Baden-Württemberg

Die Untersuchungsämter für Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit

Sprossen, eine Gefahr für die Gesundheit?

Dr. Alfred Friedrich, CVUA Stuttgart, Dr. Hans Layer, CVUA Sigmaringen, Dr. Daniela Noack, CVUA Karlsruhe, Dr. Leonie Böhmer, CVUA Freiburg

 

In jüngster Zeit stehen Sprossen im Verdacht, für die zahlreichen EHEC-Erkrankungen verantwortlich zu sein, die seit einigen Tagen überwiegend im norddeutschen Raum auftreten. Dies verunsichert den Verbraucher, denn bislang hatten Sprossen den Ruf eines besonders gesunden Nahrungsmittels. Rohe Sprossen sind deshalb bei Personen, die sich gesundheitsbewusst ernähren, besonders beliebt. In Lebensmittelgeschäften und v. a. in Bioläden wird eine Vielzahl von Sprossen angeboten: am meisten verbreitet sind Alfalfa-Sprossen und Mungo-Sprossen. Aber auch Soja-, Adzuki-, Brokkoli-, Rucola-, Radieschen-, Linsen- und Weizensprossen sind im Angebot.

Schmuckelement.

 

Sprossen für die gesunde Ernährung

Sprossen werden positive Effekte auf die Gesundheit nachgesagt.

Sie sind reich an essentiellen Aminosäuren, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Enzymen, Vitamin A, C, E, B-Komplex, Rutin, Ballaststoffen und Spurenelementen.

Weniger seriös sind Anpreisungen als „Vitalstoffbomben“ oder gar als „Wundermittel“ gegen Muskelerkrankungen, Haarprobleme, Verdauungsstörungen und Stoffwechselstörungen.

Unbestritten ist jedoch der hohe ernährungsphysiologische Wert der Keimlinge.

 

Sprossen als Gesundheitsrisiko?

Rohe Keimlinge wurden in den letzten 15 Jahren immer wieder mit lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen in Verbindung gebracht. Massenerkrankungen mit z. T. mehreren hundert Betroffenen wurden v. a. aus den USA und aus Japan berichtet. Berichte über Gruppenerkrankungen, die durch den Verzehr von rohen Sprossen ausgelöst wurden, liegen auch aus England, Schweden, Finnland, Dänemark und Kanada vor. Als Erreger wurden in den meisten Fällen Salmonellen, aber auch pathogene E.coli (VTEC/EHEC) ausfindig gemacht. Wiederholt wurde der VTEC/EHEC-Stamm O157:H7 als Ursache identifiziert.
Einzelne Berichte gibt es auch über Bacillus-cereus-verursachte Erkrankungen nach dem Verzehr von Sprossen. Aus Sprossen konnten auch schon Listeria monocytogenes, Yersinia enterocolitica und Shigellen isoliert werden.

 

Samen als Ausgangsmaterial zur Sprossenherstellung sind niemals keimfrei

Bei fast allen sprossenverursachten Krankheitsausbrüchen, bei denen die Ursachen aufgeklärt werden konnten, waren die pathogenen Keime über das Ausgangsmaterial, die Samen, eingetragen worden. Samen sind landwirtschaftliche Rohprodukte. Sie werden immer mit Saprophyten aus dem landwirtschaftlichen Umfeld besiedelt, insbesonders durch Enterobacteriaceen (Enterobacter-, Erwinia-, Serratia-, Klebsiella- und Citrobacter-Arten), außerdem mit Pseudomonaden, Lactobacillen, Hefen und Pilzen.
Untersuchungen von Samen zeigten, dass diese natürlicherweise bereits mit signifikanten aeroben Gesamtkeimzahlen zwischen 104 und 107 KbE pro Gramm behaftet sind. (1) (2) (3)

 

Ungehemmte Keimvermehrung bei der Sprossenherstellung

Die bereits mit den Samen eingebrachten Keime, ob pathogen oder nicht, werden bei der Sprossen-Herstellung optimalen Vermehrungsbedingungen ausgesetzt. Denn die Bedingungen, die für das Auskeimen der Saat optimal sind, wie erhöhte Umgebungstemperaturen, reichliche Wasserversorgung und hohe Luftfeuchtigkeit, sind auch optimale Bedingungen für die meisten Bakterien.


Die Grafik gibt eine vereinfachte Übersicht über die Technologie der Sprossenherstellung.
Ausgangsmaterial sind die Samen. Diese werden zuerst gewaschen. Meist wird das Waschen noch mit einem Verfahren zur Keimreduzierung verbunden. Das geschieht in der Regel dadurch, dass dem Waschwasser Zitronensäure zugefügt und so der pH-Wert abgesenkt wird.

 

Schema Sprossenherstellung.

 

Es gibt zu diesem Zweck auch andere Verfahren, z. B. die Chlorierung mit Calciumhypochlorit-Lösung, wie sie in Japan und den USA eingesetzt wird, oder die Bestrahlung mit Cs137, die in den USA praktiziert wird. Diese Verfahren sind aber hierzulande nicht zulässig.
Allen Verfahren ist gemeinsam, dass sie nur sehr schonend angewandt werden dürfen, denn es muss immer darauf geachtet werden, dass die Keimfähigkeit des Samens durch die Behandlung nicht beeinträchtigt wird. Deshalb sind alle diese Verfahren nicht dazu geeignet, die mikrobielle Keimbelastung der Samen zu beseitigen, sondern allenfalls in der Lage, sie um maximal zwei Zehnerpotenzen zu verringern.
Ein aus mikrobiologischer Sicht kritischer Schritt ist das Einweichen der Samen für bis zu 12 Stunden.
Dieses Einweichen lässt die Samen anschwellen, macht die Samenhüllen weich und setzt den Keimprozess in Gang. Das Wasser hat hierbei eine Temperatur von 32-35 °C, eine Temperatur, die für die meisten Bakterien, die sich auf den Samen befinden, ebenfalls optimal ist für rasches Keimwachstum.
Auf das Einweichen der Samen folgt die eigentliche Sprossen-Herstellung, das Auskeimen der Samen. Dies dauert, je nach Art der Sprossen, zwischen 4 und 14 Tagen, im allgemeinen 5 Tage. Für die Dauer von 5 Tagen werden die Zuchtbehälter in einem Sprossraum gelagert, in dem Temperaturen zwischen 25 und 30 °C herrschen. Außer diesen hohen Temperaturen brauchen die Sprossen zum Keimen auch genügend Feuchtigkeit. Für Feuchtigkeit wird dadurch gesorgt, dass die Zuchtbehälter in regelmäßigen Abständen eine Wasserdusche abbekommen. Dies geschieht meist vollautomatisch und zeitprogrammiert, z. B. alle 4 Stunden eine einminütige Dusche mit warmem Wasser. In diesen 5 Tagen, in denen die Samen bei diesen hohen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit aussprießen, können sich die meisten Bakterien nahezu ungehemmt vermehren.
Untersuchungen belegten eine Verzehnfachung der Gesamtkeimzahl (also um 1 Zehnerpotenz) pro Tag unter den bei der Sprossenherstellung gegebenen Bedingungen. (2)
Andere Autoren gehen von einer Vermehrung der Keimzahl um 2 bzw. 3 Zehnerpotenzen innerhalb der ersten beiden Tage der Sprossenherstellung aus.(4)
Sprossen unterliegen so einem exponentiellen Keimwachstum während ihrer Herstellung über einen mehrere Tage andauernden Zeitraum. Gesamtkeimgehalte von 108 KbE/g oder 109 KbE/g sind deshalb auch bei einwandfrei und korrekt hergestellten Sprossen nicht außergewöhnlich. (5) (2) (9)

 

Gezielte Untersuchungen auf pathogene Keime

Hohe Gesamtkeimgehalte in Sprossen sind herstellungsbedingt unvermeidlich. Entscheidend ist deshalb, dass keine pathogenen Keime eingeschleppt und bei der Sprossenherstellung vermehrt werden.
Bei einer von den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern bereits im Jahr 2002 durchgeführten Studie an 40 aus dem Handel entnommenen rohen Sprossen-Produkten wurden zwar durchweg hohe Gesamtkeimbelastungen, in keinem Fall jedoch pathogene Keime nachgewiesen.
Schwerpunktmäßig wurden 2007 im Rahmen eines bundesweiten Untersuchungsprogramms 42 Proben Blattsalate, Keimlinge und Sprossen auf das Vorhandensein pathogener Mikroorganismen getestet. Dabei wurden in 4 Proben Listeria monocytogenes-Keime festgestellt. EHEC war in Proben aus Baden-Württemberg in keinem Fall nachweisbar; bundesweit waren 3 von 272 Proben EHEC-positiv: in allen drei Fällen handelte es sich um Sprossen.
Sprossen standen in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren weiterhin im Fokus der Lebensmittelüberwachung und wurden stichprobenartig auf Krankheitserreger in den CVUAs getestet. EHEC konnte in den untersuchten Sprossen sowie in ebenfalls untersuchten Salaten, rohem Gemüse und Obst nie nachgewiesen werden.

 

Zusammenfassung, Fazit

Sprossen werden aus Samen hergestellt, die als landwirtschaftliche Rohware stets mit Keimen belastet sind. Eine Vermehrung dieser Keime bei der Sprossenherstellung ist verfahrensbedingt nicht zu vermeiden. Über belastetes Ausgangsmaterial können auch pathogene Keimen in die verzehrsfertigen Sprossen gelangen. Die Hersteller von Sprossen sind deshalb in der Pflicht, ihre Ware im Rahmen ihrer Eigenkontrollen gezielt auf pathogene Keime zu untersuchen. Darüber hinaus werden Sprossen auch von den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern Baden-Württembergs regelmäßig und gezielt auf pathogene Keime untersucht.
Der Verbraucher sollte Sprossen vor dem Verzehr auf alle Fälle gründlich waschen.
Allerdings kann eine bestehende Kontamination mit EHEC-Keimen durch das Waschen der Sprossen nicht beseitigt werden. Es verringert den Gesamtkeimgehalt nur um etwa eine Zehnerpotenz. Durch Waschen und Spülen mit verdünntem Essig (1%-ige Essigsäure) kann die aerobe Gesamtkeimzahl um bis zu 2 Zehnerpotenzen verringert werden. (6)
Eine weitergehende Keimreduzierung durch Waschen ist wohl auch deshalb nicht möglich, weil die Mikroorganismen beim Auskeimen der Sprossen teilweise in die Sprossen eingelagert werden und so einer Oberflächenbehandlung nicht mehr ohne weiteres zugänglich sind.(7) (8)

 

Literatur :

  • (1) Andrews et al., 1982. .Microbial hazards associated with bean sprouting. J. AOAC. 65:241-248.
  • (2) Prokopowich and Blank, 1991. Microbiological evaluation of vegetable sprouts and seeds. L. Food Prot. 54:560-562.
  • (3) Piernas und Guiraud, 1997. Disinfection of rice seeds prior to sprouting. J. Food Sci. 62: 611-615.
  • (4) Piernas und Guiraud, 1997. Microbial hazards related to rice sprouting. Int. J. Food Sci. Technol. 32: 33-39.
  • (5) Patterson und Woodborn, 1980. Klebsiella and other bacteria on alfalfa and bean sprouts at the retail level. J. Food Sci. 45: 492-495.
  • (6) Bomar, 1987. Mikrobielle Belastung von Keimlingen – am Beispiel von Speisekeimlingen aus Mungobohnen und Weizen. Ernährungsumschau, 34: 226-228.
  • (7) Hara-Kudo et al., 1997. Potential hazard of radish sproutsas a vehicle of E. coli O157:H7. J. Food Prot. 60: 1125-1127.
  • (8) Itoh et al., 1998. Enterohemorrhagic E. coli O157:H7 present in radish sprouts. Appl. Environ. Microbiol. 64: 1532-1535.
  • (9) Weiß und Hammes, 2003. Möglichkeiten zur Verbesserung des hygienischen Status von roh verzehrbaren Saatsprossen. 38. Vortragstagung Geisenheim, 13.-14.03.2003, Tagungsband S. 13.

 

Bildernachweis

Dr. Alfred Friedrich, CVUA Stuttgart

 

Artikel erstmals erschienen am 08.06.2011 14:29:44

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