Die im Dunkeln sieht man nicht – die Elektronenmikroskopie setzt auch „unsichtbare“ Erreger ins rechte Licht

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

M. Hoferer, V. Akimkin , K. Schneider

 

Transmissionselektronenmikroskop.Die veterinärmedizinische Erregerdiagnostik arbeitet heutzutage mit modernsten Nachweisverfahren wie der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) und ist dabei auch in der Lage, nur einzelne Moleküle von Viren oder Bakterien nachzuweisen. Diese Verfahren haben aber fast alle einen großen Nachteil: Man kann mit ihnen nur ganz gezielt nach jeweils einem speziellen Erreger suchen. Ist der Test negativ, so wissen wir am Ende nur, dass dieses eine Virus oder dieses eine Bakterium nicht vorhanden ist. Vor allem in der Virologie ist es aufgrund der extrem kleinen Partikel (18 – 450nm) mit den meisten Methoden aber nicht möglich, sich einen Gesamtüberblick über das Vorhandensein potentieller Krankheitserreger zu verschaffen.


Um also neue („emerging“), wiederkehrende alte („re-emerging“) oder sehr exotische Viren aufzuspüren, bedarf es einer Methode, die eine völlig unspezifische Herangehensweise oder besser gesagt einen „offenen Blick“ auf eine Probe ermöglicht.

 

Solch eine Methode stellt die Elektronenmikroskopie dar und im Folgenden soll eine Auswahl der Viren gezeigt werden, die wir am CVUA Stuttgart im Zeitraum von 2010 bis 2014 mittels Elektronenmikroskopie (Abbildung 1) in insgesamt 2722 eingesandten Proben nachweisen konnten.

Abbildung 1 : Transmissionselektronenmikroskop (JEM-1011 / 100kV)

 

Wirtschaftsgeflügel

Es wurden insgesamt 953 Proben vom Wirtschaftsgeflügel (Puten, Hühner, Gänse, Enten) untersucht. In 313 (33%) dieser Proben waren Viren aus 9 Virusfamilien zu finden (Abbildung 2).

 

Diagramm.

Abbildung 2 : Virusnachweise (Anzahl) beim Wirtschaftsgeflügel

 

Im Vordergrund standen hier vor allem die mit Durchfall assoziierten Rota- (Abbildung 3) und Astroviren (Abbildung 4), aber auch Herpesviren, Paramyxoviren und Adenoviren sowie einige andere Virusfamilien konnten in Kot- und Organproben erkrankter Vögel nachgewiesen werden.

 

Abbildung 3.

Abbildung 3: Rotaviren aus der Kotprobe einer Pute

 

Abbildung 4.

Abbildung 4: Astroviren aus der Kotprobe eines Huhnes

 

Haus- und Wildschweine

Bei der Untersuchung der 393 Proben von Hausschweinen wurden in 132 (34%) Proben Viren aus 6 verschiedenen Virusfamilien gefunden (Abbildung 5).

 

Diagramm.

Abbildung 5: Virusnachweise (Anzahl) bei Hausschweinen

 

Hier fällt neben dem häufigen Vorkommen von Rotaviren vor allem der hohe Anteil an Coronaviren (Abbildung 6) auf, die in der weiteren Diagnostik fast zu 100% den PED-Viren (Porcine Epidemische Diarrhoe) zugeordnet werden konnten. Diese durch starke Durchfälle vor allem bei Ferkeln charakterisierte Erkrankung war für lange Zeit in Deutschland verschwunden und tauchte erst 2014 erneut wieder als sogenannte „re-emerging disease“ auf.

 

Abbildung 6.

Abbildung 6: Coronavirus (PEDV) aus der Kotprobe eines Schweines

 

Bei den 4 untersuchten Wildschweinen konnten in 2 Fällen Orthopoxviren, die Erreger der Schweinepocken, aus Hautveränderungen (Abbildung 7) nachgewiesen werden. In einem Fall fanden sich Rotaviren in der Kotprobe eines an Durchfall verendeten Wildschweines.

 

Abbildung 7.

Abbildung 7: Suipoxvirus aus der Hautveränderung eines Wildschweines

 

Wiederkäuer

Bei den Wiederkäuern (Rinder, Schafe, Ziegen, Kameliden)  konnten mit Hilfe des Elektronenmikroskops in 34 (16%) der insgesamt 217 untersuchten Proben  Viren nachgewiesen werden (Abbildung 8).

 

Diagramm.

Abbildung 8: Virusnachweise (Anzahl) bei Wiederkäuern

 

Hier handelte es sich in vielen Fällen um krankhaft veränderte Hautproben, die bereits mit dem Verdacht auf eine Parapoxinfektion (Abbildung 9) eingesandt wurden. Aber auch hier konnten, wie bereits bei Schweinen und Puten, immer wieder Rotaviren aus Kotproben von Kälbern mit Durchfällen isoliert werden.

 

Abbildung 9.

Abbildung 9: Parapoxvirus aus der Hautveränderung (sog. Lippengrind) eines Schafes

 

Hunde und Katzen

Die Abbildungen 10  und 11 machen deutlich, dass bei erkrankten Hunden und Katzen, von denen hauptsächlich Kotproben zur Untersuchung ans CVUA Stuttgart geschickt wurden, vor allem Parvoviren elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden konnten.

 

Diagramm.

Abbildung 10: Virusnachweise (Anzahl) bei Hunden

 

 

Diagramm.

Abbildung 11: Virusnachweise (Anzahl) bei Katzen

 

 

Diese Viren (Abbildung 12) können vor allem bei Hunde- und Katzenwelpen schwere Durchfälle verursachen.

 

Abbildung 12.

Abbildung 12: Parvoviren aus der Kotprobe einer Katze

 

Ziervögel und Reptilien

Bei der virologischen Untersuchung von Ziervogel- und Reptilienproben ist die Auswahl geeigneter Nachweisverfahren meist sehr begrenzt. Mit Hilfe der Elektronenmikroskopie konnten aber bei 10 von 101 Ziervogelproben Viren aus 4 verschiedenen Virusfamilien detektiert werden (Abbildung 13).

 

Diagramm.

Abbildung 13: Virusnachweise (Anzahl) bei Ziervögeln

 

 

Sowohl bei Ziervögeln als auch bei den Reptilien konnten unter anderem Caliciviren (Abbildung 14) gefunden werden, deren klinische Relevanz bis heute noch nicht geklärt ist.

 

Abbildung 14.

Abbildung 14: Caliciviren aus der Kotproben eines Ziervogels.

 

Nutz-, Zier- und Wildfische

Am CVUA Stuttgart wurden hauptsächlich Nutzfische wie Forellen und Karpfen untersucht. Während bei den Lachsfischen, zu denen zum Beispiel die Forellen zählen, vor allem Infektionen mit Rhabdoviren (Virale Hämorrhagische Septikämie/VHS und Infektiöse Hämatopoetische Nekrose/IHN) eine Rolle spielen, konzentriert sich der Nachweis bei den karpfenartigen Fischen sowohl auf Rhabdoviren (Spring Viremia of Carps/SVC, siehe Abbildung 15) als auch auf Herpesviren wie das Koi-Herpesvirus (KHV, siehe Abbildung 16).

 

Abbildung 15.

Abbildung 15: Rhabdovirus (SVC) aus der Gewebeprobe eines Karpfens

 

Der Schwerpunkt bei der Nutzfischdiagnostik liegt bei den zellkulturellen und molekularbiologischen Verfahren. Dennoch gibt es immer wieder Fragestellungen, die sich nur durch den Einsatz des Elektronenmikroskops klären lassen, zum Beispiel, wenn es um Virusnachweise aus Zier- und Wildfischproben oder den Nachweis seltener Viren bei Nutzfischen geht.

 

Abbildung 16.

Abbildung 16: Herpesvirus (KHV) aus der Kieme eines Koikarpfens.

 

Insgesamt wurden 23 Fischproben aufgrund solcher besonderer Fragestellungen untersucht und dabei Viren aus den 3 Virusfamilien Reovirus, Rhabdovirus und Herpesvirus nachgewiesen (Abbildung 17).

 

Abbildung 17.

Abbildung 17: Virusnachweise (Anzahl) bei Nutz-, Zier- und Wildfischen

 

 

Infokasten

Elektronenmikroskopische Erregerdiagnostik

Ernst Ruska und Max Knoll erfanden bereits 1931 das Transmissionselektronenmikroskop, wofür Ernst Ruska 1986 dann auch den Physik-Nobelpreis erhielt.

 

Trotz aller technischen Fortschritte in der veterinärmedizinischen Diagnostik und einem immer stärkeren Fokus auf den molekularbiologischen Nachweisverfahren ist dieses Gerät bis heute unersetzlich, wenn es darum geht, einen „offenen Blick“ in eine unbekannte Probe zu werfen, um darin Viren oder andere Partikel ähnlicher Größe zu entdecken. Während für viele Parasiten (Größenordnung: Millimeter bis Zentimeter) schon eine Lupe in Kombination mit Tageslicht ausreicht, muss zur Erkennung von Bakterien (Größenordnung: Mikrometer (µm) ≙ 1:1000mm) bereits ein Lichtmikroskop in Verbindung mit einer künstlichen Lichtquelle benutzt werden, um diese bei einer circa 1.500-fachen Vergrößerung noch zu erkennen. Da die meisten Viren lediglich eine Größe von 15 bis 450 Nanometer (nm ≙ 1:1000 µm) haben, reicht hier die Auflösungsgrenze (=optische Trennung von 2 Punkten oder Linien) der Lichtmikroskopie von 0,2 bis 0,3 Mikrometer nicht mehr aus. Eine optische Differenzierung dieser winzigen Partikel ist deshalb nur mit einem Elektronenmikroskop möglich, mit dessen Hilfe eine Auflösungsgrenze von gerade einmal 0,2 Nanometer erreicht werden kann.

 

Abkürzungsverzeichnis

Adeno: Familie Adenoviridae
Astro: Familie Astroviridae
Birna: Familie Birnaviridae
Calici: Familie Caliciviridae
Corona: Familie Coronaviridae
Orthoreo: Orthoreovirus, Familie Reoviridae
Papova: Familie Papillomaviridae + Polyomaviridae
Parapox: Parapoxviren, Familie Poxviridae
Parvo: Familie Parvoviridae
Picorna: Familie Picornaviridae
PMV: Familie Paramyxoviridae
Reo: Familie Reoviridae
Rhabdo: Familie Rhabdovirirdae
Rota: Rotavirus, Familie Reoviridae
SRV: Small Round Viruses (Virusfamilie nicht näher differenziert) Herpes: Familie Herpesviridae

 

Bildernachweis

Alle elektronenmikroskopischen Bilder wurden am CVUA Stuttgart erstellt.

 

Artikel erstmals erschienen am 19.05.2015