Riemerella anatipestifer – ein ungewöhnlicher Infektionserreger bei einem Prachtfinken

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Andreas Hänel

 

Bei einem zur Familie der Prachtfinken gehörenden Silberschnäbelchen (Euodice cantans) wurde als Todesursache eine bakterielle Infektion mit Riemerella anatipestifer festgestellt. Der Vogel zeigte zwei Tage vor seinem Tod ein gestörtes Allgemeinbefinden. Er war aufgeplustert, schlief viel und nahm kaum noch Futter auf. Bei der im Rahmen der Sektion durchgeführten bakteriologischen Untersuchung wurde der Erreger in Reinkultur aus Herz, Leber, Lunge und Darm isoliert. Weitere Vögel aus dem Bestand erkrankten nicht. Die Infektionsquelle konnte nicht ermittelt werden.

 

Riemerella anatipestifer ist ein gramnegatives Stäbchenbakterium und hat große wirtschaftliche Bedeutung als Infektionserreger bei Nutzgeflügel. Insbesondere bei Entenvögeln ist es als Verursacher der "Infektiösen Serositis" bekannt. Über sein Vorkommen und seine Bedeutung bei Prachtfinken waren in der zur Verfügung stehenden Literatur keine Angaben zu finden. Unseres Wissens handelt es sich im vorliegenden Fall um den erstmals beschriebenen Nachweis von Riemerella anatipestifer bei dieser Vogelgruppe.

 

Vorberichtliche Angaben und Beschreibung der Haltung

In der Prachtfinken-Voliere eines Ziervogelhalters, die mit sechs Silberschnäbelchen (Euodice cantans) (Abb. 1 und 4) und vier Gouldamadinen (Chloebia gouldiae) besetzt war, erkrankte ein einzelnes, vier Jahre altes Silberschnäbelchen aus eigener Nachzucht. Der Vogel saß aufgeplustert auf den Ästen, schlief viel und nahm kaum noch Futter auf. Nach nur zweitägigem Krankheitsverlauf starb er. Eine antibiotische Behandlung war nicht erfolgt.

 

Bei der Voliere handelte es sich um eine Zimmervoliere, die mit Naturästen ausgestattet war. Als Einstreu wurde Buchenholzgranulat verwendet. Die Fütterung der Vögel erfolgte im Wesentlichen mit einem Exotenmischfutter und Kolbenhirse. Zusätzlich wurde Eifutter und Salat gereicht. Vogelgrit stand zur freien Aufnahme stets zur Verfügung.

 

Abb. 1: Silberschnäbelchen (Euodice cantans).

Abb. 1: Silberschnäbelchen (Euodice cantans).

 

Pathologische und histologische Untersuchung

Es handelte sich um einen männlichen Vogel in nur mäßigem Ernährungszustand. Kropf und Magen waren futterleer. Neben einer katarrhalischen Darmentzündung wurden ein hochgradiger Blutstau und ein Ödem in der Lunge festgestellt. Die Luftröhre war zum Teil mit blutig-serösem Sekret gefüllt. Durch die histologische Untersuchung wurde der makroskopische Lungenbefund bestätigt. Zudem wurden Makrophagen (Fresszellen) als Hinweis auf eine Entzündung in den Luftwegen nachgewiesen. Die histologische Untersuchung des Herzens ergab eine Degeneration der Herzmuskelzellen durch feinstaubige Verfettung, die der Leber eine diffuse mitteltropfige Verfettung.

 

Mikrobiologische Untersuchungen

Ausstriche von Herz, Leber, Lunge und Dünndarm auf Schafblut-Agar wurden 24 Stunden bei 37°C aerob bebrütet. Alle Ausstriche ergaben ein hochgradiges Wachstum von kleinen, nicht hämolysierenden, grau pigmentierten und transparent erscheinenden Kolonien (Abb. 2). In der Gram-Färbung zeigten sich die Keime als gramnegative Stäbchenbakterien (Abb. 3). Die Identifizierung der Bakterien als Riemerella anatipestifer erfolgte massenspektroskopisch mittels MALDI-TOF (MALDI BiotyperTM, Bruker Daltonics, Bremen). Zur Bestätigung des Befundes wurde noch eine Sequenzanalyse des 16S rRNA-Gens durchgeführt, die zum gleichen Ergebnis führte.

 

Routinemäßig durchgeführte Untersuchungen zum Ausschluss eventuell vorhandener weiterer Krankheitserreger (Salmonellen, Macrorhabdus ornithogaster - "Megabakterien", Darmparasiten) verliefen negativ.

 

Abb. 2 (links): Riemerella anatipestifer: Kolonien auf Blutagar. Abb. 3 (rechts): Gramfärbung von Riemerella anatipestifer: gramnegative Stäbchen.

Abb. 2 (links): Riemerella anatipestifer: Kolonien auf Blutagar.

Abb. 3 (rechts): Gramfärbung von Riemerella anatipestifer: gramnegative Stäbchen.

 

Diagnose und epidemiologische Überlegungen

Aufgrund der pathologisch-anatomischen und bakteriologischen Befunde wurde bei dem Silberschnäbelchen die Diagnose einer durch Riemerella anatipestifer verursachten Darmentzündung und Septikämie gestellt.

 

Bakterielle Darmentzündungen und Septikämien gehören zu den häufigsten Krankheits- bzw. Todesursachen bei Prachtfinken. In der Regel sind die verursachenden Keime der Familie Enterobacteriaceae zuzuordnen, wie z.B. Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Enterobacter cloacae.

 

Riemerella anatipestifer wurde in unserem Untersuchungsgut bisher ausschließlich bei Wirtschaftsgeflügel, insbesondere bei Enten, nachgewiesen. Hier verursacht der Keim eine häufig primär septikämisch verlaufende, perakute, akute oder auch chronische Erkrankung, die auch als Infektiöse Serositis bezeichnet wird.

 

Auch in der verfügbaren Literatur wurden keine Hinweise auf eine Infektion von Prachtfinken mit Riemerella anatipestifer gefunden. Unseres Wissens handelt es sich im vorliegenden Fall somit um den erstmals beschriebenen Nachweis von Riemerella anatipestifer bei dieser Vogelgruppe.

 

Abb. 4: Silberschnäbelchen (Euodice cantans).

Abb. 4: Silberschnäbelchen (Euodice cantans).

 

Unklar ist, wie der Keim in den Prachtfinkenbestand eingeschleppt wurde. Ein Kontakt zu Wildvögeln, die als Erreger-Reservoir für Riemerella anatipestifer gelten, kann aufgrund der Haltung in einer Zimmervoliere ausgeschlossen werden. Zudem wurden in den letzten Monaten vor dem Erkrankungsfall keine neuen Vögel in den Bestand verbracht.

 

Da der Erreger außerhalb seines Wirts in der Umwelt stabil ist, wäre ein Eintrag von Riemerella anatipestifer über unbelebte Vektoren wie Äste, Einstreu oder Futter denkbar. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Vögel des Bestandes schon längere Zeit latent mit dem Keim infiziert waren. Solche Infektionen, bei denen Riemerella anatipestifer in den Atemwegen persistiert und regelmäßig ausgeschieden wird, aber keine Symptome verursacht, sind bei Enten und Gänsen, sowie wildlebenden Wasservögeln beschrieben.

 

Weitere Erkrankungen oder Verluste durch Riemerella anatipestifer traten in dem Prachtfinken - Bestand nicht auf; der beschriebene Fall blieb ein Einzelereignis.

 

Infokasten

Riemerella anatipestifer

Riemerella anatipestifer ist ein gramnegatives, ca. 0,4-0,5 µm x 1–2 µm großes, unbewegliches Stäbchenbakterium aus der Familie Flavobacteriaceae, von dem zurzeit 21 verschiedene Serotypen beschrieben sind. Es handelt sich um einen Krankheitserreger, der vor allem Enten und Gänse befällt, aber auch zu Infektionen bei Puten, Hühnern, Fasanen, Wachteln und Perlhühnern führen kann. Das Wirtsspektrum umfasst nicht nur Nutzgeflügel, sondern auch wildlebende Wasservögel und Papageien.

 

Von der Infektion, die einen perakuten, akuten oder auch chronischen Verlauf nehmen kann, sind vor allem Jungtiere in den ersten Lebenswochen betroffen. Der Erreger dringt über den Atmungstrakt in den Körper ein und führt nach hämatogener Ausbreitung zu einer sogenannten exsudativen Polyserositis mit Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel und in der Leibeshöhle.

 

Riemerella anatipestifer kann längere Zeit außerhalb des Wirtsorganismus in der Umwelt überleben. Damit ist eine Übertragung auf empfängliche Vögel über kontaminierte Materialien möglich. Epidemiologisch von Bedeutung ist ebenfalls, dass es latent infizierte Tiere gibt, die den Erreger im Atmungstrakt beherbergen und über längere Zeit unbemerkt ausscheiden können. Latent infizierte Wildvögel gelten als Erreger-Reservoir.

 

Silberschnäbelchen

Silberschnäbelchen (Euodice cantans) sind etwa 11cm große Vögel aus der Familie der Prachtfinken (Estrildidae). Ihr Federkleid weist unterschiedliche Brauntöne auf, der namensgebende Schnabel ist silbergrau gefärbt. Silberschnäbelchen stammen ursprünglich aus Afrika. Dort kommen sie in einem breiten Streifen von Senegal bis zum Roten Meer, im Südwesten der arabischen Halbinsel sowie in Ostafrika vor. Sie ernähren sich hauptsächlich von Sämereien. Die Geschlechter sind gleich gefärbt. Die Männchen sind nur am Gesang zu erkennen, den die Weibchen nicht vortragen. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurden sie erstmals als Ziervögel nach Europa eingeführt. Bei Ziervogelhaltern sind sie aufgrund ihrer Zutraulichkeit und ihrer leichten Züchtbarkeit sehr beliebt. Sie gehören zu den verträglichsten und ausdauerndsten Prachtfinken.

 

Quellen

  1. Lüthgen, W.: Wassergeflügelkrankheiten. Oertel + Spoerer Verlags-GmbH, 2002
  2. Siegmann, O., Neumann, U.: Kompendium der Geflügelkrankheiten., Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2002
  3. Rautenschlein, S., Ryll, M.: Erkrankungen des Nutzgeflügels. Verlag Eugen Ulmer Stuttgart, 2014
  4. Rolle, M., Mayr, A.: Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. Enke Verlag Stuttgart, 2007.
  5. Kaleta, E.F., Krautwald-Junghanns, M.-E.: Kompendium der Ziervogelkrankheiten, Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2011
  6. Bielfeld, H.: 300 Ziervögel kennen und pflegen. Verlag Eugen Ulmer Stuttgart, 2009.
  7. Rubbenstroth, D., Ryll, M., Knobloch, J.K.-M., Köhler, B., Rautenschlein, S.: Evaluation of different diagnostic tools for the detection and identification of Riemerella anatipestifer. Avian Pathology, 42:1, 17–26, 2013.

 

Bildernachweis

Abb. 1und 4: Dr. Andreas Hänel, CVUA Stuttgart.
Abb. 2: Dr. Valerij Akimkin, CVUA Stuttgart.
Abb. 3: Dr. Valerij Akimkin, CVUA Stuttgart.

 

Artikel erstmals erschienen am 07.04.2015