Weinkontrolle stößt auf „Öl”

M. Frietsch, G. Amann, C. Populoh, S. Scanlan-Sierra, M. Rupp

 

Woher kommen die an Fettaugen bzw. Öltröpfchen erinnernden kleinen „Bläschen" auf der Flüssigkeitsoberfläche eines abgefüllten Rotweins? Mit diesem außergewöhnlichen Phänomen hatten sich gleichermaßen Weinkontrolle, Weinlabor und Gaschromatografie-Messlabor des CVUA Freiburg intensiv zu beschäftigen. Die Spur führte letztendlich zu einem Weichmacher, der in den Kunststoffdichtungen der Schraubverschlüsse verwendet wurde.

 

Bei einem als Planprobe erhobenen, abgefüllten Rotwein eines regionalen Weinguts waren im Flaschenhals unter bestimmtem Lichteinfall kleine, nicht mit Wein mischbare, an Fettaugen bzw. Öltröpfchen erinnernde Bläschen, z. T. auch in Form von Ölfilmen, auf der Flüssigkeitsoberfläche aufgefallen. Diese unterschieden sich optisch deutlich von den üblicherweise kurzfristig auftretenden Kohlensäure- oder Luftbläschen. Eine genaue Überprüfung der gesamten Charge ergab schließlich, dass sämtliche Flaschen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, betroffen waren. Andere Weine des Betriebes zeigten zunächst keine Auffälligkeit. Als Sofortmaßnahme nahm der Winzer das Erzeugnis umgehend aus dem Verkauf.

 

Öltröpfchen

 

SchmierstoffeZur Ermittlung einer möglichen Eintragsquelle im Weingut selbst, aber auch im Umfeld der zur fraglichen Zeit gemieteten Abfüllanlage eines Lohnfüllunternehmens, konnten nach und nach sämtliche der im Bereich der Abfüllung verwendeten, vom Prozessablauf her in Frage kommenden Schmierstoffe (diverse Sprühfette, Schmierfette aus Fettpressen, Schmieröl aus dem Druckluftkompressor) analytisch ausgeschlossen werden. Die gaschromatografisch-massenspektrometrische Untersuchung (GC-MS) der abpipettierten Öltröpfchen sowie der o.g. Schmierstoffe ergab keinerlei Übereinstimmung in den Spektren.

 

Allerdings zeigten alle optisch belasteten Weine im Vergleich zu einem optisch unbelasteten Wein des gleichen Betriebes ein deutlich abweichendes Spektrum. Zur Abklärung dieser analytischen Auffälligkeit rückten infolgedessen auch die verwendeten Verschlüsse in den Fokus des Interesses. Um einen möglichen Eintrag, z. B. durch Migration von Stoffen aus den Compound-Dichtungen der Aluminium-Anrollverschlüsse (sog. MCA-Schraubverschlüsse) ausschließen zu können, wurde zusätzlich eine Probe der entsprechenden Verschlussrohlinge erhoben.

 

Flaschenverschlüsse

 

Analytischer Ansatz

Durch die Extraktion der Verschlussdichtungen mit n-Hexan und anschließender GC-MS-Analyse der Extrakte konnte der in den Kunststoffdichtungen verwendete Weichmacher 1,2-Cyclohexandicarbonsäurediisononylester (DINCH®) qualitativ nachgewiesen werden.

 

Formel und Info

Abb. 1: Strukturformel von 1,2-Cyclohexandicarbonsäurediisononylester (DINCH®)

 

Die Analytiker des CVUA Freiburg wurden beim Vergleich der GC-MS-Spektren des Weichmachers mit denen der Tröpfchen, die von der Flüssigkeitsoberfläche entfernt wurden, endlich fündig. Die Substanz auf der Weinoberfläche konnte aufgrund der Übereinstimmung in den Spektren (s. Abb. 2-5) als 1,2-Cyclohexandicarbonsäure-diisononylester (DINCH®) identifiziert werden.

 

Chromatogramm

Abb. 2: GC-Chromatogramm des DINCH®-Standards 10 ng/µL n-Hexan

 

Chromatogramm

Abb. 3: GC-Chromatogramm der extrahierten Öltröpfchen

 

Massenspektrum

Abb. 4: Massenspektrum des DINCH®-Standards bei Retentionszeit 26.6 min

 

Massenspektrum

Abb. 5: Massenspektrum der extrahierten Öltröpfchen bei Retentionszeit 26.6 min

 

Mit der Erkenntnis, dass die Auffälligkeit in Zusammenhang mit den Anrollverschlüssen auftrat, wurde erneut im Weingut recherchiert. Unmittelbar vor dem betroffenen trockenen Rotwein wurde am selben Tag ein sich lediglich im Anteil der verwendeten Süßreserve unterscheidender halbtrockener Wein abgefüllt. Zufälligerweise erfolgte nahezu gleichzeitig ein Wechsel zwischen den Anrollverschlüssen unterschiedlicher Hersteller.

 

Glücklicherweise unterschieden sich die Verschlüsse aber geringfügig in Farbe, Form und Aufdruck. So fanden sich bei diesem halbtrockenen Wein nach aufwändiger Suche ca. 20 Flaschen, die mit den gleichen Verschlüssen wie die belastete Charge verschlossen waren. Auch diese Flaschen zeigten sich optisch und analytisch belastet. Der mit den Verschlüssen eines anderen Lieferanten verschlossene identische Wein zeigte dagegen weder visuelle noch analytische Auffälligkeiten. Als mögliche Ursache für diesen Befund wird eine fehlerhafte Beschaffenheit oder Kontamination der Compound-Dichtung bzw. des verwendeten Verschlusses in Betracht gezogen. Hierzu sind weitere nachfolgende Ermittlungen erforderlich.

 

Toxikologische Bewertung

Für die Beurteilung des Erzeugnisses hinsichtlich einer möglichen Überschreitung des spezifischen Migrationsgrenzwerts von 60 mg/kg Lebensmittel [4] bzw. zur toxikologischen Einschätzung der Tolerierbaren Tagesdosis (TDI) von 1 mg/kg Körpergewicht/Tag [5] wurde eine quantitative GC-MS-Bestimmungsmethode am CVUA Freiburg etabliert. Dadurch konnte abgeleitet werden, dass sowohl der Migrationsgrenzwert als auch die TDI mit deutlichem Abstand unterschritten wurden. Eine Gesundheitsgefahr durch die abweichende Beschaffenheit der Weine war somit nicht gegeben.

 

Rechtliche Bewertung

Die Charge des betroffenen Verschlusses wurde lebensmittelrechtlich beanstandet. Die belasteten Weine waren als nicht von handelsüblicher Beschaffenheit zu beurteilen und entsprachen somit nicht den Vorgaben des Weingesetzes.

 

Folgen

Der belastete Wein wurde zwischenzeitlich entsorgt. Die Ermittlungen zu weiteren, eventuell ebenfalls betroffenen Chargen in anderen Weinbaubetrieben dauern noch an. Zur Eingrenzung der Problematik plant das CVUA Freiburg, stichprobenartig weitere Weine und Verschlüsse auf die Anwesenheit bzw. Migration von 1,2-Cyclohexandicarbon-säurediisononylester zu untersuchen.

 

Literatur

[1]: http://de.wikipedia.org, Stichwort „DINCH" (Stand: 13.02.2014)
[2]: www.basf.com, Stichwort Hexamoll® und DINCH® (Stand: 29.01.2014)
[3]: www.plasticizers.basf.com (Stand: 29.01.2014)
[4]: Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (ABl. L 12/1, L 278/13), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 1183/2012 vom 30. November 2012 (ABl. L 338/11)
[5]: The EFSA Journal (2006) 395 to 401, 1-21, 12th list of substances for food contact materials
 

 

Bildnachweis

alle Fotos: Reiner Müller, CVUA Freiburg

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 24.06.2014