Geflügelpocken – eine lange verschwundene Erkrankung kehrt zurück

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Andreas Hänel

 

Von August bis November 2015 wurden durch das CVUA Stuttgart in 6 Hühnerbeständen Geflügelpocken festgestellt. Betroffen waren 3 Hobbyhaltungen sowie 3 kommerzielle Legehennenbetriebe im Rems-Murr-Kreis, im Ostalbkreis, im Landkreis Ludwigsburg und im Landkreis Böblingen. Dabei handelte es sich um die ersten Nachweise von Geflügelpockeninfektionen am CVUA Stuttgart seit 2004. Zunächst wurde eine Verdachtsdiagnose an zur Sektion eingesandten Tierkörpern verendeter Hühner gestellt. Die Tiere wiesen an den Augenliedern, am Kamm und an den Kehllappen, häufig aber auch an sonstigen unbefiederten Hautstellen gelbliche bis schwarzgraue borkige Krusten auf, wie sie für Geflügelpocken typisch sind. Die Diagnose wurde in allen Fällen durch den Direktnachweis des Erregers, eines Vogelpockenvirus (Avipoxvirus), im Elektronenmikroskop gesichert.

 

Die Fälle

Von Ende August bis Ende November 2015 diagnostizierte das CVUA Stuttgart in 6 Hühnerbeständen aus 4 Landkreisen (Rems-Murr, Ostalb, Ludwigsburg, Böblingen) Geflügelpocken. Es handelte sich dabei um 3 kleinere Hobbyhaltungen sowie 3 kommerzielle Legehennenbetriebe.

 

Zur Diagnostik wurden aus den Beständen jeweils 1 oder mehrere Tierkörper von Hühnern zur Sektion eingesandt. Die vorberichtlichen Angaben waren sehr unterschiedlich. In der Hälfte der Bestände waren stark erhöhte Tierverluste zu verzeichnen. In einem dieser Bestände, einer Hobbyhaltung, wurde eine Behandlung mit Antibiotika durchgeführt, die jedoch keinen Erfolg hatte. In den anderen 3 Betrieben war die Symptomatik milder. Die Hühner zeigten gestörtes Allgemeinbefinden, Mattigkeit, eine verminderte Legeleistung sowie warzenartige Zubildungen an Kamm, Auge und Kehllappen. Todesfälle traten kaum auf. Ein Teil der am CVUA Stuttgart untersuchten Tiere war daher vor der Untersuchung geschlachtet worden.

 

Die Sektionsbefunde

Bei der äußeren Adspektion der Tierkörper fielen in allen Fällen zunächst festsitzende Hautveränderungen (Hauteffloreszenzen) auf, die vor allem im Bereich der federlosen Hautstellen des Kopfes, an den Augenliedern, am Kamm und an den Kehllappen zu finden waren. Es handelte sich dabei um bis linsengroße, gelbliche bis schwarzgraue, borkige, teilweise konfluierende Krusten (Abb. 1). Aufgrund dieser Befunde wurde die Verdachtsdiagnose Gefügelpocken gestellt.

 

Abbildung 1: Pockeneffloreszenzen am Kopf eines Haushahns.

Abbildung 1: Pockeneffloreszenzen am Kopf eines Haushahns.

 

Die Untersuchung der inneren Organe ergab bei allen Tieren eine deutliche Schwellung von Leber und Milz. In einem Hobbybestand wurde darüber hinaus noch eine katarrhalische bis diphtheroide Darmentzündung mit zahlreichen Spulwürmern im Darmlumen festgestellt. In einem anderen Hobbybestand waren die Organe Leber und Milz der Tierkörper mit speckig-weißen tumorösen Gewebe-herden durchsetzt. Die Tiere dieses Bestandes wiesen außerdem einen starken Befall mit Vogelmilben auf.

 

Histologische Untersuchungen

Die Untersuchung von Gewebeschnitten (histologische Untersuchung) der veränderten Hautstellen ergab eine hochgradige histiozytäre Dermatitis. Die Epidermis war teilweise hyperplastisch. In den Epithelzellen waren massenhaft große intrazytoplasmatische, eosinophile Einschlusskörperchen (nach ihrem Erstbeschreiber „Bollingersche Einschlusskörperchen“ genannt) nachweisbar, wie sie typisch für eine Infektion mit Vogelpockenvirus sind. Zudem zeigte sich, dass die Hautveränderungen in einigen Fällen sekundär mit Bakterien infiziert waren.

 

Virologische Untersuchungen

Bei der Untersuchung der borkigen Hautkrusten mit der Transmissions-Elektronenmikroskopie wurden in allen Fällen ca. 250–350 nm große Viruspartikel gefunden, die aufgrund ihrer Form und Struktur eindeutig als Vogelpockenvirus (Avipoxvirus) identifiziert werden konnten (Abb. 2 u. 4).

 

Abbildung 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Vogelpocken-Viruspartikels.

Abbildung 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Vogelpocken-Viruspartikels.

 

Zusätzlich wurden die Hauteffloreszenzen nach grober Verreibung direkt mittels Immundiffusionstest im Agargel auf das Vorhandensein von Virusantigen getestet. Aufgrund der Ausbildung einer eindeutigen Präzipitationslinie ergab auch diese Untersuchung ein positives Ergebnis (Abb. 3).

 

Abbildung 3: Präzipitationslinien im Immundiffusionstest: Nachweis von Vogelpockenvirus-Antigen in Hauteffloreszenzen eines Huhns.

Abbildung 3: Präzipitationslinien im Immundiffusionstest: Nachweis von Vogelpockenvirus-Antigen in Hauteffloreszenzen eines Huhns.

 

Nachweis weiterer pathogener Erreger

Die bei allen Tierkörpern routinemäßig durchgeführte bakteriologische Untersuchung ergab bei 4 der betroffenen Bestände keinen besonderen Befund. Bei einem kommerziellen Legehennenbetrieb wurde jedoch aus Herz, Leber und Lunge der Tierkörper hochgradig Escherichia coli isoliert, sodass von einer zusätzlich bestehenden Coli-Septikämie auszugehen war. Als Verursacher der bei den Hühnern einer der Hobbyhaltungen festgestellten Darmentzündung wurde neben den schon bei der Sektion gefundenen Spulwürmern noch eine bakterielle Infektion mit Clostridium perfringens festgestellt.


Schließlich konnte bei den Hühnern mit tumorösen Veränderungen in Leber und Milz durch Antigennachweis im Immundiffusionstest und histologische Untersuchung noch die durch ein Herpesvirus verursachte Mareksche Krankheit diagnostiziert werden.

 

Diskussion der Untersuchungsergebnisse und allgemeine Betrachtungen

Bei Hühnern aus 6 Beständen (3 Hobbyhaltungen und 3 kommerziellen Legehennenbeständen) wurden Geflügelpocken festgestellt.

 

Die Diagnose wurde in allen Fällen durch den Direktnachweis des Erregers, eines Vogelpockenvirus, mittels Elektronenmikroskopie gestellt. Auch weitere am CVUA Stuttgart verfügbare Diagnoseverfahren, wie der direkte Virusantigen-Nachweis im Immundiffusionstest und der Nachweis spezifischer  Bollingerscher Einschlusskörperchen mittels histologischer Untersuchung, kamen ergänzend zum Einsatz.

 

Geflügelpocken sind eine Bestandserkrankung, an der in der Regel aber nur einzelne Tiere sterben. In 3 der beschriebenen Fälle kam es jedoch zu stark erhöhten Ausfällen im Bestand. Die Ursache dafür war, dass die Hühner in diesen Betrieben noch an weiteren bakteriellen oder viralen, beziehungsweise parasitären Erkrankungen litten. Im Falle einer kommerziellen Legehennenhaltung handelte es sich um eine septikämische Infektion mit Escherichia coli. In einer der beiden betroffenen Hobbyhaltungen war es eine Darmentzündung durch Infektion mit Clostridium perfringens und Spulwurmbefall, in der anderen waren die Hühner an der Marekschen Krankheit erkrankt.

 

Die Geflügelpockenfälle im Jahre 2015 waren seit dem Jahr 2004 die ersten, die am CVUA Stuttgart diagnostiziert wurden. Da das Virus hauptsächlich durch Stechmücken und Vogelmilben übertragen wird, ist es denkbar, dass die bis weit in den Herbst hinein ungewöhnlich hohen Außentemperaturen zu einer verstärkten Aktivität der Überträger geführt haben. Weitere Übertragungsmöglichkeiten sind Pick- und Kratzverletzungen durch infizierte Hühner. Impfmaßnahmen und instrumentelle Besamung können ebenfalls Eintrittspforten für das Virus schaffen. Schließlich kann das Virus auch über kleine Läsionen der Schleimhäute der Schnabelhöhle und des oberen Atmungstraktes in den Körper eindringen.

 

Bei den hier beschriebenen Fällen handelte es sich ausschließlich um die Hautform der Geflügelpocken. Die Erkrankung kann jedoch auch als Schleimhautform mit diphtheroiden Belägen auf der Schleimhaut von Schnabelhöhle und Rachen auftreten. Eine Mischform aus Hautpocken und Schleimhautpocken ist ebenfalls möglich.

 

Abbildung 4: Avipoxvirus im Elektronenmikroskop.

Abbildung 4: Avipoxvirus im Elektronenmikroskop.

 

Für die Bekämpfung der Geflügelpocken stehen Lebendimpfstoffe aus abgeschwächten Gefügelpockenviren zu Verfügung, die auch in bereits infizierten Beständen angewendet werden können. Auch eine Bekämpfung der als Überträger fungierenden Vogelmilben ist sinnvoll.

 

Das Auftreten von Geflügelpocken ist nach der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten dem für den Landkreis zuständigen Veterinäramt zu melden. Eine staatliche Bekämpfung erfolgt jedoch nicht.

 

Infokasten

Vogelpockenviren

In der Familie der Pockenviren (Poxviridae) bilden die Vogelpockenviren eine eigene Gattung, das Genus Avipoxvirus. Die einzelnen Viruspartikel besitzen eine Größe von bis zu 280 x 380 nm und gehören damit zu den größten Viren überhaupt. Sie sind von kubischer Form, komplex aufgebaut und besitzen ein DNS (Desoxyribonukleinsäure) -Genom.

 

Vogelpockenviren sind bisher weltweit bei zahlreichen Vogelarten nachgewiesen worden und infizieren unter natürlichen Bedingungen nur Vögel.

 

Man unterscheidet – je nach Literaturquelle – bis zu 11 Arten, die alle nur ein bestimmtes Spektrum von Vogelarten als Wirt haben: Hühnerpockenvirus, Putenpockenvirus, Wachtelpockenvirus, Taubenpockenvirus, Falkenpockenvirus, Kanarienpockenvirus, Finkenpockenvirus, Sperlingspockenvirus, Starenpockenvirus, Hirtenstarpockenvirus und Psittacidenpockenvirus.

 

Infektionen mit Vogelpockenviren führen in Vogelbeständen meistens zu einer hohen Erkrankungsrate bei nur relativ geringer Sterblichkeit. Eine Ausnahme bildet die Pockeninfektion bei Kanarienvögeln. Ohne unverzüglich durchgeführte Impfung können innerhalb weniger Tage fast 100 % der Vögel sterben.

 

Vogelpocken treten meistens als Hautpocken mit typischen borkigen Krusten in Erscheinung. Daneben gibt es noch Schleimhautpocken und – bei Kanarienvögeln – eine Lungenform der Erkrankung.

 

Wird die Krankheit überstanden, heilen die Hautläsionen – im Gegensatz zu Pockenerkrankungen bei Säugetieren – ohne Narbenbildung ab.

 

Für die menschliche Gesundheit stellen Vogelpockenviren keine Gefahr dar.

Quellen

  1. Hellmut Woernle, Silvia Jodas: Geflügelkrankheiten. Verlag Eugen Ulmer, 2001.
  2. Michael Rolle, Anton Mayr: Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. Enke Verlag, 2007.
  3. Otfried Siegmann, Ulrich Neumann: Kompendium der Geflügelkrankheiten. Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2012.
  4. Silke Rautenschlein, Martin Ryll: Erkrankungen des Nutzgeflügels. Verlag Eugen Ulmer, 2014.
  5. Erhard F. Kaleta, Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns: Kompendium der Ziervogelkrankheiten. Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2011.

 

Bildernachweis

© CVUA Stuttgart.

 

Artikel erstmals erschienen am 23.12.2015