Statt sexueller Lust Gesundheitsfrust?

Dr. Kohl-Himmelseher, el-Atma

 

Die Arzneimitteluntersuchungsstelle Baden-Württemberg hat zwei angebliche Nahrungsergänzungsmittel als nicht zugelassene und bedenkliche Arzneimittel eingestuft.

Beide Produkte wurden im Internet als Nahrungsergänzungsmittel bzw. „dietary supplements“ zur Stärkung der sexuellen Leistungsfähigkeit angeboten.

 

Das MLR Baden-Württemberg hat durch die Pressemitteilung Nr. 171/2015 vom 11.08.2015 die Verbraucherinnen und Verbraucher vor derartigen illegalen und potentiell gefährlichen Produkten gewarnt:

https://mlr.baden-wuerttemberg.de/de/unser-service/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilung/pid/arzneimitteluntersuchungsstelle-baden-wuerttemberg-stuft-zwei-angebliche-nahrungsergaenzungsmittel-a

 

Bei einem Produkt zeigt sich wieder einmal die Innovationsfreude der Branche. Erstmalig lagen der Arzneimitteluntersuchungsstelle keine Tabletten oder Kapseln zum Einnehmen vor, sondern unter die Zunge zu legende Strips, was mit einer direkten Aufnahme der Wirksubstanz in den systemischen Blutkreislauf über die Mundschleimhaut verbunden ist. Daher ist mit einer besonders schnellen Wirkung zu rechnen. In dieser Probe war der synthetische Wirkstoff Thiodimethylsildenafil nachweisbar, obwohl sie als „rein natürlich“ deklariert war.

 

Ebenfalls im Rahmen der Überwachung des Internethandels als Testkauf erworben wurde ein zweites Erzeugnis. Ohne nähere Begründung und Information (es handelte sich um eine Packung mit zwei Kapseln) wurde in diesem Fall nicht das bestellte, sondern ein anders gekennzeichnetes Ersatzpräparat geliefert. Nach den Untersuchungen des CVUA Karlsruhe war in den Kapseln der synthetische Wirkstoff Thiosildenafil enthalten.

 

Die nachgewiesenen nicht deklarierten Substanzen Thiodimethylsildenafil und Thiosildenafil sind Abkömmlinge des arzneilich wirksamen synthetischen Stoffes Sildenafil (geschützter Handelsname: Viagra). Bei diesem Wirkstoff handelt es sich um einen spezifischen Phosphodiesterase V (PDE-5)-Hemmer, der zur Behandlung von Erektionsstörungen des Mannes eingesetzt wird. Häufig können teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen wie Blutdrucksenkung, Herzrasen und Herzrhythmusstörungen auftreten. Unter der Anwendung von Sildenafil sind sogar Todesfälle aufgetreten, vor allem bei Missachtung von Gegenanzeigen (Erkrankungen, bei denen man ein Präparat nicht nehmen darf). Daher unterliegt dieser Arzneistoff auch der Verschreibungspflicht durch einen Arzt.

 

Es ist davon auszugehen, dass beide Derivate aufgrund ihrer engen Verwandtschaft zu Sildenafil ein diesem Wirkstoff vergleichbares Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum aufweisen, das aber unzureichend untersucht ist. Bei den Sildenafil-Abkömmlingen handelt es sich um nicht zugelassene und damit illegale arzneilich wirksame Stoffe. Die Anwendung derartiger Substanzen bedingt durch die letztlich nicht sicher abschätzbare Wirkung sowie insbesondere auch durch unbekannte Nebenwirkungen ein großes Gesundheitsrisiko, vor allem für Personen mit Herzkrankheiten. Bei den Produkten handelt es sich daher um bedenkliche Arzneimittel, deren Risiken einen möglichen Nutzen überwiegen.

 

Es wird erneut davor gewarnt, mit besonderen Wirkungsbehauptungen wie z.B. Sexualstimulation oder Appetitzügelung beworbene Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel oder ähnlich aufgemachte Erzeugnisse über das Internet zu erwerben. Für Verbraucherinnen und Verbraucher kann dies mit hohen Risiken behaftet sein, unter Umständen kann die Gesundheit massiv beeinträchtigt werden. Oft wird die Katze im Sack erworben, da den meist angeblich „rein pflanzlichen“ Produkten stark wirksame Substanzen wie verschreibungspflichtige synthetische Arzneistoffe oder auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nur unzureichend geprüfte Stoffe zugesetzt werden.

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 09.11.2015