Diphtherie ähnliche Erkrankungen bei Mensch und Tier – Corynebakterien im Fokus

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Reinhard Sting, Dr. Ingo Schwabe und Dr. Norman Mauder

 

Diphtherie ähnliche Erkrankungen sind in Europa heutzutage häufiger als die durch das Bakterium Corynebacterium (C.) diphtheriae hervorgerufene klassische Diphtherie. Verantwortlich hierfür ist Corynebacterium (C.) ulcerans, ein Zoonoseerreger, der von Haustieren auf den Menschen übertragen werden kann. Wie neueste Untersuchungen zeigen, haben die Corynebakterien dieser Gruppe unterschiedliche Bedeutung im Infektionsgeschehen bei Mensch, Haus- und auch Wildtieren.

Corynebakterien

Corynebakterien sind mit den Mycobakterien, zu denen auch die Erreger der Tuberkulose- und Paratuberkulose zählen, sowie mit Nocardien und Rhodokokken verwandt. Diese Bakterien bilden Zellwände, welche Mycolsäure, Lipide und wachsähnliche Verbindungen enthalten. Besonders die Wachsverbindungen verleihen den Kolonien der Corynebakterien eine kreide- oder wachsartige Konsistenz und ein weißes Aussehen (Abbildungen 1 und 2). Dieser besondere Aufbau der Zellwand ermöglicht es diesen Bakteriengattungen, in Immunzellen (Makrophagen) zu überleben, was chronische Infektionen sowie sehr lange Überlebenszeiten der Erreger in infizierten Tieren und Menschen zur Folge hat.

 

Abbildung 1 (links): Weiße, wachs-, kreideartige Kolonien von Corybebacterium pseudotuberculosis isoliert von einer Ziege (sichtbar an der Stelle, an der Kolonien von der Blutagaroberfläche entnommen worden sind). Abbildung 2 (rechts): Kolonien von Corynebacterium ulcerans von einem Wildschwein, (oben) und einem Fuchs (unten) auf Blutagar.

Abbildung 1 (links): Weiße, wachs-, kreideartige Kolonien von Corybebacterium pseudotuberculosis isoliert von einer Ziege (sichtbar an der Stelle, an der Kolonien von der Blutagaroberfläche entnommen worden sind).

Abbildung 2 (rechts): Kolonien von Corynebacterium ulcerans von einem Wildschwein, (oben) und einem Fuchs (unten) auf Blutagar.

 

Corynebakterien sind keulenförmig (griechisch "coryne" = Keule) und werden aufgrund ihres Zellwandaufbaus den Gram-positiven Bakterien zugeordnet, d.h. lassen sich in der sog. Gram-Färbung blau anfärben (Abbildungen 3, 4 und 5).

 

Abbildung 3 (links): Corynebacterium pseudotuberculosis (Gram-Färbung). Abbildung 4 (Mitte): Corynebacterium ulcerans von einem Wildschwein(Gram-Färbung). Abbildung 5 (rechts): Corynebacterium ulcerans von einem Fuchs (Gram-Färbung).

Abbildung 3 (links): Corynebacterium pseudotuberculosis (Gram-Färbung).

Abbildung 4 (Mitte): Corynebacterium ulcerans von einem Wildschwein (Gram-Färbung).

Abbildung 5 (rechts): Corynebacterium ulcerans von einem Fuchs (Gram-Färbung).

 

Die Spezies Corynebacterium (C.) diphtheriae, C. ulcerans und C. pseudotuberculosis können das Gen für das Diphtherietoxin tragen und sind somit prinzipiell in der Lage, das Diptherietoxin zu produzieren. Das Vorhandensein und somit der Nachweis des Gens für das Diphtherietoxin bedeutet allerdings nicht, dass das Gen aktiv ist und Toxin produziert wird. Man unterscheidet deshalb zwischen sog. toxigenen (Toxin bildenden) und non-toxigenen (Toxin-Gen tragenden, aber nicht Toxin bildenden) Bakterienisolaten. Das von C. diphtheriae gebildete Diphtherietoxin unterscheidet sich etwas von dem Toxin, das C. ulcerans bildetet.

 

Die Mehrzahl der klassischen Diphtherie wird in Europa mittlerweile durch C. diphtheriae-Isolate hervorgerufenen, die kein Diphtherietoxin bilden. Hingegen wird das durch C. ulcerans verursachte Diphtherie-ähnliche Krankheitsbild überwiegend durch Toxin-bildende Isolate verursacht. Das durch C. ulcerans verursachte Krankheitsbild zeigt sich hauptsächlich als Wund- und Hautinfektionen. Erregerreservoir und somit Infektionsquelle für den Menschen stellen vor allen Schweine und Hunde dar. Aufgrund der Übertragung von C. ulcerans vom Tier auf den Menschen handelt es bei diesen Infektionen um eine sog. Zoonose.

 

C. pseudotuberculosis, der Erreger der käsigen Lymphadenitis (Pseudotuberkulose), bildet sehr selten Diphtherietoxin und nur sehr wenige Fälle von Wund- und Hautinfektionen beim Menschen sind bekannt.


Eine weiterer Virulenzfaktor, das Enzym Phospholipase D, das ein Eindringen der Erreger in das Gewebe und Zellen erleichtern soll, wird nur von C. ulcerans und C. pseudotuberculosis gebildet (Abbildung 6).

 

Abbildung 6: Nachweis der sog. Phospholipase D von Corynebacterium ulcerans (Isolat von einem Wildschwein [A] und einem Fuchs [B]) und Corynebacterium pseudotuberculosis (Isolat von einer Ziege [C]) durch Hemmung der Hämolyse eines waagerecht ausgestrichenen Staphylococcus aureus-Stammes.

Abbildung 6: Nachweis der sog. Phospholipase D von Corynebacterium ulcerans (Isolat von einem Wildschwein [A] und einem Fuchs [B]) und Corynebacterium pseudotuberculosis (Isolat von einer Ziege [C]) durch Hemmung der Hämolyse eines waagerecht ausgestrichenen Staphylococcus aureus-Stammes.

 

Toxigene C. ulcerans-Stämme nehmen somit eine Sonderstellung ein, da Infektionen beim Menschen durch Tierkontakt ermöglicht werden (Zoonose!). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist jedoch nicht wahrscheinlich.

 

Welche Rolle non-toxigene C. diphtheriae-Stämme vom Tier im Infektionsgeschehen der Diphtherie spielen, ist noch unklar. Es wird diskutiert, ob diese Stämme möglicherweise sogar eine Subspezies darstellen (Hall et al., 2010).

 

Infokasten

Corynebakterien bei Tier und Mensch

Corynebacterium ulcerans

Dieses Bakterium ist C. pseudotuberculosis sehr ähnlich und somit eine sichere Unterscheidung anspruchsvoll. C. ulcerans-Isolate wurden in den 1960er Jahren vor allem bei Rindern, in den letzten Jahren aber überwiegend bei Schweinen und Hunden, aber auch bei anderen Tierarten wie Katzen und Wildtieren nachgewiesen; sie verursachen vor allem Wundinfektionen. Dieser Erreger ist ein Zooonoseereger, der Diphtherie-ähnliche Erkrankungen und Wundinfektionen beim Menschen verursachen kann.

 

Corynebacterium diphtheriae
Der Erreger der klassischen Diphtherie des Menschen. Es gibt Stämme, die Diphtherietoxin bilden (toxigene Stämme) und Stämme, die das Toxin nicht bilden (non-toxigene Stämme).

 

Corynebacterium pseudotuberculosis

Erreger der sog. Pseudotuberkulose der Ziegen und Schafe, aber auch Kameliden (Kamelartige) ist eine chronische Infektionskrankheit, die zu äußerlich sichtbaren oder innerlichen (viszeralen) Abszessen führt. Es gibt nur wenige Berichte von Infektionen beim Menschen, die sich auf lokale Wundinfektionen beschränken.

In unserem Hause konnten bisher folgende C. pseudotuberculosis, C. ulcerans und C. diphtheriae-Keime isoliert und charakterisiert werden:

  • Zahlreiche C. pseudotuberculolis-Isolate aus Abszessen von Ziegen, Schafen und Kameliden (s. Internetbeitrag erschienen am 30.06.2005)
  • Non-toxigene C. ulcerans-Isolate aus Abszessen von Wildschweinen (Internetbeitrag erschienen am 17.02.2011; Contzen et al., 2011a, b)
  • Non-toxigenes C. ulcerans-Isolate aus einem Abszess eines Rehwilds (Rau et al., 2012)
  • Toxigenes C. ulcerans-Isolate aus der Milz eines Rotfuches (Sting et al., im Druck)
  • Non-toxigenes C. diphtheriae-Isolat aus einer Hautentzündung eines Rotfuches (Sing et al., in Vorbereitung)

 

Diese Isolate bilden im sog. Dendrogramm, das mit Hilfe der Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR; s. Internetbeiträge vom 19.03.2009, vom 23.03.2009 und vom 30.01.2014) erstellt worden ist, Cluster (Gruppen). So lassen sich die C. diphtheriae-, C. ulcerans- und C. pseudotuberculosis-Isolate unserer Stammsammlung in insgesamt vier Cluster (Gruppen) auftrennen. Die Clusterbildung zeigt, dass sich die C. ulcerans-Isolate von Wildschweinen und von einem Reh deutlich von dem C. ulcerans- und C. diphtheriae-Isolat von Füchsen deutlich unterscheiden. Das C. ulcerans- und C. diphtheriae-Isolat von Füchsen gehören jeweils getrennten Clustern an, clustern aber jeweils mit Isolaten vom Menschen. Die C. ulcerans- und C. diphtheriae-Cluster sind ihrerseits deutlich von dem C. pseudotuberculosis-Cluster abgesetzt (Abbildung 7).

 

Abbildung 7: Darstellung der Zugehörigkeit von Corynebacterium (C.) ulcerans, C. diphtheriae und C. pseudotuberculosis-Isolaten zu Clustern (Gruppen), die mit Hilfe der Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR; s. Internetbeiträge vom 19.03.2009, vom 23.03.2009 und vom 30.01.2014) erstellt worden sind.

Abbildung 7: Darstellung der Zugehörigkeit von Corynebacterium (C.) ulcerans, C. diphtheriae und C. pseudotuberculosis-Isolaten zu Clustern (Gruppen), die mit Hilfe der Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR; s. Internetbeiträge vom 19.03.2009, vom 23.03.2009 und vom 30.01.2014) erstellt worden sind.

 

Quellen:

The Genus Corynebacterium. In: Veterinary Microbiology: Bacterial and Fungal Agants of Animal Disease. Eds. J.C. Songer, K.W. Post, Elsevier Saunders, 2005.


Corynebacterium species. In: Veterinary Microbiology and Microbial Disease. Eds. P.J. Quinn, B.K. Markey, F.C. Leonard, E.S. FitzPatrick, S. Fanning, P.J. Hartigan, Wiley-Blackwell, Second Edition, 2011.


Contzen, M., R. Sting, B. Blazey, J. Rau (2011a): Corynebacterium ulcerans from diseased wild boars. Zoonoses and Public Health 58, 479-488.


Contzen, M., R. Sting, B. Blazey, J. Rau (2011b): Corynebacterium ulcerans in Wildschweinen - Wildtiere als Träger potenziell humanpathogener Keime identifiziert. Jagd und Naturschutz 21(42): 26.


Hall, A.J., P.K. Cassiday, K.A. Bernard, F. Bolt, A.G. Steigerwalt, D. Bixler, L.C. Pawloski, A.M. Whitney, M. Iwaki, A. Baldwin, C.G. Dowson, T. Komiya, M. Takahashi, H.P. Hinrikson, M.L. Tondella (2010): Novel Corynebacterium diphtheriae in domestic cats. Emerging Infectious Diseases 16(4), 688-691.


Rau, R., B. Blazey, M. Contzen, R. Sting (2012): Corynebacterium ulcerans - Infektionbei einem Reh (Capreolus capreolus). Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 125(3/4), 159-162.


Singh, A., R. Konrad, D.M. Meinel, I. Schwabe, N. Mauder, R. Sting: Non-toxigenic Corynebacterium diphtheriae in a free-roaming fox, Germany. Publikation in Vorbereitung.


Sting, R., S. Ketterer-Pintur, M. Contzen, N. Mauder, A. Sing, C. Süß-Dombrowski1 (in press): Toxigenic Corynebacterium ulcerans isolated from a free-roaming red fox (Vulpes vulpes). Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift. In Druck.

 

Bildernachweis

CVUA Stuttgart.

 

Artikel erstmals erschienen am 25.03.2015