der Abfüllung in Rheinland-Pfalz mit österreichischen Auslesen in Berührung gekommen sein soll, brachte mir ein 10seitiges Telegramm mit Androhung einer Schadenersatzforderung in Millionenhöhe ein.

 

Schäumende Flüsse, tote Fische, Lösemittel im Trink- und Grundwasser – Die ALUA war im Bereich Umweltuntersuchung wirksam tätig. Gelegentlich musste sich ein Amtsleiter auch mit den großen Fischen anlegen! Wie war das damals, als Sie, Herr Dr. Binnemann, den Herren von Sandoz das Fürchten lernten?

Foto: Herr Dr. Binnemann.Am 01.November 1986 ereignete sich ein Großbrand in einer Lagerhalle mit 1350 Tonnen Chemikalien, insbesondere fischgiftigen Pestiziden, bei der Chemiefirma Sandoz am Hochrhein in Schweizerhalle östlich von Basel. Für das Löschwasser gab es kein Auffangbecken, so dass es mit großen Mengen dieser fischgiftigen Substanzen in den Rhein floss. Es kam zu einem riesigen Fischsterben insbesondere der Aale. Die damals zuständige Chemische Landesuntersuchungsanstalt begann noch am selben Tag mit den Untersuchungen und hatte bereits bis zum nächsten Morgen, einem Sonntag, einige Stoffe ermittelt. Da sich chemische Untersuchungen wesentlich beschleunigen lassen, wenn man nähere Informationen über die Art der Chemikalien hat, rief ich bei der Firma Sandoz an und bat um nähere Informationen. Die Firma Sandoz war aber erst nach Vorhalt der bereits vorliegenden Ergebnisse und Drohung, die Öffentlichkeit zu informieren, zu weiteren Auskünften bereit.

Bei den Untersuchungen wurde im Rheinwasser auch ein Unkrautbekämpfungsmittel gefunden, das nicht von der Firma Sandoz stammen konnte. Weitere Untersuchungen ergaben, dass von der Firma Ciba-Geigy auf der Höhe Basel in der Rheinmitte eine bis dahin in Baden-Württemberg nicht bekannte Einleitung von chemischen Abwässern erfolgte. Da in der Folge die Untersuchung zahlreicher weiterer Gewässerverunreinigungen nicht mehr zu bewältigen war, verstärkte der damalige Umweltminister das Personal in den Umweltlabors der ALUA

 

Herr Brezger, Sie sind der langjähriger Laborleiter des Trinkwasserlabors im CVUA Sigmaringen. In Ihren Anfangsjahren als Wassersachverständiger zogen Sie wie ein Wanderprediger durch die Gemeinden der schwäbischen Alb und warben für sauberes Trinkwasser. Wie kamen Sie zu dieser Rolle?

Ganz einfach: wir untersuchten Trinkwasser auf die Lösemittel Tri- und Perchlorethylen und wurden mehr als fündig! Die zunehmende Industrialisierung auf der schwäbischen Alb und auch die sorglose Abfallentsorgung – man kippte z.B. Fässer einfach in Dolinen – rächten sich. Der Abfall landete im Trinkwasser. Jetzt galt es zu handeln und diese gesundheitlich bedenklichen Stoffe aus dem Wasser zu entfernen. Wasseraufbereitung ist jedoch teuer!

Die Sensibilität für diese Thematik, zumal im ländlichen Raum, war noch nicht sonderlich ausgeprägt, so dass den "wissenschaftlichen" Ausführungen des jungen Sachverständigen zwar freundlich und aufmerksam zugehört wurde, die Einschätzung der Problematik sich "realitätsnah" daran orientierte, dass man im Trinkwasser die Verunreinigung weder riecht noch schmeckt und im Ort überdurchschnittlich viele hochbetagte Mitbürger wohnen, es also mit der Giftigkeit so schlimm nicht sein konnte.

Doch steter Tropfen höhlt nicht nur den Karststein der Schwäbischen Alb. Zwischen 1988 und Anfang der 90er Jahre wurden sämtliche Wassergewinnungsanlagen in dem betroffenen Tal modernisiert. Wie üblich wurde in den Ansprachen bei der Eröffnung eines Wasserwerkes die Weitsicht der Verantwortlichen und die hohe Verantwortung gegenüber dem Verbraucher/Bürger gerade im Hinblick auf das "wichtigste Lebensmittel Trinkwasser" hervorgehoben...

 

Warum muss man einzelne Bürgermeister im Gespräch überzeugen, nur einwandfreies Trinkwasser zu verteilen? Gab es denn keine Grenzwerte? (Herr Brezger)

Für neu gefundene Stoffe gibt es keine Grenzwerte, das ist ja gerade das Problem! Und hier liegt eine wichtige Aufgabe der ALUA, aus Baden-Württemberg heraus die Fachkompetenz in die Bundesebene zu bringen und nicht nur zu untersuchen, sondern auch einen wirksamen Hebel zu schaffen, dass die Rechtsentwicklung weitergeht und zukünftig rascher eingeschritten werden kann. Das ist am Beispiel der chlorierten Lösemittel gut gelungen. Selbst die EU hat in der EU-Trinkwasser-Richtlinie nun Vorgaben.

 

Vom Wasser zu den Fischen: Herr Klein, die Speiseforellen aus den Teichwirtschaften der schwäbischen Alb schmecken gut, aber die Fische sind wohl nicht immer gesund. Welche Rolle spielt hier der Farbstoff Malachitgrün? Werden die Fische in der Pfanne grün?

Nein, nein! Malachitgrün wird noch heute zur Bekämpfung von Ektoparasiten und Pilzen in den Teichwirtschaften eingesetzt. Uns gelang damals (1986) der Nachweis, dass Malachitgrün nicht nur den Parasiten schadet, sondern von den Forellen aufgenommen wird und damit dem Menschen schaden kann. Schließlich ist die Substanz krebserregend und erbgutverändernd! Unsere Untersuchungen fanden bundesweit Beachtung und der Gesetzgeber zog bald nach und erließ 2 Jahre später einen praktischen Nullwert. In unserer ALUA-Arbeitsgruppe Tierarzneimittelrückstände packten wir das Thema offensiv an und wurden bald bei weiteren Mitteln fündig.

Malachitgrün ist eine zu den Triphenylmethanfarbstoffen gehörende organische Verbindung, die erstmals 1878 vom deutschen Chemiker Otto Fischer synthetisiert wurde. Malachitgrün wurde früher zur Färbung insbesondere in der Textil- und Papierindustrie eingesetzt.

 

Tote Tiere machten auf eine gravierende Umweltverschmutzung aufmerksam. Sie, Herr Reiser, untersuchten damals zentral für Baden-Württemberg den Schadstoff Thallium. Wie war der Zusammenhang?

In einem Gebiet in NRW kam es in den Jahren vor 1979 zu verschiedenen Auffälligkeiten in der Umwelt und bei Tieren, für die es keine eindeutige Erklärung gab: Laub fiel vorzeitig von den Bäumen, Kohl und Salat vergilbte und Tiere verendeten. Erst nachdem ein krankes Stallkaninchen und ein verendetes Schaf auf Betreiben der Eigentümer eingehend untersucht wurden, ergaben sich Indizien auf Thalliumvergiftungen. Thalliumspuren fanden sich im Fell der Tiere, aus dem zudem büschelweise Haare ausfielen. Bei entsprechenden Immissionsmessungen konnte die Abluft eines Zementwerks als Ursache ermittelt werden.

Aufgeschreckt durch diese Ereignisse wurde das CVUA Sigmaringen vom Sozialministerium beauftragt Gemüse und andere Materialien in der Umgebung der vier Zementwerke in BW zu untersuchen. Über 400 Proben wurden untersucht, darunter auch Proben aus einem ehemaligen Bergbaugebiet. In Kohlproben aus Privatgärten in der Umgebung von zwei der vier Zementwerke fanden wir hohe Gehalte des Schwermetalls Thallium. In den Folgejahren wurde dieses Monitoring in enger Abstimmung mit der Gewerbeaufsicht weiter fortgeführt. In den Jahren 1984 und 1985 wurden erneut erhöhte Thalliumgehalte festgestellt. Die Gehalte, vor allem in den Kohlproben, waren zum Teil 10fach über den tolerierten Schwellenwerten und es wurden Verzehrs- und Anbauempfehlungen erlassen.

Letztendlich wurden die Zementwerke dazu verpflichtet, entsprechende Filteranlagen einzubauen, sodass heute das Problem in Deutschland nicht mehr besteht. Als Ursache für die Thalliumbelastung wurde thalliumhaltiges Eisenoxid ermittelt, das bei der Produktion bestimmter Zementsorten eingesetzt wird.

 

 

Block 3: Untersuchungen führen zu neuen Gesetzen

Dem munteren Untersuchen und Bewerten setzte eine Nudelfabrik im Remstal eine Ende, oder wie ist Ihre Meinung, Herr Prof. Edelhäuser dazu?

Foto: Herr Prof. Dr. Edelhäuser (MLR).Der Eierskandal um die Fa. Birkel beschäftigte das Land den ganzen Sommer 1985, richtig los ging er mit einer Warnung des RP Stuttgart vor Birkelnudeln und endete vorläufig mit dem historischen Spätzlesessen im Hotel Schlossgarten, als sich das Land, angeführt von Ministerpräsident Lothar Späth mit der Fa. Birkel auf einen vorläufigen Vergleich einigte: das Land hört auf zu untersuchen und Birkel produziert wieder saubere Nudeln.

Ich war damals ein junger Laborleiter, der ein Jahr vorher eingestellt worden war und seine Feuertaufe im Getümmel dieses Skandalsommers erlebte. Rückblickend zehre ich heute noch von diesen Erfahrungen und denke immer daran, oder werde von gegnerischen Rechtsanwälten erinnert, wenn das Ministerium wieder eine öffentliche Warnung ausspricht. Der 1985 geschlossen Burgfrieden wurde 1987 empfindlich gestört, als Birkel Klage gegen das Land erhob, wegen der Warnung drei Jahre vorher. Der Prozess ging bekanntlich verloren. Dennoch hat das Land durch den Birkelskandal gewonnen, einmal eine neue Laborleiterin, die sich damals nur um die Eier kümmern musste – Ellen Scherbaum – und ein neues Gesetz, das 1991 in Kraft getretene AGLMBG.
Ein Tübinger Verfassungsrechtler schmähte das Gesetz mit den Worten "nicht jede Nudel braucht ein Gesetz", aber dieses Gesetz war ein Meilenstein im Verbraucherschutz in Baden-Württemberg und später auch in ganz Deutschland. Erstmals gab es für die Lebensmittelüberwachungsbehörden eine sehr weitgehende gesetzliche Befugnis für öffentliche Informationen mit Namensnennung. Mit dem neuen Gesetz im Rücken wurde in den Folgejahren munter gewarnt und alle Anfechtungen auch gewonnen. Noch heute rühmen unsere Juristen im MLR den Vater dieses Gesetzes, Herrn Kellermann, der heute leider nicht hier sein kann.

2005 wurden diese Bestimmung auf Antrag von Ba-Wü in das neue Bundesgesetz LFGB überführt, und seit der Zeit können auch andere Bundesländer rechtssicher öffentlich warnen.

 

Wie kommt es, dass die Lebensmitteluntersucher auch nach Tätowierfarben fahnden, Missstände feststellen und am Ende für eine Tätowierfarben-Verordnung sich ins Zeug legen? (Dr. Mildau)

Tätowierfarben sind voll im Trend, und dies zunehmend. 20–25 % der jungen Leute in Deutschland sind tätowiert. 60 % der Jugendlichen finden Tattoos cool. Da ist es ganz einfach wichtig, diese Farben unter die Lupe zu nehmen. Tattoofarben sind zwar rechtlich gesehen keine Kosmetika, weil sie nicht äußerlich angewendet, sondern in die lebenden Hautschichten eingebracht werden. Aber sie dienen ja wie Kosmetika dekorativen Zwecken und werden daher von uns Lebensmitteluntersuchern untersucht und begutachtet. Dies gilt übrigens auch für Permanent-Make up, quasi ein Tattoo für Lippenkonturen, Lidstrich und Augenbrauen.

Mit unseren regelmäßigen Untersuchungen solcher Proben aus Tattoostudios über die vergangenen Jahre haben wir immer wieder Missstände aufgedeckt. So konnten wir problematische Inhaltsstoffe wie krebserregende Abbauprodukte in bunten Farben oder Ruß-Nebenbestandteile in schwarzen Farben finden. Oder bedenkliche Konservierungsstoffe oder Allergien auslösende Spuren an Nickel. Zum Teil wurden auch technische Farben verwendet, die beispielsweise für die Autolackindustrie entwickelt wurden, nicht aber, um in Hautschichten des Menschen eingebracht zu werden.

Da müssen doch einfach strengere Regeln her. In Deutschland gilt zwar seit 2009 die Tätowiermittelverordnung, mit der erste stoffliche und Kennzeichnungsregelungen erlassen wurden. Sie ist aber bei weitem nicht ausreichend, um die Verbraucher vor gefährlichen Tätowierfarben zu schützen. Es kann doch eigentlich nicht sein, dass Kosmetika wie Lidschatten oder Lippenstift stärker reglementiert sind als Farbstoffe, die unter die Haut in lebendes Gewebe gespritzt werden. Während jedes kosmetische Mittel eine Sicherheitsbewertung braucht, ist dies für Tattoofarben und Permanent-Make up nicht erforderlich. Hier muss einfach nachgebessert werden. Unsere Ergebnisse haben dazu geführt, dass Baden-Württemberg vor zwei Jahren eine Bundesrats-Initiative durchgezogen hat. Mit dem Erfolg, dass nun bereits auf Europäischer Ebene verhandelt wird. Wir bleiben am Ball, damit möglichst bald strengere Regeln gelten werden.

 

Bei den Wasserkochern und später bei Kaffeevollautomaten wurde der Markt umgekrempelt, Herr Lauber. Wie ging das?

Die damalige ALUA AG Bedarfsgegenstände hatte in den 90er Jahren festgestellt, dass die Nickelabgabe aus Wasserkochern mit freiliegenden Heizschlangen ein Problem war. Da es damals keine definierten Vorgaben gab, hat die ALUA AG ein gemeinsames Prüfverfahren geschrieben. Festgelegt wurden alle Schritte: wie viele Wasserkochungen, wann entkalken, wann Nickelbestimmung etc. Dann hat sich die Gruppe auf „Richtwerte“ geeinigt (ab wann beanstanden wir?). In einer gemeinsamen Aktion wurden zeitgleich 38 Geräte untersucht. 60 % waren i.o. (Nickelgehalt unter Grenzwert der Trinkwasserverordnung), 30 % gaben Nickel – moderat – nach einer festgelegten Standzeit des Wassers ab, 10 % zeigten hohe Nickellässigkeit. D.h. die Beanstandungsquote war 40%.

In 2007 folgte dann im zwischenzeitlich zentralisierten Bereich eine Untersuchung von hochpreisigen Kaffee-Vollautomaten auf eine mögliche Nickellässigkeit. 41 % der untersuchten Maschinen wiesen damals eine deutlich erhöhte Nickelabgabe auf (insbes. nach dem Entkalken). Verantwortlich hierfür zeichneten nickelhaltige Ventile. Auch durch diese Untersuchungen wurde der Markt ziemlich aufgewirbelt.

Nicht zuletzt aufgrund der o.g. Untersuchungsergebnisse und unter tatkräftiger Mitwirkung von Baden-Württemberg gibt es zwischenzeitlich eine Resolution des Europarates, in der Vorgaben zur Nickellässigkeit von Gegenständen aus Metall enthalten sind. Ausgehend von Aktivitäten der ALUA wurde somit europaweit Wirkung erzielt.


 

Block 4: Die Krisen der Welt erreichen Baden-Württemberg

1978 hatten die Untersuchungsämter reichlich Orangen in den Häusern. Aber zum kaltgepressten Saft wurden sie nicht verwendet. Was ist passiert? (Frau Baur-Aymanns)

Auch weltweite Konfliktsituationen können bei unserer Arbeit eine Rolle spielen. So versuchten im Februar 1978 palästinensische Organisationen, Israel wirtschaftlich zu schädigen, indem Sie meldeten, sie hätten israelische Orangen mit Quecksilber vergiftet.

 

26.4.1986 – Dieses Datum hat sich in Ihre Biographie eingebrannt, Herr Dr. Weißhaar! Was war passiert?

Foto: Herr Dr. Weißhaar.Am 26.04.1986 explodierte ein Kernreaktor in Tschernobyl in der Ukraine. 3 Tage später traf die radioaktive Wolke auf Baden-Württemberg und regnete an verschiedenen Stellen nieder, vor allem im Süden von BW. Ich selbst war damals gerade ein Jahr an der CLUA und wechselte quasi über Nacht in das Radioaktivitätslabor.

Dieser GAU traf auf ein radiochemisches Labor, das 25 Jahre nach seiner Gründung in Auflösung begriffen war. Es wurde schon lange nichts mehr investiert, die meisten Messgeräte waren so alt wie das Labor, es war aber glücklicherweise noch eine erfahrene Mannschaft mit ihrem ganzen Know-how vorhanden.

Und das Unmögliche gelang, das Labor wechselte von jetzt auf gleich vom Auslaufmodus in den Krisenmodus. Im ganzen Haus wurden Mitarbeiter rekrutiert, um die Proben zur Messung vorzubereiten, gearbeitet wurde von 6 bis 22 Uhr, auch am Wochenende. Allein in den ersten 2 Monaten nach dem Unfall wurden 20-mal so viele Proben gemessen wie im gesamten Jahr zuvor.

Von allen Seiten wurden wir mit Anfragen bombardiert, Telefon und das einzig vorhandene Faxgerät waren völlig überlastet. Der Amtsleiter überbrachte die Ergebnislisten persönlich und zu Fuß dem Ministerium. Die Proben aus dem hauptsächlich betroffenen Süden kamen besonders schnell ins Labor nach Stuttgart. Dazu wurde extra eine Stafette der Autobahnpolizei mit ihren schnellen Dienstfahrzeugen eingerichtet.

Erst im Sommer wurde es ruhiger, als das radioaktive Jod weitgehend zerstrahlt war und es sich zeigte, dass die Getreide- und große Teile der Obst- und Gemüseernte nur wenig betroffen waren, da das radioaktive Cäsium im Ackerboden sehr stark zurückgehalten und kaum von den Pflanzen aufgenommen wird.

Eines war für mich sehr eindrucksvoll: „draußen“ überschlugen sich die Medien mit Meldungen nur so; WKD, Feuerwehr, Mediziner und Physiklehrer fingen mit völlig ungeeigneten Messgeräten auf Gemüsebeeten, Wochenmärkten und Spielplätzen an zu messen, während wir im Labor dagegen so etwas wie ein ruhender Pol in diesem stellenweise panikartigen Geschehen waren.

 

Noch einmal in Ihrer beruflichen Laufbahn wurden Sie, Herr Dr. Weißhaar, als Lebensmittelchemiker herausgefordert. Was bewirkte 2002 die Nachricht, Acrylamid in Lebensmitteln ist ein wichtiger, aber schädlicher Bestandteil?

Als im April 2002 schwedische Forscher berichteten, dass sie in hocherhitzten Lebensmitteln wie Knäckebrot und Pommes Frites erhebliche Mengen an Acrylamid gefunden haben, war die Fachwelt erst einmal ratlos. Woher stammte dieses Acrylamid, das bisher nur als Ausgangsstoff für bestimmte Kunststoffe bekannt war?

Weil Acrylamid nicht nur ein Nervengift ist, sondern auch im Verdacht steht krebserregend zu sein, war natürlich auch die Lebensmittelüberwachung gefordert. Bei einer zufälligen Begegnung auf dem Flur wurde meine Kollegin Birgit Gutsche und ich von der Amtsleitung ermuntert, uns um dieses Problem zu kümmern. Das war am Anfang recht schwierig, denn die schwedischen Kollegen gaben keine Details ihrer Analysenmethode bekannt. Doch es gelang uns in kürzester Zeit, eine Methode zu etablieren, die sich bis heute bewährt hat. So konnten wir und auch unsere Kollegen vom CVUA Sigmaringen als erste in Deutschland brauchbare Analysenergebnisse liefern. Wir führten auch einfache Modellversuche durch und konnten, zeitgleich mit großen renommierten Arbeitsgruppen in England und der Schweiz herausfinden, aus welchen Vorläufersubstanzen und unter welchen Bedingungen Acrylamid gebildet wird.

Das MLR beschloss daraufhin, ein Faltblatt herauszugeben mit Tipps zur Vermeidung von Acrylamid bei der Herstellung von Pommes Frites. Zu diesem Zweck verbrachte ich einen halben Tag mit einer Mitarbeiterin in einem Fotostudio mit der Produktion von fototauglichen Pommes frites in verschiedenen Bräunungsstufen. Das Faltblatt wurde ein großer Erfolg.

In der Vorweihnachtszeit kam dann die zweite Welle: Es stellt sich heraus, dass Lebkuchen oftmals hohe Gehalte an Acrylamid aufwies. Im Labor und zusammen mit der Bäckereifachschule machten wir dann Backversuche und konnten schnell das traditionell verwendete Hirschhornsalz als Übeltäter identifizieren. Durch intensive Beratung des Bäckerhandwerkes gab es schon im Folgejahr kaum mehr extreme Acrylamidgehalte in Lebkuchen. Der Fall Acrylamid ist ein schönes Beispiel dafür, dass man nicht nur durch harte Grenzwerte und strenge Sanktionen, sondern auch alleine durch umfassende Aufklärung und Beratung sehr schnell eine deutliche Senkung der Schadstoffgehalte erreichen kann.

 

Mohnbrötchen, Mohnstriezel, Mohn auf Nudelgerichten, das hört sich alles sehr lecker an. Wie kamen Sie dazu, sich mit den australischen Mohnerntemethoden zu befassen? (Herr Dr. Lachenmaier)

Foto: Herr Dr. Lachenmaier.Im Jahre 2005 hat ein schwerer Vergiftungsfall eines Säuglings die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der amtlichen Überwachung auf überhöhte Morphin-Gehalte in Mohnsaat gelenkt. (Morphin, umgangssprachlich auch Morphium, ist ein bekanntes, dem Betäubungsmittelgesetz unterliegendes Schmerzmittel und ist auch eine Vorstufe der Droge Heroin). Eine Mutter hatte Ihrem – zu nächtlichem Schreien neigendem – Baby nach einem alten Hausrezept in Milch abgeseihte Mohnsaat eingeflößt. Es kam nachfolgend zu schweren Vergiftungssymptomen bis hin zum Atemstillstand in der Notaufnahme des Krankenhauses. Die verwendete Mohnsaat kam dabei aus Australien und wurde als „Abfallprodukt“ der pharmazeutischen Morphinproduktion hergestellt, das heißt aus Mohnvarietäten mit sehr hohen Morphingehalten.

Zeitnah kam es dann auch in Baden-Württemberg zur Vergiftung einer Verbraucherin, die eine große Menge gemahlene Mohnsaat mit sehr hohem Morphingehalt vermengt mit Zucker auf einem Nudelgericht verzehrt hatte.

Zahlreiche Proben aus dem Handel wurden daraufhin beanstandet, z.T. enthielten diese bis zu 300 mg Morphin pro kg. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat dann auf Bitte von Baden-Württemberg eine Risikoabschätzung vorgenommen und einen Richtwert für Morphin in Mohn empfohlen. Im September 2014 veröffentlichte auch die EU Kommission einen sog. „Code of Practice“ zur Vermeidung und Verringerung von Morphin in Mohnsamen und Mohnerzeugnissen. In diesen Code of Practice sind auch Erkenntnisse aus Baden-Württemberg eingeflossen (z.B. bezüglich des Morphinabbaus durch bestimme Lebensmittelverarbeitungsmethoden). Hinweise zur sicheren Handhabung von Mohnsaat im Haushalt sind auf der Verpackung im Einzelhandel mittlerweile üblich und führen zu noch mehr Verbrauchersicherheit.

Als Folge der Überwachungstätigkeit der CVUAs in Baden-Württemberg sind die Gehalte von Morphin auf Mohnsaat zwischenzeitlich stark gesunken und liegen mittlerweile auf nur noch sehr geringem, gesundheitlich unbedenklichem Niveau.

 

BSE, dieses Kürzel kennt noch jeder. Was hat die BSE-Krise ganz praktisch für Auswirkungen für Sie alle gehabt, Herr Dr. Stöppler, Herr Dr. Renz, Frau Dr. Hartmann, Frau Roth?

Dr. Stöppler: das heutige Datum „26.11.“ spielt hinsichtlich der BSE-Krise Deutschlands eine besondere Rolle. Am 26. November 2000 wurde in Deutschland der erste BSE-Fall festgestellt. In kürzester Zeit erfolgte eine flächendeckende Untersuchung von Rindern mittels Schnelltestverfahren (Enzymimmunologisches Verfahren). Es wurden über 200 Fälle mit abnehmender Zahl festgestellt. Im Laufe von 10 Jahren waren 413 Fälle in Deutschland zu verzeichnen. Zunächst wurde mit 4 staatlichen Ämtern die Untersuchung begonnen. Die Proben der „Fleischwirtschaft“ sind dann auf Bestreben des Ministeriums an Privatlabors vergeben worden.
Dr. Renz: Zum „Sündenfall“ der  „amtlichen BSE-Untersuchung in Privatlabors“  könnte ich schon was sagen: v.a. die Fleischwirtschaft machte enorm Druck:
1. Forderung: Testergebnisse so schnell wie möglich, damit die Schlachttierkörper rasch vermarktet werden können (Schichtbetrieb, flexibler Personaleinsatz durch rasche Einstellungs- und Entlassungsverfahren)
2. Forderung: Testkosten müssen billig sein, da die Tests vom Schlachthofbetreiber bezahlt werden mussten. Das Ministerium hat dem Druck schließlich nachgegeben und zugestimmt, dass die zuständigen LMÜs die Untersuchung der amtlichen BSE-Proben auch an billigere, zugelassene Privatlabors vergeben können. Bei dem daraufhin folgenden Preiskampf konnten die staatlichen Labors nicht mehr mithalten, so dass nur noch wenige LMÜs, denen die Sicherheit wichtiger war als der Preis, uns die Stange hielten. Aber auch diese mussten sich schließlich dem Druck ihrer Schlachthofbetreiber beugen und die Untersuchungen an Billiganbieter vergeben. Die Konsequenzen kennen wir alle: nicht korrekt durchgeführte Tests kosteten das Land Millionen.

 

Wie haben Sie diese Zeit empfunden und was ist bei Ihnen persönlich besonders in Erinnerung geblieben? (Herr Dr. Stöppler / Frau Dr. Hartmann / Frau Roth)

Foto: Herr Dr. Stöppler.Dr. Stöpler: Gegen Ende des Jahres 2000 überschlugen sich die Ereignisse! Die Stichprobenuntersuchungen mussten dramatisch erhöht werden von wenigen hundert Proben auf mehr als Zehntausende. Aus diesen Gründen wurden auch die CVUAs mit in die Untersuchung eingeschaltet.

Das besondere öffentliche Interesse und die intensiven politischen Bestrebungen, dem Verbraucherschutz angesichts der TSE-Problematik noch mehr Raum zu gewähren, wurde am 28. November 2000 durch den Besuch des Ministerpräsidenten Erwin Teufel und der Landespressekonferenz im STUA Aulendorf - Diagnostikzentrum unterstrichen. Es stand also ein leibhaftiger Ministerpräsident in den Aulendorfer Labors.

Roth: Selbst Chemielaboranten halfen mit, diesen Engpass zu beseitigen, schließlich ist ein Elisa-Test ob in Kuchen oder Gehirn einfach eine chemische Untersuchung. Es herrschte eine große Solidarität! Ich habe am Freitag, den 01.12.2000, mein Amt als Amtsleiterin angetreten und am Montag wurde BSE ausgerufen. Das hieß, sofort in den Krisenmodus steigen und zusammen mit meiner damaligen Stellvertreterin Frau Dr. Hartmann das Haus umstrukturieren. Die tierärztlichen Kollegen zogen im November in den Neubau ein und saßen praktisch noch auf den Kisten. Der Neubau wurde nicht einen Tag so genutzt wie geplant. Eine wilde Zeit!

Hartmann: Ich habe eine Thermoabwasseranlage gefordert, bekommen und siehe da, sie wurde gleich gebraucht!

 

Manchmal bekommt ein Labor-Tierarzt Besuch im Labor und wird wegen seiner Untersuchungen beschimpft. Wie sind Sie damit umgegangen, Herr Dr. Renz?

Das war Ende der 90er Jahre und ich hatte damals quasi als Neuling das erste Gutachten geschrieben, in dem ich eine Kalbsleber mit mehr als 600 ppm als nicht verzehres- und verkehrsfähig beurteilt hatte. Mir war damals nicht klar, in was für ein Wespennest ich damit gestochen hatte und habe dann aber schnell gelernt, warum die anderen Kollegen sich mit so einer „harten“ Beurteilung eher zurückgehalten hatten.

Damals stand plötzlich ein Kälbermäster bei mir im Büro, hat mich quasi bedroht und mir vorgeworfen, dass ich Schuld sei, weil er nun jeden Monat Lebern im Wert von 40.000 DM verwerfen müsste. Immerhin hat die weitere Diskussion dann dazu geführt, dass in BaWü ein Grenzwert eingeführt wurde und im Milchaustauscher Kupfersulfat durch ein anderes Salz ersetzt wurde. Das Kupfersulfat, so hat sich herausgestellt, sollte den Milchaustauscher nämlich nur „salziger“ machen, damit die Kälber mehr trinken, als sie eigentlich müssten, um die Gewichtszunahme zu verbessern. Unsere Annahme, dass hohe Kupfergehalte dazu führen sollten, das Eisen aus dem Myoglobin zu verdrängen, um eine Weißfleischigkeit hervorzurufen, ließ sich wissenschaftlich dagegen nicht belegen.

 

Die Terroranschläge von 9/11 haben ihre Spuren in Lande hinterlassen und es wurde eine neue, integrierte Einheit geschaffen, die vorausdenken und uns vor möglichen Gefahren schützen soll. Gehört hat man nie etwas davon. Waren Sie so effektiv im Verborgenen und wurden nie gefragt oder gibt es doch etwas zu berichten? (Herr Dr. Rau)

Briefumschläge mit weißem Pulver fanden schon den Weg zu uns! Meist mit dem Polizeimotorradkurier in wenigen Stunden. An einen Fall erinnere ich mich besonders gut:

Die von Ihnen angesprochene Arbeitsgruppe „Verbraucherschutz“ gibt es seit nunmehr 12 Jahren. Vom Ministerium Ländlicher Raum und Verbraucherschutz gegründet und geführt, dient die AG-VS als „Wissensspeicher“ rund um diese besonderen Gefahren. Hier arbeiten Lebensmittelchemiker und eine Tierärztin intensiv zusammen mit dem Labor für Toxinanalytik am CVUA Stuttgart und den medizinischen Experten aus dem Landesgesundheitsamt. Im Ernstfall steht die AG-VS als schnelle Unterstützung zur Beratung zu Verfügung.

Außerhalb der täglichen Routine der Lebensmittelüberwachung hat sich die AG mit teilweise unkonventioneller Herangehensweise der heiklen Thematik genähert. Das Land hat hier spezielles Know-How gebildet, wie die Behörden Gefahren ausgelöst durch besondere Stoffe oder ungewöhnliche Szenarien begegnen könnten.

Die Wirtschaft reagierte auf die Gefahren durch absichtliche Manipulation inzwischen mit sogenannten „Produktschutz“-Konzepten (Stichwort: food-defense). Hiermit wird die äußere und innere Sicherheit der Produktion gestärkt. Die AG Baden-Württembergs konnte hier u.a. das BfR bei der Entwicklung von Checklisten für die Industrie unterstützen.

Die Thematik wird von den Behörden ernst genommen, wie man an der länderübergreifenden Krisenmanagementübung des letzten Jahres sieht. Diese LÜKEX befasste sich in einem Szenario mit einem bioterroristischen Anschlag auf ein Lebensmittel. Die Mitglieder der AG-VS wurden vom Ministerium hier entsprechend zur Unterstützung eingesetzt. Unsere Erfahrungen wurden auch in mehreren Projekten des Bundes nachgefragt. Das größte Forschungsprojekt der letzten Zeit lief unter dem Namen „SiLeBAT“ und beschäftigte sich mit der Sicherung der Lebensmittel-Warenketten vor bioterroristischen Gefahren.

Auch wenn es in der Rückschau einige konkrete Fälle gab, blieben diese glücklicherweise ohne nennenswerten Schaden an Leib und Leben. In der Regel handelte es sich um groben Unfug (Stichwort: Weißes Pulver großflächig im Supermarkt) oder wenig erfolgreiche Manipulationsversuche.

Insgesamt hoffen wir alle, dass wir die AG-VS nie „wirklich“ brauchen. Von daher wünschen wir uns, dass die AG ruhig im Verborgenen weiter arbeiten kann.

 

 

Block 5: die Untersuchungsämter werden zukunftsfest und internationaler

Die ALUA war bis 1998 ein Zusammenschluss der chemischen Untersuchungsämter. Erst in den Nuller-Jahren wurde die ALUA interdisziplinärer und die staatlichen Tierärztlichen Untersuchungseinrichtungen kamen dazu. War die BSE-Krise der Anlass? (Frau Roth)

Foto: Frau Roth.Nein, nein! Anlass waren die leidigen Kosten! Die Untersuchungen wurden immer teurer, seien es die Tierarzneimittelrückstände, die Pestizide, die Verunreinigungen durch die geänderten Herstellungsbedingungen und ferne Produktionsländer. Es wurde zu teuer, sämtlich Untersuchungsparameter an allen Standorten anzuführen. Bündelung, Konzentrierung, Straffung war angesagt. Für die einzelnen Untersuchungsämter war die Umorganisation sehr schwierig. Nicht fachlich, sondern mental! Ein Untersuchungsamt ohne Pestizidabteilung, ohne Rückstandsabteilung für Tierarzneimittelrückstände, das war doch gar kein richtiges Amt mehr – das waren die damaligen Sorgen der Kollegen. Inzwischen ist bewiesen, dass die Konzentrierung zu mehr Schlagkraft führte. Diese Schlagkraft haben wir bundesweit unter Beweis gestellt: drei EU-Referenzlaboratorien haben den Zuschlag von der EU erhalten.

 

2006 gewannen BW im europäischen Laborwettbewerb den großen Preis. Gleich drei europäische Referenzlabore kamen nach BW. Ich habe hier das Gründungsmitglieder des Pestizidreferenzlabors und möchte wissen: war es wirklich der Sechser im Lotto? (Herr Dr. Zipper)

Tatsächlich wussten wir am Anfang gar nicht so recht was da auf uns zukommt. Gewisse Tätigkeiten sind ja rechtlich verankert in der EU Verordnung über amtliche Kontrollen. Und das hatte uns auch bewogen uns zu bewerben, weil wir uns mit der Bildung des Zentrallabors im Jahre 2001 sowieso schon in die Richtung Methodenentwicklung, Schulungen, Trainings und Verbreitung von Informationen über das Internet bewegt hatten. Aber man muss sich das so vorstellen: mit den EU-Referenzlaboren hat die EU Kommission einen Teil unseres Labors eingekauft. Wir haben jetzt also zwei Dienstherren und die Regeln des Verwaltungshandelns sind natürlich grundverschieden.

Wir mussten uns also schon gehörig auf die neue EU-Welt umstellen. Während im Land Erlasse schön über die Poststelle eingehen, geht bei der EU alles per Email direkt und meistens mit sehr engem Zeitkorridor. Der Leiter unseres Referenzlabor sagt zum Beispiel gern, er sei gefühlte 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr im Einsatz.

Ferner sind alle Dokumente, wie Arbeitsprogramme, Regeln für die Abrechnung mit der EU, Reisekostenabrechnung und so weiter auf Englisch. Da mussten wir uns neben dem Fachenglisch auch noch in das Verwaltungsenglisch einarbeiten. Ein kleines Beispiel:

Im Sommer 2006 wurden wir als EURL benannt, im Herbst mussten wir unseren ersten internationalen Workshop mit Labortraining hier in Fellbach abhalten. Das schien uns zunächst nicht weiter schwierig. Ich habe das dann im Labor vorgestellt und gesagt wir bilden kleine Gruppen, die an verschiedenen Stationen sehen sollen wie wir bestimmte Sachen machen. Da war dann verhaltene Begeisterung spürbar und kurze Zeit später standen alle technischen Mitarbeiter in meinem kleinen Büro und sagten, dass sie das nicht machen können, jedenfalls nicht auf Englisch. Da war dann Führung gefragt und wir haben noch schnell Englischunterricht organisiert und die Mitarbeiterinnen so gut vorbereitet, dass sie es sich schließlich doch zugetraut haben.

Jetzt nach 8 Jahren würde ich sagen, also ein Sechser im Lotto ist das EURL sicher nicht. Neben der von uns geliebten Arbeit im Labor und mit den Kollegen in all den Nationalen Referenzlaboren in der EU ist auch viel Verwaltung und Bürokratie dabei. Aber wir haben auch Einfluss, zum Beispiel einen direkten Draht zur EU Kommission und die Möglichkeit, tatsächlich auch was für den Verbraucherschutz in der EU zu leisten. Es ist wie immer im Leben, von allem ist etwas dabei.

 

Was bedeutet die Zusammenlegung von Untersuchungseinrichtungen rein praktisch? (Frau Dr. Hartmann?)

Im Falle von Stuttgart war das alte tierärztliche Untersuchungsamt in Stuttgart gerade frisch renoviert und komplett saniert worden. Durch die Zusammenlegung mit der Chemie wurde ein Anbau in Fellbach notwendig. Als Besonderheit ist mir hier in Erinnerung, dass 14 Tage der Bau eingestellt wurde, weil im zukünftigen Sektionsraum ein Rotschwänzchen-Paar gebrütet hat. Dennoch blieben wir insgesamt im Zeit- und Kostenrahmen!

Meine Bauerfahrungen als Stellvertreterin in Fellbach konnte ich an meiner nächsten Dienststelle in KA als neue Amtsleiterin gut gebrauchen.

 

Fit für den Seuchenfall lautet in der veterinärmedizinischen Untersuchung das Stichwort. Wieso muss die ALUA für den Tierseuchenfall gerüstet sein? (Herr Dr. Sting)

Die Globalisierung verleiht den Bakterien und Viren Flügel, man kann es gar nicht anders sagen. Tierseuchen, die ausgestorben schienen, kommen via Handel und Reisen zurück nach Europa.

Es gibt Krankheitserreger, die wir kennen und fürchten und es gibt solche, die wir bisher noch gar nicht kennen und deshalb umso mehr fürchten. So gehen Experten davon aus, dass es noch tausende von Krankheitserregern gibt, die wir bisher nicht kennen, darunter auch solche, die auf den Menschen übertragen werden können (Zoonosen). Erregerreservoire bilden neben Haustieren auch Wildtiere, nicht nur in Urwäldern, sondern auch in unseren Wäldern (z.B. Europäische Schweinepest, Brucellose, Tulärmie, Diphtherie, etc.).

Grippeviren werden manches Mal als Verwandlungskünstler bezeichnet. Wie erklären Sie das (Herr Dr. Sting)?

Foto: Herr Dr. Sting.Grippeviren sind nicht nur Globetrotter, sondern auch Verwandlungskünstler und Trojaner: sie sind überall, sie schleusen sich mit neuen Namen unerkannt in verschiedenen Wirten ein und keiner weiß, woher sie kommen und wohin die Reise weiter geht.

Beispiele: die Vogelgrippe H5N1 (erreicht Deutschland im Februar 2006), die Schweingrippe H1N1: im Juni 2009 kommt die Warnung der WHO vor einer Pandemie (ein Subtyp von H1N1 ist die sog. Spanische Grippe); ferner die Geflügelpest H5N8 (November 2014 bei Puten im Landkreis Vorpommern-Greifswald), H7N9 u.a.

 

Exoten per Luftfracht – welche Flugzeuge benutzen die Viren denn? (Herr Dr. Sting)

Viren, die wir als exotische Viren im Studium gelernt haben, sind plötzlich bei uns. Flügel haben diese Viren durch blutsaugende Insekten verliehen bekommen, in denen sie ihre Reise in Europa angetreten haben.

Dazu zählt z.B. die Blauzungenkrankheit (BTV-8): erste Fälle gab in Deutschland im August 2006, letzte Fälle im November 2009, zudem wird die Gefahr des Wiederauftretens von BTV-8 hoch eingeschätzt.

Ein weiteres Beispiel ist das Schmallenbergvirus: erstmals aufgetreten in Deutschland im November 2011, weitere Fälle gibt es bis heute.

 

 

Block 6: Verbraucherschutz ist auch Schutz des Geldbeutels

Eine Million Steuer hinterzogen. Jetzt Knast statt Döner – so lautete die Schlagzeile in PANORAMA am 22.07.2009. Bei der Steuerfahndung stehen Sie gut im Kurs, werden in der Finanzwelt zitiert und auch andere CVUAs haben bereits Anfragen bekommen. Wie kam die Steuerfahndung dazu, Sie um Amtshilfe zu bitten? (Herr Buschmann)

Die Steuerfahndung wunderte sich, wieviel Wasser beim Dönerbraten verschwindet und hatte den Verdacht, dass die Angaben nicht stimmen. Die Frage an uns als Wissenschaftler lautete: wie viel Wasser verschwindet nun wirklich und ab wann fängt der Betrug an, d.h. wie viele Portionen werden schwarz verkauft. Die Steuerfahndung stellte uns zwei veritable Bräter zur Verfügung und so brutzelten wir wissenschaftlich ein paar Tage Döner. Wir bestimmten den Schwund auf 38 %. Die Angeklagte hatte 50 % angegeben. Die Staatsanwaltschaft ist ursprünglich von 25 % ausgegangen. Der Betrug summierte sich auf ca. 1 Mio €. Eine Haftstrafe war die Folge, allerdings wurde sie in einem zweiten Verfahren auf Bewährung ausgesetzt.

 

Detektivisch ging es auch in einem anderen Fall zu, als Tierarzneimittelrückstände auf einen Betrug hinwiesen und die Polizei ein Treffen auf einem Autobahnrastplatz organisierte – und das alles, weil Sie, Herr Dr. Renz, den richtigen Riecher hatten?

Ich hatte einen außergewöhnlich hohen Wert im Urin eines geschlachteten Kalbes festgestellt. Kollege Weißhaar kam auf die Idee, dass es sich um Brombuterol handeln könnte, ein Mittel, das weder in der Human- noch in der Tiermedizin zugelassen war. In Bayern (dort befand sich der Mästbetrieb) trat die Staatsanwaltschaft auf den Plan.

In einer Nacht und Nebelaktion wurden mehrere Amtstierärzte zu einem Autobahnrastplatz bestellt. Man hatte ihnen nicht gesagt worum es geht, um zu verhindern, dass der Mäster evtl. vorgewarnt wird. Dort wurden die Kollegen dann von der Polizei abgeholt und es ging mit Blaulicht zu dem verdächtigen Betrieb, wo sämtlichen Tieren Blutproben entnommen wurden. Der Mäster war gelassen, da er sehr wohl wusste, dass ihm nichts passieren kann, weil die letzte Applikation schon zu weit zurück lag, um im Blut noch etwas nachzuweisen. So war es dann auch. Der leitende Beamte hat mich dann nochmal angerufen und ich habe ihm im Verlauf der Diskussion den Tipp gegeben, Haarproben untersuchen zu lassen, weil sich insbesondere in dunkel pigmentierten Haaren diese Substanzen ablagern können und so auch eine Applikation nachgewiesen werden kann, die schon länger zurückliegt.

Der Betrieb wurde dann ein 2. Mal beprobt und siehe da, alle Haarproben waren hoch Brombuterol-positiv. Und nicht nur die Proben aus seinem Betrieb, sondern auch die Proben aus dem Betrieb seines Schwagers. Die Strafe, die das Gericht dann verhing, war relativ milde, weil man keine „Gesundheitsschädlichkeit“ des in Verkehr gebrachten Fleisches monieren konnte. Allerdings wurde der Mäster dazu verdonnert, die Analytikkosten zu bezahlen, und die waren so horrent hoch, dass er letztlich Pleite ging.

 

Vor etwa 20 Jahren kamen Gentomate und Gensoja aus Übersee nach Europa. Herr Waiblinger, Sie haben die ersten Labornachweise etabliert. Ist das Thema für Sie immer noch spannend?

Foto: Herr Herr Waiblinger.Ja, auch nach 20 Jahren ist Gentechnik bei Lebensmitteln ein großes Diskussionsthema. Kaum einer hätte damals damit gerechnet, dass gentechnisch veränderte Produkte nach wie vor nicht im Supermarkt erhältlich sind. Die sehr strenge EU-Gesetzgebung mit Kennzeichnungspflicht und Nulltoleranz bei nicht zugelassenen GVO hat immer wieder für größere Gentechnik-Fälle gesorgt. Ich erinnere mich an den Leinsamen-Fall vor 5 Jahren, den wir mit aufgedeckt haben. Für ca. 2 Wochen war bundesweit fast kein Müsli mehr im Handel erhältlich, weil praktisch der gesamte Markt betroffen war.

Solche Fälle wiederholen sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit, auch weil in den Herkunftsländern (wie z.B. Kanada) offensichtlich nicht so streng kontrolliert wird wie bei uns.

 

Die Herkunft und die Echtheit von Lebensmitteln ist für den Verbraucher ein wichtiges Kaufargument. Der Schutz des Geldbeutels ist ja auch eine Aufgabe der Lebensmittelüberwachung! Herr Waiblinger, wie kam es, dass diese Aufgabe just bei Ihnen landete?

Beim Gentechnik-Nachweis handelt es sich um eine DNA-Analyse. Wir haben schnell gemerkt, welche Möglichkeiten die DNA eines Lebensmittels bei der Echtheitsüberprüfung bietet. Daher testen wir so nicht erst seit anderthalb Jahren, als der Pferdefleischskandal in vollem Gange war, auf nicht deklarierte Tierarten. Ein klassisches Beispiel ist die möglicherweise nicht echte Seezunge im Restaurant. Auch landet in den Kühl- und Tiefkühlregalen des Handels eine immer größere Vielfalt an Fischarten aus aller Herren Länder. Mögliche Verfälschungen oder Falschdeklararationen bei Trüffel, Basmati oder Dinkelprodukten sind beispielsweise Themen, mit denen wir uns derzeit beschäftigen.

Eine anderes interessantes Thema sind aktuell auch Bio-Textilien. Wir haben in Baumwolle, die als „bio“ deklariert war, gentechnische Veränderungen nachgewiesen. Viele Mode-Labels schließen die Gentechnik bei ihren als Bio oder „organic“ angebotenen Produkten aus.

So hat mich das vielschichtige Thema Authentizität bei Lebensmitteln fast den ganzen Berufsweg begleitet. Aktuelle Fragestellungen sind die Unterscheidung von bio und konventionell sowie der Nachweis der Herkunft. Hierbei ist nicht die DNA-Analyse, sondern die sogenannte Stabilisotopen-Methode erste Wahl. Da regionale Lebensmittel sehr gefragt sind, wollen wir uns hiermit noch intensiver in einem Forschungsprojekt beschäftigen.

 

Herkunft und Echtheit ist auch Ihr Thema, Herr Dr. Kuballa, und Sie nutzen ein ganz anderes Klavier. Wie kam das?

Foto: Herr Dr. Kuballa.Sie sprechen unser NMR-Gerät an, mit dem wir seit 2010 neue Wege gehen. In der Medizin wird die Kernresonanz schon seit einiger Zeit angewendet, aber nicht für die Untersuchung von Lebensmitteln und Kosmetika. Wir sind aber nicht nur in der Untersuchung neue Wege gegangen, sondern auch in der Organisation: ein Gerät am Standort Karlsruhe, Zugriff und Auswertemöglichkeiten von allen CVUAs aus. Dazu kommt noch die Vernetzung mit anderen Bundesländern. Also, eine Erfolgsgeschichte in jeder Richtung!

Ein besonderer Vorteil der Methode ist, dass man viele Proben in kurzer Zeit untersuchen kann. Wir setzen die Technik für Untersuchungen zur Herkunft und Echtheit bei Lebensmitteln ein. Ein gutes Beispiel dafür ist die Untersuchung von Pinienkernen. In den Jahren 2000 bis 2010 häuften sich weltweit Beschwerden, dass jeweils nach dem Verzehr von bestimmten Pinienkernsorten eine Veränderung des Geschmacks auftritt: Unabhängig vom anschließend verzehrten Lebensmittel schmeckt alles metallisch bitter. Dieses Phänomen, kurz PNS – engl. Pine Mouth Syndrom – kann in Abhängigkeit von der verzehrten Menge bis zu zwei Wochen anhalten. Bei der Untersuchung mit der NMR-Technik hat sich gezeigt, dass alle PNS-positiven Pinienkerne aus China stammten. Durch das NMR-Screening lässt sich eine schnelle Klassifizierung vornehmen, ob die Probe unauffällig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit mit PNS behaftet ist. Eine aufwändige sensorische Kontrolle wird damit in vielen Fällen überflüssig.

 

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Artikel erstmals erschienen am 03.09.2015