Ausgelegte Giftköder in Bietigheim-Bissingen

Dr. Ingo Schwabe (CVUA Stuttgart), Stephanie Dietrich (CVUA Freiburg), Gabriele Amann (CVUA Freiburg), Sylvia Scanlan Sierra (CVUA Freiburg)

 

HundIm April dieses Jahres erschreckten massive Giftköderfunde in Bietigheim-Bissingen die Bevölkerung. Entlang einer Straße waren an die hundert Giftköder in Form kleiner Hackfleischbällchen ausgelegt worden. Zwei Hunde verstarben akut innerhalb von wenigen Minuten bevor sie den Tierarzt erreichten. Die Polizei fand im Umfeld der Köder u.a. mehrere tote Vögel sowie einen toten Marder.

 

Die zwei toten Hunde wurden dem CVUA Stuttgart zur Sektion übergeben, die Hackfleischbällchen wurden direkt per Kurier an die Veterinärtoxikologie am CVUA Freiburg weitergeleitet.

 

Klinischer Vorbericht und pathologische Untersuchungen

Der klinische Vorbericht der beiden zur postmortalen Diagnostik an das Labor Pathologie des CVUA Stuttgart verbrachten Hunde war nahezu identisch. Die beiden Tiere fingen ca. 10 Minuten nach Abschlucken der Hackfleischköder an röchelnd zu hecheln und stark zu speicheln. Ein Hund fing zudem an zu schwanken, krampfte und setzte unkontrolliert Kot ab. In beiden Fällen trat der Tod noch vor Erreichen des Tierarztes während des Transportes ein.

 

Bei der Obduktion der Tierkörper zeigte sich jeweils ein akuter Blutstau in den inneren Organen. In den Lungen war es zum Übertritt von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen in die Lungenbläschen gekommen (sog. Lungenödem). Bei einem Hund war die Muskulatur des Herzens akut erschlafft, bei dem Anderen zeigte sich an den Schleimhäuten eine sauerstoffmangelbedingte Blauverfärbung (sog. Zyanose). Mikroskopisch wurde bei beiden Tieren eine akute durch Sauerstoffmangel verursachte Degeneration von Leberzellen und Nierenkanälchen diagnostiziert. Diese Befunde sprechen für ein Verenden im akuten Herz-Kreislauf-Versagen.

 

Da sowohl die vorberichtlich beschriebenen Symptome als auch die postmortal gefundenen Organveränderungen bei Vergiftungen mit Carbamaten oder Organophosphaten auftreten, wurde Probenmaterial von beiden Tierkörpern an die Veterinärtoxikologie des CVUA Freiburg zum Nachweis von Giftstoffen verbracht. Beide Wirkstoffgruppen führen bei Wirbeltieren zu einer Verengung der Atemwege, starkem Speichelfluss, Herzrhythmusstörungen, zentralnervösen Krämpfen und letztendlich zum Tod durch dramatischen Blutdruckabfall. Bei Eintritt der Vergiftungssymptome ist auch eine typische Engstellung der Pupillen beider Augen (sog. Miosis) sowie häufig Erbrechen und unkontrollierter Harn- und Kotabsatz zu beobachten.

 

Nachweis der Giftstoffe

Die ausgelegten Hackfleischbällchen (Abb.1) zeigten rein äußerlich keine Auffälligkeiten.
Aufgrund der auffälligen Symptomatik der Hunde vor ihrem Tod (röcheln, krampfen, Schaum vor dem Maul) wurde gezielt auf Organophosphate und Carbamate untersucht. Ein schneller Vortest hierzu ist der Drosophila-Fruchtfliegentest.

Köder, Probenextrakt, Drosophila-Test

 

Im Labor wird aus der Probe ein spezieller Lösemittelextrakt hergestellt, der dann auf ein Filterpapier aufgetragen wird auf dem anschließend einige Drosophila-Fliegen (Fruchtfliegen) gesetzt werden. Bereits der hergestellte Lösemittelextrakt der Probe zeigte eine unübliche Rosafärbung (Abb.2). Während normalerweise dieser Test über 48 Stunden angesetzt wird, verstarben alle eingesetzten Fruchtfliegen bereits nach 15 Minuten (Abb.3.)

 

Zur weiteren Identifizierung der Giftsubstanz wurde die Probe nochmals aufgearbeitet und im Labor mittels gekoppelter Gaschromatografie-Massenspektrometrie (GC-MS) untersucht. Dabei wurden sehr hohe Konzentrationen an Carbofuran festgestellt. Des Weiteren wurden Mageninhalt und Leber der verstorbenen Hunde untersucht. Auch hier fanden sich hohe Konzentrationen an Carbofuran.

 

Infokasten

Gekoppelte Gaschromatografie-Massenspektrometrie (GC-MS): Im Unterschied zur Gaschromatografie müssen hier die zu analysierenden Substanzen zunächst nicht bekannt sein. Im Massenspektrometer werden die Moleküle unter Elektronenbeschuss fragmentiert und zerfallen in einzelne Bruchstücke. Diese Zerfallsmuster ergeben ein für jede Substanz (außer Isomere) charakteristisches Massenspektrum, welches über Erfahrung und/oder vorhandene Spektrenbibliotheken zugeordnet werden kann und somit eine Identifizierung auch unbekannter Signale ermöglicht.

 

Ergebnisse der GC-MS-Analyse:

Chromatogramm und Massenspektrum Carbofuran-Standard

 

Chromatogramm und Massenspektrum Hachfleischköderprobe

 

Chromatogramm und Massenspektrum Mageninhalt Hund

 

Das Massenspektrum der Proben zeigt eine eindeutige Übereinstimmung mit dem Carbofuranstandard. Somit wurde Carbofuran zweifelsfrei in allen Proben der verendeten Hunde (Mageninhalt und Leber) sowie den gefundenen Hackfleischbällchen nachgewiesen.

 

Infokasten

Carbofuran gehört zur Gruppe der Carbamat-Insektizide (systemisch wirkendes Insektizid mit Fraßgift- und Berührungsgift-Wirkung). Carbofuran bewirkt eine Hemmung der Acetylcholinesterase, dies führt zu Störungen im zentralen Nervensystem. Die Substanz war in Deutschland als Wirkstoff in einigen Pflanzenschutzmittel-Handelspräparaten (z.B. Carbosip, Carbosip blau, Curaterr) enthalten. Die Zulassung des Wirkstoffs wurde im Juni 2007 EU-weit widerrufen. Die letzten Aufbrauchfristen endeten im Dezember 2008. Carbofuran weist für Säugetiere, Vögel und für den Menschen eine hohe Giftigkeit auf.

 

Aufgrund der enthaltenen sehr hohen Carbofurankonzentrationen in den Köderbällchen, die für jedermann zugänglich auf öffentlichem Gebiet auslagen, war nicht nur eine Gefährdung anderer Tiere, sondern auch des Menschen, insbesondere von Kleinkindern, gegeben.
Bislang konnte kein Täter ausfindig gemacht werden. Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an.

Literatur:

Hans-Hasso Frey und Wolfgang Löscher, Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie für die Veterinärmedizin, 3. Auflage 2010, Enke Verlag Stuttgart

 

Weitere Informationen:

Toxikologische Untersuchungen im Veterinärbereich

 

 

Bildnachweis

Foto Hund: Sibylle Blum, Freiburg

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Artikel erstmals erschienen am 25.09.2014