Chlorat in Trinkwasser – Ein Update

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Carmen Breitling-Utzmann

 

Um eine Keimbelastung von Trinkwasser zu vermeiden, werden häufig chlorhaltige Mittel in der Trinkwasseraufbereitung eingesetzt. Dabei können jedoch auch unerwünschte Stoffe wie zum Beispiel Chlorat entstehen. Seit letztem Jahr gibt es nun eine toxikologische Bewertung von Chlorat durch die EFSA. Unter diesem Aspekt werden die in den Jahren 2014 und 2015 von uns festgestellten Chlorat-Gehalte in Trinkwasser neu beleuchtet.

 

Im Dezember 2014 hatten wir auf unserer Homepage über Untersuchungen zum Chlorat-Gehalt in Trinkwasser berichtet [1]. Zu diesem Zeitpunkt war eine rechtliche Einstufung der Chlorat-Gehalte aufgrund eines fehlenden Grenzwertes für Trinkwasser und mangels Daten zur toxikologischen Bewertung noch nicht möglich.

 

Was gibt es Neues?

Am 24.06.2015 hat die EFSA (European Food Safety Authority) eine Stellungnahme hinsichtlich der toxikologischen Bewertung von Chlorat in Lebensmitteln und Trinkwasser veröffentlicht [2]. Darin wird aufgrund der möglichen Hemmung der Jodaufnahme eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 3 Mikrogramm Chlorat pro kg Körpergewicht pro Tag (3 µg/kg KG/Tag) festgelegt. Auch eine hohe Chlorat-Aufnahme an einem einzigen Tag könnte für den Menschen toxikologisch bedenklich sein, da die Fähigkeit des Blutes Sauerstoff aufzunehmen eingeschränkt wird, bzw. es zu Nierenversagen kommen könnte. Die EFSA hat daher auch eine sichere Höchstmenge für eine Tagesaufnahme von Chlorat (die sogenannte „Akute Referenzdosis ARfD“) von 36 µg/kg Körpergewicht pro Tag empfohlen.

Nach Angaben der EFSA trägt Trinkwasser hauptsächlich zur chronischen Aufnahme von Chlorat bei.

 

Wie sind die gemessenen Gehalte in Trinkwasser zu bewerten?

Auf Grundlage der von der EFSA als sicher eingestuften täglichen Aufnahmemengen wurde von uns berechnet, bei welchem Chlorat-Gehalt im Trinkwasser der TDI bzw. die ARfD ausgeschöpft werden würde. Dafür sind wir bei Erwachsenen von einem durchschnittlichen Verzehr von 2 Litern Trinkwasser am Tag bzw. bei Kleinkindern (ca. 12 bis 18 Monate, 10 kg) von 1 Liter Trinkwasser pro Tag ausgegangen.

 

Tabelle 1: Berechnete Chlorat-Gehalte, die bei üblichem Verzehr des Trinkwassers zur Ausschöpfung des Tolerable Daily Intake (TDI) bzw. der Akuten Referenz-Dosis (ARfD) führen würden
  Erwachsene
(60 kg, 2 L / Tag)
Kleinkinder
(10 kg, 1 L / Tag)
TDI erreicht bei: 0,09 mg/l 0,03 mg/l
ARfD erreicht bei: 1,08 mg/l 0,36 mg/l

 

Hieraus ergibt sich, dass bei Kleinkindern der TDI bereits ab einem Gehalt von 0,03 mg Chlorat pro Liter Trinkwasser überschritten werden kann, bei Erwachsenen ab einem Gehalt von 0,09 mg/L. Die Akute Referenzdosis würde erst ab einem Gehalt von 0,36 mg/L Chlorat (bei Kleinkindern) bzw. 1,08 mg/L (bei Erwachsenen) überschritten werden.

Legt man jedoch den bisherigen Leitwert der WHO von 0,7 mg/L Chlorat in Trinkwasser zugrunde, so würde der TDI von Kleinkindern und Erwachsenen deutlich überschritten werden, bei Kleinkindern sogar die Akute Referenzdosis.

In den Jahren 2014 und 2015 wurden insgesamt 141 Trinkwasserproben aus dem Regierungsbezirk Stuttgart hinsichtlich ihrer Belastung mit Chlorat untersucht.

 

Abb. 1: Chlorat-Gehalte in Trinkwasserproben aus dem Regierungsbezirk Stuttgart, aus den Jahren 2014 und 2015 (Zahl der untersuchten Proben: 141); höchste gemessene Gehalte: 0,39 mg/L und 1,15 mg/L

 

Abbildung 1 zeigt, dass die Chlorat-Gehalte in den meisten Trinkwasserproben unter dem TDI für Kleinkinder von 0,03 mg/l lagen (113 Proben, 80 %). Nur bei einem geringen Anteil der Proben lag der Chlorat-Gehalt über 0,03 mg/l (19 Proben, 13 %) bzw. über dem TDI für Erwachsene von 0,09 mg/l (9 Proben, 6 %).

Hierbei muss berücksichtigt werden, dass etwa gut die Hälfte der untersuchten Proben risikoorientiert entnommen wurde, das heißt Trinkwasser von Eigenwasserversorgungen, gemeindeeigenes Wasservorkommen oder Wasser eines Verbandes, das jeweils mit Chlorhaltigen Desinfektionsmitteln behandelt wurde [1].

Bei den zwei Proben mit den höchsten gemessenen Chlorat-Werten war die ARfD für Kleinkinder überschritten (0,39 mg/l und 1,15 mg/l).

 

Wie lässt sich der Chlorat-Gehalt in Trinkwasser beeinflussen?

Zum einen haben unsere Untersuchungen gezeigt, dass der Chlorat-Gehalt in Trinkwasser vom verwendeten Desinfektionsmittel abhängt [1]. Bei der Verwendung von Chlorgas entstehen deutlich niedrigere Chlorat-Gehalte als bei der Verwendung von Chlordioxid oder Chlorbleichlauge (Natriumhypochloritlösung).

Zum anderen können in Chlorbleichlauge im Verlauf der Lagerung sehr hohe Gehalte an Chlorat entstehen [3]. Abb. 2 zeigt, dass bei kühler und dunkler Lagerung der Natriumhypochlorit-Lösung die Bildung von Chlorat deutlich vermindert wird.

Auch bei dem Trinkwasser mit dem höchsten gemessenen Gehalt von 1,15 mg/l (siehe oben) konnte durch Anwendung einer frischen Chlorbleichlauge der Chlorat-Gehalt des Wassers deutlich gesenkt werden.

 

Abb. 2: Abbau an wirksamem Chlor und Entstehung von Chlorat in einer Natriumhypochlorit-Lösung bei unterschiedlichen Lagerbedingungen. Quelle: [3].

 

Wie geht es weiter?

Aktuell gibt es seitens des Umweltbundesamtes Bestrebungen, einen Chlorat-Grenzwert in die Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren gemäß § 11 Trinkwasserverordnung 2001 aufzunehmen.

 

Fazit

Auch wenn der Chlorat-Gehalt in den meisten Trinkwasserproben unterhalb der tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge (TDI) liegt, gibt es in Einzelfällen doch deutliche Überschreitungen. Durch geeignete Minimierungsmaßnahmen (zum Beispiel richtige Lagerung und regelmäßige Überprüfung des Desinfektionsmittels) können Chlorat-Gehalte in Trinkwasser gesenkt werden.

 

Infokasten

Was ist Chlorat?

Als Chlorate bezeichnet man die Salze der Chlorsäure (HClO3). Natrium- und Kaliumchlorat wurden in der Vergangenheit zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. In der EU sind heutzutage keine Anwendungen von chlorathaltigen Pflanzenschutzmitteln oder Biozidprodukten mehr gestattet. Chlorat kann jedoch bei der Verwendung von chlorhaltigen Substanzen zur Reinigung oder Desinfektion als Nebenprodukt entstehen, zum Beispiel bei der Trinkwasseraufbereitung.

Die Aufnahme von Chlorat kann eine Schädigung der roten Blutkörperchen sowie eine reversible Hemmung der Jodidaufnahme in die Schilddrüse bewirken. Bei empfindlichen Verbrauchergruppen kann die gehemmte Jodidaufnahme möglicherweise zu Veränderungen des Schilddrüsenhormonspiegels führen [2].

 

Quellen:

[1] Beitrag des CVUA Stuttgart vom 10.12.2014

[2] Scientific Opinion, Risks for public health related to the presence of chlorate in food, EFSA Panel on Contaminants in the Food Chain (CONTAM), European Food Safety Authority (EFSA), Parma, Italy, EFSA Journal 2015;13(6):4135

[3] Chlorit und Chlorat ; 03/2012 166, Wasseraufbereitung Bädertechnik | AB Archiv des Badewesens

 

Artikel erstmals erschienen am 30.06.2016