Neonicotinoide sind in aller Munde, auch auf allen Tellern?

Rückstandssituation in Obst und Gemüse

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Ellen Scherbaum

 

Foto: Obst- und Gemüseauslagen eines Marktstands.

 

Bereits im Jahr 2003 hat das CVUA Stuttgart eine Methode zur Bestimmung von Neonicotinoiden erarbeitet und veröffentlicht [1]. Damals gab es eine Vielzahl von Beanstandungen wegen Überschreitungen der Höchstgehalte für diese zu dieser Zeit noch relativ neue Wirkstoffklasse in Obst und Gemüse.

In der Zwischenzeit wurden die Höchstgehalte für diese Stoffe EU-weit harmonisiert und Überschreitungen sind selten. Doch in den letzten Jahren hat die Stoffgruppe erneut auf sich aufmerksam gemacht: die Stoffe sind bienentoxisch. Die EU-Kommission hat deshalb im Sommer 2018 entschieden, dass drei dieser Stoffe nur noch bei Anbau unter Glas verwendet werden dürfen. Grund für uns noch einmal auszuwerten, wie die Rückstandssituation in Obst und Gemüse derzeit ist.

 

Maria Roth, Amtsleiterin des CVUA Stuttgart, sagte 2004 in einem Interview:

“Es ist keine Schwierigkeit, Obst und Gemüse auf 200 verschiedene Pestizide zu untersuchen und keine Rückstände zu finden. Die Kunst besteht darin, die richtigen Wirkstoffe nachzuweisen. Dabei ist das CVUA 2003 einen großen Schritt vorangekommen: die Prüfer haben eine Methode entwickelt, dank der sie eine relativ neue Pestizidgruppe, die Neonicotinoide, nachweisen können. Prompt ist die Beanstandungsquote bei Nachtschattengewächsen wie Tomaten und Auberginen in die Höhe geschnellt.”

 

Zur Geschichte: ein Auf und Ab für Neonicotinoide

Als Neonicotinoide bezeichnet man eine Gruppe von Wirkstoffen, die hervorragende insektizide Eigenschaften haben. Im Jahr 1991 wurde Imidacloprid als erster Wirkstoff kommerzialisiert. Es erzielte einen erheblichen Verkaufserfolg und bald folgten weitere Stoffe (siehe Abbildung 1) und Präparate.

Der Grund für den weltweiten Siegeszug der Neonicotinoide (Abkömmlinge des natürlichen Insektizids Nikotin) liegt in ihren hervorragenden Eigenschaften: sie haben ein breites Wirkungsspektrum, werden gut von Pflanzen aufgenommen und innerhalb der Pflanze verteilt (systemisch), bereits geringe Aufwandmengen sind wirksam, sie haben eine geringe Warmblütertoxizität und zudem einen anderen Wirkmechanismus als andere Insektizide. Die Stoffe lagern sich bei Insekten an die Acetylcholinrezeptoren der Nervenzellen und können dort nicht durch das Enzym Acetylcholinesterase abgebaut werden. Dadurch kommt es zu einem Dauerreiz und der Störung der chemischen Signalübertragung. Nikotin hat dieselbe Wirkung.

 

Abb. 1 Strukturformeln der wichtigsten Neonicotinoide; beim Abbau des Wirkstoffes Clothianidin entsteht Thiamethoxam, das auch als eigener Wirkstoff verwendet wird.

Abb. 1 Strukturformeln der wichtigsten Neonicotinoide; beim Abbau des Wirkstoffes Clothianidin entsteht Thiamethoxam, das auch als eigener Wirkstoff verwendet wird

 

Im Jahr 2008 wurde dann ein massives Bienensterben im Oberrheingraben, bei dem 700 Imker mit circa 12 000 Bienenvölkern betroffen waren, durch unsachgemäße Beizung von Maissaatgut mit Clothianidin verursacht [2]. Der Abriebstaub hatte sich auf umliegende Felder gelegt und war dort dann mit den Bienen in Kontakt gekommen.

Dieses Problem konnte durch entsprechende technische Maßnahmen beseitigt werden, doch das Thema Neonicotinoide als Ursache für Bienensterben ist auch in den folgenden Jahren immer wieder aktuell gewesen.

Im Februar 2018 stellt die EFSA, die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (European Food Safety Authority), schließlich fest: „Die Mehrzahl der Anwendungen von Neonicotinoid-haltigen Pestiziden stellt ein Risiko für Wild- und Honigbienen dar“ [3]. Die EFSA hat die Risikobewertungen für drei Neonicotinoide (Clothanidin, Imidacloprid und Thiamethoxam) aktualisiert.Mit drei Durchführungsverordnungen hat die EU-Kommission diese drei Wirkstoffe nun zum 19.09.2018 für Freilandanwendungen verboten [4].

 

Neonicotinoide – Rückstände in konventionell erzeugtem Obst und Gemüse

Das CVUA Stuttgart untersucht jährlich über 2 500 pflanzliche Proben auf Rückstände an Pestiziden zentral für Baden-Württemberg. Dabei werden über 1 000 verschiedene Wirkstoffe erfasst. Teil des Untersuchungsspektrums sind natürlich auch die Neonicotinoide.

 

Das haben wir im Jahr 2018 gefunden:

Insgesamt 1 857 Proben konventionell erzeugtes Obst und Gemüse wurden 2018 auf diese Stoffe untersucht. 580 Proben enthielten Rückstande an einem oder mehreren Neonicotinoiden (31 %). Da die Aufwandmengen bei diesen Insektiziden vergleichsweise gering sind, fallen auch die Rückstandsgehalte häufig eher niedrig aus. Berücksichtigt man nur Rückstandsgehalte die gleich oder größer 0,01 mg/kg sind (das entspricht dem Orientierungswert für Öko-Lebensmittel und dem Grenzwert für Säuglingsnahrung), bleiben noch 247 Proben (13 %).

Wie in Tabelle 1 dargestellt werden Rückstände an Acetamiprid und Imidacloprid in etwa 10–11 % der Proben nachgewiesen, bei Thiacloprid sind es 8,5 % der Proben. Dinotefuran und Nitenpyram spielen keine große Rolle, sie waren auch noch nie in der EU zugelassen. Eine Probe Koriander unbekannter Herkunft enthielt Nitenpyram oberhalb der gesetzlichen Höchstgehalte und wurde beanstandet.

 

Tab. 1 Neonicotinoide in konventionellem Obst und Gemüse 2018, Probenzahl: 1 857
Parameter
mit Rückständen (in %)*
Min (mg/kg)
Max (mg/kg)
Anzahl > MRL**
Acetamiprid
210 (11 %)
0,001
1,6
2
Clothianidin
69 (3,7 %)
0,001
0,11
 
Dinotefuran
0
 
 
 
Flonicamid, Summe***
52 (2,8 %)
0,001
0,29
 
Imidacloprid
183 (9,9 %)
0,001
1
 
Nitenpyram
1
0,11
0,11
1
Thiacloprid
158 (8,5 %)
0,001
1,9
 
Thiamethoxam
94 (5,1 %)
0,001
0,26
1

*bei Probenzahlen kleiner 5 keine Berechnung der Prozente

**MRL=Maximum Residue Level, Höchstgehalt

***Bei Flonicamid werden noch die 2 Metaboliten TFNG und TFNA in der Rückstandsdefinition erfasst

 

Insgesamt wiesen lediglich 4 Proben Gehalte an Neonicotinoiden auf, die über den gesetzlichen Höchstgehalten lagen (siehe Tabelle 2). Zwei Proben wurden formal beanstandet und waren nicht verkehrsfähig, bei zwei Proben war der Gehalt über dem festgesetzten Höchstgehalt, nach Berücksichtigung der analytischen Streubreite war die Überschreitung allerdings nicht gesichert. In diesen Fällen wurden die Gewerbetreibenden von unserem Befund unterrichtet um im Rahmen der eigenen Sorgfaltspflicht ggf. entsprechende Maßnahmen treffen zu können.

 

Tab. 2 Überschreitungen der Höchstgehalte – Neonicotinoide in konventionellem Obst und Gemüse 2018, Probenzahl: 1 857
Lebensmittel Herkunftsland Wirkstoff
Gehalt (mg/kg)
Bewertung
MRL (mg/kg)
Granatapfel Türkei Acetamiprid
0,13
> MRL*
0,01
Aubergine Spanien Acetamiprid
0,24
> MRL, statistisch nicht gesichert
0,2
Koriander Unbekannt Nitenpyram
0,11
> MRL
0,01
Ingwer Unbekannt Thiamethoxam
0,015
> MRL, statistisch nicht gesichert
0,01

*MRL=Maximum Residue Level, Höchstgehalt

 

Aufgrund der geringen Warmblütertoxizität sind die Gehalte in allen Proben jedoch als gesundheitlich unbedenklich einzustufen.

 

Infokasten

Rückstandshöchstgehalte

Rückstandshöchstgehalte sind keine toxikologischen Endpunkte oder toxikologische Grenzwerte. Sie werden aus Rückstandsversuchen abgeleitet, die unter realistischen Bedingungen durchgeführt werden. Danach erfolgt eine Gegenüberstellung der zu erwartenden Rückstände mit den toxikologischen Grenzwerten, um die gesundheitliche Unbedenklichkeit bei lebenslanger und ggf. einmaliger Aufnahme sicherzustellen.

Rückstandshöchstgehalte regeln den Handel und dürfen nicht überschritten werden. Ein Lebensmittel mit Rückständen über dem Rückstandshöchstgehalt ist nicht verkehrsfähig, darf also nicht verkauft werden. Nicht jede Überschreitung von Rückstandshöchstgehalten geht jedoch mit einem gesundheitlichen Risiko einher. Hier ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich [5].

 

Von den zukünftig nicht mehr im Freiland zugelassenen Neonicotinoiden ist Imidacloprid der am häufigsten in Obst und Gemüse nachgewiesene Stoff. In Tabelle 3 ist die Verteilung der Rückstände an Imidacloprid auf die einzelnen Obst- und Gemüsegruppen dargestellt. Derzeit wird es vor allem bei Frucht- (z.B. Bohne, Gurke, Paprika, Tomate) und Sprossgemüse (z.B. Brokkoli, Blumenkohl, Kohlrabi, Spargel, Fenchel) sowie bei Steinobst (z.B. Pflaume, Pfirsich, Nektarine, Aprikose) und bei Zitrusfrüchten als Rückstand nachgewiesen. Abbildung 2 zeigt auf, dass die Gehalte meist niedrig sind.

 

Tab. 3 Imidacloprid in konventionellem Obst und Gemüse 2018, Probenzahl: 1 857
Warengruppe
Probenzahl
mit Rückständen (in %)
mittlerer Gehalt* (mg/kg)
Max (mg/kg)
Min (mg/kg)
Blattgemüse
413
35 (8,5 %)
0,041
1,0
0,001
Fruchtgemüse
427
65 (15,2 %)
0,021
0,20
0,001
Sprossgemüse
139
17 (12,2 %)
0,005
0,018
0,001
Wurzelgemüse
91
6 (6,6 %)
0,003
0,006
0,001
Exotisches Gemüse
3
0
-
-
-
Beerenobst
219
8 (3,7 %)
0,149
0,97
0,002
Kernobst
106
1 (0,9 %)
0,004
0,004
-
Steinobst
193
24 (12,4 %)
0,007
0,030
0,001
Zitrusfrüchte
109
20 (18,3 %)
0,006
0,025
0,001
Exotische Früchte
157
7 (4,5 %)
0,026
0,075
0,002

*mittlerer Gehalt der positiven Proben

 

Abb. 2 Häufigkeitsverteilung der nachgewiesenen Imidacloprid-Rückstände.

Abb. 2 Häufigkeitsverteilung der nachgewiesenen Imidacloprid-Rückstände

 

Ob sich durch die veränderten Anwendungsmöglichkeiten auch die Häufigkeit der nachgewiesenen Rückstände reduziert, bleibt abzuwarten. Zumindest bei Fruchtgemüse ist bekannt, dass der Anbau häufig unter Glas oder Folie erfolgt. Hier ist eher nicht mit großen Veränderungen zu rechnen.

Schwierig für das Labor ist, dass die Anbauart bei den Waren nicht kennzeichnungspflichtig ist. Ob eine Ware aus Unter-Glas-Anbau stammt oder aus dem Freiland, diese Angabe ist freiwillig. Daher können wir bei Proben, die aus dem Handel stammen und nicht direkt beim Erzeuger entnommen sind, nicht differenzieren.

Im Vergleich zu 2003 ist es auf jeden Fall ruhiger geworden um Rückstände von Neonicotinoiden in Obst und Gemüse. Damals war unser Fazit noch: In 2003 entfielen 43 % der Höchstmengenüberschreitungen bei Nachtschatten- und Kürbisgewächsen auf diese Wirkstoffgruppe [6]. Unser Fazit heute: etwa 30 % der Obst- und Gemüseproben enthalten Rückstände an Neonicotinoiden, die Gehalte sind jedoch meist sehr niedrig und Überschreitungen der Höchstgehalte sind selten.

 

Ausblick: Wir bleiben dran und untersuchen weiter.

 

Bildernachweis

Andrea Karst, CVUA Stuttgart

 

Quellen

[1] Simultaneous Determination of Neonicotinoid Insecticides in Fruits and Vegetables by LC-MS and LC-MS-MS – Methodology and Residue Data, Diane Zywitz, Michelangelo Anastassiades, Ellen Scherbaum, Deutsche Lebensmittel-Rundschau 99 (2003) 188–196

[2] Minister Hauk legt Ergebnisse von Untersuchungsprogramm zu den Ursachen des Bienensterbens am Oberrhein vor (aufgerufen am 16.01.2019)

[3] EFSA, Neonicotinoide: Risiken für Bienen bestätigt, (aufgerufen am 16.01.2019)

[4] BVL, Widerruf der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit den neonikotinoiden Wirkstoffen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam zum 18. September 2018 (aufgerufen am 16.01.2019)

[5] BVL-Broschüre, Pflanzenschutzmittel – sorgfältig geprüft, verantwortungsvoll zugelassen, November 2009

[6] Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Nachtschatten- und Kürbisgewächsen 2002 - 2004 (aufgerufen am 18.01.2019)

 

Artikel erstmals erschienen am 04.02.2019