Es muss nicht immer ansteckend sein! Die Fallot-Tetralogie, ein außergewöhnlicher Befund bei der Obduktion eines Kalbes.

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. med. vet. Ingo Schwabe

 

Treten in einem Rinderbestand Todesfälle bei Kälbern auf, so sind in der großen Mehrzahl der Fälle infektiöse Erkrankungen dafür verantwortlich. Jedoch können auch eine Vielzahl nicht erregerbedingter Erkrankungen zum Tod von Jungtieren führen. Häufig kann nur eine Obduktion die Todesursache definitiv klären. Im folgenden Fall wurde dabei eine erstaunliche Entdeckung gemacht!

 

Der Fall

Verluste bei Jungtieren mit unklarer Ursache sind in landwirtschaftlichen Betrieben mit Nutztierhaltung ein häufiger Grund, diagnostisches Probenmaterial oder ganze Tierkörper an die Abteilung Diagnostik des CVUA Stuttgart zu bringen. Im hier beschriebenen Fall wurde ein acht Wochen altes Kalb der Rasse Fleckvieh obduziert, welches nach zwei Tage dauernder Erkrankung verendet ist. Es fiel durch allgemeine Schwäche, Verweigerung der Nahrungsaufnahme und schnelle Atmung auf. Die Körpertemperatur befand sich im oberen Normalbereich.

 

Die Befunde

Bei der äußeren Besichtigung des Tierkörpers fiel eine deutliche Schwellung des Hodensackes auf. Am Anschnitt konnte dann eine Ansammlung von klarer farbloser Flüssigkeit (Ödem) im Bindegewebe des Hodensackes als Ursache der Schwellung identifiziert werden. Aufgrund der Beschaffenheit dieser Flüssigkeit war zu vermuten, dass es sich hierbei nicht um eine entzündliche Veränderung, sondern um einen Flüssigkeitsaustritt infolge einer Beeinträchtigung der Blutzirkulation handelt. Nach Eröffnung der großen Körperhöhlen und Untersuchung der inneren Organe verhärtete sich dann der Verdacht, dass das Krankheitsgeschehen auf eine Beeinträchtigung des Blutkreislaufes zurückzuführen sei und die Todesursache in einem Kreislaufversagen zu suchen ist. In der Brust- und der Bauchhöhle befanden sich wässrige Flüssigkeitsergüsse, in allen inneren Organen bestand eine vermehrte Blutfülle (Hyperämie), die ihre stärkste Ausprägung in Lunge, Leber und Milz hatte. In der Lunge, im Darmgekröse und im Thymus fand sich zusätzlich ein Ödem.

 

Die Diagnose

Die Ursache für das Kreislaufversagen konnte dann bei der Obduktion des Herzens eindeutig festgestellt werden. Das Herz war hochgradig vergrößert und hatte eine abgerundete Silhouette. Bei Eröffnung des Organs zeigten sich gravierende Abweichungen von der normalen Anatomie des Säugetierherzens. Im oberen Teil der Herzkammerscheidewand befand sich ein gut zwei Zentimeter im Durchmesser betragender Defekt in Form einer runden Öffnung (hoher Ventrikelseptumdefekt). Die große Körperschlagader (Aorta) entsprang nicht an ihrer normalen Position aus der linken Herzkammer sondern aus der rechten Herzkammer (Dextroposition der Aorta). Der Ursprung der großen Lungenarterie (Pulmonalarterie) in der rechten Herzkammer war hochgradig verengt (Pulmonalstenose) und die Muskulatur der rechten Herzkammer deutlich verdickt (Rechtsherzhypertropie). Bei diesen vier gleichzeitig bestehenden Veränderungen am Herzen handelt es sich um eine angeborene Herzmissbildung, die als Fallot-Tetralogie (auch Fallot`sche Tetralogie) bezeichnet wird.

 

Abbildung 1: Die Fallot-Tetralogie mit hohem Ventrikelseptumdefekt (Pfeil), Dextroposition der Aorta (Kreis), Pulmonalstenose (Stern) und Rechtsherzhypertrophie.

Abbildung 1: Die Fallot-Tetralogie mit hohem Ventrikelseptumdefekt (Pfeil), Dextroposition der Aorta (Kreis), Pulmonalstenose (Stern) und Rechtsherzhypertrophie

 

Abbildung 2: Hoher Ventrikelseptumdefekt.

Abbildung 2: Hoher Ventrikelseptumdefekt

 

 

Zusätzlich befanden sich an der Herzklappe, die sich zwischen dem linken Vorhof und der linken Kammer befindet (Mitralklappe), mit Blut und Lymphflüssigkeit gefüllte Zysten (Herzklappenzysten).

 

Abbildung 3: Herzklappenzysten an der Mitralklappe (Pfeile).

Abbildung 3: Herzklappenzysten an der Mitralklappe (Pfeile)

 

Auswirkungen auf den Organismus

Aufgrund der nicht gegebenen vollständigen Trennung von Lungenkreislauf und Körperkreislauf kommt es bei der Fallot-Tetralogie zu einer permanenten Durchmischung von sauerstoffarmem Blut, das aus dem Körper zum Herzen zurückfließt und sauerstoffreichem Blut, welches aus der Lunge kommend das Herz erreicht. Durch die Aorta fließt dann immer Mischblut mit einem verminderten Sauerstoffgehalt in den Körperkreislauf zurück. Zudem gelangt aufgrund der Pulmonalstenose zu wenig Blut in den Lungenkreislauf, wodurch die Sauerstoffversorgung des gesamten Organismus und die Abatmung von Kohlenstoffdioxyd weiter verschlechtert werden. Es kommt zu einer gefährlichen Anreicherung von Kohlenstoffdioxyd im Körper. Zudem resultiert die Missbildung in einer Erhöhung des Blutdruckes in der rechten Herzkammer, worauf das Herz mit einer Verdickung der Muskulatur reagiert (Rechtsherzhypertrophie). Diese Zunahme der Muskelmasse verbessert jedoch nur anfänglich die Pumpleistung der rechten Herzkammer. Nach Überschreiten einer bestimmten Dicke des Herzmuskels wird die Pumpfunktion behindert und die Herzleistung nimmt zunehmend ab. Aufgrund des anhaltenden Sauerstoffmangels reagiert der Körper zum Ausgleich mit einer vermehrten Produktion von roten Blutkörperchen. Dadurch verschlechtern sich die Fließeigenschaften des Blutes und es bilden sich auch häufiger Blutgerinnsel. Klinisch fallen betroffene Individuen durch herabgesetzte Leistungsfähigkeit, verzögertes Wachstum, schnelle Atemfrequenz und bläulich verfärbte Schleimhäute (Zyanose) auf. Früher oder später, je nach Schwere der Ausprägung der Missbildung, führen die abnehmende Herzleistung, die sich zunehmend verschlechternde Versorgung der Organsysteme mit Sauerstoff und die Anreicherung von Kohlenstoffdioxyd im Körper zum Tode. Die Herzklappenzysten stellen bei Kälbern einen häufig zu findenden irrelevanten Nebenbefund dar, der nicht zwangsläufig mit anderen Fehlbildungen assoziiert ist. Sie führen nicht zu einer Einschränkung der Herzleistung und verschwinden innerhalb der ersten Lebensmonate von alleine.

 

Mögliche Ursachen

Die Entwicklung des sehr komplexen Organs Herz mit seinen vielen Gefäßabgängen ist beim Fetus ein sehr komplizierter Vorgang. Trotzdem treten angeborene Missbildungen dieses Organs bei allen Haustieren nur sporadisch auf. Die Ursachen können sehr vielfältig sein und sind schwer aufzudecken. Manche Herzmissbildungen sind bei verschiedenen Arten oder auch Rassen und Zuchtlinien erblich und treten dort gehäuft auf. Als nicht erbliche Ursachen kommen unter anderem chemische Einflüsse (z.B. Umweltgifte, Pflanzengifte oder auch bestimmte Medikamente), physikalische Schädigungen (z.B. Röntgenstrahlen), Sauerstoffmangel beim Fetus und ernährungsbedingte Mangelzustände des Muttertieres in Frage. Die Fallot-Tetralogie wurde erstmals 1858 durch den englischen Chirurgen Thomas Bevill Peacock beim Menschen beschrieben. Benannt ist sie nach dem französischen Pathologen und Rechtsmediziner Étienne-Louis Arthur Fallot. Beim Menschen macht sie ca. 10 % aller diagnostizierten angeborenen Herzmissbildungen aus. In der Veterinärmedizin ist die Fallot-Tetralogie am häufigsten bei Hunden und Rindern zu finden. Für den Wolfsspitz ist eine familiäre Erblichkeit dieser Herzmissbildung belegt, bei der Englischen Bulldogge tritt sie gehäuft auf. Beim Rind sind keine Rassedispositionen für ihr Auftreten bekannt. Es handelt sich in der Regel in den betroffenen Beständen um Einzelfälle, deren Ursache unklar bleibt.

 

Quellen

  • M. Grant Maxie: Jubb, Kennedy and Palmer´s pathology of domestic animals, Sixth Edition. Elsevier, St. Louis, USA, 2016.
  • W. Baumgärtner, A. Gruber: Spezielle Pathologie für die Tiermedizin. Enke Verlag Stuttgart, 2015.
  • M. McGavin, J. Zachary: Pathologie der Haustiere. Urban und Fischer München, 2009.

 

Artikel erstmals erschienen am 07.12.2017