29 Jahre nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl - Radioaktivitätsüberwachung in Baden-Württemberg

Dr. Martin Metschies (CVUA Freiburg)

 

Wildproben-Messplatz am CVUA-FreiburgGroße Mengen an Radioaktivität gelangten in die Umwelt, als am 26. April 1986 das Kernkraftwerk von Tschernobyl (Ukraine) durch einen Unfall zerstört wurde. Der radioaktive Fallout kontaminierte in Deutschland insbesondere den Süden. Als positive Folge aus diesem Ereignis verfügt Deutschland seit 1990 mit dem „IMIS" über eine modernes Messnetz für die Umweltradioaktivität, das seitdem immer weiter entwickelt wurde (s. Infokasten IMIS). Die CVUAs Stuttgart und Freiburg sind als Landesmessstellen Baden-Württembergs in das IMIS eingebunden.

 

Noch heute, 29 Jahre nach dem Reaktorunfall, findet man in einigen Teilen Baden-Württembergs in Wildschweinfleisch deutlich erhöhte Gehalte an Cäsium-137 (Cs-137).

 

Als am 11. März 2011 das Kernkraftwerk von Fukushima (Japan) durch einen Tsunami zerstört wurde, gelangten erneut große Mengen Radioaktivität in die Umwelt, mit ernsten Folgen für die dort lebende Bevölkerung. In Deutschland war jedoch aufgrund der großen Entfernung nur mit sehr geringen Luftkonzentrationen an Radioaktivität aus Japan zu rechnen. Bereits am 25. März 2011 registrierten die empfindlichen Luftmesssonden des IMIS auf dem 1284 m hohen Schauinsland das Eintreffen winzigster Spuren an radioaktivem Iod-131 und Cäsium-137.
In Deutschland werden seitdem Routinekontrollen auf Radioaktivität bei Lebensmitteln aus Japan durchgeführt (z.B. Hafen Hamburg, Flughafen Frankfurt).

Informationen zum Thema „Radioaktivitätsüberwachung bei Lebensmitteln" stellt auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) über das Internet zur Verfügung unter http://www.bvl.bund.de/DE/01_Lebensmittel/02_UnerwuenschteStoffeOrganismen/06_Radioaktivitaet/lm_radioaktivitaet_node.html

 

IMIS – Radioaktivitätsmessung bundesweit vernetzt

Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 wurden auch Teile der Bundesrepublik großräumig radioaktiv kontaminiert. Die gesammelten Erfahrungen führten noch im selben Jahr zur Verabschiedung des „Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ (Kurztitel: Strahlenschutzvorsorgegesetz, StrVG). Ein wesentlicher Kernpunkt dieses Gesetzes ist die Einrichtung des IMIS (= Integriertes Mess- und Informations-System zur Überwachung der Umweltradioaktivität). Damit wurden wichtige technische und organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen für ein besseres Krisenmanagement bei möglichen ähnlichen Ereignissen.

 

Im Bereitschaftsmodus (IMIS-Routinemessbetrieb) wird der Normalpegel der Umweltradioaktivität erfasst und die dauernde Einsatzfähigkeit der Messstellen in einem Ereignisfall trainiert.
In einem echten oder auch geübten Ereignisfall (IMIS-Intensivmessbetrieb) kann dann der Probendurchsatz in den Messstellen um ein Vielfaches gesteigert werden.

Bund und Länder teilen sich in IMIS die Aufgaben. Zu den Länderaufgaben gehören u.a.: Ermittlung der Radioaktivität in Umweltmedien wie Lebensmittel, Futtermittel, Trinkwasser, Boden, Bewuchs, Oberflächenwasser, Sediment, Abwasser und Klärschlamm.
Die Messstellen des Bundes erfassen dagegen die Radioaktivität großräumig (z.B. in der Luft). Weiterhin betreibt der Bund (Bundesamt für Strahlenschutz, BfS) das sehr leistungsstarke IMIS-Datenbanksystem für die Erfassung und Aufbereitung der Daten. Diese werden in Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) veröffentlicht. [1][2]

An IMIS sind mehr als 60 Laboratorien in Bund und Ländern beteiligt. In Baden-Württemberg sind neben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz die CVUAs Freiburg und Stuttgart als Landesmessstellen in dieses System eingebunden. Die CVUAs untersuchen für das Bundesmessprogramm routinemäßig mehrere Hundert Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben im Jahr. Die aktuellen Messergebnisse sind in Form von Karten und Diagrammen über das Internet beim Bundesamt für Strahlenschutz abrufbar [2]. Dort finden sich auch umfangreiche Erläuterungen und im Ereignisfall entsprechende Empfehlungen an die Bevölkerung. IMIS wertet die Daten im Normalbetrieb täglich, im Ereignisfall alle 2 Stunden aus.

 

Aktuelle Luftmessungen auf Radioaktivität werden täglich vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlicht [3]. Die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg überwacht kontinuierlich mit hochempfindlichen Systemen die Radioaktivität in der Luft. Sie ist Teil eines weltweiten Netzes zur Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima (Japan) im Jahr 2011 konnten dadurch frühzeitig Spuren an Cs-137 und Jod-131 im Bereich von 0,0001 Bq/m3 nachweisen werden, die uns aus Japan erreicht hatten. Auch diese Messungen können über das Internet aufgerufen werden [4].

 

[1] http://www.bfs.de/de/ion/imis

[2] http://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt/kernenergie-und-radioaktivitaet/umweltradioaktivitaet-und-strahlenschutz/radioaktivitaet-in-der-umwelt

[3] http://odlinfo.bfs.de/

[4] http://www.bfs.de/de/ion/imis/luftueberwachung.html

 

Radioaktivität in Lebensmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser: Situation 2014

Bei den insgesamt 1.151 von den CVUAs Stuttgart und Freiburg untersuchten Lebensmittel-, Futtermittel- und Trinkwasserproben zeigten sich überwiegend geringe Cs-137-Gehalte im Bereich der Nachweisgrenze (0,1 bis 1 Bq /kg). Mit Ausnahme von Wildschweinfleisch (s.u.) lagen die Werte damit bei allen Proben deutlich unter dem EU-Grenzwert von 600 Bq/kg, der kurz nach Tschernobyl für Importe aus den besonders betroffenen Gebieten Ost- und Südosteuropas festgelegt worden war. Seither wird dieser Wert in Deutschland für Lebensmittel allgemein als Beurteilungsrichtwert herangezogen (z.B. bei heimischem Wild).

 

TrinkwasserEin Teil der Proben wurde zusätzlich auf Strontium-90 untersucht, das durch oberirdische Kernwaffentests in den 1950er und 1960er Jahren verstärkt in die Umwelt gelangte. Strontium-90 findet sich heute zwar nur noch in Spuren in Lebensmitteln, gehört aber wegen seiner hohen Radiotoxizität weiterhin zum festen Untersuchungsprogramm.

 

Die Untersuchung von 38 Futtermittelproben ergab nur geringe Gehalte an künstlicher Radioaktivität: Die Maximalgehalte für Cs-137 bzw. Sr-90 betrugen jeweils 3,0 Bq/kg Trockenmasse. Bei den 12 untersuchten Bodenproben ergaben sich Maximalgehalte für Cs-137 von 58 Bq/kg, für Sr-90 von 2 Bq/kg.

 

Bei den 28 untersuchten Trinkwasserproben waren keine künstlichen Radionuklide oberhalb der Nachweisgrenze von 0,01 Bq/l feststellbar.

 

Radioaktivität in Lebensmitteln für den Export in die Russische Föderation

Im Jahr 2014 wurden 75 Proben verschiedenster Lebensmittel aus Baden-Württemberg auf Radioaktivität untersucht, die für den Export in die Russische Föderation bestimmt waren. Bei allen Proben lagen die gemessenen Gehalte sehr deutlich unter den von den russischen Behörden festgelegten Grenzwerten.

 

Wildfleisch

WildschweineEine Ausnahmestellung bei den Radioaktivitätswerten nehmen aufgrund ihrer besonderen Ernährungsgewohnheiten die Wildschweine ein, deren Fleisch auch 29 Jahre nach Tschernobyl teilweise noch deutlich mit radioaktivem Cs-137 belastet ist. Überschreitungen des Richtwertes von 600 Bq/kg wurden bei 73 der 334 Wildschweinproben (22 %) festgestellt. Das Fleisch dieser Tiere befand sich noch nicht im Handel. Die höchsten Werte lagen bei 7700 Bq/kg (Gemeinde Oberreichenbach/Landkreis Calw) sowie bei 6700 Bq/kg (Gemeinde Wain/Landkreis Biberach).

 

Die vorliegenden Daten sind jedoch nicht repräsentativ für das gesamte in Baden-Württemberg erlegte Schwarzwild, da verstärkt Wildproben aus den höher belasteten Überwachungsgebieten zur Untersuchung eingesandt wurden.

 

Bei 13 Stichprobenkontrollen von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien wurden auch 2014 für Cs-137 keine Werte über 600 Bq/kg festgestellt (höchster gemessener Wert: 390 Bq/kg).

 

Wildbret der übrigen Wildarten (z.B. Rehwild) kann in Baden-Württemberg aufgrund der Vorjahresergebnisse inzwischen als nicht mehr belastet eingestuft werden.

 

Die Untersuchungsergebnisse aus allen Messstellen des Landes werden vom CVUA Freiburg für das zurückliegende Jagdjahr (01.04.2013-31.03.2014) ausgewertet und im Internet veröffentlicht unter www.ua-bw.de. Dort sind auch die Auswertungen der Vorjahre abrufbar.

 

Überwachungsprogramm Radioaktivität in Schwarzwild

Die Landesregierung hatte im Jahr 2006 gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein Überwachungssystem für Wildfleisch eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Wild mit Cs-137 Gehalten über dem Richtwert von 600 Bq/kg nicht in den Handel kommt. Das Überwachungssystem umfasst folgende Stufen:

  1. In Überwachungsgebieten, also Bereichen, in denen eine radioaktive Belastung häufiger auftreten kann, muss jedes erlegte Stück Schwarzwild untersucht werden (100%-ige Eigenkontrolle). Dazu haben der Landesjagdverband und einige Landratsämter Messstellen eingerichtet.
  2. In den übrigen Landesteilen wird Schwarzwild stichprobenartig in einem amtlichen Monitoring bei den CVUAs Stuttgart und Freiburg untersucht.
  3. Zur Überprüfung der Effektivität des Überwachungsprogramms werden Stichproben von Wildschweinfleisch aus Gaststätten und Metzgereien untersucht.

 

 

Wildpilze

Im Jahr 2014 wurden von privaten Sammlern lediglich 11 Pilzproben aus Sammelgebieten in Baden-Württemberg zur Untersuchung auf Radioaktivität eingesandt. Der höchste Cs-137-Gehalt ergab sich mit 1043 Bq/kg bei Hirschtrüffeln (kein Speisepilz) aus der Gemeinde Baiersbronn/Landkreis Freudenstadt. Diese Sonderprobe wurde dem CVUA von Pilzexperten als Anschauungsmaterial zur Verfügung gestellt. Für Wildschweine stellt der Hirschtrüffel eine wichtige Ergänzung des Nahrungsangebotes dar. Er reichert das Radiocäsium aus dem Waldboden stark an, wodurch es zu den bekannten Belastungen des Wildschweinfleisches mit radioaktivem Cs-137 kommt.

 

Bei den 11 Proben heimischer Speisepilze wurden für Cs-137 ausschließlich Gehalte unter dem Richtwert von 600 Bq/kg festgestellt. (Maximalwert: 360 Bq/kg bei Maronenröhrlingen aus dem Landkreis Biberach).

 

Die Untersuchung von 6 Proben importierter Pfifferlinge aus Ost- bzw. Südosteuropa ergab durchweg Cs-137-Gehalte deutlich unter dem Importgrenzwert von 600 Bq/kg (Maximalwert: 50 Bq/kg).

 

 

Bildnachweis

alle CVUA Freiburg

 

 

Artikel erstmals erschienen am 13.05.2015